F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Da erschien der Kammerdiener geräuschlos wie ein Schatten im Zimmer, glitt vor den Fauteuil des Barons und präsentierte ihm auf silbernem Teller ein kleines Briefchen, welches soeben draußen abgegeben worden war. Der Hoflakai, sagte er, warte auf Antwort.

Wenn man gelangweilt ist, so ist die Ankunft jedes Briefes erwünscht; ein Schreiben aber, das ein Hoflakai bringt, der obendrein auf Antwort wartet, gehört zu den interessantesten Erlebnissen eines Kammerherrenlebens. Daß der Baron hastig das Schreiben ergriff, versteht sich von selbst, ebenso, daß er mit Vergnügen die Aufschrift von einer feinen Damenhand sah, und nicht minder, als er auf dem Siegel das herzogliche Wappen erkannte.

Der Kammerdiener zog sich einige Schritte zurück, der Baron rückte die Lampe näher und erbrach in der größten Ehrfurcht das Siegel. Daß der Brief von der Prinzessin Elise kam, hatte er an Schrift und Petschaft erkannt, daß er einen freundlichen Dank enthalte für seine Bereitwilligkeit, ihr unbedingt seine Dienste widmen zu wollen, ahnte er, öffnete aber trotzdem in einiger Aufregung das zierlich zusammengelegte Blatt. »Mein lieber Kammerherr von Wenden,« schrieb die Prinzessin; – die Anrede war gut und vielversprechend, und der Brief selbst mußte seinem Inhalte nach diese Aufschrift wahrhaftig rechtfertigen, ja er mußte interessant und pikant sein; denn das spiegelte sich deutlich in dem seltsamen Gesichtsausdruck, mit dem der Kammerherr das Blatt anstarrte. Auf seinem Gesichte war Überraschung, ja einiges Erschrecken deutlich zu lesen. Er durchlief das Schreiben einmal, zweimal, er las es zum drittenmal. Er schüttelte mit dem Kopfe, er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen und las dann zum viertenmal, um sich zu überzeugen, daß er sich nicht geirrt. – Nein, hier war kein Irrtum möglich; da standen die Worte in den ihm wohlbekannten scharfen und ausdrucksvollen Schriftzügen der Prinzessin, klar und bestimmt, ohne eine andere Deutung zuzulassen, als ihren Willen, den sie aufs klarste ausdrückte.

Die Prinzessin schrieb folgendermaßen: »Mein lieber Kammerherr von Wenden! Durch Baron Rigoll erfuhr ich soeben Ihre freundliche Bereitwilligkeit, mir Ihr Dienste ohne Rückhalt widmen zu wollen. Leider aber sind Sie durch ein ähnliches Anerbieten vor wenigen Tagen in unangenehmen Konflikt mit dem Regenten gekommen, was mir indessen Ihre heute ausgesprochene Bereitwilligkeit nur um so schätzenswerter macht. Hören Sie meinen Wunsch, für dessen pünktliche Erfüllung ich Ihnen aufs dankbarste verpflichtet sein werde. Durch Baron Rigoll erfuhren Sie den Aufenthalt des Herzogs Alfred von D•, sowie dessen Absichten auf meine Hand. Die Unterhandlungen sind soweit gediehen, daß ich nur ein einfaches ja zu sagen brauche, um sie zum Abschluß zu bringen. – Daß sich der Herzog im strengsten Inkognito hier aufhält, liegt in dem Benehmen des Regenten, der sich gegen die projektierte Heirat schon vor einiger Zeit ungünstig auszusprechen beliebte. Ob sich dessen Ansichten geändert, möchte ich auf indirektem Wege erfahren. Deshalb wünsche ich, daß Sie dem Regenten, ihm selbst oder noch besser einem seiner Vertrauten die Mitteilung über alles das machen, was Sie in dieser Angelegenheit, den Herzog und mich betreffend, heute von Baron Rigoll erfuhren, mit einem Worte, und um es Ihnen vollkommen deutlich zu erklären, Sie sollen mein Geheimnis dem Herzog verraten.

Wenn ich Sie zu gleicher Zeit ersuche, dieses Schreiben, nachdem Sie es gelesen, dem Überbringer wohlversiegelt an mich zurückzugeben, so bitte ich, darin kein Zeichen des Mißtrauens zu sehen, sondern mein Begehren den eigentümlichen Verhältnissen zuzuschreiben, in denen wir uns, vor allen aber ich mich hier befinde, und Sie werden dadurch meinen vollkommen gerechtfertigten weiteren Wunsch verstehen, daß meine Zeilen aufs allerstrengste unter uns bleiben. In diesem Falle können Sie auf meine unbegrenzte Dankbarkeit rechnen; im anderen aber, den ich indessen bei Ihnen nicht voraussetze, müßte ich Sie desavouieren und, so leid es mir auch vielleicht thun würde, als erbitterte Feindin verfolgen. Elise.«

Dem Kammerherrn war nach viermaligem Lesen dieses Briefes zu Mute, als befinde er sich in einem schweren Traum, aus dem zu erwachen ihm fast unmöglich wurde. Er griff an seine Stirn, er sah im Zimmer umher, betrachtete Aufschrift und Siegel, aber das blieb unverändert, und wie schon vorhin bemerkt, war der Brief so klar abgefaßt, daß er keiner Mißdeutung unterlag.

