F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Da der Ordonnanzoffizier einmal saß, so mußte er sich aus dem Getränke der Bowle ein kleines Glas auffüllen lassen, woran er auch zur großen Zufriedenheit des Kammerdieners nippte. – Dieser sah auf die Uhr und sagte:

»Wir haben vollkommen Zeit; noch eine gute halbe Stunde, und auch dann werden Sie in dem großen Saale dort oben noch lange genug warten müssen. So ist es denn doch offenbar besser, wir warten hier unten, als da oben. Zu lange dürfen wir uns dagegen auch nicht aufhalten, denn man weiß nie, was passieren kann. Unter uns gesagt, Herr von Fernow, mich freut es außerordentlich, daß Sie gerade im Vorzimmer waren und zufällig ins Kabinett seiner Hoheit traten. Das sind Augenblicke, die zu viel Gutem führen können.«

»Augenblicke des Glücks,« sagte lachend der Offizier.

»Gewiß, Augenblicke des Glücks,« fuhr Herr Kindermann wohlgefällig lächelnd fort; »aber in der That, es freut mich gerade für Sie. Ich habe den Papa sehr wohl gekannt; Seine Exzellenz waren ein scharmanter und liebenswürdiger Herr. und umgänglich, Herr von Fernow, sehr umgänglich. Ich kann Sie versichern, Seine Exzellenz traten nie in dies kleine Vorzimmer, ohne zu mir zu sprechen: »Herr Kindermann, wie geht's Ihnen?« oder: »Herr Kindermann, wie haben wir geschlafen?« Und ich versichere Sie, das Wir war ein Akt der Vertraulichkeit, den ich wohl zu würdigen verstand. Unter dem Wir meinte Ihr Papa auch noch was anderes. Ebenso wenn er fragte: »Herr Kindermann, was haben wir heute für Wetter?« Damit meinte er nicht, ob es draußen regnete oder ob die Sonne schien, sondern er wollte wissen, ob sonstwo der Himmel klar oder stürmisch sei. Und dabei kann ich Sie versichern, daß ich Seiner Exzellenz in diesem Punkte immer die besten Andeutungen gab. Gewiß, Seiner Exzellenz, Ihrem Herrn Papa, habe ich nie falsch berichtet.«

»Und sonst kam es Ihnen nicht darauf an, Herr Kindermann, vielleicht hier und da ein falscher Wetterprophet zu sein?«

Herr Kindermann hatte sein Glas ergriffen, schielte, ehe er es zum Munde führte, mit einem unaussprechlichen Lächeln nach dem Lichte hin, nahm einen tüchtigen Zug und antwortete:

»Es gibt ein altes Sprichwort: »Wie man in den Wald hineinschreit, so hallt es heraus«; und ich kann Sie versichern, Herr von Fernow, es gibt an jedem Hofe unbedachtsame Leute, die einen Kammerdiener des regierenden Herrn nur wie ein Ding betrachten, wie eine Sache, gut genug, um anzumelden und die Thür zu öffnen. Und das ist doch eine sehr unrichtige Auffassung unserer Stellung.«

»Allerdings eine unverantwortliche Auffassung.«

»Freilich sitze ich weder im Staatsrate, noch habe ich Stimme im Ministerium,« fuhr Herr Kindermann leise schmunzelnd fort; »dagegen aber,« setzte er mit großem Selbstgefühl hinzu, während er leicht seine weiße Halsbinde strich, »dagegen bin ich es, der Seine Hoheit in unbewachten Augenblicken sieht, der Höchstdemselben die Halsbinde knüpft, ihm den Säbel umschnallt und der ihm vor allen Dingen Parfüm auf das Sacktuch träufelt. – Sie sehen mich erstaunt an, Herr von Fernow; aber ich bin gegen Sie ungeheuer offenherzig, schon dem Andenken an den Papa zuliebe; und ich versichere Sie, die drei soeben genannten Verrichtungen, namentlich die letztere, sind für mich von der größten Wichtigkeit. Verstehen wir uns recht. Es ist da irgend etwas los, worüber ich gar zu gern die Meinung Seiner Hoheit hören möchte. Nun ist es mir aber um alles in der Welt nicht erlaubt, den Herrn geradezu anzureden. Ich knüpfe also die Halsbinde ein wenig fester als gewöhnlich; Seine Hoheit sagt vielleicht gar nichts darauf, sondern macht mir ein Zeichen, sie lockerer zu knüpfen. Das ist alsdann schlimm. Seine Hoheit bemerkt aber auch vielleicht: »Kindermann, wir sind heute aber auch verdammt ungeschickt.« Das ist schon ermutigender, und ich seufze dagegen und spreche: »Ja, es ist wahr, Euer Hoheit, wir sind zuweilen recht ungeschickt.« – Ist das heraus, so wette ich zehn gegen eins, der Herzog fängt an zu lachen und sagt z•B•: »Nun, Kindermann, das Wir bitte ich mir aus!« – Sehen Sie, Herr von Fernow, dann habe ich gewonnenes Spiel: Es ist dann gerade so, als wenn man eine Mühle aufzieht. Zuerst dreht sich das Rad widerstrebend, ist es aber einmal im Gange, so können Sie mir glauben, daß Kindermann sein Korn zu mahlen versteht, wie irgend ein anderer.«

