Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Das Innere der Sixtina ist, wie vorn berichtet wurde, ein viereckiger, dreimal so lang als breiter Raum. Unter den an den beiden längeren Wänden hoch oben angebrachten Fenstern lief ein Gürtel von Freskobildern im Innern ringsum, so daß auch die beiden schmaleren Wände von ihm durchschnitten wurden. An diesen sollte die Malerei herabgeschlagen werden und Michelangelo die beiden ungeheuren Flächen mit zwei Gemälden bedecken, deren eines den Sturz der Engel, das andere das Jüngste Gericht darstellte. Das eine den Beginn der Sünde nach dem Abfall Luzifers, das andere den letzten Erfolg dieser Tat: die in Ewigkeit unabänderliche Scheidung der Menschheit in Selige und Verdammte.

Es konnte für einen Künstler wie Michelangelo keine höhere Aufgabe erdacht werden. Alle das menschliche Herz bewegenden Gefühle, von den zartesten Regungen bis zum Ausbruch der äußersten Leidenschaft, mußten hier gezeigt werden, und zwar in ihrer idealsten Gestaltung. Wie Dante in seinem Gedichte das Schicksal aller Menschen umfaßt, muß ein Künstler, der das Jüngste Gericht darstellen wollte, die gesamte Menschheit erscheinen lassen. Ein Genius, der sich einer solchen Aufgabe gewachsen fühlte, der kann, als sie ihm gestellt wurde, kein anderes Gefühl gehegt haben als das, mit beiden Händen zuzugreifen. Michelangelo, vor die beiden Wände gestellt, die ihm überlassen blieben, muß im edelsten Sinne das empfunden haben, was einen kriegerischen Fürsten bewegt, der statt 10 000 Mann unter sich zu haben, sich plötzlich vor einem Felde sieht, auf dem er eine halbe Million in den Kampf führen soll. Michelangelo hat Ausflüchte gemacht, als ihm Papst Clemens zuerst mit der Sache kam. Es wird berichtet, und es ist zu glauben, daß die Gewissenhaftigkeit ihn ablehnen ließ. Er hatte dem Grabmal seine volle Tätigkeit zugesagt. Ebensogern aber auch, glaube ich, gab er den Bestrebungen des Papstes, ihn zugunsten des neuen Projektes dem Herzog von Urbino gegenüber frei zu machen, seine Zustimmung.

Im Winter 1533 bereits, als er zum ersten Male des Grabmals wegen aus Florenz nach Rom zurückkehrte, schlug ihm Clemens die neue Arbeit vor und verweigerte, als er auf Widerstand stieß, die Bestätigung des Kontraktes, durch welchen Michelangelo zur Fortführung des Grabmals verpflichtet war. Michelangelo begann darauf mit den Entwürfen. Die Angelegenheit war so weit gediehen, daß unter der Leitung Sebastian del Piombos die eine Wand der Kapelle von allem Bilderschmuck befreit und für das Gemälde präpariert worden war. Es hatte sogar schon Streitigkeiten gegeben. Sebastian war dafür, daß das Jüngste Gericht in Öl gemalt würde. Die Ölmalerei auf Kalk und Stein war seine besondere Liebhaberei, eine Neigung, die seinen Werken ebenso nachteilig geworden ist, wie sie es denen Leonardos wurde. Michelangelo erklärte sich dagegen. Die Ölmalerei sei für Frauen, Männer müßten in Fresko malen. Und als Sebastian trotzdem die Wand nach seiner Methode hatte zurichten lassen, war dies der Grund, weshalb Michelangelo mit der Arbeit in der Kapelle anzufangen zögerte. Er soll dies dem Sebastian, seinem besten Freunde, niemals vergeben haben, so daß von nun an Kälte zwischen ihnen eintrat. Sebastians Kalkauftrag wurde wieder herabgekratzt und die Wand nach Michelangelos Angabe zugerichtet. Es ist nicht zu ersehen, ob dies noch unter Clemens geschah und auch die Malerei bei dessen Lebzeiten schon begonnen ward. War es der Fall, so blieb sie natürlich beim Tode des Papstes sogleich wieder liegen, und Michelangelo kehrte zum Grabmale zurück.

Als ein seltenes Glück kann es betrachtet werden, daß auch jetzt wieder ein Papst folgte, der Michelangelo im ganzen Umfange seiner Verdienste zu würdigen wußte. Paul der Dritte, dessen Familienname Farnese ist, war noch von Alexander Borgia zum Kardinal gemacht worden. Seine Schwester hatte diesen Preis auf die Gewährung ihrer Gunst gestellt. In hohen Jahren und kränklich, schien besonders um die Zeit der Wahl Farneses Hinfälligkeit in solchem Grade zuzunehmen, daß die Kardinäle ihm ihre Stimme gaben, weil sein baldiger Tod zu erwarten stand. Kaum aber war er Papst, als die Maske abgeworfen ward. Fünfzehn Jahre regierte er noch und wußte diese Zeit nicht weniger wohl zum Nutzen seiner Familie anzuwenden, als seine Vorgänger getan. Sein Sohn sollte Herzog von Mailand werden, sein Enkel, ein halbes Kind noch, wurde zum Kardinal gemacht.