»Das ist eine schöne Kommission,« seufzte Herr von Wenden nach längerem Nachdenken. »Teufel auch! warum ersieht sie gerade mich dazu? Wie werde ich Seiner Exzellenz gegenüber bestehen! – O, o, gehe einer vom geraden Wege ab, lasse sich in Intriguen ein, namentlich in Intriguen, die von Weibern eingefädelt und durchgeführt werden, so hat ihn der Teufel nicht nur bei einem Haar, sondern beim ganzen Schopfe.« Er war mißmutig von seinem Fauteuil in die Höhe gesprungen und schritt aufgeregt durch das Zimmer. Vor allen Dingen durfte er die Prinzessin nicht auf Rücksendung des gefährlichen Billets warten lassen; das war im ganzen die ungefährlichste Forderung, und daß sie ein Recht dazu hatte, sah er wohl ein. »Ein Recht?« sprach er lächelnd zu sich selber, »ein Recht, das sich die Großen dieser Erde nehmen, um selbst im Schatten stehen zu bleiben, um uns nach Gutdünken an das Licht stellen zu können. Sei es darum. Vielleicht bin ich diesmal der Ausübung meiner Theorie näher, als damals bei dem Blumenbouquet; vielleicht ist dies ein Augenblick des Glücks.«

Rasch trat er zum Tische, steckte das Billet in ein Couvert, siegelte es sorgfältig schrieb, die Adresse an Ihre Durchlaucht und befahl, als vorsichtiger Mann, den Bedienten eintreten zu lassen.

Es war der ihm und auch uns, geneigte Leser, wohlbekannte Kammerlakai der Prinzessin.

»Wer gab Ihnen den Brief an mich?«

»Ihre Durchlaucht selbst.«

»Um welche Zeit?«

»Es schlug gerade zehn Uhr.«

»Gut, wir haben ein Viertel auf elf, um halb elf muß meine Antwort in den Händen Ihrer Durchlaucht sein.«

»Ich habe Befehl, sie selbst zu übergeben,« entgegnete der Bediente mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung.

»Gut – ich danke Ihnen.«

Herr von Wenden entließ ihn mit einer Handbewegung, und der Kammerlakai zog sich, von dem Kammerdiener begleitet, zurück. Der Baron begann wieder von seinen Gedanken getrieben hastig im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Wenn ich mir die Sache genau überlege,« sprach er nach einer Pause, »erweist mir die Prinzessin mit diesem Auftrage eine ganz besondere Gunst. Es sind das zwei Fliegen mit einem Schlage. Die Dankbarkeit Ihrer Durchlaucht und die Erkenntlichkeit des Regenten, indem man ihn von einem eigentlich gefährlichen Unternehmen in Kenntnis setzt, das ohne sein Vorwissen betrieben wird. Wahrhaftig, es ist mir gerade, als sei ich dem Augenblick des Glücks nahe und brauche diesmal nur zuzugreifen. Die Prinzessin schrieb, sie dem Regenten selbst zu verraten, noch besser aber einem seiner Vertrauten. Mit dem Letzteren bin ich mehr einverstanden. Den Teufel auch, es ist kein kleines Unternehmen, eine Prinzessin des Hauses so geradezu zu verraten und anzuklagen! Da gibt es Kreuz- und Querfragen, da will man Quellen und Beweise, ich kenne das, und dann hat Seine Hoheit der Regent eine so eigentümliche Art bei solchen Veranlassungen seinen großen Bart zu streichen, und die Leute anzusehen, eine Art, die gerade nicht encouragierend ist. Spreche ich aber mit einem Dritten, so kann der am Ende hinzufügen, was er will, was geht das mich an, ich brauche nicht für jedes seiner Worte einzustehen.« – Er hielt in seinem Spaziergange ein, warf sich in den Fauteuil und trank den Rest seines kalt gewordenen Thees. – »Nur der Baron Rigoll macht mir einige Sorge,« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, »Seine Exzellenz sind heftiger Natur. Sie könnten einen Versuch machen, mich sehr hart anzulassen, und den Verrat gegen die Prinzessin, als auch gegen ihn selbst begangen darzustellen. Aber ich kann mich auf nichts berufen. Das ist wahr, – ich darf Seiner Exzellenz gegenüber nicht einmal von dem Befehle Ihrer Durchlaucht sprechen. O! o, die Sache ist in der That verwickelter, als ich gedacht. – Und an wen soll ich mich wenden? Wer ist ein Vertrauter des Regenten, der mir zugleich so befreundet ist, daß ich unumwunden mit ihm reden kann, daß er meine Lage einsieht, und ehrlich für mich handeln wird? – « Er beugte den Kopf in die Hand und blickte eine Zeitlang düster vor sich nieder.

»Wie läßt doch,« fuhr er nach einer Pause fort, »der unübertreffliche Schiller bei einer ähnlichen verwickelten Angelegenheit den hochseligen König Philipp sprechen? – Ich habe wahrhaftig meinen ganzen Schiller vergessen. Doch nein, er sagt: Jetzt gib mir einen Menschen, gute Vorsicht – du hast mir viel gegeben. Schenke mir jetzt einen Menschen – «

In diesem Augenblick hörte man das dumpfe Rollen eines Wagens auf dem Pflaster, der drunten vor dem Hause des Kammerherrn anhielt. Der Kammerdiener, der im Nebenzimmer am Fenster gestanden, meldete durch die Spalte der Thür, es sei ein Hofwagen angefahren, und fragte an, ob der Herr Baron für irgend jemand zu Hause sei.


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