F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Fürchten Sie nichts, mein Fräulein, es ist ein Bekannter, der vor Ihnen steht – Fernow.«

»Fast hätten Sie mich erschreckt, Herr von Fernow,« gab das Fräulein mit etwas unsicherer Stimme zur Antwort; »freilich sind wir auf befreundetem Grunde, aber diese weiten Säle haben abends doch etwas Unheimliches!«

Bei diesen Worten nahm sie ihren Gang wieder auf und hatte mit wenigen Schritten den Ort erreicht, wo der junge Offizier stand. Sie wandte ihren Kopf etwas gegen ihn, neigte ihn leicht und sagte: »Guten Abend, Herr von Fernow,« als sie vorübergehen wollte.

Abends ist das Herz empfänglicher für ein inniges Wort, namentlich nach einer kleinen Emotion. Der junge Offizier holte in diesem Augenblick mühsam Atem. Die Hand, die auf seinem Säbelgriff lag, bebte fast; er redete sich ein, gesehen zu haben, daß Helene langsam auf ihn zukam, und daß sie zögerte, vorüberzugehen; er glaubte, ihre Bewegung mit dem Kopfe gegen ihn sei herzlicher gewesen, als sonst; er meinte, ihre Stimme habe gezittert, als sie sprach: »Guten Abend, Herr von Fernow.« –

»Mein Fräulein,« sagte er und trat einen Schritt vor.

»Herr von Fernow,« entgegnete sie, und dabei hemmte sie ihre Schritte, ja, sie blieb stehen und wandte sich gegen ihn.

»Es ist kühn von mir,« brachte er mühsam, mit fast tonloser Stimme hervor, »daß ich wage, Ihren Weg zu unterbrechen und Sie anzureden; und obendrein anzureden in einem Augenblick, wo ich mich in großer Aufregung befinde. Ja, mein Fräulein – – seien Sie gnädig, seien Sie gütig gegen mich und verzeihen Sie es dieser Aufregung, daß ich mich unterstehe, mit Ihnen zwei Worte zu sprechen.«

Er hatte das mit so bewegter, fast zitternder Stimme gesprochen, daß das junge Mädchen offenbar daraus entnehmen mußte, er befinde sich in einer ganz besonderen Gemütsstimmung, und wahrscheinlich eben deswegen geneigt war, ihm freundlicher, als sonst vielleicht geschehen wäre, zu antworten. »Ich sehe gerade kein Unglück darin,« sagte sie, »daß Sie zwei Worte mit mir reden wollen. Freilich,« fuhr sie fort, indem sie um sich schaute, »ist der Augenblick nicht ganz gut gewählt.«

»Aber wenn man keine Wahl hat,« entgegnete er hastig, »so nimmt man, was der Augenblick bietet.«

»Sie haben hier auf mich gewartet?« fragte sie.

»Nein, mein Fräulein, um ehrlich mit Ihnen zu reden, ich würde das nicht gewagt haben. Mein Dienst hält mich noch im Schlosse, in diesem Saale. Da sah ich Sie kommen, und hielt es für die höchste Gunst des Glücks, wenn Sie mir wenige Minuten gönnen wollten.«

Als er dies sagte, mit leiser, wehmütiger Stimme, klangen seine Worte so weich und schmerzlich in dem Herzen des jungen Mädchens wider, daß sie unwillkürlich ihre Lippen aufeinander preßte und ein paar Sekunden vorübergehen ließ, ehe sie antwortete: »Sie wollen dadurch gut machen, was Sie während des ganzen Tages versäumt. Sie hatten sich von unserer Landpartie zurückgezogen – –«

»Ich war im Dienst, mein Fräulein,« sagte er.

»Und nach der Tafel,« fuhr sie zögernd fort, »waren Sie der einzige, den ich nicht in meiner Nähe sah.«

»Aber ich habe Sie gesehen, Fräulein Helene,« entgegnete er rasch, fast heftig, »und dankte Gott, daß ich weit genug entfernt stand, um mich Ihnen nicht nähern zu müssen.«

»Sie mißgönnten mir mein Glück,« sagte sie mit einem Tone, der jedem hätte auffallen müssen, einem Tone, der den jungen Mann in das Herz schnitt.

»Ich würde Ihnen kein Glück der Erde mißgönnen, nicht das größte; aber ja, Sie haben recht, ich mißgönne Ihnen ein Glück, das mich – so unsäglich unglücklich macht.«

»Also sind unsere Begriffe von Glück so sehr verschieden?«

»Verschieden und doch ganz dieselben, wenn ich den Empfindungen meines Herzens glauben darf. Aber die Ihrigen, Fräulein Helene, sind freilich ganz anders.«

»Ja, meine Begriffe von Glück sind ganz anders, Herr von Fernow,« sagte die junge Dame mit leiser Stimme, »ganz anders als das Glück, das sich mir darbietet.«

»So würden Sie also unglücklich sein?« fragte er hastiger.

