F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Der Kammerdiener ließ einen bedenklichen Blick auf die Standuhr fallen und sein Gesicht bemühte sich, sehr ernsthaft auszusehen.

»Es ist nach zehn Uhr,« bemerkte er, »und müßten wir eine dringende Ursache haben, Seine Hoheit, die mir nicht besonders gut gelaunt scheinen, beim Lesen zu unterbrechen. Auch sieht der Herr, wie Sie selbst wissen, lieber Herr von Fernow, den schwarzen Frack nicht gern an seinen Adjutanten, sobald sie ihm eine Meldung oder dergleichen zu machen haben. Daß ich für Sie thun werde, was ich kann, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern. – Ohne unbescheiden fragen zu wollen,« setze er nach einer Pause mit einem schlauen Lächeln hinzu, »ist die Sache sehr dringend?«

»Das ist es ja gerade, was ich selbst nicht weiß,« erwiderte Herr von Fernow; »denn sonst könnte ich mich ja geradezu melden lassen. Sie wissen, wie sehr ich überzeugt bin, daß alles, was die Angelegenheiten Seiner Hoheit betrifft, in Ihren Händen vortrefflich aufgehoben ist. Daher nehme ich auch gar keinen Anstand, Ihnen mitzuteilen, was mich hierher führt. Ich kam vorhin in den Besitz dieser beiden Photographien,« damit zog er die Blätter heraus, »und gewisse sonderbare Umstände lassen mich vermuten, daß es Seiner Hoheit erwünscht sein werde, von dem Dasein dieser beiden Porträts, namentlich von dem einen, Kenntnis zu erhalten. Was meinen Sie, lieber Herr Kindermann?«

Der Kammerdiener hatte die beiden Blätter ergriffen und trat an die Lampe über dem Kamin, um sie zu betrachten. – »Baron Rigoll,« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen und schaute freundlich lächelnd auf den Adjutanten.

»Ich bitte, das andere zu betrachten,« versetzte Herr von Fernow.

»Richtig, das andere,« entgegnete der Kammerdiener und schob das Porträt des Oberstjägermeisters auf die Seite. Er beschaute das zweite Blatt längere Zeit, zuckte mit den Achseln und das Lächeln verschwand von seinen Zügen. Er wurde sogar sehr ernst, was, wie wir wissen, bei Herrn Kindermann nicht leicht vorkam. »Das ist freilich wichtiger,« sagte er nach einer Pause, »Herzog Alfred von D•. Alle Wetter, Herr von Fernow, wie kommen Sie zu dem Porträt?«

»Auf eine etwas umständliche Art, die ich mir morgen das Vergnügen machen werde Ihnen genau mitzuteilen.« Bei diesen Worten machte der Adjutant eine verbindliche Handbewegung, blickte aber zugleich auf die Standuhr über dem Kamin.

»Verstehe,« erwiderte Herr Kindermann geschmeidig. »Wenn etwas geschehen soll, muß es gleich geschehen. Sie geradezu einzuführen, scheint mir nicht passend. Ich muß manövrieren.«

»Wollen Sie dem Herrn Eau de Cologne aufgießen oder den Säbel klappern lassen?« meinte scherzend der Major.

»Alles hat seine Zeit. – Lassen Sie mich nur machen, Herr von Fernow, und glauben Sie mir, es war ein glücklicher Augenblick, der Sie in den Besitz dieses Porträts brachte. Glücklich für Sie, wenn auch nicht für andere,« setzte Kindermann hinzu, indem er kopfschüttelnd abging.

Der Kammerdiener machte ein siegreich lächelndes Gesicht, als er wieder eintrat. »Ich habe für Sie gewirkt, wie ich in den schönen Tagen that, wo Ihr Herr Vater, Gott hab' ihn selig, auf dieser selben Stelle an den unbedeutenden Kindermann manch freundliches Wort spendete. Gehen Sie getrost zu Sr•Hoheit.«

»Sprachen Sie davon, was mich hierher geführt?« fragte Herr von Fernow.

Der Kammerdiener erhob seinen Kopf mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Würde, als er hierauf entgegnete: »Kindermann sollte in einem solchen Falle voreilig sein? Der Mitteilung eines Mannes, dem er wohl will, dadurch die Spitze abbrechen? O nein, das thut man nur in Fällen, wo es nötig erscheint, jemandem die Freude zu verderben. Vorkommen mag dergleichen freilich. Nein, ich meldete Seiner Hoheit, Sie hätten sich auf eine auffallende Art im Vorzimmer blicken lassen, es scheine mir, Sie hätten etwas auf dem Herzen, ohne gerade den Mut zu haben, eine Audienz zu verlangen. – Vor allen Dingen,« setzte er mit leiser Stimme, aber in vertraulichem Tone hinzu, »habe ich Seine Hoheit den Regenten neugierig gemacht.«

