F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Beide, Eure Hoheit,« entgegnete ruhig der Adjutant. »Ich sah selbst den anderen Herrn.«

»Wo sahen Sie ihn? Wo? Warum machten Sie mir keine Meldung darüber?«

»Weil ich ihn nicht kannte, und er mir einfach als Graf Hohenberg vorgestellt wurde.«

»Graf Hohenberg? Das ist ein Inkognito zur Unzeit, kein ritterliches! Und wo sahen Sie ihn?« forschte der Regent mit steigender Heftigkeit.

»Im Hause des Baron Wenden, wo er seine Exzellenz den Herrn Oberstjägermeister suchte.«

»Ah diese Rigoll und Wenden!« rief der Regent nicht nur zornig aufgeregt, sondern es lag zugleich etwas tief Schmerzliches im Blicke seiner Augen, ja selbst im Tone der Stimme. Es war ein Moment, wo der sonst so ruhige und feste Mann vergaß, daß er nicht allein in seinem Kabinett war. Doch eine Sekunde genügte, um ihn an die Gegenwart des anderen zu erinnern. Er legte einen Augenblick die Hand an die Stirn, fuhr sich über das Gesicht herab, und sagte nach einem fast mühsamen Atemzuge: »Sie sind erstaunt, mein lieber Fernow, daß das Porträt einen so tiefen Eindruck auf mich macht. Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo ich Ihnen das erklären kann, denn ich vertraue Ihnen, wie wenigen. Vielleicht –« wiederholte er mit einem bittern Lächeln. »Um Ihnen aber einen Beweis zu geben, wie sehr ich Ihnen vertraue und da ich es für nötig halte, Sie au fait zu setzen, will ich mich bemühen, Ihnen mit wenigen Worten zu sagen, in welchem Zusammenhange dieser Mann da mit mir, das heißt mit unserer Familie steht. Es ist der Herzog Alfred von D•,« sagte er und fügte, die Photographien nochmals betrachtend, hinzu: »Er hat sich alt gemacht, der Herzog, recht alt.« Dann warf der Regent einen Blick in den Spiegel und fuhr fort: »Der Herzog projektierte schon vor einigen Jahren eine Verbindung mit meiner Cousine, der Prinzessin Elise. Das war also noch zu Lebzeiten des seligen Herzogs. Die Prinzessin schlug die Partie aus und – – bereute ihre Weigerung später, wie sie mir nachher, – freilich im Momenten des Zorns und der Aufregung – wiederholt versicherte.« – Auch diesen Satz sprach der Regent wieder, wie mit sich selbst redend. »Darauf machte der Herzog seine großen Reisen und jetzt, da er zurückgekehrt ist, scheint er, oder – – jemand anders, diese Verbindung knüpfen zu wollen – ja jemand anders,« fuhr er heftiger fort, »nicht aus Liebe, das glaube und hoffe ich nicht, aber aus Trotz und Widerspruchsgeist, unterstützt von den Ratschlägen des Herrn Wenden, Rigoll und Konsorten. Ich werde aber Gelegenheit finden, ein Wort mit ihnen zu reden.«

Damit schleuderte der Fürst die Photographie auf den Tisch und schritt im Kabinett auf und ab, bis er plötzlich vor dem Adjutanten stehen blieb, ihm die Hand auf die Schulter legte, und mit einem so weichen Tone sagte, wie der junge Mann ihn nie von ihm gehört:

»Mein lieber Fernow, man sagt, ich sei kalt, verschlossen, ernsthaft, ja finster. Es ist wahr, es ist so meine Art, doch glauben Sie mir, ich kann auch fühlen, tief und schmerzlich fühlen.« Er wandte sich rasch um, stellte sich wieder an den Kamin, und lehnte seinen Kopf leicht gegen die Wand.

Es herrschte einen Augenblick eine so tiefe Stille in dem Kabinett, daß man aufs deutlichste nicht nur den klingenden Schlag der Standuhr vernahm, sondern daß der Adjutant auch das leichte Rauschen eines Vorhangs im Nebenzimmer zu hören glaubte. Es war in dem Zimmer, welches an das des Herrn Kindermann stieß.

»Wenn die Prinzessin sich verheiraten will,« fuhr der Regent nach einigen Sekunden fort, »wenn sie sich, wie gesagt, vermählen will und die Partie ist passend, wie die mit dem Herzog Alfred, warum denn diese heimlichen Wege? Warum mir, dem Regenten, dem Chef des Hauses nicht geradezu sagen: das sind meine Ansichten, meine Wünsche. Bei Gott, wenn es denn einmal sein muß, so hätte ich die Annäherung doch viel ehrenhafter, ja anständiger herbeigeführt, als diese Herren Wenden und Rigoll; was meinen Sie, Fernow?«

Der junge Mann hatte einen tiefen Blick in das Innere des Herzogs gethan und es war ihm klar geworden, was sich der Regent vielleicht selbst nur ungern eingestehen mochte: der Fürst liebte die Prinzessin; nicht wie der junge Mensch, wie er selbst liebte, leidenschaftlich sprudelnd, aber herzlich und innig, und das feste Gemüt des Fürsten verschloß diese Regung vor aller Welt, seine Liebe allein fühlend, die Leiden derselben allein tragend. Der Adjutant war in Träumereien versunken über die seltsamen Geschicke des Menschen und fuhr fast zusammen, als ihm der Regent jene Frage vorlegte. Glücklicherweise hatte er die Worte, welche der Frage vorausgingen, verstanden und er antwortete: »Darüber kann kein Zweifel herrschen. Doch wenn mir Eure Hoheit eine ganz ergebene Bemerkung erlauben, so hatten Sie vor einiger Zeit die Gnade, mir etwas über den Charakter Ihrer Durchlaucht mitzuteilen, was mir auf den vorliegenden Fall außerordentlich passend erscheint.«

»Lassen Sie hören,« sprach der Regent.

