Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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II

Im Herbst 1549 starb Paul der Dritte.

Michelangelo hatte im Frühjahr eine schwere Krankheit durchzumachen. Er litt an Steinbeschwerden. Die Nächte lag er stöhnend da und konnte keinen Schlaf finden; die Ärzte geben ihm die beste Hoffnung, er aber bringt sein hohes Alter und die quälenden Schmerzen dagegen in Anschlag und glaubt, daß es mit ihm zur Neige gehe. Die Bäder von Viterbo seien ihm verordnet, schreibt er, aber es sei im März, und vor Anfang Mai könne man nicht dahin gehen. Vielleicht brächte die Zeit Linderung. Leonardo möge Francesco bitten, für ihn zu beten. Übrigens, fügt er hinzu, was ihn selbst körperlich anlange, so sei er noch wie vor dreißig Jahren gewesen. Die Krankheit habe ihre Ursachen darin, daß er sich nicht geschont und sein Leben zu gering geachtet hätte. Ginge es schlechter mit ihm, so werde er ihn benachrichtigen, damit er komme und seine letzte Verfügung in Empfang nehme, ohne eine solche Aufforderung solle er aber nicht kommen.

Im Sommer war die Krankheit endlich gewichen. Er trank ein 40 Miglien weit von Rom hergebrachtes Wasser, das ihm gut tat, mußte alle Speisen damit kochen lassen und seine Lebensweise ändern. Es scheint, daß nur eine schmerzhafte Unbequemlichkeit als Rest des Leidens blieb und daß er sich seinem neuen Amte mit Eifer hingab. Der Papst hatte den durch den Verlust von Piacenza auch für ihn herbeigeführten Nachteil, da die Hälfte seiner Pension auf die Einkünfte der dort über den Po fahrenden Fähre eingeschrieben war, durch eine Cancellaria in Rimini vergütet, weiche ebenfalls 600 Scudi einbrachte. Er stand gut mit Paul dem Dritten. Wenn Leonardo Wein sandte, bekam der Papst seine Anzahl Flaschen davon zum Geschenk. Und so konnte es nicht anders sein, als daß ihm der Verlust Farneses zu Herzen ging.

»Leonardo«, schreibt er seinem Neffen im Dezember 49, »es ist wahr, der Tod des Papstes hat mir sehr leid getan und großen Nachteil gebracht, denn ich stand mich gut bei Seiner Heiligkeit und hoffte mich noch zu verbessern; Gott hat es gewollt, man muß sich in seinen Willen fügen. Der Papst hat einen schönen Tod gehabt, er war bei Besinnung bis zum letzten Worte, Gott nehme seine Seele barmherzig auf. Weiter ist darüber nichts zu schreiben. Bei euch, glaube ich, ist alles wohl. – Was mein Befinden anlangt, so geht es mit meinem Übel so gut es gehen kann; wenn ich andere Leute meines Alters ansehe, darf ich mich für meinen Teil nicht beklagen. Hier erwarten wir von Stunde zu Stunde den neuen Papst. Gott weiß, was der Christenheit not tut.«

Farnese war über 80 Jahre alt geworden. Seine letzte Krankheit entstand aus der Wut, mit der ihn das Verfahren der Seinigen erfüllte, die sich hinter seinem Rücken wegen der Rückerwerbung von Parma und Piacenza mit dem Kaiser in Unterhandlungen eingelassen hatten.

Ganze Systeme erschienen in den Männern personifiziert, welche damals zur höchsten Würde gelangen konnten.

Alle Blicke richteten sich auf den Kardinal Polo. Für ihn war der Kaiser, der eine milde und versöhnliche Natur verlangte. Contarini würde an seiner Stelle gestanden haben, wenn er noch gelebt hätte. Polo war noch jung und hätte vielleicht Geschmeidigkeit genug besessen, seine vermittelnden Ideen nach beiden Seiten geltend zu machen. Ihn begünstigte auch der Kardinal Farnese, der ganz zum Kaiser übergegangen war, in der Überzeugung, die Interessen seiner Familie so doch am sichersten gefördert zu sehen. Gegen Polo trat Caraffa auf und nannte ihn einen Lutheraner. Doch wäre er trotz allem gewählt worden, hätte sich die einzige Stimme, um die es sich handelte und die bereits zugesagt war, nicht im letzten Moment abgewandt.

Polo und dem Kaiser und Farnese gegenüber stand die französische Partei, geführt von den Kardinälen Salviati und Ridolfi, hinter denen Caterina von Medici und die Strozzi arbeiteten. Es war vorauszusehen, was geschehen würde, wenn einer von diesen beiden, die sich für die echtesten Erben des alten Lorenzo Medici hielten, den päpstlichen Stuhl bestieg. Auf der Stelle französische Truppen unter den Strozzis mit den Päpstlichen vereinigt auf dem Marsche gegen Toskana. Was Salviati sowohl als Ridolfi eine Zeitlang unmöglich machte, war, daß jeder von ihnen Papst sein wollte. Ridolfi, im Begriff gewählt zu werden, erkrankt. Wiederhergestellt, erscheint er aufs neue im Konklave; plötzlich bricht er dort zusammen. Die Meinung war, daß Gift das letzte Mittel gewesen sei, mit dem die Farneses sich dieses Mannes entledigten.

