F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Wie kannst du so verzagt sprechen!« entgegnete die alte Frau; »das hab' ich noch nie von dir gehört. Du, sonst immer voll der schönsten Hoffnungen, du, der alle Widerwärtigkeiten, – ja, ich muß dir das Kompliment machen – mit einer staunenswerten Kraft und Geduld aushielt; der mir in jeder Beziehung eine so feste Stütze war, zu dem ich wahrhaft beruhigt aufsah, und von dem ich mir oft sagte: Heinrich ist ja da, dein Sohn! In seiner Hand muß noch alles gut und schön werden.«

»So hast du freilich gedacht, und ich dachte fast ebenso von mir selbst. Hast du auch bis jetzt je gesehen, daß ich den Mut sinken ließ; haben mich die Widerwärtigkeiten, die uns betroffen, im geringsten gebeugt? Aber das von vorhin,« setzte er leise hinzu, »das hat mich ins Herz getroffen. Und wenn das Herz verletzt wird, so ist auch der Mut dahin.«

Die alte Frau wiegte unmutig mit dem Kopfe hin und her, während sie sagte: »Schlag dir doch diese Grillen aus dem Sinn. Du wirst sehen, das klärt sich alles zum guten auf, und ebenso, was dein Geschäft anbelangt. Ist doch aller Anfang schwer. Aber ich habe ein ahnungsvolles Gemüt, dein Schicksal wendet sich einmal plötzlich.«

»Ja, nachdem ich so viel Herzeleid durchgemacht,« sprach düster der Photograph, »daß mich das Glück nicht mehr freut, wenn es endlich bei mir einkehrt.«

»Ach was – ich weiß noch, wie deine Großmutter selig, die es auch nicht leiden konnte, wenn man immer von Unglück sprach, und von Leuten, die stets vom Unglück verfolgt würden, – wie deine Großmutter zu sagen pflegte. Glück hat jeder Mensch, sagte sie, nur muß er es zu fassen wissen. Aber freilich gibt es Menschen, die, wenn das Glück an ihre Thür klopft, nicht einmal Herein! rufen.«

In diesem Augenblick klopfte es leise und bescheiden an die Thür des photographischen Ateliers.

Dieses Klopfen kam so apropos, daß sowohl die alte Frau wie ihr Sohn sich betroffen anblickten und keines das eben erwähnte Wort aussprach, so daß draußen zum zweitenmal geklopft wurde. Jetzt rief jedoch der Photograph :»Herein!« Die Thüre öffnete sich, und auf der Schwelle erschien ein herrschaftlicher Lakai in einfacher, aber eleganter Livree, der den Kopf zur Thür hereinsteckte und mit leiser Stimme fragte: »Hier wohnt doch der Photograph, dessen Name unten an der Hausthür steht?«

»Allerdings, der Photograph Heinrich Böhler.«

»Und ist zu Hause?«

»Ich bin es selber.«

»Ah!« versetzte der Lakai und zuckte mit seinem Kopfe, wie zu einer leichten Begrüßung, vorwärts, wobei er die Schultern, dieser Bewegung anpassend, in die Höhe hob. »So habe ich denn zu fragen, ob Sie Zeit hätten, augenblicklich ein Porträt zu machen.«

»Vollkommen Zeit und sehr gutes Licht,« entgegnete der Photograph, wobei er einen Blick auf seine Mutter warf, die in tiefen Gedanken dasaß und wahrscheinlich an seine Großmutter dachte, an den Augenblick des Glücks, an das Klopfen und Hereinrufen.

»So werden wir sogleich kommen,« sagte der Lakai, langte mit zwei Fingern an seinen Hut und verschwand geräuschlos, aber eilig die Treppen hinab.

Während der junge Mann sich daran machte, ein paar seiner größten Glasplatten zu präparieren, rückte Frau Böhler ihre Haube zurecht und wischte mit der Schürze eilig über den tannenen Tisch, sowie über die Stühle an den Wänden, obgleich dort nirgends ein Stäubchen sichtbar war. »Ich weiß, du lachst mich immer aus, wenn ich von Ahnungen spreche,« redet sie dabei. »Aber diesmal hab' ich recht. Es ist was ganz Apartes, vielleicht jemand vom Hof. O du mein lieber Gott, wenn es dir heute nur recht gelingt!«

Jetzt hörte man Schritte auf der Treppe, dann wurde die Thür geöffnet, und der Lakai erschien, indem er dieselbe, außen stehen bleibend, so weit wie möglich zurückwarf und dann mit einer tiefen Verbeugung zwei Herren vorbeigehen ließ. die nun in das Zimmer traten.

