F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Es überrascht Sie, mein schönes Fräulein,« sagte der Kammerherr von Wenden, »daß ich so außerordentlich pünktlich bin. Es hat draußen eben erst fünf geschlagen, und schon stehe ich vor Ihnen, glücklich, entzückt, daß die schöne Rosa mir gestattet, sie auf ein paar kleine süße Augenblicke zu besuchen.«

Wenn er auch für sie verständlicher gesprochen hätte, so würde ihm das junge Mädchen doch im ersten Momente keine rechte Antwort haben geben können, denn sie zitterte heftig, was ihr nie geschehen war, und konnte nichts thun, als einen Schritt zurücktreten, da der andere zwei auf sie zu machte.

»Das ist eine allerliebste kleine Wohnung,« fuhr dieser fort, der es für notwendig hielt, vertraulich und herablassend zu sprechen; »scharmant, und da steht Ihr Arbeitstisch mit den wirklich wunderbaren Arbeiten, die Sie hervorbringen, – reizende kleine Arbeiten. Und das alles machen Ihre kleinen niedlichen Hände? In der That niedliche Hände. Erlauben Sie –«

Bei diesen Worten nahm er ihre Rechte und wollte sie an seine Lippen führen. Doch blieb dieser Versuch unausgeführt. Rosa entzog ihm hastig ihre Hand und hatte jetzt so viel Fassung gewonnen, um fragen zu können, was ihr eigentlich die Ehre seines Besuches verschaffe.

Herr von Wenden stutzte fast bei dieser Frage, doch nahm er sie für verzeihliche mädchenhafte Schüchternheit, und da er die kleine Hand im nächsten Augenblick nicht wieder ergreifen konnte, so ging er durch das Zimmer nach dem Fenster, um, wie er sagte, mit außerordentlicher Befriedigung nach seiner Wohnung und nach dem Fenster hinüberzublicken, an welchem er schon so glücklich gewesen.

Des jungen Mädchens hatte sich eine unerklärliche Angst bemächtigt; sie warf ihre Arbeit auf den Tisch und eilte zur Thür, um nach ihrer Mutter zu sehen, oder um droben bei der Frau Böhler Schutz und Hilfe zu suchen. Doch lächelte sie selbst im nächsten Augenblick über ihre thörichte Furcht und trat ruhig an den Tisch zurück, um zu erwarten, was ihr seltsamer Besuch beginnen werde.

Herr von Wenden schien die Aussicht von hier nach seiner Wohnung vortrefflich gefunden zu haben. Nur mochte er vielleicht bedauern, sich nicht selbst dort erblicken zu können, und um diesem Mangel einigermaßen abzuhelfen, warf er einen Blick in den an der Wand hängenden Spiegel und war von dem, was er dort sah, nicht unbefriedigt.

Wenn wir sagen wollen, der Kammerherr habe sich bei diesem ersten Besuche vollkommen sicher und behaglich gefühlt, so würden wir die Unwahrheit reden. Im Gegenteil, als er sah, wie sich Rosa so schüchtern hinter ihren Tisch zurückzog und ihm so gut wie gar keine Antwort gab, fühlte er in sich alle Symptome der Verlegenheit. Er hustete häufiger als notwendig war, er brauchte die Worte: köstlich! scharmant! superb! ohne allen Zusammenhang und zupfte ungebührlich oft an seiner Halsbinde. Diese unbehagliche Stimmung wurde nicht vermindert, als er sah, wie der flammende Blick des jungen Mädchens allen seinen Bewegungen folgte, wie sie die Lippen fest aufeinander preßte, die Hand auf den Tisch stützte, und, aus ihrer schüchternen Haltung wie erwachend, den Kopf mit einem trotzigen Ausdrucke erhob.

Er näherte sich dem Tische und bat um Erlaubnis, einen Augenblick sitzen, an ihrer Seite sitzen zu dürfen, nahm darauf einen Stuhl und ließ sich nieder.

Rosa hatte sich soweit gefaßt, um ihm in ruhigem Tone bemerken zu können, daß es sie außerordentlich wundere, ihn hier in ihrer Wohnung zu sehen, ohne zu wissen, womit sie ihm dienen könne.

Diese wiederholte Frage klang dem Kammerherrn fast komisch. Ohne aber vorderhand des Briefes zu erwähnen, den er geschrieben, und der Erlaubnis, die sie ihm gegeben, hielt er es für passend, ihr in gutgewählten Ausdrücken die Augenblicke vorüberzuführen, wo er sie am Fenster gesehen, wo er von ihrem Anblick bezaubert worden sei, und wo es ihn so hoch beglückt habe, als er aus einigen leisen Zeichen zu erkennen geglaubt, daß auch sie sich hier und da nicht ohne Absicht gezeigt. Rosa erschrak aufs neue, als er bemerkte, daß er jede ihrer Mienen beobachtet und jede oft unwillkürliche Bewegung zu seinen Gunsten ausgelegt. Sie fühlte, wie unrecht sie gethan, sich überhaupt am Fenster zu zeigen, aber da sie sich nichts Böses bewußt war, so blickte sie ihm fest in das Auge und begnügte sich, statt aller Antwort, bedeutsam mit dem Kopfe zu schütteln.