Beide Wahlen wären für Michelangelo von der höchsten Wichtigkeit gewesen, da er mit Polo wie Ridolfi in gutem Verhältnis stand, und jeder von ihnen in seiner Weise nach seinem Sinne gehandelt haben würde. Indessen auch derjenige, der endlich zum Papst erhoben wurde, der Kardinal del Monte, über den man sich vereinigte, weil er am wenigsten gegen sich hatte, konnte Michelangelo nicht günstiger gewählt werden. Er war Mitglied der Akademie Tolomeis, welche den Vitruv studierte, und liebte die Kunst und die Künstler. Michelangelo wurde mit einer Ehrfurcht von ihm behandelt, die alles übertraf, was selbst Paul der Dritte an Wohlwollen gezeigt, und ihm so für die wenigen Jahre der neuen Regierung die günstigste Stellung gegeben. In politischen Dingen tat Monte, wie man erwartet hatte, nichts. Vergerio sagte von ihm mit Anspielung auf seinen Namen »diese unbewegliche Masse, die auf der Christenheit lastet«. Giulio der Dritte, so nannte sich der neue Papst, ließ Lutheraner Lutheraner sein und suchte vorerst seine Familie in die Höhe zu bringen. Ein siebzehnjähriger Junge, den ihm vor Zeiten in Bologna ein Bettelweib auf die Welt gebracht, wurde zum Kardinal gemacht, und die Villa vor Porta del Popolo begonnen, die heute fast allein noch in Rom an diesen Papst erinnert.

Man begegnet in Italien zuweilen Bauten, die nicht eigentlich Ruinen zu nennen sind, aber mitten im Entstehen oder bald nach der Vollendung verlassen, Jahrhunderte lang ganz einsam und schlecht bewacht dagestanden haben. Ein solches Bild der Vernachlässigung bietet die Villa Giulia. Verfallen im ganzen, aber wohlerhalten in vielen Einzelheiten.

Eine gewisse rohe Grazie spricht aus der ausgedehnten Anlage. Ein Zimmer im Erdgeschosse des Palastes, das Zuccari mit Malereien bedeckt hat, steht in seiner Dekoration noch frisch da, vielleicht weil die Läden meist geschlossen gehalten wurden: Dianenszenen, Tänze und dergleichen, in bunten, klaren Blumenfarben. Sie sehen nicht so gleichgültig bläulich abgeblaßt und kreidig aus wie Zuccaris übrige Werke, die man heute kaum eines Blickes würdigt. Das große Haus liegt abseits von der Straße in dem verwilderten Garten still da, wie ein Gefangener, der im Kerker alt geworden ist und dem es nun nichts mehr ausmacht, lange Zeiträume bewegungslos so fortzuexistieren. Sah vor hundert Jahren wohl schon so aus und wird in abermals hundert Jahren, falls nicht die neue Zeit das Ganze beseitigt, nicht viel anders erscheinen.

Neben der Sorge für gutes Essen und Trinken nahm dieser Bau, der rasch erstehen sollte, den Papst zumeist in Anspruch und machte ihn zu einem Abgotte für die Künstler, die damals scharenweise in Rom saßen. Der Bedarf an dekorativer Arbeit wuchs von Jahr zu Jahr. Maler, Bildhauer, Baumeister hatten vollauf zu tun. Am grandiosesten wirkt die kolossale Bronzestatue Giulios III., die ihm in Perugia errichtet wurde und uns das Gefühl gibt, als sei der Papst eine mächtige, auf hohe Gedanken gerichtete Persönlichkeit gewesen. Überall war bei seinen künstlerischen Unternehmungen Michelangelo im Spiele. Ammanati aber, della Porta und Vasari fanden am meisten ihre Rechnung dabei. Michelangelo selbst übernahm keinen Auftrag; doch wurde nach seiner Aufgabe eine Treppe für das Belvedere gebaut, an Stelle der alten, die Bramante aufgeführt hatte; auch zeichnete er den Entwurf für eine Fontäne, welche Giulio III. ebendaselbst errichten lassen wollte: einen Moses, der an den Felsen schlägt, aber der dem Papste deshalb nicht genehm war, weil er zu viel Zeit erfordert hätte. Endlich entwarf er eine Palastfassade für Monte, die gleichfalls nicht zur Ausführung kam. Der Papst ließ Michelangelo neben sich niedersetzen, wenn er ihn zur Audienz befahl. Für die Peterskirche wurden Paul des Dritten ausgedehnte Vollmachten bestätigt.

