F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Herr von Fernow kehrte in das Zimmer zurück, raffte die Photographien vom Boden auf und betrachtete sie. Ja, die eine stellte den Baron Rigoll vor. Mit noch größerer Aufmerksamkeit aber betrachtete er den sehr distinguierten Kopf des anderen Bildes. Wo hatte er dies Gesicht gesehen? Richtig, jetzt fiel es ihm plötzlich ein. Es war der Herr, der an jenem Abend zu Baron Wenden kam, der ihm als Graf Hohenberg vorgestellt wurde, gegen den Baron Rigoll sich mit so ausgezeichneter Artigkeit benahm. Das war ihm damals schon aufgefallen, – da lag ein Geheimnis verborgen. Ja, was er hier in seinen Händen hielt, mußte wichtig sein, und es war gewiß der Mühe wert gewesen, ein paar Stunden an die Erlangung dieser Blätter zu wenden. »Ich weiß nicht, eine unbestimmte Ahnung sagt mir, meine Anstrengungen seien in der That nicht verschleudert worden. Es ist zehn Uhr, suchen wir Herrn Kindermann zu sprechen. Wenn das Sprichwort wahr ist, daß man das Eisen schmieden soll, solange es warm ist, so muß man dagegen auch nicht säumen, das Glück, wenn es einmal erscheint, festzuhalten.«

Er bezahlte seine Rechnung, wobei der Kellner auf eine eigentümliche Art lächelnd das Geld einstrich. Dann trat der Major auf die Straße, rief einen schläfrig vorüberfahrenden Fiaker an, warf sich in den Wagen und befahl: »Nach dem Schlosse!«

Dreizehntes Kapitel.

Wiederum im Kabinett des Regenten.

An demselben Abend war einer der dienstthuenden Lakaien Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise zu einem der dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit des Regenten hinabgestiegen. – Dieses Hinabsteigen ist wörtlich zu nehmen, denn sonst herrschte das umgekehrte Verhältnis und die dienstthuenden Lakaien des Regenten sahen auf die dienstthuenden Lakaien der Prinzessin mit einer souveränen Verachtung hinab, und nahmen in jeder Beziehung den Vortritt, welches bei gemeinschaftlichen Diners so weit ging, daß die Lakaien Ihrer Durchlaucht stets die Sauce zu präsentieren hatten, nachdem die dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit des Regenten mit dem Braten vorangeschritten waren. Einer der Lakaien der Prinzessin war also hinabgestiegen und hatte dem dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit, welcher in seinem Stuhle sitzen blieb, während der andere vor ihm stand, also gemeldet: »Der Herr Kammerdiener Ihrer Durchlaucht der Prinzessin lassen dem Herrn Kammerdiener Seiner Hoheit des Regenten ein gehorsames Kompliment machen, und da die Herrschaften bei Ihrer Hoheit der verwitweten Frau Herzogin sein werden, so lassen der Herr Kammerdiener anfragen, ob es dem Herrn Kammerdiener angenehm wäre, wenn ersterer den letzteren Herrn auf ein Stündchen besuche. Er habe sich eine kleine Erdbeerbowle angesetzt und möchte sich erlauben, dieselbe gleichfalls bei dem Besuche erscheinen zu lassen.« Darauf hatte Herr Kindermann den Besuch huldreich acceptiert, und die beiden würdigen alten Herren saßen nun in dem uns wohlbekannten Kabinett vor dem Kamin.

Der Kammerdiener der Prinzessin, Herr Steppler, war fast von gleichem Alter wie Herr Kindermann, doch wie diesen ein ewiges freundliches Lächeln schmückte und verjüngte, so herrschte auf den Zügen des anderen beständig ein finsterer Ernst; dabei ging er ziemlich gebückt, hustete fast bei jedem Worte, meistens aus schlechter Angewohnheit und weil er es bei vorkommenden Fällen für zweckdienlich gehalten hatte, eine Brustkrankheit zu affektieren. Er war ein altes Möbel bei Hofe, und hatte schon bei der Mutter des höchstseligen Herrn gedient, die eine wunderliche Dame war, und über welche sich die beiden Veteranen gerade unterhielten.

»Ja,« sagte Herr Steppler, »so etwas kommt doch heutzutage nicht mehr vor, daß man für den Schoßhund ein eigenes Schlafzimmer hält, eine Bonne zur Aufwartung und daß der Kammerdiener der Herrschaft selbst, ich dazumal, allabendlich bei dem alten Mopse die silberne Nachtlampe anzünden mußte. Und das Tier hatte Verstand wie ein Mensch, denn wenn das Licht nicht brannte oder ausging, so bellte es so lange, bis jemand kam.«

»Es ist ganz erstaunlich,« erwiderte Herr Kindermann mit einem süßen Lächeln, »und doch, wenn Sie mir's nicht übelnehmen, bester Freund, so waren die Zeiten für den Regierenden damals viel besser. Erinnern Sie sich noch der Tante des höchstseligen Herrn, die sich nie im geringsten in irgend eine Angelegenheit mischte, die harmloseste Dame der ganzen Welt, die ruhig lebte und ruhig leben ließ.«

