F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Der Kammerherr von Wenden, ein Mann von mittlerer Größe mit Anlage zur Beleibtheit, hatte blondes Haar, das er glatt an den Kopf gestrichen trug, und welches so zum sorgfältig glattrasierten Kinn und Wange sehr gut paßte, ja seinem Kopfe mit der spitzen Nase, dem feinen zusammengezogenen Munde und den lebhaften Augen etwas Schlaues, fast Lauerndes gab, welches aber durch ein wirklich liebenswürdiges Lächeln gemildert wurde, das sein Gesicht, mit außerordentlich feinem und weißem Teint, häufig erhellte. Er spazierte in dem Gemache auf und ab, den Hut unter dem Arm, die Hände auf dem Rücken vereinigt. Dabei ging er aber vollkommen ruhig und gleichmäßig, ja mit fast behaglichen, tänzelnden Schritten, ohne alle Zeichen von Ungeduld, als habe er sich zur Aufgabe gemacht, das Zimmer in jeder Viertelstunde so und so oft zu durchschreiten.

Der andere, Ordonnanzoffizier Herr von Fernow, war größer als sein Gefährte, dabei schlank, und wenn er ebenfalls auf und ab schritt, so that er dies mit allen möglichen Zeichen der Ungeduld. Er hatte ein ausdrucksvolles Gesicht, dessen Farbe fast zu dunkel gewesen, wenn nicht das schwarze glänzende Haar so vortrefflich dazu gepaßt hätte. Die Augen waren keck und lebhaft, und den Schnurrbart trug er wohl deshalb so außerordentlich stark emporgedreht, um seinen kleinen Mund zu zeigen, sowie die schneeweißen wohlgeformten Zähne.

Wie wir schon bemerkt, ging er ebenfalls, und zwar an der Seite der Fenster, auf und ab; doch war das kein gleichförmiges Dahinschreiten. Jetzt that er ein paar hastige Schritte, dann wandte er sein Gesicht, einen Augenblick stehen bleibend, nach dem Hofe zu, betrachtete hierauf seinen Gefährten, warf den Kopf heftig von einer auf die andere Seite, biß sich zuweilen auf die Lippen und strich den Schnurrbart in die Höhe, zuweilen summte oder pfiff er auch leise die Melodie irgend eines beliebigen Liedes, aber immer nur ein paar Takte, die mit einem laut ausgestoßenen A-a-a-ah! schlossen, und an welche gewöhnlich die Bemerkung angehängt war: »So ein Sonntagnachmittag hier in dem verwünschten Schlosse ist doch von einer bodenlosen Langenweile!«

Der Kammerherr lächelte dazu sanft in sich hinein und sagte vielleicht: »Ja, ja, ich habe auch schon Amüsanteres erlebt.«

»Wenn ich nur dein Temperament hätte,« fuhr Herr von Fernow nach einer Pause fort, wobei er so plötzlich stehen blieb, daß die Scheide seines Säbels mit den Schnallen seines Ledergehänges zusammenklirrte, »wahrhaftig ich wüßte nicht, was ich an solchen Diensttagen, wie der heutige, darum gäbe.«

»Auch an anderen könnte dir ein bißchen mehr Ruhe nicht schaden,« meinte Herr von Wenden; »du bist ein guter Kerl, aber das kocht und siedet und sprudelt immer, und, um in meinem Küchengleichnis fortzufahren, läuft es zuweilen über, nicht gerade zur Annehmlichkeit deiner Umgebung.«

»A-a-a-ah!« machte der Ordonnanzoffizier, und dabei dehnte er sich wie einer, der eben aus dem Schlafe erwacht.

»Du mußt dir angewöhnen,« fuhr der Kammerherr fort, »über die Langeweile Herr zu werden, du bist nun einmal bei Hof, und wenn du hier auf dem glatten Boden was werden willst, so darf man dir keine Langeweile anmerken, und wenn du einmal vier Wochen lang wie heute im Dienst wärest, eine Beschäftigung, die allerdings ihre langweiligen Seiten hat . . .«

»So lehre mich die Langeweile verjagen!« rief der andere ungeduldig; »entweder verstehst du in der That diese Kunst, oder du bist ein ausgemachter Heuchler; denn schon seit fast einer Stunde läufst du jetzt auf und ab, auf dem Gesicht inneres Vergnügen, ja mit einem Wohlbehagen, das mich zur Verzweiflung bringen kann. – – Gibt es in der That etwas Langweiligeres als der heutige Sonntagnachmittag? Liegt das Schloß nicht so still wie ein ausgestorbenes Kloster? Dort in dem verfluchten Hofe läßt sich keine Menschenseele sehen, ja, ich versichere dich, die Katzen fürchten vor Langerweile zu krepieren, deshalb bleiben sie auf ihren Dächern und keine wagt sich herunter. – – Sage mir, womit verbringst du deine Zeit?«

»Ich denke über dies oder jenes nach,« antwortete der Kammerherr, »und dabei verliere ich mich in Reflexionen und Kombinationen, daß mir die Zeit so ziemlich leidlich vergeht.«

Der Adjutant hatte in seinem Spaziergange innegehalten und sich mit allen Zeichen der Ungeduld in einen der Fauteuils geworfen, und beschäftigte sich, indem er mit den Fingern auf den vor ihm liegenden Papieren trommelte.