Der erste, vielleicht ein Mann an den Vierzigen, hatte eine hohe, schlanke und elegante Figur; er trug einen dunklen Paletot, im Knopfloch ein rotes Bändchen, lederfarbene, untadelhafte Handschuhe, und seine Haltung war entschlossen und aufrecht wie die eines Militärs. Sein Gesicht mit klugen Augen war interessant; man hätte es schön nennen können, wenn in den Zügen nicht ein matter, ja verlebter Ausdruck vorgeherrscht hätte. Er nahm seinen Hut ab, grüßte herablassend die alte Frau und den jungen Mann, welch' letzterer eine tiefe Verbeugung machte, und sagte dann zu dem anderen, der ihm folgte:

»Baron, das ging hoch hinauf!«

»Nicht ohne Ursache, gnädiger Herr,« versetzte dieser mit leiser Stimme; »der Mann hier soll gute Arbeit machen, ohne daß er gerade einen besonders großen Zulauf hat.«

Der, welcher also sprach, hatte ein ganz anderes Wesen als der, welcher zuerst eingetreten war, war viel kleiner und sah ungleich älter aus. Er war fast in das Zimmer herein getänzelt und bewies sich in allen seinen Bewegungen außerordentlich gelenkig; doch hatten diese Bewegungen etwas Forciertes, und es war, als wende er sich bald rechts und bald links, um eine gewisse Steifheit und Hinfälligkeit seines Körpers zu verdecken. Sein Gesicht hatte einen ungemein klugen Ausdruck, dabei aber ein fatales Lächeln, ein Lächeln, bei dem man sich unwillkürlich sagen mußte, es sei nicht ehrlich gemeint.

Aber es wäre unrecht von uns, dem wahrhaftigen Erzähler, gehandelt, wenn wir mit dem geneigten Leser Versteckens spielen wollten. Daher wollen wir es seiner Verschwiegenheit anvertrauen, wenn er es nicht vielleicht schon erraten hat, daß der zuletzt Eingetretene Baron Rigoll war. Was jedoch den anderen anbelangte, den wir nur auf einen Augenblick in der Wohnung des Baron Wenden gesehen, so sind wir mit dem besten Willen selbst nicht im stande, etwas Näheres über diesen Herrn anzugeben.

»Wir wünschen also ein Porträt,« sagte der Baron, nachdem er in der Geschwindigkeit an der einen Wand des Zimmers heruntergefahren war und die dort aufgestellten Photographien betrachtet hatte; »ein Porträt, gut, aber sehr einfach. – Ah!« unterbrach er sich selber, »ist das ein schöner Kopf!« Er stand gerade an dem Bildnis jenes jungen Mädchens, über welches die verdorrten Feldblumen herabhingen. »In der That superbe, magnifik! Wollen Euer – wollen Sie, gnädiger Herr, sich das nicht einen Augenblick betrachten? Ein ganz wunderbares Geschöpf! – Das existiert doch irgendwo?« wandte er sich fragend an den Photographen.

»O ja, es existiert,« erwiderte dieser mit einer tiefen Neigung des Kopfes.

»Das ist wirklich ein schönes Mädchen,« sprach der andere Herr, »und gut ausgeführt. Eine hübsche nette Arbeit. Ich glaube, wir sind an die rechte Quelle gekommen.«

»Das glaub' ich auch,« entgegnete Baron Rigoll mit seinem seltsamen Lächeln; »und es sollte mich freuen, wenn wir reussieren.«

»So wollen wir denn sogleich beginnen,« meinte der andere, indem er sich an den jungen Mann wandte.

Dieser hatte schon den Stuhl zwischen den spanischen Wänden zurecht gerückt, und bat den großen schlanken Herrn, Platz zu nehmen; ehe sich derselbe aber setzte, wünschte er, daß man alles Beiwerk, Tisch, Vase, Blumen und Vorhänge weglasse, indem er wiederholte, es solle ein ganz einfaches Porträt werden.

Die Haltung, welche der Fremde hierauf von selbst annahm, war so gut gewählt und passend, daß weder der Photograph, noch Herr Krimpf es hätte besser arrangieren können.

Nun wurde die gespensterhafte Maschine von dem dunklen Tuche befreit und gestellt. Der Photograph schaute einen Augenblick hinein, richtete das Objektiv, dann schob er die Kassette mit dem präparierten Glase ein, bat den Fremden, ruhig zu sitzen und nahm den Deckel von dem Glase.

Eine Sekundenuhr hatte sich der gute Herr Böhler noch nicht anschaffen können, deshalb zählte er von eins bis zwölf, wie er es bis jetzt gewohnt war, gleichförmig vor sich hin, und ebenso that die alte Frau, welche in der größten Spannung in der Ecke des Zimmers stand. Dabei können wir nicht verschweigen, daß diese, in ihrem ahnungsvollen Gemüte den Augenblick für außerordentlich wichtig ansehend, kleine Gebetsätze mit einfließen ließ, wobei sie, da es noch keine besonderen Heiligen für die Photographen gibt, verschiedene, die ihr gerade einfielen, bestens ersuchte, das gegenwärtige Porträt ihrem Sohn zu Nutz und Frommen gelingen zu lassen. Das Licht war günstig, der fremde Herr saß wie eine Mauer, und nach Verlauf der zwölften Sekunde machte Herr Böhler eine tiefe Verbeugung, wobei er mit der Hand den Schließdeckel des Glases gegen den Sitzenden schwenkte, was bei den Photographen ungefähr ebensoviel sagen will, wie bei den Soldaten das bekannte: Rührt euch!


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