»Das ist wirklich ganz erstaunlich,« sagte lachend der Ordonnanzoffizier, »und ich werde mir von Ihren Andeutungen einiges zu nutze machen.«

Herr Kindermann hatte abermals einen tüchtigen Schluck seines vortrefflichen Ananaspunsches zu sich genommen und fuhr dann fort:

»Oftmals aber nützt mir weder Halsbinde noch Säbel. Was den letzteren anbelangt, so wähle ich nämlich in gewissen Fällen einen, der Seiner Hoheit nicht konveniert. Heißt es nun kurz und barsch: Einen anderen! so wird ganz einfach das Taschentuch mit Eßbouquet beträufelt. Seine Hoheit ziehen nämlich Eau de Cologne vor. Das ist jedoch mein letztes verzweifeltes Mittel und wird in der That nur bei großen Angelegenheiten angewandt. Sie wissen selbst, Herr von Fernow, daß nichts so sehr die Erinnerung an etwas aufs lebhafteste zurückruft, als der Duft irgend einer Pflanze, eines Parfüms. Wir haben das ja alle erfahren. Riechen wir im Frühjahr das erste Heu, so überfällt uns ordentlich wehmütig der Gedanke an die Jugendzeit, wo wir die Schule schwänzten, um im Freien herumzulaufen. – Nun überkommt aber den Regenten eine ganz eigentümliche Erinnerung, – das Nähere gehört nicht hierher – wenn Höchstdieselben Eßbouquet riechen. Das stimmt Seine Hoheit weich und macht ihn nachdenklich; ja, er kann sich dabei so in seine Phantasien vertiefen, daß ich nur etwas laut zu husten brauche, um gefragt zu werden: »Was haben Sie gesagt, Kindermann?« Und wenn man gefragt wird, so darf man antworten. – Aber Sie trinken gar nicht von diesem wirklich kostbaren Punsche, Herr von Fernow! Thun Sie das ja! Die Nachtluft ist kühl, und droben in den Sälen ist es um diese Zeit gar nicht behaglich.«

Bei diesen aufmunternden Worten hatte der Kammerdiener sein Glas zwischen beide Hände genommen, drehte es hin und her und erfreute sich sanft lächelnd an den kleinen Ringeln, die sich in der goldgelben Flüssigkeit zeigten; auch roch er daran, ehe er abermals trank..

»Es freut mich in der That, Herr Kindermann,« unterbrach der Ordonnanzoffizier die Stille, »daß Sie sich meines Vaters auf so angenehme Art erinnern, es geht nicht allen Leuten so.«

»Weiß wohl, weiß wohl,« entgegnete der Kammerdiener; »Sie müßten lange Major sein und Adjutant, und deshalb ist es gerade gut, daß Sie heute abend Seine Hoheit im Vertrauen gesprochen. Wir werden schon darauf zurückkommen. – Apropos,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »etwas anderes in Ihren Angelegenheiten hätte ich mir nicht so stillschweigend gefallen lassen.«

»Und das ist?« fragte eifrig und aufmerksam der andere, denn er ahnte schon, was kommen würde.

»Nun, die Verlobung, die wir heute gefeiert haben. Ah! das ist ja ein Skandal, und ich werde mich der Sache ganz besonders annehmen.«

»Wenn das was helfen könnte, würde ich Ihnen zu großem Danke verpflichtet sein.«

»Was helfen könnte? – Es ist freilich schon spät! der Karren ist schon ziemlich verfahren.«

»Und Ihre wichtige Hilfe vielleicht schon unnütz; denn wer kann wissen, ob das Fräulein nicht mit der Partie einverstanden ist?«

»Den Teufel auch! das kann ich wissen,« rief Herr Kindermann, und es hatte fast den Anschein, als wolle sein Gesicht für einen Augenblick ernst werden; doch überwand er diese Abnormität, und seine Augen strahlten fort und fort in ihrem angenehmen Lächeln, während er sagte: »Das Fräulein ist untröstlich, und es hat schon ganz absonderliche Szenen gegeben. Da hätten Sie energischer auftreten oder sich dem alten Kindermann anvertrauen sollen; der hat schon manchen guten Rat gegeben, das kann ich Sie versichern.«

»Davon bin ich fest überzeugt,« erwiderte Herr von Fernow, »und wenn ich noch jetzt und recht dringend darum bäte?«

Der Kammerdiener schüttelte seinen Kopf und gab nach einer Pause zur Antwort:

»Vorderhand muß man den Faden laufen lassen, aber die Augen offen behalten, und wo sich etwas zeigt, was uns nützen kann, nicht blöde sein und zugreifen. Wenn Sie mich Ihres Vertrauens wert halten,« – und dabei wurde das Lächeln des Herrn Kindermann feierlicher, und er hob seine Nase sehr hoch in die Höhe –, »so haben Sie die Freundlichkeit, mich auf dem Laufenden zu erhalten über das, was Sie in Ihren Angelegenheiten hören und sehen.«


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