F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mochte nun der Ordonnanzoffizier seinen Freund als einen schlauen, berechnenden und verschwiegenen Menschen kennen, oder hatte er doch etwas von dem leuchtenden Blick bemerkt, der den Augen des Kammerherrn entstrahlte, als dieser den Papierstreifen gegen das Licht hielt, oder, was auch wahrscheinlich ist, war ihm die Sorgfalt, mit welcher Herr von Wenden das – ganz gewöhnliche Stückchen Papier wieder an seinen Platz brachte, verdächtig vorgekommen: genug, er stützte sich mit der Hand auf das Tischchen, sein Gesicht nahm einen ernsten, nachdenkenden Ausdruck an, aber nur eine Sekunde lang, – dann sang er zwei Takte eines bekannten Liedes leise vor sich hin, strich den schwarzen Bart leicht zu beiden Seiten hinaus und sagte mit einem scheinbar freundlichen, aber sehr forschenden Blick auf seinen Gefährten:

»Du bist gewöhnlich ein umsichtiger Mensch, Eduard; aber entweder du verschweigst mir deine Gedanken, oder du hast in der That nicht daran gedacht, daß das Papierchen doch vielleicht etwas bedeuten könnte, was zu erfahren, wenn es auch kein großes Glück für uns wäre, uns doch einen guten Spaß machen könnte.«

Der Kammerherr zog seine Augenbrauen in die Höhe und neigte wie abwehrend seinen Kopf auf die rechte Seite, wie jemand, der einen Vorschlag unbedingt verwerfen will.

»Nein, nein,« meinte er alsdann; »wenn irgendwo ein Spaß damit bezweckt ist, was geht das uns an? Man muß niemand seine Freude verderben. Auch,« setzte er nach einer Pause hinzu, »möchte ich in der That wissen, wie wir erfahren sollten, wer mit dem Papierstreifen gemeint ist?«

Dies letztere sprach er mit einem seltsam lauernden Blicke.

Herr von Fernow hatte diesen wohl bemerkt; doch mochte es in seiner Absicht liegen, ganz unverhohlen seine Gedanken auszusprechen, denn er entgegnete, ohne irgend welche Bewegung auf seinem offenen und ehrlichen Gesichte:

»Nun, wenn dir das nicht einfällt, so laß dir dein Lehrgeld zurückbezahlen, welches dich deine Karriere bei Hof gekostet.«

»Ich weiß in der That nicht – –« sprach der Kammerherr; doch ging sein lauernder Blick in einen fast ängstlichen über.

»Nun, so einfach, wie mir je im Leben etwas vorgekommen! Dort in dem Blumenbouquet steckt das fragliche Papierchen, welches, wie du gesagt, weder Schrift noch Zeichen enthält.«

»Weder Schrift noch Zeichen.«

»Gut, aber es kann an und für sich ein Zeichen sein, ein Zeichen, das einer dort versteckt hat, damit ein anderer es finde. Wenn der es aber finden will, muß er es suchen. Also haben wir beide nichts Einfacheres zu thun, als Achtung zu geben, wer sich mit dem Blumenbouquet auf eine auffallende Art beschäftigt, – enfin, wer das Papierchen an sich nimmt.«

»Bei Gott! da hast du recht!« rief der Kammerherr mit erkünsteltem Erstaunen; doch biß er sich gleich darauf in die Lippen, und es war ihm offenbar unangenehm, daß der andere einen Gedanken aussprach, den er schon lange gefaßt.

In diesem Augenblicke trat der dienstthuende Kammerherr aus den inneren Gemächern der Herzogin und meldete dem Herr von Wenden, daß die Wagen Ihrer Hoheit soeben an der hinteren Seite des Schlosses angefahren seien. Dieser zog seine Uhr hervor und warf einen Blick darauf.

»Halb sechs,« sagte er; »eine halbe Stunde Toilette; wir werden um sechs Uhr speisen.«

Drittes Kapitel.

Diner bei Hofe.

Das herzogliche Schloß, welches noch vor kurzem wie träumend in der feierlichen Stille eines Sonntagsnachmittags dalag, hatte sich seit der Anfahrt der Wagen der Prinzessin, die von Eschenburg zurückkehrten, außerordentlich belebt. Mit ihrem Eintritt und dem ihres zahlreichen Gefolges schien die schläfrige Langeweile, welche bisher in den Korridoren und Sälen herrschte, mit einmal verschwunden. Die Lakaien in den Vorzimmern saßen nicht mehr träumend auf den Banketts, sondern gingen mit erhobenem Kopfe aufmerksam umher, strichen sich ihre Haarfrisuren zurecht, zupften an ihren weißen Halsbinden und waren ganz andere Menschen geworden. Der Vogel vor dem Fenster war davongeflogen, die schlummernde Katze hatte das Weite gesucht, und der Dragoner im Vestibül vor den Zimmern seiner Hoheit schritt so energisch auf und ab, daß Säbel und Sporen klirrten. Im vorderen Schloßhofe fuhr ein Wagen nach dem anderen an, auf den Treppen hörte man leise Schritte, auch klirrende Sporen, einen respektvollen Husten und das halbunterdrückte Lachen verschiedener Hoffräulein. Neben dem Salon, in welchem sich der bemerkenswerte Blumenstrauß befand, war von dem Kammerdiener geräuschlos noch ein weiteres Gemach, gegen das Appartement der Herzogin zu, geöffnet worden, und diese beiden Zimmer füllten sich nach und nach mit denen, welche heute das außerordentliche Glück hatten, zur Tafel geladen zu sein.