»Gewiß, schöne Rosa,« fuhr Herr von Wenden wärmer fort, »ich fürchtete schon, der mächtige Eindruck, den Sie auf mein Herz hervorgebracht, würde mich zum unglücklichsten aller Menschen machen. Denn ehrlich gestanden, die Liebe, welche ich für Sie fühle, ist nicht gewöhnlicher Art. Ja, es ist eine Leidenschaft, die ich nicht im stande bin, niederzukämpfen, und die mich elend gemacht haben würde, ohne Ihr entzückendes liebevolles Entgegenkommen.«

»Durch mein Entgegenkommen?« fragte das Mädchen, indem sie einen Schritt zurücktrat. »Wenn Sie das für ein freundliches Entgegenkommen halten, daß ich mich von der Arbeit ermüdet zuweilen am Fenster sehen ließ, auch vielleicht nicht immer mit finstern Mienen, so muß ich Ihnen sagen, daß mich diese Ihre Ansicht erschreckt, und daß ich in der That nicht begreifen kann, wie Sie es darauf hin wagen können, mir die Worte zu sagen, welche ich eben gehört.«

»Dies Terrain will Schritt für Schritt erobert sein,« dachte Herr von Wenden. »Die schöne Festung zeigt trotzig ihr Flagge, um dem Feind nicht zu verraten, wie unter der Besatzung bereits Meuterei ausgebrochen ist. Thun wir ihr den Gefallen, plänkeln wir ein wenig vorwärts, und dann mit einem tüchtigen Sturm das Hauptwerk genommen. – Warum, schöne Rosa,« fuhr er laut fort, »wollen Sie die Freundlichkeit leugnen, die Sie für mich gehabt, wollen das kein Entgegenkommen nennen, was mich so außerordentlich entzückt, was mein Herz in lichte Flammen gesetzt?« Er hatte bei diesen Worten mit seinem Stuhle so geschickt manövriert, daß er an Rosas Seite gekommen war, und ihr zugleich den Ausweg versperrt, da sie hinter sich die Wand, rechts einen Schrank und vor sich den Tisch hatte.- »Als ich Sie zum erstenmal sah,« sprach der verliebte Kammerherr mit süßem Lächeln und schmachtendem Blicke weiter, »da war ich betroffen von Ihrer wunderbaren Schönheit, aber dadurch fühlte ich mich auch hoffnungslos. Auf Ehre, schöne Rosa, ganz hoffnungslos! Und bei diesem an sich trostlosen Gefühle kann ich Sie versichern, daß mich der erste Blick Ihrer süßen Augen, das erste freundliche Lächeln traf, wie der erquickende Tau eine – nun ja, wie der erquickende Tau eine – halbverwelkte Blume. Sie blühte wieder auf in heißer Liebe. Und das ist Ihr Werk, schöne Rosa!«

Herr von Wenden hatte gesprochen mit sanftem Augenaufschlag, schmachtend und lispelnd, wie ein vollendeter Geck. Als er sah, wie das Mädchen bei seinen Worten die linke Hand zusammenballte und auf ihr Herz drückte, da machte er es gerade so, ohne zu denken, daß ganz andere Gefühle ihre Seele regierten. Ja, sie hatte für den Mann drüben, solange der vermeintliche tiefe Abgrund sie trennte, ein an sich unschuldiges Interesse genommen. O Gott ja, sie hatte hinübergeblickt, sie hatte lächelnd am Fenster gestanden, und sie hatte wie manches junge Mädchen in gleichem Falle nicht daran gedacht, daß man dem bösen Geist keinen Zoll breit Raum geben soll, um Fuß darauf zu fassen, daß wer heute den kleinen Finger bietet, morgen in den Fall kommen kann, die ganze Hand geben zu müssen. Und nach dieser ganzen Hand angelte Herr von Wenden seit einigen Augenblicken mit großer Ausdauer.

Wenn sich auch ihr Gefühl dagegen empörte, als sie die Berührung seiner kalten Finger auf ihrem lebenswarmen Arme fühlte, so konnte sie doch keinen Schritt zurück, und sie wußte nicht, sollte sie einen lauten Aufschrei thun, oder sollte sie, den Angreifer beiseite schleudernd, sich gewaltsam Bahn neben dem Tische vorbei machen. Das überlegte sie in der ersten Sekunde; in der zweiten aber dachte sie an das Haus, in dem sie sich befand, wo jedes laute Wort rechts, links, oben und unten gehört wurde, und als sie daran dachte, hielt sie es für ratsam, sich noch nicht zum Äußersten zu entschließen.

Ja, sie lächelte sogar, aber es war ein kaltes, trauriges Lächeln, und während sie lächelte, biß sie die Zähne aufeinander. »Jetzt bitte ich aber – Herr Baron,« sagte das junge Mädchen, während sie immer zwischen ein paar Worten den Arm an sich zog, »jetzt bitte ich aber – diese Unterredung – zu enden. – Gewiß, Herr Baron! – Was Sie mein – Entgegenkommen nennen, darin haben Sie sich vollkommen geirrt. – Wenn ich zuweilen – am Fenster war, so geschah das – wie ich schon bemerkte – ganz ohne alle Absicht. – Und wenn ich – Ihnen sage, – daß es ohne Absicht geschah,« setzte sie finster hinzu, »so wäre es besser, – Sie würden mir glauben.«

»Und der Brief?« lachte Herr von Wenden. Und während er bei diesen Worten leicht an ihrem vollen Arm herunter fuhr, blitzten seine Augen auf eine seltsame Art.


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