F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Wie sich sein Schicksal in betreff des Fräuleins von Ripperda entwickeln würde, daran hatte Fernow eigentlich noch gar nicht gedacht. Er war in gewissen Beziehungen eine von den glücklichen Naturen, welche im stande sind, sich mit einer entzückenden Gegenwart zu unterhalten, und die es vermögen, die finster blickende Zukunft vollständig zu ignorieren. Was hätte ihm aber auch sein Nachgrübeln helfen können? Wie die Sachen standen, konnte ihm nur etwas ganz Unverhofftes den Pfad ebnen, nur ein Wunder zum glücklichen Ziele führen. Und darauf hoffte er im Namen der Liebe und Treue.

So schritt er durch die Straßen bei dem herzoglichen Schlosse vorüber und trat in die Gärten, welche dasselbe von einer Seite umgaben. – Hier hatte der Frühling Bäume und Sträucher mit dem ersten saftigen Grün aufgeputzt und die Blätter waren noch so wenig entwickelt, daß sich gerade dadurch die einzelnen Partien aufs zierlichste nüancierten. Ein mächtiges Bauwerk stand am Rande des Parkabhanges, von dem man eine entzückende Aussicht über die Anlagen ringsumher hatte. Es war eine ehemalige Bastion, zu den Befestigungen des früheren Schlosses gehörig, die man stehen ließ gerade wegen der wunderbaren Aussicht, die man von der Plattform desselben genoß. Man ging von den oberen Gärten gerade hinauf, und wenn man an den Rand dieses Bollwerks trat, so erblickte man in der Tiefe die unteren Partien des schönen Parks. Oben standen riesenhafte Kastanien, deren breite Kronen einen Schattengang um den Platz bildeten, während die dicken Stämme die Landschaft stellenweise einrahmten und dieselbe noch malerischer erscheinen ließen.

Obgleich die Sonne nicht mehr am Himmel stand, so war es doch noch so hell, daß man eine gute Strecke der Umgebung deutlich überblicken konnte. Die feine glänzende Sichel des jungen Mondes schwebte im Osten über einer fast schwarzen Föhrenpartie und glitzerte anmutig zwischen den fein gezackten Zweigen und Nadeln hindurch, gerade wie das Diadem der Nachtkönigin, die langsam herniederschwebt, um in dem dampfenden Abendnebel den Spielen ihres lustigen Hofstaates zuzuschauen.

Als der Major die Terrasse betrat, glaubte er hier allein zu sein, wenigstens bemerkte er niemand, und erst als er dicht vor der Brüstung stand, erblickte er in seiner Nähe einen Mann, der auf derselben saß, und den er bis jetzt nicht bemerkte, da ihn einer der dicken Kastanienbäume verdeckt. – Da es nichts Seltenes war, hier jemand anzutreffen, so bekümmerte sich auch Herr von Fernow nicht weiter darum, sondern lehnte sich an einen der Bäume und blickte auf die schattenhaften Buschpartien zu seinen Füßen. Sein Nachbar auf der Brüstung schien mit Interesse den Mond betrachtet zu haben, doch wandte er sein Gesicht dem neuen Ankömmlinge zu und begrüßte ihn durch höfliches Abnehmen des Hutes, sowie durch den freundlichen Wunsch eines guten Abends.

Herr von Fernow dankte und warf einen Blick auf den Dasitzenden. Es war ein anständig gekleideter junger Mann mit hübschen einnehmenden Gesichtszügen; er hatte den rechten Arm um das eiserne Geländer geschlungen, womit die Brüstung erhöht war, und da er seinerseits nun ebenfalls den anderen betrachtete, so trafen sich ihre Blicke, und es war nichts Auffallendes darin, daß der junge Mann sagte: »Es ist dies ein schöner Abend – vielleicht ein Vorbote des kommenden Frühlings.«

»In der That, ein angenehmer Abend,« entgegnete der Major, und damit wäre die Unterhaltung wahrscheinlich abgebrochen gewesen, wenn nicht der Fremde gesehen hätte, daß der andere seine ausgegangene Zigarre musterte und eben im Begriff war, dieselbe über die Brüstung hinabzuwerfen.

»Wünschen Sie vielleicht Feuer?« fragte er, und als der Major, durch die freundliche Bereitwilligkeit einigermaßen überrascht, darum bat, holte der andere ein kleines Etui hervor und zündete ein Streichhölzchen an, dessen Flämmchen sich bei dem ruhigen Abend kaum bewegte. Herr von Fernow warf das Hölzchen, nachdem er es benutzt, brennend über die Brüstung, und der andere blickte ihm sich herabbeugend nach.

