Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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III

Nicht die Venezianer jedoch, obgleich ihre Kunst der Natur ihres Vaterlandes so durchaus entspricht, haben die Herrschaft des neuen Elements begründet. Der erste Anstoß ging von Leonardo da Vinci aus, der die Farbe bei wechselnder Beleuchtung zu seinem Studium machte und auf ihre Vorteile hinwies. Das klare Licht der hellen freien Luft, schreibt er, tauge nichts. Man solle malen, als scheine die Sonne durch einen Nebel. Um nacktes Fleisch schön zu sehen, müßten die Wände des Ateliers mit Inkarnatrot bekleidet sein und Wolken vor der Sonne stehen; schlechtes Wetter sei das beste Licht für Gesichter; einen 20 Fuß hohen, ebenso breiten und ebenso doppelt langen Hof müsse man zum Atelier haben, die Wände schwarz und über ihm ein feines Linnen ausgespannt. Dergleichen Anweisungen teilt er in seiner Schrift über die Malerei mit. Auf diesem Wege folgten ihm die Schulen des nördlichen Italiens.

Nur nach einer Seite hin jedoch machten sich die Venezianer zunutze, was von Leonardo ausgegangen war. Noch eine andere Schule wurde durch diesen begründet: ein Meister bildete sich auf der von ihm gegebenen Grundlage, der, wie Parma, wo er malte, zwischen Mailand, Florenz und Venedig in der Mitte liegt, so in der Mitte zu liegen scheint zwischen den drei Städten und ihrer Kunst: Correggio. Größer als alle, die nach Leonardo, Raffael und Michelangelo kamen, hat er in mancher Beziehung sogar diese drei übertroffen. Correggio blieb nicht wie die Venezianer in der Zeichnung zurück: er umfaßte die ganze Kunst und brachte sie vorwärts.

Dächte man sich Ströme ausgehend vom Geiste Raffaels, Michelangelos, Leonardos und Tizians, die zusammenträfen, um einen neuen Geist zu bilden, so würde Correggio entstehen. Von Leonardo hat er das Träumerische, Süßlächelnde und, um etwas Äußerliches dazuzufügen, das verborgen Unbekannte der äußern und innern Schicksale; von Raffael das Heitere, Strahlende, Unerschöpfliche und, um wieder etwas Äußeres zu nennen, das Abbrechen in der Blüte des Lebens, auch das genügsame Festkleben im beschränkten räumlichen Umkreise; von Michelangelo das Kühne, die Lust an unerhörten Stellungen und die Kenntnis der Verkürzungen; mit Tizian läßt ihn der feuchte Glanz des Kolorits und die Gabe, das zitternde nackende Fleisch darzustellen, als schlügen die Pulse darin, verwandt erscheinen.

Vierzig Jahre alt starb Correggio 1534. Mit keinem der großen Meister traf er zusammen, soviel wir wissen. Er hat weder Rom noch Florenz gesehen. Wir haben, einige der äußerlichsten Daten abgerechnet, nichts von ihm als seine Werke. Keinen Brief, keinen Ausspruch, nicht einmal sein Porträt. Weder wissen wir, welche Bücher er gelesen, noch mit wem er befreundet war. Allerlei romanhafte Abenteuer gehen unter seinem Namen, keins ist nachweisbar. Aus einem mißverstandenen Worte bei Vasari, misero, das »elend und arm« und zugleich »sparsam und geizig« bedeutet und das in der ersten Bedeutung auf ihn angewandt wurde, während es in der letzten gemeint war, hat sich eine tragische Legende von seinem Tode gebildet. Vasari erzählt, Correggio habe eine zahlreiche Familie gehabt, sparen müssen und deshalb ein Bild selbst an den Ort seiner Bestimmung getragen, in der Hitze getrunken und sich dadurch seine Todeskrankheit zugezogen. Correggio aber war nicht arm, er hinterließ Vermögen. Oehlenschlägers Trauerspiel ist ohne faktische Begründung und so wenig wahr als Correggios Begegnung mit Michelangelo, die darin vorkommt. Als Michelangelo 1530 aus Venedig zurückkehrte, lautete, wie erzählt worden ist, die im Paß vorgeschriebene Route über Modena. Es ist nicht gerade unmöglich, daß er dabei Correggio begegnet sei, nichts aber wird irgendwo darüber erwähnt, und der Auftritt zwischen beiden in Oehlenschlägers Dichtung ist eine Erfindung.

