F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Ehe wir dieses Kapitel schließen, müssen wir noch eine kleine Weile in das Zimmer der Frau Witwe Weiher zurückkehren, wo Rosa noch immer vor dem Photographen stand, ihre beiden Hände auf seine Schultern gelegt hatte und ihm mit herzlicher Liebe in die Augen blickend sagte: »O wie danke ich Gott, daß du gekommen bist, Heinrich!«

»Und ich bin glücklich, daß ich gelauscht habe,« antwortete Herr Böhler. »Ja, ich muß dir gestehen, daß ich gelauscht habe, meine gute Rosa, daß ich zu unserem beiderseitigen Glücke gelauscht habe. Und nun ist alles gut, und ich will nicht mehr kindisch sein und mich ärgern, wenn du auch des Tages hundertmal dort am Fenster stehst.«

»Und es soll dir leicht werden, dich nicht zu ärgern,« versetzte sie mit leichtem Erröten, »denn du wirst mich so bald nicht mehr am Fenster stehen sehen.«

»Rosa, liebst du mich wirklich noch ebenso sehr wie damals, als wir den kleinen Leuchtkäfer fanden?«

»O mehr, weit mehr, mein guter, guter Heinrich!«

Welcher Augenblick des Glücks!

Siebzehntes Kapitel.

Augenblicke des Glücks.

Wenn bei Hofe eine wohlgeordnete, ruhig vorbereitete Festlichkeit stattfindet, – wir verstehen darunter irgend ein herkömmliches Diner oder einen Ball, wie er im Winter zwei bis dreimal vorkommt, oder eine Galavorstellung im Theater, letztere meistens dadurch sehr merkwürdig, daß die Festoper, welche mit großer Mühe und noch größeren Kosten zu irgend einem wichtigen Tage einstudiert wurde, nicht gegeben werden kann, da Frau Kalbskopp-Broschni-Bracellettacco ausnahmsweise heiser geworden ist – kurz, wenn bei Hofe etwas Großes vorfällt, zu dem man im stande war, mit aller Gemächlichkeit seine Vorbereitungen zu treffen, wo man weiß, neben wem man bei der Tafel placiert wird, wer uns in der Festoper gegenübersitzt, welche Robe und wie viele falsche Brillanten unsere gute Freundin, die Baronin N•, tragen wird, – an einem solchen Tage gleicht das Schloß in der Residenz einem Bienenstock bei schönem, warmem Sommerwetter, wo alles in geordnetem Fluge zugeht, wo keine übermäßige Eile stattfindet, wo ein gefüllter Wagen nach dem anderen kommt, um nach wenigen Augenblicken leer wieder abzuziehen; gerade wie bei den Bienen, nur daß hier der Inhalt der Wagen, der im Schlosse zurückbleibt, sich nicht immer als süßer Honig darstellt, sondern oft viel mehr Ähnlichkeit mit Gift und Galle hat.

Dieses ordnungsmäßige Ab- und Zuschwärmen der Equipagen hat an solchen Tagen etwas Nervenberuhigendes, etwas Gemütliches, denn eine ähnliche Stimmung drückt sich im gesammelten Trabe der Pferde aus, ja, wir möchten sagen in dem anständigen Schaukeln der Wagen, vor allem aber in der sicheren gesetzten Haltung von Kutscher und Bedienten. Der erstere, vorne auf dem Bocke, der etwas vornehm nachlässig zur Seite sitzt, hat seine Uhr im Kopfe, und da er weiß, daß er nicht eine Sekunde zu spät an dem Perron anfahren wird, so gibt dies seiner Miene etwas Bestimmtes, Ruhiges, seinem Lächeln einen sicheren, angenehmen Ausdruck. Der Lakai auf dem Trittbrette hängt an den Quasten mit einem Gesichte, worauf sich deutlich abspiegelt, daß er mit sich zufrieden ist, er folgt, sich graziös schaukelnd, jeder Bewegung des Wagens, er hat gar keine Eile, und wenn er um sich schaut und sich vielleicht in diesem Moment sein Blick um etwas weniges verfinstert, so ist das nur, weil er sieht, wie sein Kollege vom Handels- oder Kriegsministerium eine neue blitzende Tresse oder irgend eine unpassende Stickerei usurpiert hat.

Die Herrschaften in der Equipage haben ganz das beruhigte, wir möchten fast sagen langweilige Aussehen ihrer Dienerschaft. Die Freuden, denen sie entgegenfahren, sind ihnen so bekannt, so gewöhnlich, und ebenso gut wie ihnen bekannt ist, daß nach der Suppe irgend ein Fisch serviert werden wird, ebenso genau wissen sie auch, welche Frage dieser oder jener an sie richten wird, und was sie wahrscheinlicherweise antworten werden.

Und nicht nur die Gäste erscheinen so im Schlosse mit gemessenen ruhigen Bewegungen, schreiten langsam durch die Gänge und steigen, ohne sich zu übereilen, die Treppen hinauf, – nein, dies Gefühl des Gewöhnlichen und Alltäglichen drückt sich auch in der kalten, abgemessenen Art aus, mit welcher die Portiers salutieren, oder wie die Lakaien die Thüren öffnen, oder wie sich die dienstthuenden Kammerherren händereibend und süß lächelnd in den innersten Gemächern breit machen.