Paul der Dritte steht in einer gewissen Reinheit vor uns. Er besaß die schlechten Eigenschaften Borgias, aber ohne dessen Grausamkeit. Er warf sich nicht so öffentlich brutal auf seine Beute wie dieser. Er besaß Leos Geschmack und klassische Bildung, ohne dessen Albernheit. Es ging nach außen hin würdiger zu im Vatikan unter ihm. Er besaß Clemens des Siebenten Feinheit im Hinterslichtführen, aber ohne dessen nervöse Zaghaftigkeit. Es war Paul mehr darum zu tun, vorwurfslos dazustehen, als den anderen. Und es gelang ihm. Sein geheimstes Privatleben aber, die Art, wie er die Niederträchtigkeiten seines Sohnes, dem gegenüber Cesare Borgia heroisch groß erscheint, duldete, übersah und leugnete, läßt keinen Zweifel über seine wahre Natur aufkommen. Und doch, wie dies bei den romanischen Völkern möglich ist, daß in ein und demselben Manne ungeheure Verworfenheit in Moral und Politik verbunden sein kann mit Geschmack, Liebenswürdigkeit im Umgang, ja sogar mit Großmut und Eigenschaften des Herzens, die vereinzelt betrachtet einen blendenden Schimmer über den Charakter verbreiten, so bei ihm, der gegenüber den edelsten geistigen Bestrebungen seiner Zeit als ein rücksichtsvoller freundlicher Herr und besonders im Verkehr mit Michelangelo im besten Lichte erscheint. Doch man muß lesen was Benvenuto Cellini mit ihm erlebte.

Auf dem Nationalmuseum zu Neapel sind drei Marmorbüsten Pauls. Eine, mit figuriert ausgeführtem Mantel, die Originalarbeit, die andere eine gleichzeitige Kopie, die dritte nur Abbozzo. Für alle drei, nebeneinander aufgestellt, wird Michelangelo als Urheber genannt. Technik wie Auffassung bekunden einen Meister ersten Ranges. Die Ähnlichkeit hat etwas Unheimliches; das Dämonische, ja Teuflische des Mannes kommt zum Vorschein, verklärt durch die vorzügliche Arbeit. Man muß diese Büste gesehen haben, um in Tizians Porträt nur eine Schmeichelei zu erblicken, während Della Portas kolossale sitzende Statue auf dem Grabe des Papstes im Vatikan nichts als ein Phantasiebild gibt, das in keiner Linie mit den Zügen der Neapolitaner Büsten übereinstimmt.

Stammen diese nicht von Michelangelo, dann: wer hat sie gemacht? Ich stelle die Frage nicht so, um etwa die Antwort herauszunötigen: Michelangelo und kein andrer! sondern weil ich in der Tat nicht weiß, wem anders ich sie zuteilen sollte. Vielleicht hat Daniele da Volterra sie gearbeitet.

Von einem früheren Zusammenhange Farneses mit Michelangelo wissen wir nur, daß dieser 1531 Zeichnungen zu zwei Kandelabern für den Kardinal angefertigt hatte, die heute noch in der Sakristei der Peterskirche stehen. Jetzt wird er in den Vatikan beschieden und ihm angekündigt, daß er sich als in Seiner Heiligkeit Diensten stehend zu betrachten habe. Er entschuldigt sich mit Hinweis auf den Herzog von Urbino. »Dreißig Jahre sind es nun, daß ich diesen Willen habe«, rief Farnese mit Heftigkeit aus, »und jetzt, wo ich Papst bin, soll ich ihn nicht durchsetzen können! Wo ist der Kontrakt, ich zerreiße ihn!«

Michelangelo blieb fest. Er dachte sogar daran, sich auf genuesisches Gebiet nach Aleria zurückzuziehen, dessen Bischof Giulio dem Zweiten noch seine Stellung verdankte und ihm selber befreundet war. Dort wollte er das Grabmal vollenden. Carrara lag bequem in der Nähe. Ein anderes Mal kam ihm der Gedanke, nach Urbino selbst zu gehen. Schon hatte er einen seiner Leute dahin geschickt, um ein Haus mit etwas Grund und Boden zu kaufen, als der Papst ihn dennoch zu seinem Willen bewegte. Mit acht Kardinälen erschien er eines Tages bei ihm im Atelier und verlangte die Entwürfe für das Jüngste Gericht zu sehen. Michelangelo arbeitete gerade am Moses. »Diese eine Statue genügte, um Papst Giulio ein würdiges Grabmal zu sein!« rief der Kardinal von Mantua. Paul betrachtete die Zeichnungen. Er werde es einzurichten wissen, sagte er, daß Urbino zufrieden sei, wenn nur drei von den Statuen von Michelangelo selbst gearbeitet würden. Das Ende der Sache war, daß der Kontrakt auch von Paul dem Dritten nicht ratifiziert wurde, daß der Papst alles daraus Entstehende auf sich nahm und daß Michelangelo in der Kapelle zu malen begann.


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