F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Herr Krimpf trank recht gern Wein, namentlich guten Wein, und wenn er auch anfänglich nur an dem Glase nippte, und mit der purpurnen Finsternis in demselben liebäugelte, so war doch der Duft des vortrefflichen La Rose zu verführerisch, als daß es lange dauerte, bis er sein Glas ausgeschlürft hatte, das ihm bereitwillig wieder gefüllt wurde. Bei dem Geschäfte des Austrinkens überlegte er und sagte zu sich selber: »Wenn der Herr da drüben wirklich etwas mit dir vor hat, so muß er wissen, wer du bist, was du treibst, und wenn er darauf anspielt, so haben wir uns doppelt in acht zu nehmen.«

»Es ist eigentümlich,« sprach der Offizier nach einer Pause, wobei er sich in den Stuhl zurücklehnte und aufmerksam die Gasflamme über dem Tische betrachtete, »wie zwei gänzlich fremde Leute durch Zufälligkeiten zusammengeführt werden können. Und doch sind Sie mir nicht ganz fremd. Ich erinnere mich, Sie schon irgendwo gesehen zu haben; vielleicht ist es Ihnen mit mir gerade so ergangen.«

»Kann mich wahrhaftig nicht erinnern,« entgegnete Herr Krimpf mit der größten Unbefangenheit. »Ich muß wirklich nie das Glück gehabt haben, den Herrn – verzeihen Sie mir, aber ich habe nicht die Ehre, Ihren Namen zu kennen.«

»Thut nichts zur Sache. Indessen heiße ich Müller, Kaufmann Müller; – Reisender, bin ziemlich fremd hier in der Stadt.«

»Richtig,« dachte der kleine Mann, »der will mich aus irgend einem Grunde einseifen.«

»Darf ich nun auch meinerseits wissen, mit wem ich das Vergnügen habe?« fragte Herr von Fernow nach einer Pause.

»Ist eigentlich nicht der Mühe wert, Herr Müller; aber wenn Sie mir erlauben, so heiße ich Franz Josef Maier, ein unbedeutender Lithograph!«

Der Major kniff die Lippen zusammen. »Krimpf verheimlicht seinen Namen,« sprach er zu sich selbst.

»Habe fast gar keine Bekanntschaften,« fuhr der andere fort, »komme wenig aus dem Hause. Hätte ich aber jemals das Glück gehabt, Herrn Müller zu sehen, so würde ich einen – verzeihen Sie mir – in der That so interessanten Kopf schon als Künstler nie vergessen haben.«

Eigentlich hätte Herr von Fernow sich für dieses Kompliment bedanken müssen, er war auch im Begriffe, es zu thun, um nicht aus der Rolle zu fallen; doch begleitete Herr Krimpf seine letzte Rede mit einem so sonderbaren Lächeln und seine Augen blitzten über das Glas so verräterisch herüber, daß der Major auf die Idee kam, der kleine Buckelige kenne ihn am Ende ganz genau.

Es war gut, daß in diesem Augenblicke das Nachtessen gebracht wurde. Herr Krimpf ließ sich nicht nötigen, griff tapfer zu und trank auch mehr von dem Bordeaux, als er sich im Anfang vorgenommen haben mochte. Nachdem das kleine Souper zu Ende war, bot der Fremde seinem Gaste eine Zigarre an, welche Franz Josef Maier mit außerordentlichem Danke annahm. Er hatte eine große Schwäche für gute Zigarren und wir müssen leider gestehen, daß er einen unverhältnismäßigen Teil seines Einkommens in Rauch aufgehen ließ. Vorsichtig, wie er war, sah er genau auf das hin, was der Major aus seiner Zigarrendose hervorzog, betrachtete sich die Art, wie er das that, die Hände, ferner das einfache elegante Etui und dann prüfend die Zigarre selbst, ehe er sie anzündete. Kaum hatte er den ersten Zug gethan und den Dampf, langsam genießend, wieder ausgestoßen, so sagte er: »Herr Müller rauchen ein vortreffliches Kraut.« Seine geheimen Gedanken bei diesen Worten aber waren: »Ich habe mich nicht geirrt, das ist weder Herr Müller, noch ein reisender Kaufmann, das ist jener Offizier vom Gefolge des Regenten.«

Der Major hatte sein Glas ausgetrunken und schenkte sich und seinem vis-à- vis ein. »Also Sie sind Lithograph?« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »liefern auch Porträts? Das trifft sich gut. Ich habe einen kleinen Auftrag in dieser Richtung, und wenn Sie mir Ihre Adresse geben wollen, so werde ich mir erlauben, Sie morgen zu besuchen.«

»Eine Visitenkarte besitze ich nicht,« sprach lächelnd Herr Krimpf, »kann aber meine Adresse auf ein Stückchen Papier schreiben. Der Speisezettel ist überflüssig groß, einen Bleistift habe ich bei der Hand; das ist gleich geschehen.« Er riß ein Stück Papier herunter, schrieb einige Worte darauf und übergab den Zettel. Herr von Fernow las: »Maier, Lithograph, Rosengasse Nr. 86.«

»Sie haben in Ihrem Geschäft viel zu thun?« fragte Fernow nach einer kleinen Pause.