Wir können uns Correggio als einen Mann denken, der ein ruhiges, durch seine Kunst beglücktes Leben führte. Denn mit unermüdlicher Sorgfalt, wie sie Stille und Behaglichkeit allein gewähren, hat er seine Gemälde vollendet. Und was er in sie hineinarbeitete, war das Licht jener Sonne, die einst Leonardo geleuchtet. Eine Art irdischer Entzückung spricht aus ihnen; ein die Wirklichkeit, wie sie uns erscheint, weit überflügelndes Gefühl von der Schönheit der Schöpfung.

Jedes seiner Bilder könnte zum Beweise angeführt werden. Die Anbetung des Christkindes, berühmt unter dem Namen »die Nacht des Correggio«, wo das Kind die Mutter und die Hirten umher anstrahlt wie ein vom Himmel gefallener Stern, von dem zauberisches Licht ausgeht. Die Verherrlichung der Maria, die von Heiligen umgeben auf ihrem Throne sitzt, deren Gestalten ein Frühlingsglanz von Begeisterung erfüllt. Der Ecce Homo endlich im Berliner Museum, ein Gemälde, wo Schmerz und Trauer und Schönheit zum rührendsten Anblicke vereinigt sind. Wie der verschleierte Mond am nächtlichen Himmel schwebt das Antlitz Christi auf dem zarten Gewebe, auf dem es zum Abdrucke kam. Man fühlt, das hätte nur Leonardo, außer ihm, malen können.

Was Correggios Gemälde aber am meisten von denen der anderen Maler unterscheidet, ist eine Eigentümlichkeit seiner Auffassung, die im Zusammenhang zu stehen scheint mit dem still zurückgezogenen Leben, das er führte. Es ist nicht dasselbe, wenn ein Dichter, erfüllt von religiöser Begeisterung, einen Hymnus auf die Jungfrau Maria schreibt, und wenn ein anderer, ergriffen von den reizenden, sich um ihr Dasein schlingenden Legenden, liebliche Verse dichtet, in denen ihre Schönheit verherrlicht wird. Raffael und die anderen, mit denen vorhin Correggio verglichen ward, wirkten als dramatische oder epische Dichter gleichsam, in deren Seele neben der eigenen Begeisterung die des Volkes unwillkürlich mitwirkte, auf das sie Rücksicht nahmen, während sie arbeiteten; Correggio erscheint ihnen gegenüber als ein lyrischer Poet, der, einsam und nur um sich selbst zu entzücken, wunderbare Verse dichtet. Deshalb ist ihm gleich, was er behandelt, wenn es nur schön und des geheimnisvollen Schimmers fähig ist, den er über alle seine Gestalten verbreitet. Szenen des heidnischen Altertums und der christlichen Mythe malt er in demselben Geiste und stattet sie mit derselben Fähigkeit aus, auf das Auge fast berauschend zu wirken. In seiner Einsamkeit scheint er sich eine Welt gebildet zu haben, deren Terrain die Zaubergärten der Armide sind. Leonardo hatte zuerst die heilige Jungfrau in seltsam märchenhafte Landschaften versetzt. Correggio übernahm diese Anschauung, wie er Leonardos Lächeln übernahm und den sanft bleichen Anflug seines Kolorits, dem nicht eine einzige der brennenden Farben der Venezianer eigen ist. Leonardo in Mailand war ihm am nächsten, möglich, daß er unter ihm seinen ersten Studien gemacht. Aber was Leonardo immer noch als reizendes Beiwerk behandelt, wird bei Correggio mit zum Hauptinhalte des Gemäldes. Dächten wir bei der Komposition seiner Nacht das Licht fort, das die Mitte des Bildes ist, so hätte alles anders gestellt werden müssen. Nicht die Schönheit des Kindes wirkt auf uns bei der Betrachtung, nicht einmal auch das lächelnd zu ihm herabgebeugte Antlitz der Mutter, sondern der mystische Schimmer der Beleuchtung, der uns ergreift wie Kinder der plötzliche Lichtglanz des angezündeten Weihnachtsbaumes. Das wollte er erreichen. Farbe und Figuren und Zufälligkeiten des Terrains verweht er zu einem untrennbaren Ganzen und macht den Effekt zur Hauptsache. Man könnte nicht wie bei einem Bilde Raffaels diese oder jene Gestalt und Gruppe absondern und allein betrachten, wie den einzelnen Akt eines Dramas etwa oder einen Monolog in diesem Akte wieder. Correggios Gemälde sind Gedichte, die man vom ersten bis zum letzten Worte als ein Ganzes auf einmal fassen muß.

