F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Aber hier?« fragte das geängstigte Mädchen bebend, »man wird mich erkennen, mein Name, mein Ruf ist verloren.«

»Mut, Helene, Mut!«

»O, Mut habe ich,« entgegnete Fräulein von Ripperda, und als sie den ersten Eindruck der Überraschung niedergekämpft, richtete sie sich stolz empor, schaute mit ihren glänzenden Augen nach dem Eingang des Saales und antwortete dem jungen Offizier: »Ich gebe mich ganz in Ihre Hände, thun Sie, was Ihnen gut dünkt.«

In diesem Augenblicke wurden beide Flügelthüren auf der rechten Seite des Saals geöffnet und zwei Herren traten ein, ihnen voraus ein Lakai mit Lichtern. Diese beiden Herren, in eifrigem Gespräch begriffen, waren Baron Wenden und der Oberstjägermeister, Baron Rigoll.

Herr von Fernow hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen, hatte sie dicht an das Fenster geführt und flüsterte, nachdem er einen leichten Kuß auf ihre Stirn gedrückt:

»Bleiben Sie ruhig stehen. Sollte man auch durch die Vorhänge die Umrisse Ihrer Gestalt sehen, man wird Ihre Person nicht erkennen, noch viel weniger eine unbescheidene Frage wagen, dafür stehe ich.«

Nachdem er dies gesagt, trat er aus der Nische in den Saal, und befand sich nun so nahe bei dem voranschreitenden Lakai, daß dieser in der hervortretenden Gestalt einen Offizier erkannte, den Leuchter hoch emporhielt und, darauf sich umblickend, stehen blieb.

»Vorwärts! was gibt's denn da?« rief der Oberstjägermeister dem Bedienten zu.

Statt aller Antwort ging der Lakai auf die Seite und streckte den Leuchter vor.

»Ei der tausend, Fernow?« sagte der Baron Wenden in einem sehr trockenen Tone; »was treibst du dich um diese Zeit wie ein Gespenst in den finsteren Sälen des Schlosses umher?«

»Dieselbe Frage könnte ich an dich thun, mein lieber Wenden.«

»Nicht ganz mit dem gleichen Rechte; denn wie du siehst, sind wir zu zweien, und die Gespenster und Nachtwandler pflegen selten paarweise zu erscheinen.«

»Und wenn ich nun an dich gedacht hätte, mein lieber Freund,« erwiderte Herr von Fernow mit einem eigentümlichen Lächeln, »wenn ich mich mit dir beschäftigt, während ich hier auf und ab spazierte?«

»Du siehst, daß Seine Exzellenz mir die Ehre erweist, mich zu begleiten. Also, mon cher, gute Nacht!«

Herr von Fernow machte indes durchaus keine Bewegung, die beiden Herren vorüber und ihres Weges gehen zu lassen.

»Es thäte mir in der That leid, wenn ich Seine Exzellenz aufhalten sollte; es liegt das durchaus nicht in meiner Absicht. Aber Scherz beiseite, ich habe in der That etwas Wichtiges mit dir zu sprechen, lieber Wenden, und würde es als eine große Gefälligkeit erkennen, wenn du mir eine kleine Viertelstunde dazu bewilligen wolltest. Seine Exzellenz « – damit wandte er sich an den Oberstjägermeister – »wird gewiß nichts dagegen zu erinnern haben und dich mir einen Augenblick überlassen.«

Baron Rigoll hatte schon einigemal Zeichen der Ungeduld von sich gegeben; er war heftiger Natur, auch als ziemlich rücksichtslos bekannt, und so war es von ihm noch außerordentlich höflich, als er sagte: »Aber, Herr von Fernow, Sie müßten doch begreifen, daß Baron Wenden und ich nicht hier zum Zeitvertreib spazieren gehen. Wir sind in der That beschäftigt. Welcher Art unser Geschäft, ist Ihnen vielleicht gleichgültig, aber es gibt Beschäftigungen, wo ein Kavalier zu delikat ist, den Weg eines anderen zu kreuzen. Und Sie sind als sehr delikat bekannt, Herr von Fernow.«

»Indem ich Eurer Exzellenz für das Kompliment ergebenst danke,« sprach der Offizier, »liefere ich den Beweis, daß es mir nicht unrechtmäßig gespendet wurde, und ich versichere Eurer Exzellenz, daß es mir nicht einfällt, Ihren Pfad zu kreuzen, daß ich aber mit meinem Freunde Wenden ein paar Worte sprechen muß.«