»Eure Hoheit sagten damals, daß die Prinzessin mit seltenen Eigenschaften des Geistes und Herzens, die wir ja alle an der hohen Dame kennen und verehren, eine außerordentliche Lust zur Intrigue verbinden, daß es ihr nicht möglich sei, einer Sache, für die sie sich interessiere, ihren gewöhnlichen Lauf zu lassen, daß es Ihrer Durchlaucht das größte Vergnügen mache, Minen und Gegenminen springen zu lassen, um zu irgend einem Resultat zu kommen, das sie vielleicht auf geradem Wege leichter erreichen könne.«

»Und ich bestätige meine Worte von damals,« antwortete der Regent, »ich sprach soeben noch das Gleiche aus. Aber er verletzt mich tief, dieser Mangel an Vertrauen, ja, er thut mir unendlich weh und ich will mich nicht schämen, das vor Ihnen zu gestehen. – Wir sind ja einmal Vertraute geworden, bester Fernow,« fuhr er mit einem schmerzlichen Lächeln fort, »was ich meinesteils nicht bereue, da ich überzeugt bin, mich in Ihnen nicht geirrt zu haben.«

Damit trat er einen Schritt gegen den jungen Mann und reichte ihm seine Rechte, die jener mit beiden Händen ergriff und ehrerbietig an seine Lippen führen wollte; doch entzog sie ihm der Regent auf eine sanfte Art.

Er strich sich leicht über die Stirn, trat zum Tische, warf das aufgeschlagene Buch zu und sagte: »Für Ihre Nachricht danke ich Ihnen herzlich. Ich hatte eine Ahnung von dieser Angelegenheit, wußte aber in der That nicht, daß dieselbe schon so weit gediehen sei. Wollen Sie mir noch einen ferneren Dienst leisten, so werden Sie mich außerordentlich verbinden.«

»Es macht mich glücklich, wenn Eure Hoheit über mich befehlen wollen,« entgegnete der junge Offizier mit herzlichem Tone.

Der Regent blickte auf die Uhr über dem Kamin.

»Es ist beinahe elf Uhr, Sie kennen Baron Wenden gut genug, um ihm, falls er noch nicht zu Bette ist, einen Besuch machen zu können?«

»O ja, Euer Hoheit, ich kann das schon wagen.«

»Gehen Sie also zu ihm, suchen Sie ihn heute noch zu sprechen, und sagen Sie ihm, ich wisse um die geheime Angelegenheit, ich sei sehr ungehalten und geben Sie ihm den freundschaftlichen Rat, – begreiflicherweise habe ich Sie nicht geschickt, Sie kommen ganz aus eigenem Antriebe – Sie geben ihm also den guten Rat, Ihnen zu entdecken, wie die Sache überhaupt steht. Sagen Sie ihm, dies sei Ihrer Ansicht nach das beste Mittel, seine Krankheit nicht nur augenblicklich aufhören zu machen, sondern auch allenfalsige kleine Wünsche erfüllt zu sehen. – Die Sache ist mir wichtig, lieber Fernow,« setzte der Regent in fast liebreichem Tone hinzu, »denken Sie nicht, Sie handeln für Ihren Regenten, denken Sie, es sei für einen Ihrer guten Freunde, dem Sie nach bestem Willen einen Liebesdienst erzeigen möchten.«

»Hoffentlich soll Eure Hoheit mit mir zufrieden sein; ich darf mir wohl erlauben, morgen mit dem frühesten meinen Rapport abzustatten?«

»So früh, als Sie wollen, Fernow,« antwortete der Regent mit einer freundlichen Handbewegung.

Als der junge Mann das Zimmer verlassen hatte, schaute der Regent einen Augenblick starr vor sich hin, dann drückte er die rechte Hand auf das Herz und that mit fest zusammengebissenen Zähnen einen tiefen Atemzug.

»Also doch!« sprach er zu sich selber, »sie hat mich wirklich überlistet! Aber zu welchem Zweck? Das möchte ich wissen. Zu welchem Zwecke? Will sie Herzogin von D• werden? Bah! ich kann und will nicht daran glauben. Und doch – und doch! Diese ganze Intrigue sehe ihr ähnlich, wenn – ja wenn – sie dieselbe nicht so außerordentlich geheim gehalten hätte. Fernow ist ehrlich. Er hängt an mir und ist keines ihrer Werkzeuge. – Und doch wäre ich unaussprechlich glücklich, wenn er zum Verräter an mir geworden wäre, wenn er auf den Wunsch der Prinzessin mir diese Mitteilung gemacht hätte, wenn sie mich einen drohenden Verlust ahnen lassen wollte, um mich zu einem entscheidenden Schritt zu drängen. – – Aber nein, nein, es ist nicht so. Ich fürchte, ich habe zu lange gezaudert, ein verlorenes Spiel in der Hand. Da Fernow treu ist, ist die Prinzessin in Wahrheit falsch gegen mich. Sie will sich von mir losreißen, sie will Herzogin von D• werden. – Wir wollen sehen.«


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