»Es kam glimmend unten an,« sagte er, »es sah aus wie ein Leuchtkäfer, und ich habe eine ungemeine Vorliebe für Leuchtkäfer.«

Diese Bemerkung machte den Major lächeln und er interessierte sich für den gefälligen jungen Mann, der eine Vorliebe für Leuchtkäfer hatte. Auch ihm rief die Erinnerung an dieselben die Stunde eines warmen Maiabends ins Gedächtnis, wo man nach der Tafel in den Gärten von Eschenburg promenierte, und er ganz zufällig an der Seite des Fräuleins von Ripperda einen kleinen Leuchtkäfer erblickte, den beide zu gleicher Zeit aus dem Grase aufheben wollten, wobei es denn kam, daß Helenes kühles duftiges Haar seine heiße Wange streifte, und das ist eine der gefährlichsten Berührungen, die es im Menschenleben gibt. Ihm war es wie ein elektrischer Funken ins Herz gefallen; es hatte ihn so eigentümlich berührt, daß er nachher häufige, aber vergebliche Versuche machte, wieder zu einer ähnlichen Berührung zu kommen. Leider fanden sich nicht so bald wieder Leuchtkäfer, und wenn er später einen sah, so war das schöne Fräulein nicht in seiner Nähe.

War es die Äußerung des jungen Mannes über die Leuchtkäfer oder die Gefälligkeit desselben, ihm Feuer zu geben, was den Major veranlaßte, dem Fremden eine Zigarre anzubieten, genug, er that es, und der andere nahm sie zögernd an. Dabei war er von seinem Sitze aufgestanden und hatte mit seinem Hut respektvoll gedankt.

Wenige Zeit darauf brannten beide Zigarren, und Herr von Fernow, dem es nicht unerwünscht war, seine mannigfaltigen Gedanken für den Augenblick verabschieden zu können, und ein wenig über gleichgültige Dinge zu plaudern, setzte sich auf die Brüstung an die Seite seines neuen Bekannten.

Nun ist es nicht leicht, mit einem gänzlich fremden Menschen ein Gespräch anzuknüpfen, welches nicht schon den Keim des Todes in sich trägt, ehe es zum Leben gelangt. Versuchsweise sagte deshalb Herr von Fernow: »Also Sie interessieren sich für die Leuchtkäfer? Lieben vielleicht im allgemeinen die kleine Tierwelt? Und sind wohl, was man einen Insektensammler nennt?«

»Nein, davor graut mir,« antwortete der andere. »Ich könnte um alles in der Welt so ein unschuldiges Geschöpf nicht mit der Nadel durchstoßen, wie sie es zu machen pflegen. Und dann hätte ja auch ein aufgespießter Leuchtkäfer durchaus keinen Sinn. Wenn er tot ist, hat er Licht und Glanz verloren, und das ist eigentlich recht traurig.«

»Ja, das ist allerdings recht traurig,« pflichtete der Major bei, um das Gespräch nicht einschlafen zu lassen. Aus demselben Grunde fragte er auch: »Weshalb lieben Sie also Leuchtkäfer? Ich hoffe nicht, daß ich mit meiner Frage unbescheiden bin.«

Auf dem Gesichte des anderen zeigte sich ein trübes Lächeln, und er schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete. »Wenn ich Ihnen das erzähle,« sagte er, »so werden Sie lachen; und es ist auch vielleicht schon oft vorgekommen.«

»Erzählen Sie, ich werde nicht lachen; wenn es aber in der That lächerlich wäre, und ich müßte alsdann lachen, so würden Sie es mir wohl auch nicht übel nehmen.«

»O gewiß nicht. – Kennen Sie den Königsgarten?«

»O ja, ich kenne ihn.«

»Aber Sie waren noch nie dort, wenn er schön beleuchtet ist und abends die Musik spielt, kurz, bei einer italienischen Nacht? Das ist langweilig für die vornehmen Herren.«

»Ich bin kein vornehmer Herr.«

»Lassen wir das meinetwegen gut sein. Ihre Zigarre ist vortrefflich. Nun also, in den Königsgarten ging ich früher häufig, ich hatte so mein Interesse dabei.«

»Ah! ich verstehe.«

»Natürlich, man ist jung, man sucht, man findet. Genug, ich hatte denn auch gefunden, ein sehr schönes, junges und liebenswürdiges Mädchen. Es kommt das sehr häufig in der Welt vor, es wird Ihnen auch schon passiert sein, und ich erzähle es Ihnen nur, weil es mit den Leuchtkäfern zusammenhängt. Also wir hatten uns gefunden, wie man sich so findet. Wissen Sie, eigentlich noch ganz ohne Absicht und Zweck. Wie sie gern nach mir sah und lieber mit mir tanzte als mit jedem anderen, so war es auch bei mir der Fall. Weiter nichts. Da spazieren wir eines Abends vom Tische ihrer und meiner Familie hinweg, ich führe sie durch den dunklen Garten, und da sehen wir auf einmal auf dem Boden zwischen dem Grase einen Leuchtkäfer glühen. – Wir bücken uns beide zu gleicher Zeit, um ihn zu fangen, und da streifte sie mit ihrem kühlen Haar an mein heißes Gesicht. Es war das erste Mal, daß wir uns so nahe kamen, und es machte auf mich einen unbeschreiblichen Eindruck. Von da an war ich eine Zeitlang sehr glücklich. Sehen Sie,« fuhr er nach einer Pause fort, als sein Nachbar schwieg; »das ist die ganze Geschichte von den Leuchtkäfern. Und sollten Sie das jetzt lächerlich finden, so mache ich mir am Ende nichts daraus, wenn Sie darüber lachen.«


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