Ganz anders aber gestaltet sich das Leben vor und im Schlosse, wenn ein plötzlich eingetretenes wichtiges Ereignis fast mit der Schnelligkeit des Telegraphen den obersten Hofchargen, den Würdenträgern, den Exzellenzen, den Hof- und Ehrendamen gemeldet wird und ihre schleunige unvorherzusehende Anwesenheit in der Residenz verlangt. Da paßt der Vergleich mit dem Leben und Treiben des ruhigen Bienenvolkes am klaren, warmen Sommertage nicht mehr; und wollte man doch daran festhalten, so müßte man dem hastigen, wilden Ein- und Ausschwärmen zufolge die Vermutung aufstellen, im Stocke selbst sei eine Revolution ausgebrochen, oder ein plötzlich drohendes Unwetter treibe alles in wilder Hast einher. Da fällt manch böses Wort, da drohen Püffe und Stöße, drunten im Stall, bis die Pferde angeschirrt sind, droben im Ankleidezimmer, bis die Herrschaft in würdige Verfassung gesetzt ist, um sich bei Hofe sehen zu lassen; da kann es vorkommen, daß die Livree des Kutschers schief zugeknöpft ist, wenn er sich auf den Bock schwingt, da kann es geschehen, daß die Kammerjungfer der Exzellenz zu einem meergrünen Kleide in der Eile eine blaue Schleife aufgesteckt hat. Wehe ihr! Da kann das Gräßliche passieren, daß der Lakai hinten auf dem Wagen einen Strumpf verkehrt anzieht oder sogar die Achselschnüre der neuen Galalivree vergißt. – Aber da ist keine Zeit zum Umwechseln und Ändern, der Wagen rasselt vor das Haus, Fächer und Handschuhe werden hineingeboten, oft auch ein vergessenes Ordensband oder der Degen. Man hat kaum Zeit, das gewöhnliche Gesicht für die großen Feierlichkeiten zu machen: etwas offizielle Angst mit Überraschung; man denkt dies und das, man kombiniert und möchte dem Wagen, der sehr langsam zu gehen scheint, nachhelfen.

Der Kutscher auf dem Bock sitzt weder schief noch nachlässig, er hält die Zügel fest und stramm, wartet er doch nicht einmal, bis der Lakai ruft: »Nach dem Schlosse!« sondern kaum hört er, wie der Wagenschlag zufällt, als auch schon ein energischer Zungenschlag die Pferde dahinschießen läßt. Er lenkt sie finster und dabei nach allen Seiten umschauend, ob nicht eine andere herrschaftliche Equipage aus irgend einer Seitenstraße herausrasseln wird, um den thörichten Versuch zu machen, ihm den Vorrang abzulaufen. Dabei wirft er zuweilen einen Blick auf die Thurmuhr, bei der er vorüberfährt, und spart auch einen leichten Peitschenhieb nicht, um den Trab der beiden Pferde zu beschleunigen.

Der Lakai hinten auf schaukelt heute nicht, leicht, bequem und graziös an den Riemen hängend; er hat sich auf die Fußspitzen erhoben, und wenn man so sieht, wie er beinahe krampfhaft den Hals vorstreckt, und über dem Dache des Coupés weg starr nach dem Schlosse blickt, wohin sich eine unzählige Menge wild gewordener Equipagen begibt, und wenn man dabei bemerkt, wie er zu gleicher Zeit mit den Armen rudert, so könnte man glauben, er wolle durch diese Bewegung den Lauf des Wagens beschleunigen. Die Rampe hinauf geht es in einem kurzen Galopp, oben aber muß man einen Augenblick halten, weil schon eine ziemliche Wagenreihe dasteht, die langweilig File macht, und Schritt für Schritt vorrückt, bis jede Equipage sich ihres kostbaren Inhalts entledigt hat. Die Wagenthüren fliegen zu, daß einem die Schlösser leid thun, nachdem die Lakaien Mäntels und Shawls so hastig von den Sitzen gerissen, daß man sich wundert, wie nur eine Spitze oder ein Samtbesatz ganz bleiben kann.

Es ist aber auch keine Kleinigkeit, welche den gesamten Hofstaat so plötzlich in Alarm bringt und nach dem Schlosse sprengt. Die lang erwartete Stunde Ihrer Hoheit der Frau Herzogin ist endlich gekommen, die Ärzte haben sich um sechs Uhr in der Frühe versammelt, die obersten Hofchargen sind seit acht Uhr vollständig bei einander, sprechend und flüsternd, und machen unendlich lange Gesichter. Alle spazieren auf den Zehen paarweise im Zimmer auf und ab, den Federhut vor den Bauch gedrückt, mit hoch emporgezogenen Augenbrauen, und so oft einer der dienstthuenden Kammerherren eilfertig durch das Zimmer stolpert, – bei wichtigen Veranlassungen pflegen die Kammerherren im übermäßigen Diensteifer zu stolpern – so drücken die Exzellenzen den Federhut fester an den Leib, und es ist ihnen selbst äußerst seltsam zu Mut.

Das ganze Schloß befindet sich in einer sehr erklärlichen Aufregung; der Chef der Küche macht ein äußerst wichtiges Gesicht, denn an seinem Wirken hängt in der nächsten Zeit das Wohl des Staates. Er ist ein übermäßig wohlbeleibter Mann, welche Naturgabe einem sehr vorwitzigen Küchenjungen im Zusammenhange mit dem außergewöhnlichen Leben und Treiben zu einer sehr unpassenden Bemerkung Veranlassung gab; infolge derselben brachte der Oberkoch eine tüchtige Ohrfeige zur Welt, welche dem kleinen, weiß gekleideten Spötter keinen schlechten Schmerz verursachte. Die Portiers ziehen sehr wichtig, aber geräuschlos ihre Stöcke an; alle Lakaien, selbst im entgegengesetzten Flügel von dem, welchen die Herzogin bewohnt, halten die Hand vor den Mund, wenn sie sprechen, die Kammerdiener du jour haben Mienen à deux mains, ebenso zum Lachen wie zum Weinen geneigt.


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