F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Das Hofdiner nahm seinen Anfang und Verlauf wie alle dergleichen Vergnügungen. Wenn auch das Menü vortrefflich war, so stillten doch die meisten den kleinen Hunger, den man zu Hofe mitzubringen pflegt, größtenteils durch die Ehre, an der herzoglichen Tafel speisen zu dürfen. Einen allzu großen Appetit zur Hoftafel mitzubringen, ist unanständig und gefährlich, letzteres, da man nicht weiß, welche Tischnachbarn oder – nachbarinnen man hat. Wirft einen das Schicksal zwischen zwei gerade nicht eßlustige, aber sehr redselige Damen, so thut man am besten, die meisten Schüsseln vorübergehen zu lassen; denn was nützt es, das Beste auf dem Teller zu haben, wenn man nur fast verstohlenerweise dazu kommen kann, einen Bissen zu genießen? Du bist gerade im Begriff, die erste Gabel zum Munde zu führen, als deine Nachbarin zur Linken eine zarte Wißbegierde an den Tag legt und zu erfahren wünscht, ob du gestern im Theater gewesen.

»Allerdings, gnädige Frau.«

»Ein deliciöses Stück! – Wie ich mich amüsiert habe!«

Natürlicherweise findest du durch eine stumme Neigung des Kopfes das Stück ebenso deliciös und hast dich eben so vortrefflich amüsiert; denn würdest du wagen, zu widersprechen, so käme die Gabel mit einem sehr schönen Bissen nimmermehr an ihren Bestimmungsort. Leider findet sich die Nachbarin zur Rechten veranlaßt, anderer Meinung zu sein.

»Wie, ma chère Baronne!« ruft sie aus und dabei lehnt sie sich so stark vorn über, um ihre Nachbarin besser zu sehen, daß, wenn ich jetzt meinen rechten Arm gebrauchen wollte, es gerade aussähe, als wollte ich ihr die Aussicht versperren. Hand, Gabel und Bissen bleiben also auf halbem Wege stehen.

– »Ich finde das Stück ein Horreur, Sie werden mir verzeihen, ma chère Baronne, ich bitte Sie!« Damit wendet sie sich zu mir: »Wollen Sie eine Aufführung, wie die des jungen Grafen – sein Vater ist allerdings nur ein Bankier –, selbst in der Komödie rechtfertigen? – Wollen Sie das? – Können Sie das?«

»O Gott! Ich möchte wohl, aber ich kann ja nicht.«

»Er verläßt am Tage der Verlobung seine Braut, ein Mädchen von sehr guter Familie, um mit einer früheren Liaison davon zu gehen!«

»Aber er hat doch einige Gründe dafür gehabt,« wage ich zu sagen. – Ich weiß wohl, ich habe mit dieser Bemerkung Öl ins Feuer gegossen, will aber nur die jetzt aufprasselnde Entgegnung benutzen, um endlich meine lang gehegte und gewiß verzeihliche Absicht zu erreichen; aber ich habe falsch gerechnet. Während meine Nachbarin mir allerdings in eifriger Rede die Horreurs des Stücks auseinandersetzt, hat sie die Bosheit, ihre rechte Hand auf meinen rechten Arm zu legen: »Enfin,« sagt sie endlich; »ich begreife nicht, wie unsere sonst so umsichtige Intendanz solche Stücke nur aufführen lassen mag.«

Die umsichtige Intendanz sitzt uns gerade gegenüber, und da sie an dergleichen Reden gewöhnt ist, so lächelt sie still vergnügt in sich hinein; ja, der gute Bordeaux, den sie soeben getrunken, hat ihr Herz milde gestimmt, und während sie die Selbstverleugnung so weit treibt, das Stück in einigen Teilen allerdings ein wenig stark zu finden, versichert sie dagegen, daß der Dindon aux truffes, mit dem sie sich gerade beschäftigt, entschieden die feinste Schüssel ist.

Nun weiß aber der geneigte Leser hoffentlich aus Erfahrung, daß ein Dindon aux truffes warm gespeist werden muß, und ebensogut, daß ein Bissen, der fünf Minuten lang zwischen Himmel und Erde schwebt, erkaltet. Da die Hand meiner Nachbarin von meinem Arm nicht weichen will, so mache ich es, wie irgend ein Held in einer beliebigen Schlacht, dessen rechter Arm soeben gelähmt wurde: auch ich nehme ruhig meine Waffe in die linke Hand; doch kaum glaube ich, sie glücklich zum Munde führen zu können, als meine Nachbarin zur Linken, die in höchster Indignation stille geschwiegen und es vielleicht auch unter ihrer Würde hält, das angegriffene Schauspiel zu entschuldigen, jetzt mit affektierter Gleichgültigkeit ihr Glas vor mich hinschiebt und um ein wenig Wasser bittet.

Wäre ich in diesem Augenblick ein Araber der Wüste, so würde ich vielleicht sprechen: »Verflucht sei das Ei, aus welchem dieser Dindon geschlüpft, verflucht das naseweise Schwein, das diese Trüffeln aus dem Grunde gewühlt, verflucht der Autor, der das fragliche Stück geschrieben und vor allen Dingen verflucht seien – –«. Da ich aber ein glattrasiertes Kinn habe, eine weiße Halsbinde trage und auf gesellschaftliche Bildung Anspruch mache, auch in diesem Augenblicke höre, wie ringsumher die Teller gewechselt werden , so lege ich seufzend meine Gabel nieder, »still mich freuend, bis es wieder morgen würde sein.«

Ebenso unangenehm, ja noch gefährlicher ist es, bei dergleichen Diners in der Nähe hoher und höchster Herrschaften placiert zu werden. Alsdann hast du das Schicksal des jungen Naschers, der überrascht zu werden fürchtet. Du wirfst deinen unglücklichen Bissen nur verstohlen in den Mund, du wagst nicht zu kauen, du schlingst nur wie ein Kettenhund oder wie eine Kropfgans; du setzt dich der Gefahr aus, an einem Knochensplitter zu Grunde zu gehen, nur um den Augenblick nicht zu verpassen, wo dich ein allerhöchster Blick trifft, oder wo du so glücklich sein mußt, eine allerhöchste Frage umgehend zu beantworten.

