F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Und ich?« fragte lächelnd der Kammerherr.

»Allerdings, du auch. Aber dir macht es kein Vergnügen, mit irgend einer alten Hofdame im Wagen zu sitzen. O! ich sage dir,« fuhr er ergrimmt fort, »wenn ich daran denke, daß ich jetzt durchs duftige Grün reiten könnte, vielleicht an ihrer Seite, denn auch für die junge Herzogin und ihre Damen sind Pferde hinausbestellt, so möchte ich geradezu des Teufels werden!«

Bei diesen Worten sprang er in die Höhe und eilte sporenklirrend und säbelrasselnd mit heftigen Schritten auf und ab, daß es in dem weiten Gemach auf allen Seiten widerhallte. Nachdem er so einigemal bei dem Kammerherrn, der ihm lächelnd zuschaute, vorbeigerast war, blieb er wieder plötzlich vor ihm stehen, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte mit einem bittern Lächeln:

»Und dann willst du mir noch verbieten, daß ich von mir als von jemand spreche, der gar kein Glück hat?«

»Allerdings,« entgegnete der andere hartnäckig, »von dir und von jedem anderen glaube ich das Gegenteil. Das Glück ist da; es umschwebt jeden Menschen ...«

»Wo, wo?« rief Herr von Fernow mit komischem Zorne; »ich will Tag und Nacht mit beiden Händen um mich fassen, um es endlich einmal zu ergreifen.«

»Das wäre vielleicht so ein Mittel,« meinte lächelnd Herr von Wenden; »aber glaube mir, meine Theorie ist richtig; das Glück umschwebt, umtanzt, umgaukelt uns, den einen freilich mehr, den anderen weniger, und wenn ich dir von deiner Bemerkung, indem du von Leuten sprachst, die kein Glück haben, etwas zugeben will, so ist es das, daß leider die meisten Menschen so unglücklich sind, den rechten Augenblick zu verpassen, wo sie zulangen müßten.«

»Nun, das kommt am Ende auf eins heraus,« sagte kopfschüttelnd der Ordonnanzoffizier, worauf er, nach einem Blicke in den Spiegel, einige Verschönerungsversuche bei sich anstellte, den Schnurrbart in die Höhe drehte und seiner ohnedies langen und schlanken Taille noch dadurch nachhalf, daß er Schärpe und Säbelkoppel, soviel als irgend möglich war, auf die Hüften hinabdrückte.

An dem Kammerherrn war unfehlbar ein Professor zu Grunde gegangen, denn er lehnte, um seine Theorie weiter auszuführen, so behaglich am Kamine, wie jener am Katheder, und blickte so aufmerksam in das fast leere Gemach hinein, als habe er ein Auditorium von vielleicht hundert Personen vor sich. Auch hob er seine Hände empor und legte den Zeigefinger der rechten bedeutsam an den Daumen der linken, um die Beweisgründe für seine Theorie vermittelst der fünf Finger numerieren zu können.

»Also wir waren beim Zugreifen,« sagte er.

»Nur nicht blöde! Das ist allerdings bei Hofe eine wichtige Regel.«

»Die Zeit, wo uns Fortuna lächelt, und sie lächelt jedem Menschen, würde ich mir also erlauben den Augenblick des Glückes zu nennen, denn leider verweilt es gewöhnlich nicht lange bei uns, es huscht rechts, links, oben, unten bei uns vorbei. Deshalb im richtigem Moment zugreifen!«

»Ja, zugreifen!« wiederholte lachend der Ordonnanzoffizier, indem er mit der Rechten in der Luft eine Bewegung machte, als wollte er eine Fliege fangen. »Fang einer die unsichtbare Göttin!«

»Allerdings will es das Mißgeschick,« fuhr der dozierende Kammerherr ruhig fort, »daß man, um in meinem Vortrage zu Punkt zwei zu kommen, daneben tappt,« bei diesen Worten hatten sich beide Zeigefinger seiner Hände vereinigt; »und es ist wahrhaftig oft gerade, als ob es Menschen gebe, die ein Talent dazu hätten, dem Glück auf die geschickteste Art auszuweichen. Es erscheint dir links ...«

»Und ich wende mich rechts,« sagte Herr von Fernow.

