F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Als die Flut seiner wilden Phantasie vorüber war und die Ebbe der Überlegung eintrat, fielen seine Blicke wieder auf den fremden Mann ihm gegenüber, der leicht mit den Fingern das Glas gefaßt hatte, ruhig an die Decke blickend rauchte und sich um die ganze Welt nicht zu kümmern schien. Die Uhr der Gaststube pickte vernehmlich, und Herr Krimpf dachte, vielleicht habe er sich doch geirrt, und das Zusammentreffen mit seinem freundlichen Wirte sei ein zufälliges. Dann aber kam es ihm wieder in den Sinn, daß bei Hofe zwei Parteien seien, die des Regenten, und die andere der Prinzessin Elise. – Der letzteren diente er, zur ersteren gehörte vielleicht sein Gegenüber. Konnte nicht sein Besuch im Schlosse bemerkt worden sein? Als Krimpf an seine Porträts dachte, faßte er mit der Hand an seine Brusttasche, worin er die Blätter aufbewahrt hatte, eine Bewegung, die dem Major nicht entging.

Dieser hatte indessen Zeit zur Überlegung gehabt. Obschon es nicht so leicht schien, den Gegner zu überrumpeln, so beschloß er, ihm doch, wenn auch nur mit einem Scheinangriffe, geradezu auf den Leib zu gehen. Er drehte mit der Hand seinen langen schwarzen Schnurrbart und sah den kleinen Maler so herausfordernd und lächelnd an, daß dieser ebenfalls nicht umhin konnte, ihn mit einem langen, freundlichen Blick zu betrachten. Da schlug das Lächeln des Majors in Lachen über und er sagte mit außerordentlicher Lustigkeit: »Wir spielen da eine hübsche Komödie zusammen. Stoßen wir an und trinken wir unser Glas auf – Ehrlichkeit und Wahrheit, mein lieber Herr – Krimpf.«

Der kleine Maler schrak auf, als habe ihn etwas gestochen. Er war in der That überrascht. Denn er, der sich eingebildet, so sicher im Schatten seiner Niedrigkeit zu stehen, während auf den anderen das volle Licht fiel, erkannte, daß gerade das Gegenteil der Fall war.

»Haben wir also weiter keine Geheimnisse vor einander,« sagte Herr von Fernow aufs Freundlichste. »Sie sind der Mitarbeiter des Photographen Heinrich Böhler, Maler Krimpf, aber wenn ich Offenheit von Ihnen verlange, so muß ich auch dieselbe für Sie haben. So wenig also, wie Sie Herr Maier, heiße ich Müller. Ich bin Major Fernow, Adjutant des Regenten. Bleiben Sie auf Ihrem Platze und ohne Komplimente. Für heute bin ich Herr Müller, dessen Spazierstock Sie retteten.«

»Ganz zufällig rettete, wie er ganz zufällig auf die Fensterbank geraten war,« sagte Herr Krimpf, und ein außergewöhnlicher Zug von Schlauheit flog über seine Züge.

»Und diesem Zufalle verdanke ich das Glück Ihrer angenehmen Gesellschaft. Trinken wir darauf ein Glas.«

Dies geschah, und als Herr Krimpf sein Glas niedersetzte, war es interessant zu sehen, wie ihm das Vergnügen, seinen Gegner endlich zu kennen, aus dem Gesichte strahlte. Dahinter aber blickte aus seinen Zügen die Erwartung der Dinge, die jetzt kommen sollten, und zugleich sah man an seinen fest zusammengekniffenen Lippen, sowie an dem zufriedenen Lächeln seiner Augen, daß er mehr als je entschlossen sei, sich in keiner Weise fangen zu lassen. »Da ich also die Ehre habe, von Ihnen, gnädiger Herr, gekannt zu sein,« sprach er nach einer Pause, »so bitte ich mir zu sagen, womit ich dienen kann; und das soll nach besten Kräften geschehen.«

»Sie sind ein verständiger Mann, Herr Krimpf,« versetzte der andere, »und da Sie nun einmal darauf zu beharren scheinen, ich hätte meinen Stock absichtlich liegen lassen, so will ich Ihnen zugeben, daß es mir allerdings um Ihre Gesellschaft zu thun war! Ich will Ihnen ferner gestehen, daß ich mit Ihnen eine Angelegenheit besprechen möchte, bei der mir Ihre Hilfe von großem Nutzen sein kann.« – Endlich! dachte der kleine Maler. – »Dabei muß ich aber hinzufügen,« fuhr der vorige fort, »daß die Angelegenheit nicht die meinige ist, daß ich im Auftrag eines dritten handle, daß ich aber bevollmächtigt bin, Ihre Hilfe in jeder Hinsicht glänzend zu belohnen.«

Herr Krimpf machte eine tiefe Neigung mit dem Haupte zum Zeichen, daß er vollkommen verstanden habe; während er aber zu gleicher Zeit nochmals mit der Hand leicht über die Brusttasche fuhr und dabei fühlte, wie die Blätter knitterten, blickte er einigermaßen besorgt im Zimmer umher, worin sich die beiden ganz allein befanden.