Bei seinen Darstellungen aus der antiken Mythe fühlen wir, was von den Venezianern schon gesagt war, die Abwesenheit des Einflusses nicht nur antiker Statuen, sondern überhaupt der Skulpturen. Raffaels, und noch mehr Michelangelos Figuren haben etwas Verweilendes; wie die Stellungen einer guten Schauspielerin, auch wo sie noch so leidenschaftlich rasch spielend aus einer Bewegung in die andere übergeht, etwas Beharrendes, sich dem Auge Einprägendes haben. Die Statuen mögen daran schuld gewesen sein, von denen Rom erfüllt war. Correggios Gestalten scheinen zu zittern. Um seine Jo, die in Entzücken hinabsinkt wie in ein Meer von Wonne, scheint die Wolke, in der Zeus sie umarmt, bald dichter, bald heller zu werden, und durch sie hindurch schimmern Jos Glieder, als bewegten sie sich und lägen bald so, bald anders. Oder seine Leda. Bei Michelangelo eine riesenmäßige Gestalt, bei Correggio eine zitternde junge Frau, zu der der Schwan aus dem Gewässer emporsteigt. Es ist, als hätte er sich eben die letzten Tropfen abgeschüttelt, während in Ledas Herz das Rauschen des Baches wie ein göttliches Lied eindringt. Mit dem Rücken lehnt sie sich wider die moosbewachsenen Wurzeln eines Baumes, während über die Spitze ihres Fußes die flachen Fluten fließen, aus dem waldigen Grunde heran, wo ihre Gefährtinnen von anderen Schwänen angefallen werden. Eine treibt sich spielend furchtsam mit einem der Vögel im seichten Gewässer umher, die zweite blickt mit zweifelndem Lächeln einem andern nach, der davonfliegt; sie sieht ihm nach, indem sie ans Ufer steigt, wo eine alte Dienerin ihr ein Gewand überwerfen will. Auf der linken Seite des Bildes dagegen, wo die Landschaft sich öffnet, liegt in das überschattete Gras gelagert ein halberwachsener schlanker Amor und rührt die Saiten einer goldenen Leier; keine Melodie scheint er zu spielen, nur dann und wann in die Saiten zu greifen. Lauter verschiedene Gruppen, unvereinigt, wäre nicht die Landschaft und das Gefühl, daß alles eins ins andere greift. Kein Maler damals hätte seine Figuren so zu trennen und dennoch so zu verbinden gewußt als Correggio.

Was ihm aber möglich machte, selbst auf die Schule Raffaels und Michelangelos, bei des letzteren Lebzeiten noch eine bedeutende Wirkung auszuüben, war seine Überlegenheit in der Zeichnung. Ist auch das, was nach dieser Richtung hin von ihm ausging, mehr ein Kunststück als eine Art der Kunst zu nennen, immerhin hat er es vollbracht und durch die Nachahmung, die es hervorrief, eine neue Gattung der Deckenmalerei geschaffen. Die Keime finden wir schon bei Raffael und Michelangelo, die gründliche Ausbeutung dieser Anfänge aber gehört Correggio, und nur einem ungemeinen Talente wie dem seinigen konnte gelingen, was er zustande gebracht.