»Nun, ich werde die Höflichkeit gegen Sie aufs Äußerste treiben,« entgegnete der Oberstjägermeister mit eisigem Tone, »ich werde ein paar Schritte vorausgehen, damit Sie Zeit finden, Ihrem Freunde die so notwendigen Worte zu sagen.«

Der Offizier machte eine tiefe Verbeugung und ließ Seine Exzellenz vorübergehen. Dann sagte er zu dem anderen mit leiser, aber eindringlicher Stimme: »Bei unserer alten Freundschaft, Wenden, thue mir einen Gefallen, – erzeige mir einen Dienst, um den ich dich dringend bitte. Verlasse das Schloss mit mir und begleite mich in meine Wohnung, ich habe dir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.«

Der Kammerherr sah seinen Freund mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens an; »Fernow, ich glaube, du bist – – sehr aufgeregt.«

»Ja, ich bin sehr aufgeregt.«

»Lieber Freund, das begreife ich; aber das ist eine Sache, an der nichts zu ändern ist. Ich weiß aus der besten Quelle, daß du dir keine Vorwürfe zu machen brauchst, du habest etwas versäumt; wahrhaftig nicht. Ich sage dir, Fräulein von Ripperda ist enchantiert von dem Oberstjägermeister; sie schließt diese Verbindung ganz mit freiem Willen. Keine Spur von Überredung! Das ist freilich nicht angenehm für dich; doch kommst du mit diesem Gedanken leichter über deinen Schmerz hinweg. Morgen, wenn du willst, stehe ich ganz zu deinen Diensten, – du siehst, Seine Exzellenz wartet auf mich.«

Der Ordonnanzoffizier sah wohl, daß der Kammerherr mit guten Worten nicht zurückzuhalten war. Doch zögerte er, von dem letzten Gewaltmittel Gebrauch zu machen. Eine Pause des Schweigens trat ein. Da raschelte etwas hinter dem Fenstervorhange. Die dort Versteckte hatte eine Bewegung gemacht, eines ihrer schweren Armbänder hatte sich gelöst. Es rutschte mit einem eigentümlichen Geräusche an dem glatten Stoff ihres Kleides herab. Der Versuch des Fräuleins, das Entfallende zu erhaschen, verriet sich deutlich. »Was war das?« fragte überrascht der Baron Wenden. »Ja, was war das?« wiederholte scheinbar ebenso überrascht der Offizier.

»O Felix! o Felix!« lachte ihm der Kammerherr lustig neckend zu. – »Du bist ein unverbesserlicher Sünder und doch dabei so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Das muß Baron Rigoll erfahren.«

»Ich bitte dringend, halte Ruhe!«

»Nein! Indiskret kann ich nicht sein, da ich nichts weiß. Aber die Geschichte muß heraus.« Damit eilte er, von Fernow gefolgt, gegen den Oberstjägermeister und rief lachend: »Sehen Euer Exzellenz diesen verschmitzten Gesellen. Er hält jemand hier versteckt! Und nicht schlecht, es war ein seidenes Kleid, das rauschte.«

»Ein seidenes Kleid!« sprach freundlich grinsend der Oberstjägermeister. »Aber, Baron, jetzt kommen Sie, es ist die höchste Zeit.«

Der junge Offizier befand sich in der peinlichsten Situation. Es mußte ein Entschluß gefaßt und zur Verhaftung des Kammerherrn geschritten werden. Herr von Fernow nahm seinen Säbel fest in die Linke, drückte den Helm auf dem Kopfe zurecht und wollte vortreten, die so bekannte unangenehme Beschwörungsformel auszusprechen, als sich gerade vor den drei Herren die Flügelthüren des Speisesaals öffneten, und hinter einem hochgehaltenen zweiarmigen Leuchter das ewig lächelnde Gesicht des Herrn Kindermann sichtbar wurde, der, als er hier die eigentümliche Gesellschaft beisammen fand, vergnügt mit den Augen zwinkerte und seinen Mund spitzte wie ein Karpfen. Dem Ordonnanzoffizier war diese Erscheinung wahrhaft tröstlich, er trat einen Schritt zurück, um ihn vorbei zu lassen, Herr Kindermann grüßte aufs verbindlichste Seine Exzellenz, den Kammerherrn, sowie auch den Herrn von Fernow, jeden einzeln nach den verschiedenen Abstufungen je nach ihrem Range, dann sagte er, als er eben durch die Gruppe dahinglitt, mit einem leise lispelnden Tone: »Seine Hoheit haben sich zum Thee bei Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise ansagen lassen. Seine Hoheit werden um neun Uhr dort sein.«

Damit wendete er sich erhobenen Hauptes links gegen die kleine Thür, welche auf die geheimen Gänge und Treppen führte, und verschwand dort.


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