F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Daß der Major diese Geschichte nicht lächerlich fand, brauchen wir dem geneigten Leser nicht zu sagen. Im Gegenteil, sie hatte ihn so außerordentlich überrascht, daß er ein fast gleiches Interesse für den Erzähler faßte. Es war ihm seltsam, so zufällig mit jemand zusammengetroffen zu sein , der etwas Ähnliches erlebt, wie er, und das Gleiche dabei gefühlt. Jetzt hätte er aber auch gern erfahren, wie sich eine Liebe, gleich der seinigen beim Anblick eines Leuchtkäfers entstanden, weiter entwickelt, und um einen Versuch zu machen, das Gespräch über dieses Thema fortzuführen, sagte er: »Nun begreif' ich freilich, weshalb Sie sich für die Leuchtkäfer interessieren, und verstehe auch vollkommen, daß es Ihnen ein höchst angenehmes Gefühl verursacht, wenn Sie einen solchen glänzenden Punkt erblicken.«

»In der That, das hat mir lange ein großes Vergnügen gemacht,« fuhr der andere mit leiser Stimme fort, »doch jetzt – –; aber das kann Sie in der That nicht interessieren!«

»Für ein paar einander gänzlich Fremde sind wir da auf ein seltsames Thema geraten,« sagte Herr von Fernow: »glauben Sie aber nicht,« fuhr er in zutraulichem Tone fort, »daß ich unbescheidenerweise Ihre Verhältnisse erforschen will oder daß ich mir von Ihnen geben lasse, ohne dafür etwas zurückzuerstatten.«

Es war etwas in dem ganzen Benehmen des jungen Mannes, ja in dem Tone der Stimme, sowie in der äußerst anständigen Art, mit der er erzählte, was den Major zu ihm hinzog. »Wie schon bemerkt,« fuhr der letztere fort, »es ist keine müßige Neugier, die mich zu der Frage getrieben hat, denn auch mir ist etwas ganz Ähnliches passiert, ich habe die genauere Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Mädchens auf gleiche Art gemacht.«

»Aber da waren die Verhältnisse und ihre Folgen ganz anders, das kann ich mir denken. Sie, mein Herr, gehören zu den Bevorzugten dieser Erde, Ihrer Liebe stellt sich nichts entgegen, Rang und namentlich Vermögen ließen alle Schwierigkeiten verschwinden, und wenn Sie jetzt nicht schon zum ersehnten, schönen Ziele gekommen sind, so wird das doch in kurzem geschehen.«

»O, ich wollte, Sie hätten wahr prophezeit!« sagte Herr von Fernow; »wie wollte ich dieser Stunde eingedenk sein und den glücklichen Propheten gewiß nicht vergessen.«

Das sprach er sehr leise, fast wie zu sich selber, und der andere schien auch in der That diese Worte nicht gehört oder nicht verstanden zu haben, denn er fuhr fort:

»Das ist Ihr glückliches Los, während mich der Druck der Verhältnisse lange nicht aufkommen ließ, und da dies endlich zu geschehen scheint, andere Verhältnisse mich wieder tief zu Boden drücken. Ja, Reichtum und Rang, ich habe bisher nie daran gedacht, andere darum zu beneiden; aber jetzt sehe ich doch wohl ein, wie viel leichter man mit ihrer Hilfe zu dem kommt, was wir Menschen Glück, ja Seligkeit nennen.« Er hatte bei diesen Worten seinen Arm auf das eiserne Geländer gestützt, den Kopf auf die Hand gelegt und blickte in das weiße, glitzernde Stückchen Mond, welches langsam zwischen den dunklen Föhren niedersank. Nachdem er die letzten Worte gesprochen, seufzte er tief und schmerzlich auf.

Unten im Park begann eine Nachtigall wie schüchtern ihr Liebeslied, und erst als die Sängerin gefühlt, daß Baum und Gras, Quell und Blüte in tiefer, feierlicher Stille aufhorchten, schlug sie stärker und immer stärker, schmelzender und immer schmelzender und jubelte endlich unter Lachen und Schluchzen ihr Lied hinaus, ihr Lied ohne Worte, aber deutlich wie kein anderes redend von Liebesleid und Liebeslust, von Liebesschmerz und von der Liebe höchster Seligkeit.

Solch ein Lied dringt ans Herz, und wenn man das in stiller Nacht hört, so möchte man hinausjubeln sein Glück und hinausschreien sein Leid an irgend einen Stern hin, an des Mondes bleiche Scheibe, an die duftende Blüte, wie viel lieber an ein Menschenherz, das denkt und fühlt wie wir.

