F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Heute vor der Tafel,« fuhr demgemäß Herr von Fernow fort, »sahen wir im Vorzimmer Ihrer Durchlaucht ein prachtvolles Blumenbouquet.«

»Wir?« fragte der Regent.

»Baron wenden und ich. Wir waren beide im Dienst.«

»Ganz richtig, Baron Wenden.«

»Wir führten ein eigentümliches Gespräch und im Verlauf desselben faßte Wenden mit der Hand in das Blumenbouquet und war überrascht, in demselben verborgen einen Papierstreifen zu finden.«

»Es ist möglich. Fahren Sie fort. Unsere Bemerkungen treffen sich.«

»Wenden entrollte den kleinen Papierstreifen und versicherte mir, er sehe keine Zeichen daran. Ich glaubte ihm, doch als er hierauf das Papier gegen das Licht hielt, sah ich, wie seine Gesichtszüge für einen Augenblick höchst überrascht erschienen.«

»Natürlich. Das Papier war durchstochen und diese Stiche hatten eine Bedeutung. – Weiter? Ich will doch hören, was Sie ferner gesehen.«

»Nach der Tafel,« fuhr der junge Mann in einem trüben Tone fort, »wurde jene Verlobung verkündigt . . .«

»Und das benahm Ihnen alle Lust zu weiteren Nachforschungen?« sagte lächelnd der Regent.

»Es war beinahe so, ich gestehe es Eurer Hoheit.«

»Nun, dann will ich Ihnen den Verlauf erzählen, Baron Wenden wandte sich an die Prinzessin; – es ist das ein junger Mann, der schnell seinen Weg machen möchte – er versicherte sie seiner unbedingten Ergebenheit, und die Prinzessin befahl ihm, er solle sich heute abend um neun Uhr in ihrem Kabinett einfinden.«

»Aber Euer Hoheit,« entgegnete erstaunt der junge Offizier, »standen weiter von jener Fensternische entfernt als ich, und ich vernahm nicht das mindeste von dem sehr leise geführten Gespräch.«

»Das ist wohl möglich,« antwortete der Regent; »aber Sie können mir glauben, daß es sich so verhält, und Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu überzeugen. Es ist mir nämlich alles daran gelegen, daß die Unterredung dieses Abends nicht stattfinde; ich will nicht, daß die Prinzessin ihre, gelinde gesagt, komischen Anschläge und augenblicklichen Eingebungen noch anderen Ohren preisgebe, sich weiter kompromittiere. Der Dienst, den Sie mir leisten können, besteht also in folgendem: Sie begeben sich um halb neun zu Kindermann, der wird Sie in einen Saal führen, den der Baron auf seinem Wege zu passieren hat. Dort halten Sie ihn im Gespräche auf: begreiflicherweise wird er sehr eilig sein und Ihnen nicht Rede stehen wollen. Da Sie ihn aber genau kennen, so gelingt es Ihnen vielleicht, ihn hinwegzuführen; meinetwegen können Sie ja etwas davon fallen lassen, ich, der Regent, sehe es nicht gern, wenn das Schloß um die angegebene Stunde, ohne daß irgend eine Gesellschaft befohlen sei, auf geheimnisvolle Art besucht werde. Vielleicht komme ich sonstwie Ihrer Unterredung zu Hilfe; nützt aber das alles nichts, so sind Sie in Ihrem Dienst, Sie verhaften den Baron Wenden mit der größten Ruhe und bringen ihn nach Hause; auf alle Fälle hat er Ihnen dort sein Ehrenwort zu geben, daß er so lange in seiner Wohnung bleibt, bis es mir beliebt, anders zu verfügen. Morgen werden Sie mir über das Ganze Bericht erstatten. Sollte sich dagegen etwas Außergewöhnliches ereignen, so bin ich schon heute abend für Sie zu sprechen.«

Herr von Fernow verbeugte sich ehrerbietig vor dem Regenten, dankte ihm in einigen Worten für sein Zutrauen, und als sich der Fürst darauf mit einem freundlichen Kopfnicken und einer leichte Handbewegung verabschiedet, verließ er das Kabinett, ging durch den Vorsaal bei den Dragonern im Vestibül vorbei, ließ sich von den Bedienten erstaunt anschauen, die nicht begreifen konnten, was er um diese Zeit hier zu machen habe, und trat dann an der Nebentreppe ins Freie.

Draußen war es indessen sehr dunkel geworden, obgleich sich der Himmel klar und schön wie am vergangenen Tage auch jetzt noch über der Erde wölbte, mit Myriaden von Sternen, die in vielerlei Farben funkelten und blitzten und durch die eigentümliche Stellung zu einander jene Figuren zeigten, die wir Sternbilder nennen.