»Richtig. Es erscheint dir rechts ...«

»Und ich greife nach links; o, wir kennen das!«

»Vollkommen richtig. – Es stellt sich dir gerade in den Weg, und, weiß der Himmel, in demselben Augenblick fällt es dir ein, dich umzudrehen, zurückzutreten und so dem Glücke, das mit ausgebreiteten Armen auf deinem Pfade steht, den Rücken zuzuwenden. Ja, es legt sich dir vor die Füße; aber anstatt es aufzuheben, wähnst du vor dir einen tiefen Graben zu sehen und schreitest mit einem ungeheuren Schritte darüber hinweg.«

»Das ist leider Gottes nicht ganz unrichtig!« rief der andere; »doch ist deine Theorie offenbar darauf eingerichtet, die Leute verrückt zu machen. Geh mir mit deinem Philosophieren; es ist mir ein viel behaglicheres Gefühl, zu wissen: ich habe einmal kein Glück, als zu glauben, es gaukle um mich her unsichtbar, unerreichbar, wobei ich mir jeden Augenblick den Vorwurf machen muß: Hättest du statt rechts – links gegriffen, hättest du dies gethan oder jenes unterlassen, so würdest du jetzt das Glück in deiner Hand haben. Ah! das ist ein unerträglicher Gedanke und könnte einen Menschen wirbelig machen.«

Der Kammerherr war eben im Begriff mit dem Zeigefinger der Rechten auf den Mittelfinger der Linken überzugehen, als sich eine der Flügelthüren geräuschlos, fast gespensterhaft, von selbst zu öffnen schien, so daß sich erst, als beide Flügel weit offen standen, der dienstthuende Kammerdiener zeigte, ein großer, gutgewachsener Mann, auf dem Gesicht ein ewiges Lächeln, mit sanft gespitztem Munde, und Augen, die, solange er sich im Dienste befand, in Glück und Freude zu schwimmen schienen. Er blickte nach der Uhr, welche über der Thür angebracht war, und sagte unter einem sanften Lächeln:

»Seine Hoheit, der Regent, machen soeben einen kleinen Gang in den Park, werden auch vor der Tafel nicht zurückkehren, was ich mir hiermit erlaube anzuzeigen und die ganz gehorsame Bemerkung hinzuzufügen, daß es vielleicht für die Herrschaften angenehmer wäre, jetzt schon in den Speisesaal zu treten, als hier im Hinterzimmer vergeblich zu warten.«

Indem er das sagte, machte er eine demütige, lang andauernde, tiefe Verbeugung, wobei er sich schüchtern die Hände rieb, damit eine scheinbare Verlegenheit affektierend.

»Das ist ein guter Rat, Herr Kindermann,« sprach der Ordonnanzoffizier, indem er seinen Federhut ergriff; »vom Speisesaal hat man doch eine Aussicht auf den Schloßplatz, man sieht Sonne und Menschen, grüne Bäume und die fernen Berge, an denen Eschenburg liegt.«

Das letztere sagte er leise und mit einem gelinden Seufzer.

»Es ist doch fabelhaft,« lachte der Kammerherr, »wie dich ein einigermaßen ernstes Gespräch ennuyiert! Und ich versichere dir, du hättest etwas aus meinem Vortrage lernen können.«

»Das will ich auch noch thun, gewiß und wahrhaftig,« sagte der Ordonnanzoffizier; »aber jetzt komm aus diesem stillen, trübseligen Zimmer in den Speisesaal, da werde ich viel empfänglicher sein für die tiefen Gedanken, die du mir so großmütig preisgibst.«

Lächelnd, aber doch achselzuckend nahm der Kammerherr seinen Hut von dem Kamingesims, und der Kammerdiener Kindermann, der zuerst verstohlen eine Prise genommen und sich dann, wie selbst erschrocken über dies große Vergehen, eilfertig die Nase gewischt, ging mit sehr erhobenem Kopfe auf die Ausgangsthür zu, öffnete dieselbe weit und machte eine tiefe Verbeugung, als die Herren in das Vestibül hinaustraten.

Hier saß auf einem Bankett in der Ecke ein einsamer Lakai, der, niedergedrückt von Stille und Langerweile, sanft entschlummert war, jetzt aber, beim Hören der herannahenden Schritte, so eilfertig aufsprang und ein so grinsendes Gesicht machte, als habe er sich aufs lebhafteste mit den interessantesten Dingen der Welt unterhalten, und als sei es ihm gar nicht eingefallen, das Auge zum Schlafe zu schließen. Als ihn aber die beiden Herren hinter sich gelassen hatten, gähnte er stark, dehnte und reckte sich und brummte mißmutig in sich hinein:

»Nicht einen Augenblick Ruhe hat man in dem Schloß!«

Darauf sank er wieder auf das Bankett zurück und setzte unter tiefen, schnarchenden Tönen seine Betrachtungen von vorhin fort.

Am Ende des Vestibüls trafen die beiden Herren auf einen einzelnen Kavallerieposten, der ebenfalls schläfrig auf und ab spazierte und nicht einmal mit der gewöhnlichen Energie seinen Säbel anzog.


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