Michelangelo hatte sich bei seinen historischen Bildern auf Raffaels architektonischen Aufbau niemals eingelassen. Vielleicht weil er zu malen aufhörte, als Raffael erst begann, und so eine Rückwirkung nicht eintreten konnte, vielleicht auch, weil er in seiner Opposition gegen Perugino, von dem die lichtere Anordnung der Komposition ausging, auch hier das Natürliche dem Künstlichen gegenüber geltend machen wollte. Wo er eine größere Anzahl von Figuren gibt, wie auf dem Karton der badenden Soldaten oder auf der Sündflut an der Decke der Sixtina, läßt er seine Gestalten ohne Mittelpunkt den Raum der Breite nach einnehmen; wo es nur wenige Figuren sind, ordnet er sie zu Gruppen, als wären es Abbildungen von Statuen. Durch Verkürzungen sucht er sie vom Hintergrunde loszulösen und ignoriert die Fläche gleichsam, auf der sie gemalt sind. Aber er übertreibt nicht. Obgleich er in der Sixtina durch einen perspektivischen Kunstgriff eine scheinbare Architektur erschafft, bringt er bei den Hauptfiguren selbst diese Künstlichkeit nur sparsam an. Unter den Propheten malt er einzig den Jonas so, der sich zurückzulehnen scheint, während die Fläche der Wölbung, auf die er gemalt ist, sich vorbeugt. Er fühlte, daß nur im Beiwerk dergleichen versucht werden dürfe.

Auch Raffael dachte so. An der Decke der Farnesina hat er an einzelnen Stellen, wo der blaue Himmel durch die Kranzgewinde durchblickt, Amorinengruppen gemalt, die, als flatterten sie schmetterlingsartig im Freien, sich in seltsamen Verkürzungen zeigen. Das andere ist so behandelt, daß, wenn die Gemälde herabgenommen und an die Wand gelehnt würden, alles richtig auf seinen Füßen stände. Weiter ging Raffael bei den Deckengemälden der Chigischen Grabkapelle in Santa Maria del Popolo. Diese Arbeit aber, ein Nebenwerk, das er selbst nicht vollendete, kann nicht als der Beweis besonderer Vorliebe für dergleichen betrachtet werden. Viel weiter aber trieb es Correggio. Mit unerhörter Kühnheit entwickelte er den Gedanken. Er begnügt sich nicht damit, an seinen Decken eine zweite Architektur emporzutäuschen, mit der er die Stellung durchweg in perspektivischen Einklang bringt, sondern er schafft die Decke ganz und gar zum offenen Himmel um, in dem die verkürzten kolossalen Gestalten wohnen. Diese Erfindung ist von den Italienern in ungeheurem Maßstabe benutzt worden. Die gewaltige innere Kuppel des Domes von Florenz wurde ausgemalt, als sähe man in den unendlichen Himmel hinein, dessen Gewölke bewohnt sind. Vasari, so wenig er von Correggio weiß, lobt ihn überschwenglich. Es erscheint mir nicht zweifelhaft: wäre Correggio jetzt das Feld allein geblieben, hätte dann auch, wozu es beinahe gekommen wäre, die venezianische Malerei Fuß gefaßt in Rom durch Tizian, die Schule Raffaels und Michelangelos würde dort bald aus ihrer alleingebietenden Stellung verdrängt worden sein, und die neue Manier hätte glänzend ihren Einzug gehalten.

Unter diesen Umständen war es, daß Michelangelo, den man beinahe aufgehört hatte zu den lebenden Malern zu rechnen, nach dreißig Jahren der Ruhe den Pinsel wieder in die Hand nahm, um auf die Altarwand der Sixtinischen Kapelle das Jüngste Gericht zu malen, und daß er ein Werk zustande brachte, welches in so hohem Grade alles von der Malerei bis dahin Geleistete überbot, daß jeder von außen her in Rom eindringende Einfluß aufgehoben und der seinige von neuem siegreich bestätigt ward.


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