F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Herr Krimpf betrachtete die Arbeit, die vor ihm lag, so angelegentlich, als habe er in der ganzen Welt für sonst gar nichts Sinn. Er nahm aufs gleichmütigste einen anderen Pinsel und suchte lange nach einem schönen Blau, um das Kleid der Dame, die er eben retouchierte, zu lasieren, und erst als er fand, daß die gesuchte Farbe passend war, nickte er befriedigt mit dem Kopfe und warf dann leicht hin:

»Ich muß selbst gestehen, daß Mamsell Rosa auf der Straße in der That keinem eine Veranlassung gibt, sich um sie zu bekümmern oder ihr nachzugehen.«

Hätte er das »auf der Straße« nicht so hoch betont! Aber er that es und so stark, daß selbst die alte Frau ihren Kopf schüttelte und ihr Sohn nicht unterlassen konnte, zu entgegnen: »Krimpf, Ihr habt so ausdrucksvoll gesagt, Rosa gebe auf der Straße keine Veranlassung, daß man ihr nachsehe und sich um sie bekümmere, sie betrage sich auf der Straße nicht auffallend! Also vielleicht sonstwo, wenn auch gerade nicht auf der Straße?«

Herr Krimpf zuckte abermals mit den Achseln, spitzte seinen Mund und hielt den Nagel des Daumens seiner rechten Hand gegen das Licht, um eine gemischte Farbe zu betrachten, die er darauf gesetzt hatte, während er sagte: »Seht, lieber Böhler, das ist das alte Kapitel. da brauch' ich nur ein unschuldiges Wort zu sagen, daran klammert Ihr Euch, setzt mir sozusagen die Pistole auf die Brust, und wenn ich mir dann erlaube, irgend eine Bemerkung fallen zu lassen, so heißt es, ich suche Streit und Unfrieden.«

Die alte Frau winkte ihrem Sohne mit den Augen, das Gespräch fallen zu lassen, doch schien dieser es nicht bemerken zu wollen, und man sah deutlich, daß er sich in einer großen Aufregung befand, der er sich vergeblich bemühte, Herr zu werden. Sein Auge glänzte, und eine flammende Röte lag auf seinem Gesichte, während er die Lippen heftig zusammenpreßte.

»Ich wollte nämlich sagen,« fuhr Herr Krimpf gleichmütig fort –

»O, sagt lieber gar nichts,« unterbrach ihn rasch die alte Frau. »Kann es Euch denn eine Freude machen, meinen Sohn mit Sachen zu alterieren, von denen Ihr selbst am besten wißt, daß sie nur in Eurem Kopfe entstanden sind?«

Es war ein eigentümliches, fast süßes Lächeln, mit dem der Maler jetzt zu der alten Frau hinübersah. Es war ein Lächeln, welches sagen zu wollen schien: Gute, arglose Seele, wie bedaure ich dich aus dem Grunde meines ehrlichen Herzens! Dann zuckte seine rechte Hand nach dem Munde empor, und seine Finger berührten diesen leicht, als wollte er sich selbst Stillschweigen auferlegen, worauf der Pinsel auf dem Papiere wieder gleichförmig feine Linien beschrieb.

»Nein, nein, er soll reden!« sagte bestimmt der Photograph; »aber er soll mit geraden Worten reden. Krimpf, ich halte große Stücke auf Euch; nur in diesem einen Punkte geht Ihr nicht ehrlich mit mir um. Ich weiß wohl, was Ihr wollt. Ihr könnt mir keine Thatsachen berichten. Ihr habt nur böse Bemerkungen gegen das Mädchen, und doch könnt Ihr mir glauben, Krimpf, daß ich Euch in der That sogar dankbar wäre – wenn – . « Das letzte sagte er mit unsicherer gepreßter Stimme, wie jemand, der sich vor seinen eigenen Worten scheut; auch war er nicht im stande, den Satz zu vollenden.

»Laß dir doch keine Grillen in den Kopf setzen,« sprach die alte Frau; »du weißt ja, was er dir sagen will. Gott der Gerechte! Und wenn sie hier und da auch einmal einen Blick hinüberwirft nach dem Fenster des großen Hauses, was thut so ein Blick? Habe ich in meiner Jugend doch auch meine Augen nicht immer zugeschlossen und bin doch eine brave Hausfrau geworden, das kann ich mir wohl nachsagen. – Ach was, so ein Blick!«

»Es liegt ein großer Unterschied in der Art, wie man Blicke sendet,« meinte Herr Krimpf.

»So wollt ihr also sagen, daß Rosa da hinüber Blicke sendet, wie sie sich für ein junges Mädchen nicht ziemen?« fragte Herr Böhler.

»Wie es sich für ein junges Mädchen nicht ziemt, will ich grade nicht sagen, aber,« setzte er langsam und bedächtig hinzu, »wie es sich vielleicht für ein junges Mädchen nicht ziemt, die schon einen Liebsten, sozusagen einen Bräutigam hat, und wie es sich für ein junges Mädchen aus unserem Stande einem Manne jenes Standes gegenüber gewiß nicht paßt.«

»Krimpf,« rief jetzt heftig der Photograph, »entweder, oder! Laßt Eure schlimmen Reden oder sagt mir gerade heraus, was Ihr denkt und wißt.«

»Bosheiten, nichts als Bosheiten,« flüsterte leise die alte Frau.

