F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Das will ich mit dem größten Vergnügen thun und bin entzückt,« sagte der junge Mann nicht ohne einen Anflug von Schmeichelei, »die für mich wichtige Sache in so guten Händen zu wissen. Nehmen Sie im voraus meinen besten Dank, und seien Sie von meiner beständigen Erkenntlichkeit überzeugt.«

Indem er das sagte, hatte er einen Blick auf die Uhr geworfen und sich erhoben, als er bemerkte, daß der Zeiger auf halb neun wies. Herr Kindermann folgte ruhig und bedachtsam seinem Beispiele, und nachdem er mit einer wahrhaften Feierlichkeit den letzten Rest des Punsches vertilgt, entgegnete er:

»Wie ich Ihnen schon früher bemerkt, Herr von Fernow, bin ich es dem Andenken Ihres Vaters schuldig, für Sie mein möglichstes zu thun. Ich kann Sie versichern, Kindermann vergißt nie eine freundliche Behandlung. Jetzt will ich aber ein bißchen Toilette machen und dann gehen wir.«

Zu diesem Zwecke zog sich der Kammerdiener hinter einen grauen Vorhang zurück, wo sein Bett stand, und als er wieder zum Vorschein kam, war er statt der weißen Pikeejacke mit einem so langen grauen Rocke bekleidet, daß man von seinen weißen Strümpfen nicht das Geringste mehr sah und nur die Spitzen der Schuhe hervorblickten.

Darauf gingen beide miteinander fort.

Statt aber den gewöhnlichen Weg über die Stiegen und die breiten Korridore zu nehmen, gingen sie hinter dem Appartement des Regenten durch eine Thür, die Herr Kindermann öffnete und sorgfältig wieder verschloß, dann eine Wendeltreppe hinauf und kamen oben in einen schmalen Gang, der durch das ganze Schloß lief, dabei weder Fenster noch sonstige Öffnungen hatte und durch Lampen erhellt wurde, die unaufhörlich Tag und Nacht brannten. Diesem Gange folgten sie eine weite Strecke, dann öffnete der Kammerdiener auf der rechten Seite abermals eine kleine Thür, und beide betraten einen Durchgang, durch welchen sie in den uns wohlbekannten großen Saal gelangten, wo die Familienbilder an den Wänden hingen und der unmittelbar neben dem Speisesaal sich befand. Dieser weite Bildersaal lag still, fast unheimlich da, denn obgleich auf zwei Konsolen vor den gewaltigen Spiegeln am unteren und oberen Ende Carcellampen brannten, so waren diese doch nicht im stande, die tiefe Dunkelheit in dem Saale gänzlich zu verdrängen; wenn sie auch an den beiden Enden eine kleine Helle um sich verbreiteten, so blieb doch in der Mitte des Saales eine solche Dämmerung, daß jemand, der sich dort befand, von weitem unkennbar war und nur wie ein Schatten aussah.

Herr Kindermann führte den Ordonnanzoffizier zu einer der Fensternischen, welche, tief in die Mauer gehend und mit schweren breiten Vorhängen garniert, noch dunkler waren. »Hier ist Ihr Platz,« sagte er, »und da ich die Sache genau überlegt habe, so ist es besser, wenn Sie die Verhaftung des Barons als das letzte und äußerste Mittel betrachten.«

Der Ordonnanzoffizier blickte den Sprecher mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens an, was aber dieser begreiflicherweise nicht bemerken konnte; doch sprach Herr von Fernow lachend: »Mir scheint, Herr Kindermann, Sie haben heute abend sehr stark Eßbouquet aufgeträufelt.«

»Das war nicht nötig,« entgegnete der andere mit dem ruhigsten Tone von der Welt; »da mich Seine Königliche Hoheit bei dieser Angelegenheit brauchen, so hat es Höchstderselben beliebt, mich von der Sachlage in Kenntnis zu setzen.«

»Was ich begreiflich finde,« versetzte schnell einlenkend der Ordonnanzoffizier.

»Dort links ist der Speisesaal, wie Sie wissen,« erklärte Herr Kindermann; »und der Baron wird von rechts kommen. – Glauben Sie mir,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »Sie haben Ihr Glück in der Hand. Es ist eine delikate Sache, und je feiner Sie sie behandeln, desto dankbarer wird Seine Hoheit sein. Wie ich mir Ihnen schon zu bemerken erlaubte, ich mag die Verhaftungen nicht. Warten Sie damit so lange als möglich, und geraten Sie in eine Verlegenheit, so bin ich vielleicht im stande, Ihnen daraus zu helfen. – Jetzt halten Sie gute Wache, Sie haben noch volle zwanzig Minuten und damit genugsam Zeit zur Überlegung.« Bei diesen Worten machte er eine Verbeugung, glitt dann wie ein Schatten in die Dunkelheit zurück und verschwand auch geräuschlos wie ein solcher.