Da sah man zahlreiche und schöne Damen, deren weißer Teint noch besonders hervorgehoben wurde durch die schwarzen Kleider, welche die Trauer um den verstorbenen Herzog vorschrieb; wenige der Jüngsten hatten es gewagt, in ihrem Haar oder an ihrem Schmucke freundlichere Nüancen anzubringen und die einfachen Trauerkleider irgendwie auszuschmücken. Was aber die älteren Damen anbetraf oder die Angehörigen des Hofes, so sah man an ihnen nur Schwarz und Weiß; ja, einige alte Hofdamen, die in den langen Jahren ihrer Dienstzeit schon manche Trauer mitgemacht hatten und in diesem, sowie in vielen anderen Fällen mehr zu thun pflegten als der strengste Obersthofmeister vorschreiben konnte, ließen nicht die Spur von Glanz und Weiß sehen, selbst ihre Augen hatten eine melancholisch gelbe Farbe, ihre Wimpern waren beständig niedergeschlagen, der Mund fest verschlossen, und sie trugen deshalb kein Taschentuch, weil eines von schwarzer Farbe leider noch nie dagewesen war. – Mit vieler Indiskretion versicherten dagegen ein paar naseweise Kammerjunker, die alte Obersthofmeisterin bediene sich bei dergleichen Veranlassungen sogar eines Trauerkorsetts. – Bei den Herren sah man die allgemeine Trauer nur an den schwarzen Handschuhen und einem leichten Flor um den Arm, denn der schwarze Frack erleidet ja keine Veränderung und ist beständig eher ein Gewand der Trauer als der Freude zu nennen. Wohlthuend waren die zahlreichen glänzenden Uniformen zwischen den vielen schwarzgekleideten Herren und Damen.

Wenige Minuten vor sechs Uhr öffnete sich die Thür, welche zu den inneren Gemächern der Prinzessin führte, und als diese heraustrat, hinter ihr Se• Hoheit der Regent, verstummten die flüsternd geführten Gespräche, und man hörte nichts als das Rauschen der Damenkleider bei der allgemeinen tiefen Verbeugung, die nun erfolgte, sowie das leichte Klirren der Sporen, wenn sich die Absätze der Offiziere vorschriftsmäßig zusammenfanden.

Die Prinzessin Elise war eine ganz eigentümliche Erscheinung. Bei einer Prinzessin ist das Alter nicht gut zu verschweigen; der offiziell indiskrete gothaische genealogische Kalender sorgt schon dafür, daß uns die Geburtstage sämtlicher höchsten und allerhöchsten Damen nicht verborgen bleiben; er entdeckt uns also auch, daß die Prinzessin Elise sechsundzwanzig Jahre alt war. Ihre Gestalt mußte man klein nennen. Sie war zierlich gewachsen, hatte eine tadellose Taille und eine reizende Art, ihren Kopf auf den Schultern zu tragen. Dieser Kopf besaß volle blonde Haare, die leicht und graziös koiffiert waren, und zeigte ein Gesicht, von dem man im ersten Augenblicke nicht wußte, fühlte man sich von ihm angezogen oder abgestoßen. Die Prinzessin war keine Schönheit; sie hatte nicht einmal regelmäßige Züge, aber die Augen glänzten voll Geist, und unter der kleinen fast stumpfen Nase sah man einen Mund, der wie zum Lachen erschaffen schien, und wenn er lachte, kleine, aber blendend weiße Zähne zeigte.

Hatte man sich aber an das Gesicht der Prinzessin einmal gewöhnt, so fand man es anziehend und reizend, namentlich durch die Zartheit der einzelnen Partien, besonders aber durch die Fülle von Geist und – Bosheit, die aus den dunkelblauen Augen leuchtete. Und dieser Ausdruck der Bosheit – wohlverstanden im guten Sinne, man könnte also sagen: der Schelmerei – verriet das Innere der Dame. Dabei hinkte sie ein wenig, und gerade dieser Fehler war es, der ihrer ganzen Figur etwas außerordentlich Pikantes verlieh, denn sie wußte das durch ein eigentümliches Hin- und Herwiegen ihres kleinen Körpers so geschickt zu verbergen, sie wandte sich im Gespräch so rasch bald rechts, bald links, und dabei schossen ihre Augen so durchdringende Strahlen nach allen Seiten, daß man von der ganzen Erscheinung überrascht, ja geblendet war.

Im Vertrauen sagten sich die älteren Herren des Hofes, daß die Prinzessin ein lebhafter, allerliebster, kleiner Kobold sei; daß niemand so leidenschaftlich und mit so vielem Geschick intrigiere wie sie, und daß es ihre größte Lust sei, Land und Leute, um uns eines gewöhnlichen Ausdrucks zu bedienen, hintereinander zu bringen. Jüngere Männer, die vielleicht zu tief in dies glänzende Auge geblickt, oder die sich von dem Geist der Prinzessin mächtig angezogen fühlten, versicherten seufzend, sie sei wie der kleine boshafte Gott Amor, der seine Pfeile nach allen Richtungen hin verschieße, um sich hernach über das Übel, das er angerichtet, lustig zu machen.


 << zurück weiter >>