»Ob mir das helfen wird, mag Gott wissen,« antwortete Herr von Fernow im Abgehen; »vor allem aber meinen herzlichsten Dank.«

Herr Kindermann blieb einen Augenblick nachdenklich in der Mitte des Zimmers stehen, nahm bedächtig eine Prise aus der großen goldenen Dose und sprach dann zu sich selber: »Das ist ein junges dankbares Gemüt; er ist es wert, daß wir ihn protegieren.«

Im Kabinett des Regenten war es fast wie an jenem Abend, an welchem wir den Leser zum erstenmal dorthin führten. Im Kamin spielte ein leichtes Feuer, die schwere Bronzelampe war tief auf den Tisch herabgezogen, wie damals auch mit dem grünen Schirme bedeckt, nur schritt der Regent langsam im Zimmer auf und nieder, den Eintretenden erwartend.

Der junge Mann machte an der Thür eine tiefe Verbeugung, der Anrede Seiner Hoheit harrend.

»Ei, ei, mein lieber Fernow,« sagte der Fürst, »ich erfahre soeben durch Kindermann, daß Sie sich wie ein Gespenst nächtlicher Weile in meinem Vorzimmer sehen lassen. Den Himmel auch, was machen Sie um diese Stunde im Schlosse? Wenn das der Oberstjägermeister erfährt, so wird er seine Heirat so beschleunigen, daß Ihre besten Freunde nichts für Sie thun können.«

»Dürfte ich mir nach diesem gnädigen Empfange schmeicheln, daß Eure Hoheit selbst einigen Anteil an mir nehmen, so darf ich mir vielleicht erlauben, der Wahrheit gemäß zu sagen, daß ich in diesem Augenblicke nicht im Schlosse bin, um Seiner Exzellenz Anlaß zum Mißvergnügen zu geben. Es ist wahr, ich hielt mich im Vorzimmer auf, hoffend auf das Glück, das mir jetzt zuteil geworden – Eure Hoheit noch heute abend sehen zu dürfen.«

»In der That, Sie machen mich neugierig, lieber Fernow, aber ehe Sie mir mitteilen, was Sie hierher führt, erlauben Sie mir, meine Lampe aufsteigen zu lassen. Es ist ein unbehagliches Gefühl, so im Halbdunkel zusammen zu sprechen, für Sie wie für mich. – So.« Er hatte bei diesen Worten die Carcellampe vermittelst des Gegengewichtes ihrer Ketten an die Decke gehoben, wodurch das kleine Kabinett mit einem Male hell beleuchtet erschien, dann lehnte er sich gegen das Gesims des Kamins, blickte den jungen Mann wohlwollend an, und forderte ihn mit einer gefälligen Handbewegung zum Sprechen auf.

Nachdem Herr von Fernow um Entschuldigung gebeten, daß er ein wenig weit ausholen müsse, erzählte er von seinem abendlichen Spaziergang im Parke, von seinem Zusammentreffen mit dem Photographen und wie er durch diesen von jenen beiden Herren erfahren, die vor einigen Tagen auf so geheimnisvolle Art ihre Porträts machen ließen, und wie er aus der näheren Beschreibung ersehen, daß der eine Baron Rigoll gewesen. Nachdem der Fürst von Anfang an dieser Erzählung des jungen Mannes mit einigem Interesse gefolgt war, ohne gerade viel Spannung zu verraten, so richtete er sich bei der Erwähnung des Oberstjägermeisters in die Höhe, schlug die Arme übereinander und lauschte begieriger jedem Worte seines Adjutanten. Dieser berichtete hierauf in möglichster Kürze von seinem Aufenthalt auf der Schloßterrasse, von der Erscheinung des Herrn Krimpf, wie er denselben verfolgt und wie es ihm endlich gelungen, jene Blätter zu erhalten.

Mit steigendem Interesse hatte der Regent zugehört und zuweilen den Erzähler mit einem aufmunternden Zuruf unterbrochen. Als nun der Major in die Brusttasche griff und die beiden Blätter hervorholte, trat ihm der Regent rasch entgegen und nahm sie aus seiner Hand. Das Bild des Oberstjägermeisters warf er hastig bei Seite, als er jedoch das andere gegen das Licht hielt, entdeckte Herr von Fernow eine außerordentliche Umwandlung auf dem sonst so ruhigen Gesichte des Regenten. Die Züge waren starr und bleich geworden, als er die Photographie angeblickt, er biß die Lippen fest aufeinander und faßte mit der linken Hand nach dem Tische, freilich nicht, um sich daran zu halten, wohl aber um die Decke auf demselben in der geballten Faust zusammenzudrücken.

»Diese Photographien wurden also vor wenigen Tagen hier in der Stadt gemacht?« fragte der Regent mit bewegter Stimme.

»Vor vier Tagen.«

»Und nicht etwa nach Bildern,« fuhr er fort, »sondern beide nach den lebendigen Originalen?«


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