F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Hierauf begab sich der Photograph mit der geschlossenen Kapsel in die dunkle Kammer, um das Porträt hervorzurufen und zu fixieren. Es schien außerordentlich gelungen, und nachdem die Glasplatte mit Wasser abgespült war, brachte er sie den beiden Herren zur Ansicht. Allerdings war das Porträt scharf und gut gekommen, nur wunderte sich der fremde Herr, ja er erschrak fast einigermaßen darüber, daß er auf dem negativen Bilde natürlicherweise mit schneeweißem Haar, eben solchem Bart, dagegen mit fast schwarzem Gesicht, einem sehr bejahrten Mohren nicht unähnlich, erschien.

»Unser photographischer Freund dorten,« sagte er, nachdem er sein Porträt eine Zeitlang betrachtet, »erklärt das Bild für gelungen; also ist das Licht vollkommen günstig, weshalb Sie sich jetzt ebenfalls hinsetzen müssen, bester Baron; ich verlange das als einen Beweis der Freundschaft, und werde Ihr Bild gern mit mir nehmen.«

»Es wäre mir wahrhaftig im Schlafe nicht eingefallen,« entgegnete der andere, »mich photographieren zu lassen; aber nach der schmeichelhaften Aufforderung von Ihnen, gnädiger Herr, kann ich nicht umhin, mich preiszugeben. Eigentlich scheue ich die ganze Photographie; es ist etwas Unheimliches dabei, und ich kann es mir nicht anders denken, als daß sich doch etwas von dem Darzustellenden selber auf der Glastafel niederschlägt.«

»Natürlicherweise, ich habe es auch nie anders angesehen,« sprach der schlanke Herr, »und eben deshalb wird Ihr Porträt, von dem wir einen doppelten Abdruck machen werden, an gewissen Orten außerordentlich willkommen sein.« Inzwischen hatte sich Baron Rigoll auf den verhängnisvollen Stuhl gesetzt, nahm aber nicht die leichte und graziöse Stellung ein, wie sein Vorgänger. Der Photograph mußte länger nachrichten, ihm Arme und Hände zurecht rücken, namentlich aber seinen Blick fixieren, damit derselbe nicht gar zu geschraubt und unnatürlich käme. – Übrigens gingen die zwölf Sekunden ebenfalls ohne Anstand vorüber, das Bild wurde hervorgerufen und genügend befunden.

»Gott sei Dank!« sagte der Baron, als er von seinem Sitze aufsprang, »das wäre geschehen. Jetzt sind wir wohl fertig?« wandte er sich an den Photographen.

Dieser machte seine tiefe Verbeugung, dann fragte er, wie viele Abdrücke er herrichten solle. – Der große schlanke Herr warf dem anderen einen bedeutsamen Blick zu, worauf sich Baron Rigoll bestrebte, eine ernste und würdevolle Haltung anzunehmen. Auch ließ er von seinem beweglichen Wesen ab und stellte sich dicht vor den Photographen hin.

»Wer wir sind, wird Sie nicht interessieren, aber ich bitte Sie auch dringend« – sprach er in scharfem Tone – »jedwede Nachforschung danach zu unterlassen. Von jedem der beiden Porträts werden zwei Abdrücke gemacht, dann wird die Glastafel vernichtet. Haben Sie mich verstanden? – Wohl. – Diese Abdrücke werde ich holen lassen, vielleicht übermorgen, wenn sie alsdann fertig sind.«

Herr Böhler machte ein Zeichen der Zustimmung.

»Also übermorgen bitte ich sie demselben Bedienten, der vorhin da war, wohl verpackt und versiegelt zu übergeben, ihm auch den Preis zu bestimmen und sich darin durchaus nicht zu genieren. Befolgen Sie unsere Wünsche pünktlich, so wird es Ihr Schaden nicht sein, und werden wir in einiger Zeit Veranlassung finden, Ihrer Arbeiten, wenn sie es verdienen, lobend zu erwähnen und Ihnen so vielleicht eine gute Kundschaft zuzuwenden. – Noch eins, ehe wir gehen. Eine Dame meiner Bekanntschaft ist geneigt, sich bei Ihnen photographieren zu lassen, nur wünscht sie eine Ihrer Arbeiten zu sehen. Könnten Sie mir wohl zu diesem Zweck einen Abdruck des Bildnisses jenes jungen Mädchens dort überlassen? Ich erlaube mir, Ihnen zu bemerken,« fuhr der Baron fort, als er sah, daß ihn der junge Mann mißtrauisch anschaute, ohne eine Antwort zu geben, »daß damit in keiner Weise Mißbrauch getrieben werden soll; ja, ich glaube Ihnen versprechen zu können, daß das Original des Bildes es nie erfahren wird, daß diese Photographie irgendwo gezeigt worden ist; denn die Dame, bei der dies geschehen soll,« setzte er lächelnd hinzu, »bewegt sich in einer ganz anderen Schicht der Gesellschaft.«

Diese Forderung kam Herrn Böhler sehr ungelegen. Es widerstrebte ihm, einen Abdruck von dem Bilde Rosas aus der Hand zu geben, namentlich an Leute, von denen er nicht wußte, wer sie waren, und was sie möglicherweise für Absichten mit der Photographie haben konnten. Daß Eifersucht dabei im Spiele war, verstand sich von selbst. – Ahnte vielleicht der Baron den Grund der schweigenden Weigerung? Wohl möglich, denn er lächelte gegen den Photographen auf eine verbindliche Art, wobei aber jener uns bekannte scheue, fast falsche Zug wieder um seine Lippen erschien; dann war er klug genug, sich mit der freundlichsten Miene gegen die alte Frau umzuwenden, wie um deren Hilfe nachzusuchen, die ihm auch bereitwilligst zu teil wurde.