»Und wenn dem so wäre? Sehen Sie für mich eine Möglichkeit, glücklich zu werden? – – Doch wozu dieses seltsame Gespräch?« setzte sie rasch hinzu, »diese qualvollen Reden, die mich nicht erfreuen und auch Sie nicht glücklich machen können.«

»Und doch, Fräulein Helene, bei Gott im Himmel, Ihre letzten Worte haben mich glücklicher gemacht, als ich es nach diesem furchtbaren Abend zu hoffen wagte. O! erschrecken Sie nicht über meine Reden, Helene; es ist vielleicht der Augenblick meines Glücks, den ich ergreife und festhalte, während ich so spreche.« Dabei hatte er ihre Hand erfaßt, führte dieselbe an seinen Mund und drückte seine Lippen darauf.

»Um Gotteswillen, Herr von Fernow, keine Thorheiten!« sagte ängstlich das junge Mädchen, doch machte sie nur einen schwachen Versuch, ihm ihre Hand zu entziehen.

»Helene, lassen Sie mich meinetwegen Thorheiten begehen, wenn es mir dadurch gelingt, meinem Glücke näher zu kommen. Ja, Helene, ich kann und will es nicht ertragen, daß jene Verbindung geschlossen wird.«

»Und Sie wollen das hindern?« fragte sie bewegt.

»Sie und ich, wenn Sie mir vertrauen.«

»Und worauf soll sich mein Vertrauen gründen?«

»Auf meine grenzenlose Liebe zu Ihnen. Ja, Helene, ich liebe Sie unsäglich, ich liebe Sie, wie nur jemand auf dieser Erde ein Mädchen lieben kann, – ja, und ich fühle an dem Beben Ihrer Hand, daß auch Sie mir gut sind. Wenn es so ist, Helene, so sprechen Sie ein einziges Wort; wenn Ihr Herz schneller schlägt bei dem Gedanken, daß ich Sie liebe, so lassen Sie mich's durch ein Wort erraten. Wer will uns auseinander reißen, wer will uns trennen, wenn wir beide mit unserer Liebe einig sind?« –

Obgleich er dies mit gedämpfter Stimme sprach, so klang doch aus seinen Worten eine solche Leidenschaft hervor, eine solche Glut und Innigkeit, daß das junge Mädchen zitternd zurückweichen wollte; doch, – er hatte ja mit ihrer Hand den Augenblick des Glücks erfaßt; er hielt diese Hand fest in der seinigen, er zog sie abermals an seinen Mund und drückte sie dann sanft an seine heißen Augen. Zuerst bebte die kleine Hand nur, ja, sie suchte sich sanft loszumachen aus der seinigen, dann aber wurde sie fügsamer, ihre Finger gaben dem Drucke der seinigen nach und schmiegten sich endlich mit einem leisen, leisen Druck in diese.

Der Augenblick des Glücks! jauchzte es in ihm, und wie es nun in diesem seligen Augenblicke weiter zuging, sind wir nicht im stande, ganz genau anzugeben; doch war es wirklich für beide ein Augenblick des Glücks; ihre liebenden Herzen hatten sich gefunden, und darauf bedurfte es keines bedeutenden Schrittes mehr, daß sich das glühende Mädchen von seiner Leidenschaftlichkeit berauschen ließ und sich erst erschreckt ermunterte, als sie einen heißen Kuß auf ihren Lippen fühlte.

Da wollte sie sich losreißen und eilig fliehen, – aber es war zu spät; er legte seinen Arm um sie, nicht um sie aufs neue an sich zu ziehen, sondern um sie in dem dunklen Versteck der Fensternische zurückzuhalten, – – denn er hörte deutlich den Schall von Tritten, die sich von rechts und ziemlich eilig näherten.

»Bleiben Sie ruhig, Helene, um Gotteswillen, bleiben Sie ruhig,« sagte der junge Offizier mit eindringlicher Stimme; »Sie können nicht mehr entfliehen; dort kommt jemand und ist in diesem Saale, ehe Sie die andere Thür erreicht haben. Man würde Ihre Gestalt erkennen, man würde Sie verfolgen, man würde Nachforschungen anstellen und alles wäre verloren, wenn die Welt schon jetzt etwas von unserem Glück erführe.«


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