»So teile mir denn ums Himmels willen etwas von deinen Gedanken mit,« rief er nach einer Weile; »wenn sie nämlich für mich genießbar sind. Wahrhaftig, du bist beneidenswert um das Talent, dich so allein unterhalten zu können.«

»Und dabei profitiere ich; denn in solchen Stunden fasse ich oftmals die besten Entschlüsse, und wenn ich gerade dergleichen nicht vorhabe, so unterhalte ich mich mit meinen Phantasien, baue Luftschlösser und beratschlage mit mir selbst, was, wenn dieser oder jener Fall eintreten würde, wohl am besten zu thun sei.«

»Ja, das muß wahr sein,« sagte der andere mit einem tiefen Seufzer. »Du bist ein umsichtiger Mensch, du wirst es weit bringen. Nun, eins mußt du mir versprechen: Wenn du einmal Minister des Hauses bist, so laß mir irgend einen lumpigen Orden zukommen; denn wenn ich keinen Freund habe, der sich meiner speziell annimmt, so komme ich doch nicht zu einer Auszeichnung. Ich habe eben kein Glück.«

Der Kammerherr lächelte still in sich hinein, streichelte sanft seine Nase und blies alsdann ein Stäubchen fort, das sich auf der Goldstickerei seines Ärmelaufschlages angesetzt hatte. Darauf sagte er:

»Kein Glück haben, das ist so eine Redensart, die man hundertfältig und meistens mit großem Unrecht ausspricht.«

»Nun, du willst doch nicht sagen, daß ich vom Glück begünstigt bin, ich, Fernow, dessen Vater vor wenigen Jahren noch allmächtiger Minister an diesem Hofe war?«

»Fernow,« fuhr der Kammerherr kopfnickend fort, »ein Kavalier in der schönen Bedeutung des Wortes, jung – liebenswürdig – ohne dir Komplimente machen zu wollen,« setzte er lächelnd mit einem Seitenblick hinzu; »denn du kannst auch unausstehlich sein. – Dabei ein tüchtiger Offizier –«

»Meinetwegen alles das!« rief der andere ungeduldig dazwischen; »der jetzt schon eine halbe Ewigkeit dient und es kaum zum Ordonnanzoffizier gebracht hat, während jüngere Kameraden schon längst wirkliche Adjutanten sind. Hol der Teufel ein solches Glück!«

»Wenn du nicht gleich immer oben hinaus wärst,« entgegnete Herr von Wenden mit großer Ruhe, »so würde ich dir mit außerordentlichem Vergnügen meine Theorien von der Gestaltung des Glückes mitteilen; aber ich fürchte, dir ist das langweilig.«

»Wenn das ist,« sagte Herr von Fernow, »so wirkt es vielleicht homöopathisch, und wir schlagen die Langeweile mit der Langeweile.«

»Ich danke dir für die gütige Bemerkung.«

»Ohne Rancüne; ich bitte dich, laß mich deine Ansichten hören.«

Der Kammerherr war in der Nähe des Kamins stehen geblieben, hatte seinen Hut auf das Gesims desselben gelegt und sich mit dem Rücken daran gelehnt.

»Du sagtest vorhin,« begann er: »Ich habe kein Glück, und, wie schon bemerkt, ist das eine Äußerung, die man hundertfältig hört, die aber vollkommen unrichtig ist. So gut es allerdings bevorzugte Menschen gibt, denen das Glück sozusagen im Schlafe kommt . . .«

»Ja, denen die gebratenen Tauben ins Maul fliegen.«

»Ganz richtig, die selbst, wenn sie stürzen, wie die Katze immer auf ihre Füße fallen und, ausgleitend, die Treppe hinaufrollen; ebenso gibt es auch solche, die das Schicksal beständig gegen den Strich zu kämmen scheint, die sich alles mühsam erringen müssen, denen nichts gelingt ohne große Mühe und Arbeit, kurz, die, wie du zu sagen beliebst, kein Glück haben.«

»Ich kenne einen solchen,« sagte Fernow finster, »und das wirst du mir zugeben. Kommt einmal eine Gelegenheit, sich auszuzeichnen, so bin ich verhindert, dabei zu sein. Ist irgendwo in einem Regiment ein gutes Avancement, so kannst du hundert gegen eins wetten, daß es nicht das meinige ist. Haben wir Besuch von fürstlichen Personen, so kann ich nicht dazu kommandiert werden, weil ich gerade Dienst beim Allergnädigsten habe. Ebenso ist es mit Reisen an fremde Höfe; ich weiß wohl, man hat nichts gegen mich, aber das Schicksal will, daß ich immer übergangen werde. Andere bekommen Orden und sehen die Welt, ich bekomme gar nichts und darf mir dagegen die Wände des Stallhofes dort, und meistens dann betrachten, wenn irgendwo sonst draußen was Angenehmes los ist. Heute ist der Hof nach Eschenburg, und ich hatte mich darauf gefreut, ich versichere dir, ich hätte auf meinem Rappen gar nicht schlecht ausgesehen, – ach! und es hätte mich gerade jetzt glücklich gemacht, gut auszusehen!« fuhr er mit einem Seufzer fort. »Was geschieht? Seine Hoheit, der Regent, findet es angemessen, daß ihn die verjährte Wunde schmerzt, und ich – muß, hol mich der Teufel, zu Hause bleiben.«


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