»Sie arbeiten also,« fing der Major wieder an, nachdem er dem anderen vollkommen Zeit zur Überlegung gelassen, »in der Pfahlgasse, in einem Hause mit vier Stockwerken?«

»Bei meinem Freunde Heinrich Böhler, der ein photographisches Atelier hat.«

»Das Geschäft des letzteren,« entgegnete der Major mit großer Gleichgültigkeit, »ist mir vollkommen einerlei, überhaupt hängt das, was ich von Ihnen wünsche, nicht im geringsten mit Ihrer Kunst zusammen. Sie wohnen in einem Hause, in dem sich noch viele andere Leute befinden.«

»O ja, viele Haushaltungen,« antwortete Herr Krimpf, der wieder anfing, irr zu werden, da sein Gegner ganz von der Fährte, an die er gedacht, abzuweichen schien.

»Nun also,« sprach der Major, »unsere Angelegenheit betrifft eine Sache, bei der ich mich gänzlich Ihrer Diskretion überlassen will und muß; doch glaube ich mich nicht in Ihnen zu täuschen. Sie wohnen, wie schon gesagt, im vierten Stock, – unter Ihnen im dritten sind die Zimmer einer Witwe, die eine einzige und sehr schöne Tochter hat.«

»Ah!« preßte der kleine Maler hervor, und diesmal war sein Erstaunen so wahr und ungekünstelt, daß es dem anderen notwendig auffallen mußte. »Sie sind überrascht, daß ich das weiß,« fuhr Fernow fort, »aber das geht ganz einfach zu. Die Gasse, in welcher Ihr Haus steht, ist durch ein großes Gebäude geschlossen.«

»In dessen erstem Stock,« – fiel ihm Herr Krimpf mit großer Spannung in die Rede, »in dessen erstem Stock – ein Freund von Ihnen wohnt – Herr Baron von Wenden.«

»Ich höre, Sie kennen den Namen, scheinen mir also von der Sache zu wissen.«

»O ja, ich glaube viel davon zu wissen,« entgegnete der kleine Maler, indem er mühsam Atem holte, »sehr viel, unendlich viel.« Dabei knirschte er mit den Zähnen.

»Es ist die Frage, ob wir, das heißt, mein Freund, sich auf Sie verlassen könnte. Ich will damit sagen, ob Sie uns in dieser Angelegenheit behülflich sein wollen. Sie scheinen mir ein Mann von Charakter, von Fähigkeit, auch bin ich überzeugt, daß Sie, wenn Sie nicht geneigt sind, meinen armen Freund zu unterstützen, dies Gespräch als gar nicht stattgefunden betrachten werden. Bitte, überlegen Sie sich das genau.«

Während hierauf Der Major von seinem Wein nippte, goß Herr Krimpf ein volles Glas hinunter und überlegte wirklich lange und eifrig. Ja, ihm war dieser Vorschlag erwünscht, er wollte in dieser Angelegenheit helfen, er wollte das Mädchen kompromittieren, ja, es kam ihm nicht darauf an, sie zu verderben; denn je tiefer sie hinabsank, desto näher kam sie ihm, der ja auch unten im Schlamme des Lebens watete. Freilich ballte er unter dem Tische die Hände, um gleich darauf zuckend damit nach dem Munde zu fahren bei dem Gedanken, daß ein anderer, ein Fremder, ein vornehmer Herr, sich dem wunderbaren Mädchen nähern sollte, sie zu seinem Spielzeug zu machen. Bei dieser Vorstellung schien sein Blut siedend heiß zu werden und es verfinsterte momentan seinen Blick, während er mühsam Atem holte. – Indessen, war für seine Leidenschaft etwas zu hoffen, so konnte es nur auf diesem Wege sein. Was kümmerte es ihn, ob ein anderer ihre Liebe besaß, wer er nur dereinst seine zuckenden Finger um ihre schlanke Taille legen durfte! – Der Wein machte ihm vollends heiß. Die beiden waren schon an der dritten Flasche, und Herr von Fernow hatte mit der größten Vorsicht getrunken.

»Was meinen Sie, Herr Krimpf? Es ist mir recht, daß Sie so sorgfältig überlegen, denn vergessen Sie nicht, so glänzend die Belohnung sein wird, die ich Ihnen für gute Dienste verspreche, so würde es mir in der That leid für Sie thun, wenn Sie versuchten, ein falsches Spiel mit uns zu treiben.«

»Was ich verspreche, halte ich,« sagte der Maler mit dumpfer Stimme, und nachdem er ein paar Sekunden lang die Augen mit seiner rechten Hand bedeckt, fuhr er entschlossen fort: »Befehlen Sie über mich, ich bin der Ihrige; was soll ich thun?«

»Vorderhand nicht viel; Sie werden meine Wohnung am Kastellplatze leicht erfragen können, dort bitte ich Sie, mich morgen um die Mittagsstunde zu besuchen. Sie werden einen Brief erhalten, den Sie dem jungen Mädchen in die Hände spielen. Es kann Ihnen das nicht schwer werden, da Sie, wie ich mir denken kann, Zutritt bei ihr haben.« Herr Krimpf nickte düster mit dem Kopfe. »Begreiflicherweise darf das junge Mädchen nicht wissen, daß der Brief durch Ihre Hände gegangen ist. Sie haben das geschickt einzurichten, daß sie ihn findet, ohne zu vermuten, wer ihn überbracht. – Die Antwort haben Sie dann ebenfalls an mich zu besorgen.«


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