»Ich kann gar nicht begreifen, Heinrich,« sagte Frau Böhler, »warum du dem Herrn eine dieser Photographien verweigerst. Du kannst das gegen Rosa wohl verantworten, und wenn du es nicht willst, so nehme ich's auf mich. Sei kein Kind,« setzte sie leise hinzu, »auf solche Art machst du dir keine Kundschaft.«

Der Photograph ging noch unentschlossen nach der Ecke des Zimmers, wo sich die große Mappe befand, in der er seine fertigen Arbeiten aufzubewahren pflegte. Als er dabei an dem Fenster vorüberkam und einen Blick hinauswarf auf das gegenüberliegende Haus, wo noch immer das Fenster geöffnet war und wo noch immer der kleine Fauteuil stand, da durchzuckte es ihn aufs neue schmerzlich. Er preßte die Lippen aufeinander, ballte seine rechte Hand krampfhaft zusammen und war nun mit einem Male entschlossen, das Bild herzugeben. Während er die Mappe öffnete, um einen Abdruck hervorzunehmen, hatte Baron Rigoll seine Brieftasche herausgezogen und eine Zehnthalernote auf den Tisch gelegt. Der Photograph hatte es nicht bemerkt, wohl aber Frau Böhler, die sich mit einem tiefen Knix dafür bedankte.

Die Photographie wurde eingerollt, dem Fremden übergeben, und darauf verließen beide Herren in derselben Art, wie sie gekommen, das Zimmer. Als sich die Thür hinter ihnen schloß, drückte der junge Mann beide Hände vor das Gesicht. Er hätte weinen können, denn es war ihm gerade zu Mut, als hätte er mit dem Bilde Rosas ein Stück von seinem Herzen hinweggegeben.

Frau Böhler trat leise auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Sei nicht wie ein Kind, Heinrich; denke daran, was ich dir vorhin gesagt, und sei meiner Ansicht, daß vielleicht in deinem Leben eine Änderung eingetreten ist. Ich weiß nicht, mir kommt der Besuch dieser beiden Herren so bedeutungsvoll vor, und ich möchte darauf schwören, daß derselbe große Folgen hat.«

»Ich fürchte auch, er hat große Folgen,« sprach der Photograph, »und da ich das glaube, so mache ich mir jetzt die bittersten Vorwürfe, das Bild Rosas weggegeben zu haben. Ach, ich that es nur, weil ich an das dachte, was ich heute morgen gesehen. Jetzt aber, wo ich ihr ebenfalls ein Unrecht zugefügt, möchte ich hinab zu ihr, möchte ihr alles sagen und sie um Verzeihung bitten.«

Die alte Frau dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie mit dem Kopfe und entgegnete: »Das ist nun einmal dein weiches Gemüt. Wenn es dir zur Beruhigung dient, zu Rosa hinabzugehen und ihr zu sagen, du habest dich, um vielleicht eine gute Kundschaft zu erhalten, veranlaßt gesehen, ihr Porträt jemand zum Anschauen zu geben, so ist das Mädchen klug genug, dir es nicht übel zu nehmen.«

»Ich wollte, sie wäre nicht klug genug und nähme es mir übel,« seufzte der junge Mann. »Doch, wie das Schicksal will!«

»Das Schicksal will dir wohl, davon bin ich überzeugt,« sagte eifrig die Mutter. »Der kleine Herr mit den lebhaften Bewegungen und den freundlichen Mienen wird dich empfehlen, wo er kann. Auch der andere vielleicht, doch waren seine Worte so feierlich und abgemessen. Er schien sich so um nichts anzunehmen. Daß aber beide vornehme und reiche Herren sind, darauf kannst du dich verlassen. – Du hast noch gar nicht einmal gesehen, was man dir für das Porträt Rosas zurückgelassen. Da sieh, zehn Thaler.«

Der junge Mann erschrak fast, als ihm die Mutter die Banknote hinhielt. Es war ihm schmerzlich, ja, es berührte ihn fast unheimlich, daß er ihr Bild verkauft haben sollte. Daran hatte er nicht gedacht; er war der Ansicht gewesen, der Fremde habe es umsonst von ihm angenommen, er werde es wahrscheinlich sogar zurückschicken. Er schob die Zehnthalernote von sich, worauf die alte Frau sie in ihren Schrank verschloß.

»So werde ich denn einen Augenblick zu Rosa hinuntergehen,« sprach der Photograph nach einem Stillschweigen, während dessen er in tiefen Gedanken zum Fenster hinausgeschaut hatte. Er wandte sich gegen die Thür, blieb aber auf der Schwelle stehen.


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