»Jawohl, jawohl, die zufrieden war, wenn sie vier Stunden des Tags spazieren fahren konnte, die Pferde im langsamsten Schritt, wie vor einem Leichenwagen, und die sich zur Unterhaltung jeden Tag ein kleines Körbchen mit Weidenruten aufs Zimmer bringen ließ, die sie geduldig eine nach der anderen auf dem Tisch zerklopfte – –«

»Gelt, alter Freund,« sagte Herr Kindermann, indem er sein Glas emporhob und pfiffig lächelnd durch die goldgelbe Flüssigkeit nach seinem Kollegen hinschielte, »das waren andere Zeiten. Ich möchte wohl mal sehen, wenn wir Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise ein Körbchen Weidenruten aufs Zimmer setzten, ob sie sie auch auf dem Tische zerklopfte.«

»Davor soll uns Gott bewahren – das hieße den Teufel an die Wand malen.«

»Ja, sie ist eine absonderlich merkwürdige Dame,« meinte Herr Kindermann, und that einen guten Schluck des angenehmen Getränkes. Nachdem er dies gesagt und sich die Lippen abgeleckt, lehnte er sich in seinen weichen Sessel zurück und betrachtete mit einem außerordentlich pfiffigen Blick den Herrn Steppler, der tief nachsinnend eine große Erdbeere anstarrte, die in seinem Glase schwamm. »Lieber Freund,« sagte er alsdann nach einer kleinen Weile, »was ich Ihnen schon oft bemerkt, muß ich hier wiederholen. Es ist Pflicht und Schuldigkeit eines guten Dieners, auf die Herrschaft nach besten Kräften einzuwirken. Wenn man gescheit ist, gelingt dies auch und man kann sie gewissermaßen ziehen, daß es eine Freude ist.«

»Ja, da hat sich was zu ziehen,« brummte Herr Steppler. »Das ist wie ein Aal, wie ein Kreisel; das dreht sich zehnmal, ehe ich nur einmal weiß, wo rechts oder links ist.«

»Zugestanden, daß es schwierig ist, mit der hohen Dame droben umzugehen, aber im Vertrauen gesagt, Ihr waret zu nachgiebig, Ihr hättet in vielen Sachen nicht mithelfen sollen; ja, Ihr hättet manches hintertreiben können. – Den Teufel auch,« fuhr Herr Kindermann nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, und nachdem er im Spiegel sein freundliches Gesicht beschaut, »man muß zuzeiten auch etwas zu hindern verstehen. Wissen Sie, ich spreche als Freund zu Ihnen, lieber Steppler, aber Ihr macht da oben doch ganz sonderbare Geschichten. wie kann man zum Beispiel nun eine solche Heirat protegieren, wie die der alten Exzellenz mit dem jungen, schönen Fräulein?«

»Wie kann man so was hindern, frag' ich Sie.«

»Man kann viel dagegen thun, mein lieber Steppler. Man läßt hie und da ein Wort fallen, man meldet zu spät oder gar nicht, man bedauert, daß die Herrschaft verhindert ist, jemand anzunehmen – aber dazu gehört mehr als ein gewöhnlicher Mut. Ich sage Ihnen, das ist ein Mißgriff, der nicht hätte passieren sollen.«

Obgleich Herr Steppler ziemlich gebückt saß, so daß er seinen Kollegen nicht ansehen konnte, so merkte man doch, wie er, ohne den Kopf zu bewegen, die Augen erhob und aus den Winkeln derselben nach Herrn Kindermann hinüberschielte. »Habt Ihr etwas dagegen gethan?« fragte er alsdann.

»O, lieber Freund,« entgegnete Herr Kindermann mit dem Ausdruck großen Selbstbewußtseins, »wenn eine Sache einmal so verfahren ist, da kommt der beste Kutscher nicht mehr heraus, und doch – – aber wie gesagt,« unterbrach er sich selbst, »das war nur so eine Idee von mir, und es ist eigentlich unklug, überhaupt noch über dergleichen zu sprechen, denn ich weiß doch, daß Sie mir nicht um die Ecke trauen, mein lieber Steppler.«

Der andere blickte abermals verstohlen in die Höhe, ohne etwas zu entgegnen.

»Ich versichere Sie, es ist schade,« fuhr Herr Kindermann nach einer Pause fort, »daß wir nicht besser zusammenhalten. Ich sage Ihnen, wir könnten hier das Steuer führen, daß es eine Freude wäre, ich mit meiner Lebhaftigkeit, wenn Sie mir erlauben, Sie mit Ihrer unbezahlbaren Ruhe. Kommt her, alter Steppler, stoßen wir zusammen an; den Teufel auch, das sollte doch endlich einmal aufhören, daß die Herrschaften, mit Respekt zu sagen, wie Hund und Katze zusammen leben. Haben Sie denn einen Begriff davon, wie es Ihre Durchlaucht da oben vermag, so hämisch gegen uns zu handeln, gegen einen Herrn, wie der Regent ist? Gott erhalte ihn hundert Jahre, den ritterlichen Herrn, den schönen Mann, mit Eigenschaften, daß ihn die ganze Welt liebt und achtet. Aber gerade die, an deren Achtung ihm besonders gelegen ist – – ja, Steppler, schauen Sie mich nur an, – an deren Achtung ihm besonders viel gelegen ist, bereitet ihm mit ihren Launen alles mögliche Herzeleid. Darin ist weder Sinn noch Verstand.«


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