In bezug darauf kam jetzt ein neuer Sturm gegen Michelangelo. Der Bau war unter Saligallo eine melkende Kuh für viele Leute gewesen, die Michelangelo, der die Sparsamkeit selbst war, abgesetzt oder an ihren Einnahmen beschnitten hatte. Er konnte um so rücksichtsloser hier auftreten, als er selbst nicht den geringsten Gehalt annahm. Paul der Dritte hatte ihm einmal eine Summe Geldes aufdrängen wollen, die auf der Stelle jedoch zurückgesandt ward. Allerdings nahm Michelangelo hier kein Blatt vor den Mund. »Ihr wißt«, so beginnt ein Brief seiner Hand an den Bauvorstand, »daß ich zu Balduccio gesagt habe, er solle den Kalk nicht anders als in guter Qualität liefern. Jetzt hat er schlechten gebracht und wird ihn ohne Zweifel zurücknehmen müssen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß er mit demjenigen, der den Kalk zu übernehmen hatte, im Einverständnis stand. Dieser begünstigte die, welche ich ähnlicher Geschichten wegen aus dem Bau fortgejagt habe. Wer aber die dafür nötigen Materialien in schlechter Qualität annimmt, die ich solcher Art anzunehmen verboten habe, der macht sich die zu Freunden, die ich mir zu Feinden gemacht habe. Eine neue Verschwörung scheint wieder fertig zu sein, und mit Trinkgeldern, Versprechungen und Geschenken soll die Gerechtigkeit umgangen werden. Ich aber, kraft der mir vom Papste verliehenen Gewalt, ersuche euch, nichts für den Bau anzunehmen, was nicht gut und tauglich ist. Und wenn es vom Himmel herunterkäme, es soll nicht geschehen. Es soll nicht aussehen, als hätte ich Teil an diesen Umtrieben. Euer Michelangelo.«

Das war deutlich. Die Kardinäle Salviati und Cervini, denen die Sorge für den Bau besonders übertragen war, ließen sich von der alten Partei Sangallos breitschlagen und bewogen Giulio den Dritten, eine Kommission zu berufen, der gegenüber sich Michelangelo zu verantworten hätte. Alle die, welche bisher bei der Peterskirche zu tun gehabt, sollten zusammenkommen und den Beweis führen, daß durch Michelangelos neuen Plan der Bau verdorben worden sei. Die Herren hatten eine Menge Beschwerden. Ungeheure Summen seien ausgegeben, ohne daß man ihnen gesagt wofür; nichts sei ihnen mitgeteilt über die Art und Weise, wie der Bau fortgeführt werden solle; sie seien das fünfte Rad am Wagen; Michelangelo traktierte sie, als ginge sie die Sache gar nichts an; er lasse einreißen, daß es für alle, die es mit ansähen, ein Jammer sei. Dies, was sie in einem schriftlichen Gutachten äußerten.

Doch begnügte sich ihre Kritik mit solchen allgemeinen Angaben nicht. Es handelte sich speziell um die von der Mitte der Kirche, wo die Kuppel sich erheben sollte, nach rechts und links ausgehenden gewölbten Querbauten, deren jede ihren Abschluß in drei Kapellen fand. Michelangelos Gegner behaupteten, es gelange bei seiner Anordnung dieses Abschlusses zu wenig Licht ins Innere; dies teilte ihm der Papst vertraulich selber mit. Er erwiderte, er wünsche denjenigen, von denen der Vorwurf ausginge, an Ort und Stelle zu antworten. Jetzt traten die Kardinäle auf, und Cervini erklärte, er sei es gewesen, der das behaupte. »Monsignore«, erwiderte Michelangelo, »über den drei vorhandenen Fenstern habe ich die Absicht, noch drei andere anzubringen.« »Davon habt Ihr niemals ein Wort verlauten lassen«, antwortete der Kardinal. Jetzt aber Michelangelo: »Weder hin ich dazu verpflichtet, noch habe ich den Willen, mich dazu verpflichten zu lassen, Ew. Herrlichkeit etwa oder irgend sonst jemand über meine Absichten Auskunft zu geben. Euer Amt ist, Geld zu schaffen und dafür zu sorgen, daß es nicht gestohlen werde. Was die Baupläne betrifft, so gehen die mich allein an.« Und dann zum Papste gewandt: »Heiliger Vater, Ihr wißt, wie viel ich für meine Mühe bekomme, und daß ich, wenn meine Arbeit nicht meiner Seele zum Heile gereichte, Zeit und Mühe umsonst daran gewendet haben würde!« Giulio legte ihm die Hand auf die Schulter. »Euer ewiges und zeitliches Wohl«, sagte er, »soll darunter nicht leiden. Es hat keine Not damit.« Die Konferenz hatte ein Ende, und Michelangelo, so lange Giulio der Dritte am Leben blieb, Ruhe vor seinen Widersachern.


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