Der Ordonnanzoffizier ging durch das Schloß und trat auf die große Terrasse vor dem Hauptportal, wo er die nächtliche Stadt mit ihrem Duft und Nebel, mit ihren langen, jetzt weiß leuchtenden Straßenlinien, mit ihren blitzenden Lichtern hier und da, mit Wagengerassel, entfernter Musik, mit ihrem unaufhörlichen Summen und Sausen vor sich liegen sah. Er hatte seinen Mantel umgenommen, eine Zigarre angezündet, und wenn er, den süßen Dampf einziehend, auf dieselbe blickte und den kleinen leuchtenden Punkt immer größer werden sah, so war er im stande, seine Gedanken zu konzentrieren und eigentümlichen Träumereien nachzuhängen. Was hatte er am heutigen Tage alles erfahren! Wie war sein Herz so verwundet worden! Wie hatte er zum erstenmal so wild und stürmisch gefühlt, daß er jenes herrliche Mädchen liebe, innig liebe, ja mit aller Kraft seiner Seele liebe, – – hoffnungslos liebe! Und darauf der Abend! Das, was ihm im Kabinett des Regenten begegnet war! Hatte er nicht vielleicht das Glück ergriffen, als er jenem Ruf der Klingel folgte? O ja, es mußte so sein, die Theorie des Baron Wenden war richtig, es gab einen Augenblick des Glücks, dann aber auch, da es kein Licht ohne Schatten gibt, ebensogut einen Augenblick des Unglücks.

Sechstes Kapitel.

In Kabinett des Kammerdieners.

Träumereien und Zigarre waren zu Ende, als die Schloßuhr acht schlug und eine Menge geschwätziger Glocken in der Stadt dieses wichtige Ereignis lautklingend und fröhlich verkündeten, als erzählten sie eine große Merkwürdigkeit.

Der junge Ordonnanzoffizier schritt nach der hinteren Seite des Schlosses zu, mit einem tiefen Seufzer an den Himmel blickend, wobei er den Namen »Helene« mehrmals und innig aussprach. Daß in diesem Augenblick ein blitzender Stern über einen Teil der dunklen Wölbung droben niederfuhr, nahm er als eine gute Vorbedeutung; denn man sagt ja, die Sternschnuppe verheiße die Erfüllung eines Wunsches, an den man beim Erblicken derselben dachte; was aber Herr von Fernow dachte, als er gen Himmel blickend den Namen Helene aussprach, brauchen wir weder unseren geneigten Lesern und noch viel weniger unseren geneigten Leserinnen zu erklären.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort des ersten Kammerdieners Kindermann war ein kleines Zimmer in der Nähe des herzoglichen Kabinetts, und dahin begab sich gemäß dem erhaltenen Befehle der Ordonnanzoffizier und klopfte leise an die Thür. Innen rief man: Herein! und dieses Herein klang so angenehm und freundlich, daß man in diesem Herein ordentlich das lächelnde Gesicht des Herrn Kindermann sah.

Der würdige alte Herr befand sich auch in dem kleinen Gemache, lächelte dem Eintretenden freundlich entgegen und machte beim Anblick des Offiziers mit solcher Umständlichkeit seine Anstalten, um aus dem bequemen Lehnstuhle aufzustehen, daß Herr von Fernow nichts Eiligeres zu thun hatte, als den alten Herrn zu bitten, ja ihm zu befehlen, sitzen zu bleiben.

»In der That, man wird müde,« sagte Herr Kindermann und dabei dämpfte er sein Lächeln ein wenig, um es gleich darauf wieder um so heller aufstrahlen zu lassen, als er hinzusetzte: »daher thut es einem alten Manne nach vollbrachtem Tagewerk so wohl, in stiller Beschaulichkeit ein wenig ausruhen zu können. Wenn ich aber sitzen bleiben soll, gnädiger Herr, so müssen Sie mir die außerordentliche Ehre erzeigen, sich ebenfalls am Kaminfeuer ein wenig niederzulassen; im anderen Fall zwingen Sie mich, aufzustehen, meinen Frack anzuziehen und in der mir zukommenden Haltung neben Ihnen aufrecht zu verharren.«

Herr Kindermann hatte nämlich sein Dienstkleid ausgezogen und steckte mit der weißen Halsbinde, mit dem lächelnden Gesichte, den wohlfrisierten Haaren und untadelhaften Schuhen und Strümpfen in einer feinen weißen Pikeejacke, die aber augenscheinlich zu lang und zu weit für ihn war, was wohl daher kommen mochte, daß die Persönlichkeit des Regenten größer und breiter war als die seines Kammerdieners. Auch saß Herr Kindermann nicht trocken vor dem hell lodernden und sanft wärmenden Kamine. Auf dem Gesimse desselben stand eine zierliche kleine silberne Punschbowle, aus welcher es ganz allerliebst duftete.


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