»O ja,« erwiderte Herr Krimpf, »so ziemlich, bald wenig, bald viel. Man schlägt sich durch und lebt von einem Tag zum anderen, so gut es gehen mag.«

»Und hatten Sie Lust zu Ihrem Geschäft, haben Sie es aus Liebhaberei ergriffen?«

»Wie Sie mich da sehen,« sprach Herr Krimpf, und ein Schatten flog über seine Züge, »so mußte ich ein Geschäft ergreifen, dem mein schwacher krüppelhafter Körper nicht im Wege stand. O, ich hätte wohl einen anderen Beruf gewählt. Ich würde auch lieber fein gekleidet gehen, wie Sie, Herr Müller, in der Welt herumreisen, überhaupt lieber ein reicher, vornehmer Herr sein.«

Nachdem er das gesagt, stürzte er ein Glas Bordeaux hinunter und seine Augen flammten.

»Sie haben nicht unrecht; in manchen Beziehungen mag mein Leben angenehm sein,« antwortete der Major, »doch versichere ich Sie, ich halte es durchaus nicht für ein übles Los, ein Künstler zu sein, schöne Frauengestalten abzubilden, ihnen während des Arbeitens in die Augen zu blicken und nachher –« fügte er lächelnd hinzu.

»Und nachher,« wiederholte Herr Krimpf und seine weißen Hände zuckten mißmutig gegen sein Gesicht, »und nachher – wenn man die fertige Arbeit überreicht, in den Blicken lesen zu müssen: es ist eigentümlich, was der verwachsene Mensch für wohlgestaltete Sachen macht. Ja, Herr – – Müller,« fuhr er aufgeregt fort, »wenn ich wäre wie Sie, ein schlanker, schöner Mann, wohlgefällig den Weibern, dann wäre es auch für mich eine Lust Künstler zu sein. Dann säße ich gern vor ihnen und blickte ihnen in die blitzenden Augen, dann würde vielleicht auch ich triumphierend sagen: und nachher – .« Bei diesen Worten zuckte er mit der rechten Hand empor, seine Finger wühlten in dem spärlichen struppigen Haar, der Glanz seiner Augen erlosch, und indem er die dünnen Lippen aufeinander biß, versank er in tiefe Träumereien.

Der Major blickte ihn forschend an, dann erhob er sein Glas und sagte: »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen, ohne es zu wollen, wehe gethan. Jedem lächelt das Leben auf die eine oder die andere Art. Jeder hat einen Augenblick, wo ihn das Glück umschwebt, wo er nur zuzulangen braucht. Freilich sind die Glücksgüter verschieden, aber auch Ihnen schlägt gewiß einmal eine gute Stunde. Trinken wir darauf!«

Die beiden leerten die Gläser, und als Herr Krimpf darauf in die Höhe blickte, brannte ein düsteres Feuer in seinen kleinen Augen, seine sonst so kalten Wangen waren heftig gerötet, und er sagte: »Ich danke Ihnen für den Trost, Herr Müller, aber was sind Glücksgüter? – Güter, die uns glücklich machen. Glauben Sie mir, es liegt mir verflucht wenig an Geld und Reichtum, ich habe nur eins, wonach ich strebe, und das« – setzte er mit fast tonloser Stimme hinzu – »werde ich nie erreichen.«

Herr von Fernow befand sich mit einem Male auf der Höhe der Situation. Was der kleine häßliche Maler für das höchste Glück des Lebens hielt, das war nicht schwer zu erraten: die Gunst eines reizenden Mädchens, welche ihm dieses begreiflicherweise verweigerte. Und welches Mädchen? Fernow begann klarer und immer klarer zu sehen. Hatte der Photograph ihm nicht gesagt, woher die Anklage gegen Rosa gekommen? Er irrte sich nicht, Herr Krimpf selbst liebte jenes Mädchen, und es war die wütende Eifersucht, die ihn antrieb, sie anzuklagen, vielleicht zu verderben – und nachher – ja, so mußte es sein.

Herr Krimpf hatte sich einen Augenblick von seinen Gefühlen fortreißen lassen. Der Major war auf der rechten Fährte: Krimpf liebte Rosa. Aber dieser Ausdruck ist nicht der richtige, – er dachte an sie mit einer wilden glühenden Leidenschaft, er hätte um ihre Gunst alles hingegeben, – es wäre ihm eine Seligkeit gewesen, nach einem kurzen glücklichen Augenblicke den Tod zu finden, aus ihren Armen hinweg, der ewigen Verdammnis zu verfallen. Darum allein hing er sich an den Photographen, deshalb ließ er sich von dem Kammerdiener der Prinzessin zu allen möglichen Diensten gebrauchen. So unbedeutend diese waren, so glaubte er sich doch dadurch dereinst an die Macht und den Glanz des Hofes klammern zu können, hoffend, ein glückliches Ungefähr, vielleicht ein Wunder, reiße ihn in eine andere Bahn hinein, in eine Bahn, die es ihm möglich mache, vor jenes Mädchen hinzutreten, freilich derselbe kleine krüppelhafte, häßliche Mensch, aber nicht mehr der arme Maler, sondern jemand, der sich durch die Kraft seines Geistes emporgebracht, und der es wert ist, daß man zu ihm aufblickt.


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