F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Aber laßt mich nicht zu lange warten.«

»Unbesorgt, sollte ich im Augenblick nicht selbst abkommen können, so schicke ich Euch jemand, dem Ihr die Dinger ohne weiteres übergeben könnt.«

Damit entfernte sich der Lakai und der andere blieb an der Rampe stehen. Wer anders konnte der Wartende sein, als Böhlers Gehilfe, sagte sich der Major. Wie hatte ihn der Photograph doch genannt? Herr Krimpf, glaubte er, und wenn er seine scharfen Augen anstrengte, um jene Figur zu betrachten, die sich dort auf dem Rande der Terrasse ziemlich deutlich abzeichnete, so war gar kein Zweifel, die zusammengekrümmte kleine Gestalt war genau dieselbe, die ihm der Photograph beschrieben hatte.

Die eiligen Schritte des Lakaien waren unter dem Hauptportale verklungen. Hier mußte ein Entschluß gefaßt werden. »Ist es recht von mir,« fragte sich der Offizier, »wenn ich den Versuch mache, die Photographien in meine Hand zu bekommen? Je nachdem die Art des Versuchs wäre. Mit Bestechung oder meinetwegen mit Gewalt? Aber, wenn ich mich als den darstellte, der sie abholen soll! Die Rolle eines Bedienten übernehmen? Pfui Teufel, das wäre ordinär! Eine Art von Betrug begehen? – Doch nein; es könnte vielleicht nicht so angesehen werden. Wenn ich jenem die Photographien abnehme, so bin ich am Ende im Rechte, denn Krimpf besitzt sie widerrechtlich nach der eigenen Aussage. Überhaupt gelten in dem Kriege hier alle Mittel, – nur nicht die gemeinen, nein. Aber geschehen muß etwas. Was geht vor? was ist's, was Lakai und Kammerdiener der Prinzessin bei Nacht und Nebel verhandeln? – Es ist die Gegenpartei, es ist meine Schuldigkeit, der des Regenten die Stange zu halten. Vielleicht machen wir eine wichtige Entdeckung, vielleicht ist dies abermals – ein Augenblick des Glücks.«

Als der junge Offizier sein Selbstgespräch beendigt hatte, vernahm er wieder sich nahende Schritte und gleich darauf kehrte der Lakai zurück. Jetzt galt es. Entweder Herr Krimpf übergab die Photographien, dann mußte man dem Lakaien ins Schloß folgen und sie ihm mit Güte oder Gewalt abdringen. Doch war dies ein mißliches Unternehmen, vielleicht war die Sache von gar keiner Wichtigkeit, und dann konnte man in einen üblen Konflikt mit der Prinzessin geraten. – Achtung! Vielleicht ist das Glück günstig.

Der Lakai hatte jetzt den Rand der Rampe erreicht, wo ihm der andere sogleich entgegenkam. »Nun wie ist's,« fragte dieser.

»Gerade so, wie ich gedacht,« antwortete der Lakai; »es sind dieselben Photographien, die wir bereits kennen. Die Sache hat nichts auf sich; da sie aber verschwiegen werden muß, so ist es am besten, die Photographien zu vernichten.«

»Da habe ich mich also umsonst geplagt,« entgegnete mürrisch Herr Krimpf.

»Umsonst nicht,« sagte der andere, »man thut bei Hofe nie etwas umsonst. Ich werde Euch morgen aufsuchen, und da wollen wir die Sache arrangieren, daß Ihr zufrieden sein werdet.«

»Morgen also,« hörte man den kleinen Mann sagen, und der Ton, mit dem er das sprach, klang gerade wie der Ausdruck einer gescheiterten Hoffnung.

»Gewiß!« beteuerte der Lakai, »und was die Photographien anbelangt – –«

»So werde ich sie vernichten, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Wäre es nicht viel besser, wenn das hier gleich auf der Stelle geschähe?« mahnte der Lakai.

»Daß man morgen früh die Stücke davon fände!« versetzte Krimpf. »Nein, nein, ich will das anderwärts besorgen. Nur vergeßt mich morgen nicht.«

»Keinenfalls!« versetzte der Lakai, und man wünschte sich »gute Nacht«.

Der Lakai ging ins Schloß zurück, und Herr von Fernow mußte warten, bis er unter dem Hauptportal verschwunden sein würde, so gern er auch sogleich dem andern nachgeeilt wäre. Er mußte noch ziemlich lange warten, denn der verfluchte Lakai schien ein Liebhaber von Orangenblüten zu sein. Er zupfte ein paar sehr hübsche ab, und dies gerade an dem Baume, hinter welchem der Offizier stand. Freilich hatte dieser dabei den Vorteil, das Gesicht des andern genau zu sehen, was auch nichts schaden konnte, um ihn in irgend einem Falle wieder zu erkennen. Es war das ein dummes, aufgeblasenes Gesicht, und als der Lakai so seinen dicken Kopf mit der langen Nase und den großen Ohren zwischen die süßduftenden Blüten steckte, gab er ein Bild wie der Esel, der Rosen frißt. So befand er sich ein paar Sekunden lang in sehr gefährlicher Nähe der zuckenden Finger des jungen Majors. – Es ist eigentlich ein Trost zu nennen, daß der Mensch nie weiß, wie nahe ihn Gutes oder Böses umschwebt.