Den im Saale Harrenden bewegten seltsame Gedanken, als er jetzt in dem Halbdunkel auf und ab schritt. Es kam ihm gerade vor, als wenn er sich vor dem Feind befände und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf jedes Geräusch hören müsse, das auch in weiter Ferne vernehmbar wurde. Er hatte seinen Säbel fest an sich gedrückt und machte so langsame Schritte, daß ihm zwischen jedem derselben fast eine Sekunde Zeit blieb, und er so während des Auf- und Abwandelns jedes Nahen des Erwarteten hören konnte.

Was war in der Zeit, seit er heute vor der Tafel diesen Saal betreten, bis jetzt nicht alles von ihm erlebt worden! Oft glaubte er, in diesen wenigen Stunden seien Monate verflossen, traurige Monate, in denen er sich allmählich an den Verlust Helenens gewöhnt hatte. Waren es vielleicht die Worte des Regenten, er möge in dieser Sache auch auf ihn rechnen, welche ihm neue Hoffnung gaben, oder glaubte er sonst an ein glückliches Ungefähr, das den Baron Rigoll von seinem Ziele zurückwerfen würde, oder hatte er sich beruhigt und als ein vernünftiger Mensch sich gesagt: »Wie kannst du von Fräulein von Ripperda verlangen, daß sie warten wird, bis es dir einmal beliebt, dich anders auszusprechen, als durch kleine Aufmerksamkeiten und allenfalls durch süße Augen – und wenn du dich ausgesprochen hättest, wer weiß, welche Antwort dir das stolze Mädchen gegeben? – O Gott, ja,« seufzte er, »wie schön und wie stolz!« Es war ein Glück, daß er so innig und viel an Helene dachte, denn so blieb ihm nur wenig Zeit übrig für die bitteren Empfindungen, die in der That in ihm aufstiegen, wenn er sich entsann, daß er im Begriffe sei, einen guten Freund, wie Baron Wenden, so mir nichts dir nichts in Haft zu nehmen. – Verfluchter Auftrag! – Und so grausam des armen Wenden Theorie vom Augenblick des Glücks und Unglücks zur Wahrheit zu machen!

Herr von Fernow befand sich unter diesen Gedanken und unter dem Eindrucke der Situation in einer größeren Aufregung, als er selbst wußte. Zuweilen seufzte er tief auf und fühlte dann wohl, wie sein Herz lauter und schneller als gewöhnlich schlug. Jetzt drückte ihn seine Schärpe, jetzt genierte ihn der Helm, jetzt machte er ein paar schnellere Schritte, um gleich darauf horchend stehen zu bleiben.

Die Schloßuhr schlug dreiviertel auf neun.

Halt! jetzt hörte er etwas. Ja, er täuschte sich nicht; es waren Schritte, die sich näherten – er lauschte aufmerksamer. Aber diese Schritte klangen nicht von da, woher er den Baron erwartete, sondern sie schienen vom Speisesaal zu kommen. Vielleicht jemand, dachte er, der drüben noch zu thun hatte und sich nun nach Hause oder in sein Zimmer begibt. Treten wir einen Augenblick in die Fensternische hinter den Vorhang! – Ehe aber der junge Offizier dies ausführte, blickte er zuerst scharf nach der Thür des Speisesaals, um sich zu vergewissern, wer von dorther erscheine. Jetzt öffnete sich ein Flügel der Thür langsam, es erschien ein Lakai, der ein Licht trug, und hinter ihm eine Dame, die in den großen Saal trat.

»Jetzt danke ich Ihnen,« sagte diese, und obgleich sie diese Worte im gewöhnlichen leisen Tone sprach, so hallten sie doch in dem weiten Saale wider.

Herr von Fernow bebte zusammen, als er den Ton dieser Stimme vernahm.

»Ich finde meinen Weg ganz gut allein,« fuhr die Dame fort, und dann ging sie mit ziemlich raschen Schritten vorwärts. Der Lakai hob seinen Leuchter einen Augenblick in die Höhe, und das Licht blitzte seltsam durch die Dunkelheit. Dann zog er sich durch den Speisesaal zurück und machte die Thür hinter sich zu.

»Sie ist es!« sprach Herr von Fernow zu sich selber; »einen Entschluß! Einen schnellen Entschluß! Halte ich mich versteckt, oder trete ich hervor? Selbst auf die Gefahr hin, das Fräulein zu erschrecken! – Ja, ich trete vor, der Augenblick ist günstig, – vielleicht abermals ein Augenblick des Glücks!« –

Siebentes Kapitel.

Ein Augenblick des Glücks.

Damit trat Herr von Fernow vor, sein Säbel klirrte auf dem Fußboden, und die junge Dame blieb wenige Schritte von ihm entfernt, sichtlich erstaunt, ja erschreckt, stehen. Sie machte sogar eine kleine Bewegung, um zurückzutreten, doch traf in diesem Augenblicke der Ton der Stimme des jungen Offiziers ihr Ohr, der ihr sagte:


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