Bewegt von diesen Klängen sagte denn auch Herr von Fernow zu dem unbekannten Nachbar, mit dem er fast willenlos Geheimnisse tauschte:

»Was Sie da reden von Rang und Vermögen, durch die Glück und Seligkeit zu erkaufen wären, ist ebenso unrichtig, als wenn Sie glauben, meiner Liebe habe es genützt, daß ich wohl etwas von diesen Gütern besitze. – – Vielleicht ist es Ihnen tröstlich zu vernehmen, daß ich mich der Dame, die ich liebte, lange Zeit kaum nähern durfte, und daß dieselbe jetzt – die Braut eines anderen ist.«

»O!« rief der junge Mann und fuhr aus seiner Stellung empor, »so sind Sie also auch unglücklich? Das trifft sich eigentümlich.«

»In der That seltsam,« entgegnete Herr von Fernow, und mußte lächeln über dieses Zusammentreffen. Es entstand in dem Gespräch eine kleine Pause. Der junge Mann lehnte sich über die Brüstung und schaute in die Tiefe hinab, wo man jetzt nur noch schwarze Schatten und kaum sichtbar das Leuchten eines Wasserspiegels bemerkte.

»Wie lieb ist es mir,« sagte er endlich, »daß ich hier war, als Sie, mein Herr, kamen. Mein Herz war so voll, o so voll, daß es eine Wohlthat für mich ist, zu jemand sprechen zu können, von dem ich überzeugt bin, daß er mich versteht. Ich habe wohl Verwandte, Freunde, aber die begreifen meine Verhältnisse nicht, ihnen ist es vielleicht lächerlich, was mein Innerstes zerreißt. Sie aber müssen mich verstehen; denn ich bin überzeugt, Sie kennen das, was man die hohe Welt nennt. Sie sind jung, vornehm, reich. Sie können mir Trost und Rat geben – nicht wahr, Sie sind jung, vornehm und reich?«

Während er das sagte, hatte er seine Hände zusammengelegt, und war dem anderen näher gerückt, nur mit einer leichten Bewegung, aus welcher man aber fühlen konnte, wie sehr es dem Sprecher darum zu thun war, daß seine Rede an das Herz des anderen dringe. Ebenso innig und anschmiegend war der Ton seiner Stimme.

»Nach den gewöhnlichen Begriffen,« beantwortete Herr von Fernow die Frage seines seltsamen Nachbars, »habe ich allerdings von den Eigenschaften, die Sie eben nannten, und wenn mich dieselben befähigen, Ihnen einen Rat zu geben, so bin ich gern dazu bereit. Lassen Sie mich hören.«

»Von diesen Eigenschaften,« sprach der andere nach einer Pause, »habe ich nur eine einzige. Ich bin jung. Aber ich besaß Mut und Kraft, um mir eine Laufbahn zu schaffen. Ich bin Künstler, war ein geschickter und gesuchter Holzschneider, und kann das sagen, da ich vorausschicke, ich war es. Ein Unglücksfall lähmte mir die Finger der rechten Hand, ich mußte mich nach einer anderen Beschäftigung umsehen und wählte die Photographie. Aller Anfang ist schwer, und wenn ich auch nicht viel zu thun hatte, so wurden doch meine Bilder gelobt, und ich konnte hoffen, nach und nach bekannt zu werden. Das ist eigentlich Nebensache,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort; »Nebensache in der Angelegenheit, in welcher ich Ihren Rat zu hören wünschte; und doch gehört es wieder dazu, denn ich ernährte mit meinen photographischen Arbeiten nicht nur meine alte Mutter, sondern hoffte auch –«

»Ah! ich verstehe,« sagte Herr von Fernow, der sehr aufmerksam zuhörte, »das Mädchen, welches Sie liebten, hoffte sehnlich auf Vergrößerung Ihrer Kundschaft.«

»Ich glaube, daß sie darauf hoffte,« fuhr der andere mit schmerzlicher Selbstüberwindung fort, »bis – nun ja,« rief er fast heftig, »bis sie sich eines anderen besann und glauben mochte, sie sei zu gut und schön, um die Frau eines armen Photographen zu werden!«

»So knüpfte sie ein anderes Verhältnis an?«

»Ja,« antwortete der junge Mann nach einer Pause, während welcher er mit sich selbst zu kämpfen schien, ob er weiter sprechen solle; »ja, sie ist wenigstens im Begriff eines anzuknüpfen, und das möchte ich gern hindern, wenn es irgend in meiner Macht stände.«

Herr von Fernow sah sich in einer eigentümlichen Lage. Er hatte es mit einem Verliebten, einem Eifersüchtigen zu thun, und wußte wohl, wie schwer es bei solchen ist, die richtige Ansicht von der betreffenden Sache zu erhalten. Daß der junge Mann unendlich litt, daß es ihm ein Trost war, sich jemand anvertrauen zu können, das erkannte er daraus, daß er mit ihm, dem Fremden, über diese Angelegenheit sprach. Es war wie eine Beichte, nach deren Ablegung er sein Gemüt erleichtert fühlen mußte.

Wie schon bemerkt, hatte der junge Mann zögernd des Verhältnisses erwähnt. Als dies aber einmal geschehen war, und als ihn der andere mit sanften Worten aufforderte, ohne Rückhalt zu sprechen, wenn ihm dies einen Trost gewähre, so erzählte ihm der Photograph seine ganze Liebes- und Leidensgeschichte, wie glücklich er gewesen sei in seiner Liebe, bis plötzlich sein Gehilfe, Herr Krimpf, ihn auf gewisse Vorgänge am Fenster aufmerksam gemacht, und wie er die Anklage bestätigt gefunden.


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