»Nun?« fuhr ihr Sohn gegen den Maler los, da dieser schwieg.

»O, das ist sehr einfach,« antwortete Krimpf, »und ich sage nie etwas, wozu ich nicht meine Gründe habe. – Es gibt gewisse Stunden im Tage,« fuhr er in so gleichmütigem Tone fort, als begönne er eine Geschichte: Es war einmal ein König, der hatte eine schöne Tochter, – »es gibt gewisse Stunden, wo Mamsell Rosa ihr Fenster öffnet und sich an demselben sehen läßt. – Wißt Ihr, das Fenster ist gerade unter uns, also kann es Euch nicht gelten. Da ans Fenster stellt sie sich, doch ehe sie sich hinstellt, singt sie vorher, und sie hat eine schöne Stimme und kann sehr laut singen. Habt Ihr sie vorhin singen hören?« fragte er mit seinem fatalen, lauernden Lächeln.

»Ja, ich habe sie gehört,« sagte der andere mit fast tonloser Stimme.

»Nun also,« sprach Herr Krimpf mit dem ruhigsten Tone von der Welt weiter, »dann wette ich hundert gegen eins, daß sie sich jetzt am Fenster etwas zu schaffen macht.«

»Und wenn dem so wäre,« mischte sich die alte Frau gereizt in das Gespräch, »wollt Ihr dem jungen Mädchen verbieten, ans Fenster zu treten und frische Luft zu schöpfen?«

»Ich? Ganz und gar nicht. Ich will ihr überhaupt nichts verbieten. O, wenn Ihr nur einmal begreifen wolltet, wie ehrlich ich es mit Euch meine. Nicht wahr, wo ich hier sitze, bin ich nicht im stande, in die Nachbarschaft zu sehen? Das werdet Ihr mir zugeben. Was ich also jetzt sagen will, kann ich nicht vorher gesehen haben. Unserem Hause gegenüber liegt, wie Ihr wißt, das große Palais, das mit seiner Pracht und Herrlichkeit unsere arme dunkle Gasse sozusagen absperrt und uns verhindern will, mit der vornehmen Welt, die dort wohnt, in gar zu nahe Berührung zu kommen. Aber diese vornehme Welt,« fuhr er boshaft fort, »kommt doch zuweilen gern mit uns in Berührung. Also im ersten Stock drüben ist ein Fenster, gerade dem der Frau Witwe Weiher gegenüber; der Gesang ist verstummt, Rosa steht am diesseitigen Fenster und am jenseitigen befindet sich, oder meine Ahnung müßte mich trügen, ein junger Herr, wahrscheinlich im rotseidenen Schlafrock, da es noch früh ist. Er blickt angeblich in unsere schlechte Gasse, vielleicht vermittelst seines Opernglases, vielleicht auch nur so, und treibt allerlei kleine Thorheiten. Er legt die Finger an den Mund, oder drückt ein Blumenbouquet, das er neben sich hat, an die Lippen, fächelt sich vielleicht auch mit seinem Schnupftuche Kühlung zu – – «

Schon bei den ersten Worten, die Herr Krimpf sprach, wollte sich der Photograph hastig erheben, doch legte ihm die alte Frau ihre Hand auf den Arm und ihr Blick bat ihn, ruhig zu bleiben. Als aber der Maler in seiner boshaften Art alle die Einzelheiten berichtete, da ließ es den anderen nicht länger auf seinem Stuhle, er sprang in die Höhe, holte tief und heftig Atem und trat an eine Stelle des Zimmers, wo er das gegenüberliegende Haus ins Auge fassen konnte.

Herr Krimpf blickte nicht einmal zu ihm empor, vielmehr malte er ruhig an seinem Bilde und sagte nach einer Pause: »Hab' ich recht oder unrecht?«

Auch Frau Böhler war hinter ihren Sohn getreten, und das sonst so wohlwollende Gesicht der alten Frau hatte sich finster überzogen. Daß jemand drüben am Fenster war, darin hatte der Maler allerdings recht; und wenn der geneigte Leser mit uns hinüberschauen will, so bemerkt er einen der Fensterflügel im ersten Stock geöffnet; an demselben steht ein Fauteuil, und auf diesem ruht ein junger Mann in rotem Schlafrock, der den Arm auf die Brüstung gestützt hat, den Kopf in die Hand gelegt, und zwar so, daß der Zeigefinger derselben an seinen Lippen ruht. Der junge Mann am Fenster hat sein blondes Haar glatt an den Kopf gestrichen, Kinn und Wangen sind sorgfältig rasiert, den feinen Mund hat er lächelnd zusammengezogen, und die lebhaften Augen fixieren sich scharf auf einen Punkt ihm gegenüber. Der junge Mann im Schlafrock ist unser Bekannter, der Kammerherr von Wenden, der sich in seinem Hausarrest außerordentlich langweilt und sehr vergnügt zu sein scheint, in der Nachbarschaft ein vorübergehendes Amüsement gefunden zu haben.


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