F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Nachdem Herr Krimpf dies bei sich überlegt, schmunzelte er vergnügt in sich hinein, wenn er an das vortreffliche Souper dachte, welches er gestern abend eingenommen, und an den guten Wein, der ihm gar keine Kopfschmerzen verursacht. Er stäubte seine Stiefel provisorisch mit einer Kleiderbürste ab, schlenkerte die Hosen hin und her, um sie von dem Staub zu befreien, und nachdem er beides angezogen, machte er mit einer Handvoll Wasser seine übrige Toilette, zog Weste und Rock an und begab sich in das Atelier hinab.

Frau Böhler hatte ihm seinen Kaffee aufgehoben, der Photograph aber war ausgegangen, um eine fertig gewordene Arbeit dem Besteller zu überbringen. Da zwischen der alten Frau und dem kleinen Maler nie ein besonders gutes Einverständnis geherrscht, so war es nicht auffallend, daß beide außer dem herkömmlichen »Guten Morgen« nichts weiter miteinander redeten. Frau Böhler ging in ihre Küche, und da keine dringende Arbeit vorhanden war, nahm Herr Krimpf seinen Hut, um etwas frische Luft zu schöpfen. Er stieg langsam die Treppen hinab, und nachdem er einen Augenblick überlegt, klopfte er an der Thür von der Wohnung der Frau Witwe Weiher. Auf ein lautes »Herein!« der alten Frau öffnete Herr Krimpf, und ein einziger Blick in das geräumige Zimmer belehrte ihn, daß Rosa ausgegangen sei. Ihre Mutter saß am Tische neben dem Ofen und schälte Kartoffeln.

Der kleine Maler nickte ihr freundlich mit dem Kopfe zu, und dann ließ er sich faul und nachlässig, wie jemand, der außerordentlich viel Zeit übrig hat, auf einen Stuhl, der alten Frau gegenüber, nieder. »Immer fleißig?« fragte er alsdann gähnend.

»Man muß wohl!« meinte Madame Weiher. »Wer nichts schafft, hat nichts zu essen, oder es muß einem so gut gehen, wie Euch.«

»Daß sich Gott erbarm',« entgegnete Herr Krimpf, und seine weißen Finger zuckten nach seinem Haar. »Uns gut gehen! Davon hab' ich lange nichts mehr gemerkt. Ihr habt doch was, wenn Ihr arbeitet, wir aber da oben – na, na, man muß sein Geschäft nicht verachten.«

»So, so? Es geht wieder einmal gar nicht?« fragte neugierig die alte Frau, wobei sie Kartoffeln und Messer in den Schoß fallen ließ. »Ja, ich hab' es immer gesagt, die Künstlerschaft, 's ist doch nichts dahinter. Und nun gar das Photographieren, da warten zu müssen, wie die Spinne in ihrem Netz, bis einmal eine unglückliche Fliege sich hinein verirrt!«

»Es ist ein trauriges Geschäft,« erwiderte Herr Krimpf mit sehr ernster Miene. »Ich werde es auch nächstens aufstecken und mich wieder vollständig der Malerei zuwenden. Die vielen Auslagen bei dem Photographieren! Und macht man wirklich was Hübsches, so meinen die Leute, sie müßten es geschenkt haben.«

Frau Weiher nickte mit dem Kopfe, indem sie eifrig wieder anfing, ihre Kartoffeln zu schälen.

»Das habe ich der Rosa schon tausendmal gesagt,« sprach sie nach einer kleinen Weile. »Da ist vorn und hinten nichts; da heißt es immer: warten und warten. Ja, und bei dem Warten wird man alt, und was hat so ein armes Mädchen, wenn einmal die erste Jugendfrische vorüber ist?«

»Aussicht auf ihren Bräutigam, unseren Herrn Böhler!« lachte boshaft der kleine Maler.

»Aussicht auf gar nichts,« fuhr die Frau fort; »und damit verschlägt sich das Mädchen andere ordentliche Partien.«

»Ja, ja, es ist eigentlich sonderbar,« meinte nachdenklich Herr Krimpf. »Die meisten Freundinnen Rosas haben sich schon verheiratet. Da ist die Anna Korn und die Christiane Ringel, und wie ich gestern hörte, soll es auch jetzt mit der Emma Schwertel losgehen.«

»Mit ihrem Lieutenant?« fragte überrascht die alte Frau.

»Mit ihrem Lieutenant, der daneben ein reicher Baron ist,« bekräftigte der kleine Maler, wobei er schlau nach der Frau hinüberblinzelte, um zu sehen, welchen Eindruck diese Nachricht auf sie mache.