Endlich war der Lakai im Schlosse verschwunden und Herr von Fernow eilte an den Rand der Terrasse. – Die Rampe, die auf den Schloßhof führte, war lang, ebenso dieser selbst. Niemand war dort zu sehen. Von dem großen Platze liefen vier Straßen aus. Mit seinem scharfen, geübten Blicke hatte der Major die Mündungen derselben überschaut. Der Eingang zu dreien derselben war leer, in der vierten, gerade unter der Gaslampe, schob sich eine Gestalt dahin, – eine kleine Gestalt, ja, er war es.

In wenigen Sätzen sprang Herr von Fernow die Rampe hinab. Wer ihn über den Schloßplatz hätte laufen sehen, müßte irgend ein großes Unglück vermutet haben, das im Schlosse geschehen wäre. Jetzt erreichte er die Straße, in welcher der mutmaßliche Herr Krimpf verschwunden war. Ein Blick hinein ließ sie ihm in ihrer bedeutenden Länge als ganz leer erscheinen. Doch nein, dort bewegte sich etwas auf dem Trottoir. Herr von Fernow hätte selbst lächeln mögen über die außerordentliche Anstrengung, die er machte, um vorwärts zu kommen, und dabei hatte er sich noch in acht zu nehmen vor den Leuten, die sich der Nachtluft an den offenen Fenstern ihrer Häuser erfreuten.

Ja, es war die kleine verwahrloste Gestalt, die er auf der Terrasse gesehen, es war Herr Krimpf, der glücklicherweise nicht sehr eilig nur noch wenige Häuserlängen entfernt vor ihm herging.

Daß Herr von Fernow scharf nach ihm blickte, kann man sich leicht denken. Er fürchtete bei jeder auffallenden Bewegung, die der kleine Mann mit den Armen machte, und dergleichen Bewegungen kamen häufig vor, jetzt werde er in seine Tasche greifen, die Photographien hervorziehen und sie zerreißen. In dem Falle aber war der Offizier entschlossen, so säuberlich als möglich über ihn herzufallen, ihm die Blätter abzunehmen und ihn darauf fürstlich zu belohnen.

Aber Herr Krimpf zog die Blätter nicht aus der Tasche. Wohl schlenkerte er mit seinen Armen hin und her, wohl hob er sie zuweilen zuckend gegen sein Gesicht, aber dabei blieb es vorderhand. Noch eine Zeitlang ging er geradeaus, zuweilen einen Augenblick vor einem Laden stehen bleibend. zuweilen sogar sich halb umwendend, als wolle er einen anderen Weg einschlagen. – Jetzt bog er rechts in eine Seitengasse und der Offizier beeilte sich, ihm nachzukommen, damit er ihm nicht in irgend ein Haus entschlüpfe.

Doch war diese Befürchtung unnötig. Herr Krimpf schien weder die Absicht zu haben, einen Besuch zu machen, noch überhaupt sehr eilig zu sein. Denn jetzt in der schmalen Gasse angekommen, schlenderte er dahin, wie jemand, der seine Zeit auf irgend eine Weise töten will. Ja, er blieb hie und da so plötzlich und lange vor einem beleuchteten Laden stehen, daß der andere alles anwenden mußte, um durch sein Zurückbleiben kein Aufsehen zu erregen. Endlich aber hielt es der Major an der Zeit, einen Entschluß zu fassen. Herr Krimpf konnte noch stundenlang so fortpromenieren wollen, und das wäre denn doch gar zu langweilig gewesen.

Schon vorher hatte der Major einiges an seiner Toilette geändert, das heißt, er hatte den leichten Paletot, den er über dem Frack trug, so unordentlich als möglich zugeknöpft, seine Handschuhe ausgezogen, und die Frisur seines elegant gerollten Haares durch ein heftiges Durchfahren mit der Hand soviel als möglich verdorben.

Als nun der kleine Mann vor einem Viktualienhändler, der beim Glanze einiger Gaslichter seine Waren recht appetitlich ausgelegt hatte, stehen blieb und angelegentlich, wenn auch mit etwas düsteren Blicken, die saftigen Schinken, die Würste in allen Formen, Farben und Größen, sowie den zierlichen Schweinskopf betrachtete, auf dem eine angenehme, häusliche Szene aufs schönste mit allerlei Fett inkrustiert war, schien es dem anderen der günstige Moment für die Ausführung seines Plans zu sein. Er trat so dicht an Herrn Krimpf heran, daß dieser sich notwendig umwenden mußte, und als er dies that, lüftete der Major den Hut und sagte mit angenehmer Stimme:


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