Aus diesen angeführten Gründen ist es nun in der That besser, zu einem solchen Diner nicht hungrig zu gehen. Die Qualen des Tantalus zu erdulden, ist nicht angenehm; ein hungriger Mensch, der so mit ansehen muß, wie er auf unverantwortliche und leichtsinnige Art um die süßen Freuden der Tafel gebracht wird, – ein solcher Unglücklicher könnte vielleicht einmal grob werden, und ein grober Gast an einer Hoftafel wäre etwas so außerordentlich Schreckliches, von dem noch zehn Kammerherrengenerationen schaudernd sprechen würden, als von etwas, »was der Mensch begehren sollte nimmer zu schauen.«

Als gut geschulte Hofmänner hatten denn auch sowohl Herr von Fernow als Herr von Wenden ihren Appetit durch ein spätes und solides Frühstück gedämpft, heute wohl unnötigerweise; denn beider Hunger, und wenn er auch noch so stark gewesen wäre, würde von der Aufmerksamkeit absorbiert worden sein, mit welcher der Kammerherr die Prinzessin Elise, der Ordonnanzoffizier aber Fräulein von Ripperda betrachtete.

Die Prinzessin hatte die Rose neben sich auf den Tisch gelegt, doch sah das scharfe Auge des Herrn von Wenden wohl, daß der Papierstreifen von dem zweige verschwunden war. Was dieser Papierstreifen enthielt, konnte sie füglich noch nicht gelesen haben; sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihn, wie der Kammerherr gethan, gegen das Licht zu halten; denn nur so konnte man die paar Worte herausfinden, die mit einer feinen Nadel in das Papier geritzt waren.

Viertes Kapitel.

Amour offensée.

Hinter dem Stuhle Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise stand der erste Kammerdiener des Regenten, Herr Kindermann, der neben anderen bedeutenden Gaben auch die besaß, seine Augen aufs allerseltsamste bewegen zu können; während er nämlich mit dem einen weder den Regenten noch die Prinzessin außer Sicht ließ, bemerkte er mit dem anderen genau, was an der ganzen Tafel vorging. So war es denn auch von diesem würdigen Beamten nicht unbemerkt geblieben, daß sowohl Herr von Fernow als Herr von Wenden fast jede Schüssel unberührt vorübergehen ließen; ebenso daß der letztere wahrhaft auffallend und in gespannter Erwartung nach Ihrer Durchlaucht hinblickte, ferner, daß der junge Ordonnanzoffizier mit zusammengebissenen Lippen und finsterem Blick dasaß, zuweilen, wie aus tiefen Träumereien erwachend, Fräulein von Ripperda anstarrte oder nichts weniger als freundschaftlich nach dem Oberstjägermeister hinübersah.

Herr Kindermann trug fast immer ein gleichmäßiges und liebevolles Lächeln zur Schau; es mochte Tag oder Nacht sein, Sommer oder Winter, es mochte regnen oder schneien: er lächelte; und sein Gesicht hatte sich so daran gewöhnt, daß es ihm bei traurigen Veranlassungen die größte Mühe machte, die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen und die Unterlippe vorschriftsmäßig herabhängen zu lassen. Jetzt strich er sich sanft durch sein stark ergrautes Haar und lächelte; jetzt zupfte er leicht an seiner Halsbinde und lächelte. Mit sanftem Lächeln bot er der Prinzessin einen Teller frisch aufgeschnittener Ananas und dann präsentierte er ebenso gleichmütig lächelnd Ihrer Durchlaucht das verlangte Glas Wasser. Wir glauben gewiß annehmen zu können, daß Herr Kindermann auch lächelnd in den Armen des Schlafes lag, und daß, wenn ihn einst dessen ernsterer Bruder abrufen wird, Herr Kindermann mit dem freundlichsten Lächeln diese Welt verlassen werde.

Nach einiger Zeit kam der große Moment, wo der Regent, gelinde hustend, zu Ihrer Durchlaucht der Prinzessin hinübersah, wie sie leicht mit dem Kopfe nickte und sich darauf erhob, bei welcher Veranlassung Herr Kindermann lächelnd den Sessel entfernte. Ein paar Sekunden hierauf hörte man nichts als Stuhlrücken, Räuspern, Husten, dazwischen ein halblautes Wort, Säbel- und Sporengeklirr. Die Prinzessin begab sich in das Zimmer zurück, wo der kolossale Blumenstrauß stand, und in welchem, gleich wie im Nebensaale, der Kaffee serviert wurde. Jetzt, nach der Tafel, wurde kein so förmlicher Cercle gehalten wie vorher, sondern die Gruppen verteilten sich zwang- und harmlos. Junge Kammerherren und Offiziere suchten sich den Hofdamen zu nähern, man hörte sogar mitunter ein lautes Wort und ein leises Lachen, ja man sah alte Exzellenzen – von den wenigen Auserwählten, die bei der Hoftafel das Privilegium haben, wenig zu sprechen und viel zu essen – irgend einer langjährigen Damenbekanntschaft schmunzelnd die Cour machen.


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