Die Mutter Rosas saß kopfschüttelnd da, und da sie gedankenvoll zum Fenster hinausblickte, so hatten die Kartoffeln wieder einen Augenblick Ruhe.

»Die Emma Schwertel!« sprach sie achselzuckend. »Kann die sich wohl mit meiner Tochter messen? Und hat gar keine Familie, die sich sehen lassen darf! Der alte Weiher aber war Amtsdiener und mein Bruder ist Stadtrat. Und der Lieutenant hat wirklich ehrliche Absichten?«

»Sie wird Baronin,« behauptete Herr Krimpf mit bestimmtem Tone; dann erhob er sich langsam und setzte hinzu: »Aber das muß man auch der alten Schwertel nachsagen, einen Geist hat die Frau und immer die Hand fest darauf gehalten! Dann ist die Emma selbst ein verständiges Mädchen.«

»Nun, was das anbelangt, so wollen wir lieber sagen, sie hat mehr Glück als Verstand; denn mit einem Lieutenant anbandeln, das führt gewöhnlich zu etwas anderem als zur Baronin. Wenn die Rosa hätte Lieutenants haben wollen, so würde das Haus hier wie eine Kaserne aussehen. Aber nichts für ungut, Krimpf,« fuhr die Frau fort, indem sie außerordentlich dicke Schalen von ihren Kartoffeln herunterschnitt. »Ihr könnt es droben wieder erzählen oder nicht: ich werde nächstens einmal ein vernünftiges Wort mit Herrn Böhler sprechen. Die Geschichte fängt an, mir langweilig zu werden. Und darin muß es klar werden. So eine ewige Brautschaft ist das Hinderlichste, was einem Mädchen passieren kann.«

»Wo ist denn die Rosa?« fragte Herr Krimpf süß lächelnd.

»Sie trägt einige Arbeiten in die Handlung. Ich versichere Euch, das Mädchen ist fleißig und geschickt, daß sie ganz gut von dem leben könnte, was sie verdient. – Ja, ja, die Sache muß klar werden.«

Damit erhob sie sich ebenfalls, schüttete die Kartoffeln in eine Schüssel und trat einen Augenblick ans Fenster, um nach dem gegenüberliegenden Hause zu schauen. Dort war wie gewöhnlich in letzter Zeit das eine Fenster offen; an demselben stand der kleine Fauteuil, und auf dem Gesimse lag der unvermeidliche Blumenstrauß.

Herr Krimpf blickte auch hinüber und lächelte still in sich hinein.

»Der wär' mir auch lieber,« sagte er hierauf, »als der Emma Schwertel ihr Lieutenant.«

»Habt Ihr was über den da gehört, Krimpf?« fragte die Frau.

»O ja, gehört manches; und was ich gehört, muß wahr sein, denn ich habe es von einem seiner guten Freunde. Der Herr da drüben hat sich so in die Rosa verliebt, daß ihm alles daran gelegen ist, das Mädchen einmal sprechen zu können.«

»Sprechen?« fragte mißtrauisch die alte Frau.

»Nun ja, hier in ihrer Wohnung. Daran wird doch wohl nichts Schlimmes sein?«

»Krimpf, Krimpf! Das sind gefährliche Sachen! Denkt nur an unsere Nachbarschaft und an da oben.!«

»Es fällt mir auch nicht ein, Euch dazu zu raten. Ich sage nur, was ich gehört. Gott soll mich bewahren, daß ich mich in so was hinein mische. Aber so viel muß ich hinzusetzen, der da drüben soll ein sehr geordneter Herr und außerordentlich reich sein.«

Die alte Frau sann einen Augenblick nach, dann sagte sie wie zu sich selber:

»Im Grunde kann ich niemand verbieten, in unsere Wohnung zu kommen, wenn er irgend etwas kaufen oder bestellen will.«

Herr Krimpf war ebenfalls nachdenklich geworden und wiederholte ebenso mit leiserer Stimme als zuvor:

»Ja, das kann man freilich niemand verbieten! Und dann ist die Rosa ein gescheites Mädchen und weiß schon, was sie zu thun und zu lassen hat. – So, jetzt hab' ich Euch guten Morgen gesagt, grüßt mir Eure Tochter freundlich, und wenn ich Euch einen guten Rat geben darf, so glaubt mir, es ist besser, wenn Ihr von dem da drüben nichts zu ihr sagt.«

Herr Krimpf hätte eigentlich nicht nötig gehabt, der Mutter diesen Rat zu geben, denn sie war ohnedies entschlossen, ihrer Tochter die gute Partie der Emma Schwertel vor Augen zu halten und sie zur Klugheit zu ermahnen.


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