Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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V

Der Anblick der Statuen, die er hier aufgestellt fand, gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Wie er früher um Ghirlandaios willen die Schule vernachlässigt hatte, so versäumte er jetzt um der Statuen willen die Werkstätte des Ghirlandaio. Lorenzo ließ damals in seinem Garten Marmorarbeiten zum Bau einer Bibliothek anfertigen, in welcher die von Cosmo begonnene Büchersammlung untergebracht werden sollte und deren Vollendung später Michelangelo selbst geleitet hat. Mit den Steinmetzen schloß dieser jetzt Freundschaft. Er erlangte ein Stück Marmor und die nötigen Werkzeuge von ihnen und begann die antike Maske eines Fauns, die sich als Zierat im Garten vorfand, aus freier Hand zu kopieren. Doch hielt er sich dabei nicht ganz an das Original und gab seinem Werk einen weit geöffneten Mund, daß man die Zähne darin erblickte.

Diese Arbeit kam Lorenzo zu Gesichte, der selber auf die Dinge ein Auge zu haben pflegte und die Arbeiter im Garten besuchte. Er lobte Michelangelo, bemerkte aber scherzend: »Du hast deinen Faun so alt gemacht und ihm dennoch alle Zähne im Munde gelassen; du solltest doch wissen, daß man die bei so hohen Jahren nicht mehr sämtlich beieinander hat.«

Als der Fürst das nächste Mal wiederkam, fand er eine Zahnlücke im Munde des Alten vor, die so geschickt hineingearbeitet war, daß es kein vollendeter Meister besser verstanden hätte. Jetzt nahm er die Sache ernsthafter und ließ durch Michelangelo seinem Vater sagen, er möge zu ihm kommen.

Lodovico Buonarroti wollte nicht erscheinen auf diese Bestellung. Schon die Sache mit der Malerei war ihm hart angekommen, daß sein Sohn jetzt aber sogar noch Steinmetz werden sollte, deuchte ihm zu viel. Francesco Granacci, der bereits das erste Mal geholfen hatte, trat auch diesmal beruhigend ein und brachte ihn dahin, sich wenigstens zu Lorenzo auf den Weg zu machen. Michelangelos Vater war eine gerade, ehrliche Natur, ein Mann, der am Althergebrachten festhielt, uomo religioso e buono e piuttosto d'antichi costumi che no, sagt Condivi. Das Außergewöhnliche mußte ihm erst mit Mühe plausibel gemacht werden, ehe er sein Mißtrauen dagegen aufgab; so lamentierte er nun, daß sie ihm seinen Sohn auf allerlei Irrwege brächten, und ging mit der Absicht in den Palast, sich auf nichts einzulassen.

Lorenzos Liebenswürdigkeit stimmte ihn jedoch bald anders und vermochte ihn zu Erklärungen, an die er zu Hause sicherlich nicht gedacht hatte. Nicht allein sein Sohn Michelangelo, sondern er selbst und alle die Seinigen ständen mit ihrem Leben und Vermögen Seiner Magnifizenz zu Diensten. Medici fragte nach seinen Umständen und was er betriebe. »Ich habe niemals ein Geschäft gehabt«, berichtete er, »sondern lebe von den geringen Einkünften der Besitzungen, die mir von meinen Vorfahren hinterlassen sind. Die suche ich im Stande zu halten und, soviel ich kann, zu verbessern.« »Gut«, antwortete Lorenzo, »sieh dich um, kann ich etwas für dich tun, so wende dich nur an mich; es soll geschehen, was immer in meinen Kräften steht.«

Die Sache war abgemacht. Lodovico meldete sich nach einiger Zeit mit der Bitte um einen erledigten Posten beim Zollwesen, der monatlich acht Scudi einbrachte. Lorenzo, der ganz andere Ansprüche erwartet hatte, soll ihm da lachend auf die Schulter geschlagen haben mit den Worten: »Du wirst dein Lebtag kein reicher Mann werden, Lodovico.« Er gab ihm die Stelle, Michelangelo hatte er zugleich zu sich in den Palast genommen, ließ ihm ein Zimmer anweisen und setzte ihm monatlich fünf Dukaten Taschengeld aus. Alle Tage wurde öffentlich gespeist bei den Medicis; Lorenzo saß oben an, wer zuerst da war, setzte sich neben ihn, ohne Rücksicht auf Rang und Reichtum. So kam es, daß Michelangelo öfter den Ehrenplatz vor den eigenen Söhnen des Hauses voraus hatte, die ihn aber alle liebten und freundlich ansahen.

Hierbei blieb Lorenzo nicht stehen. Er ließ Michelangelo öfter zu sich rufen, sah mit ihm die Steine, Münzen und andere Kostbarkeiten durch, von denen der Palast erfüllt war, und hörte sein Urteil. Oder Polizian unterredete sich mit ihm und führte ihn in die Kenntnis des Altertums ein. Auf seinen Rat arbeitete Michelangelo den Kampf des Zentauren und Lapithen, ein Werk, das jedermann in Staunen setzte. Es ist ein Basrelief und unvollendet. Offenbar ist eine der Szenen, welche antike Sarkophage bieten, zum Muster genommen worden. Michelangelo wollte es nie fortgeben und hatte noch im späten Alter seine Freude daran. Heute befindet es sich im Palaste der Familie Buonarroti, der Faunskopf in dem National-Museum zu Florenz.

Bertoldo dagegen lenkte Michelangelo auf Donatello hin und unterwies ihn im Erzguß. Michelangelo arbeitete eine Madonna in der Weise dieses Meisters, dessen Natur ihn ebenso anzog als seine Werke: ein Basrelief, welches gleichfalls heute noch im Hause Buonarroti steht. Er zeichnete ferner mit den anderen Zöglingen Bertoldos nach Masaccio in der Kapelle Brancacci, wo Filippino Lippi eben noch die letzten fehlenden Gemälde beendete. Granacci ist hier als ein nackter Knabe angebracht, Filippinos Porträt, das Botticellis, der sein Meister war, das Pollaiuolos und anderer berühmter oder stadtbekannter Männer Bildnisse finden sich da. Durch diese Art, sich selbst und seine Freunde auf den Bildern anzubringen, wurde die Persönlichkeit der Künstler ein Teil der Kunst, und das Gefühl, daß hier eine große sich immer erneuernde Gemeinde mit vollen Kräften fortarbeitete, befestigte sich in den Gemütern der Nachstrebenden.

Nichts wurde damals verschmäht, was die Sache selbst förderte. Jede Richtung entwickelte sich unbekümmert neben der anderen. Das Altertum und die neueste Zeit waren gleichmäßig geschätzte Vorbilder. Das sorgfältigste Studium der Natur lief neben her und ließ das Gefühl für das lebendige immer über den Trieb toter Nachahmung triumphieren, der in späteren Zeiten leider so völlig den Sieg davontrug. In diesen Studien, wie sie damals unter Lorenzos persönlichem Einfluß in Florenz betrieben wurden, haben wir das schönste Beispiel einer Kunstakademie vor uns, und vielleicht das einzige, das uns zu der Wahrnehmung berechtigt, es habe gute und reichliche Früchte getragen. Eine andere Art gedeihlicher Einwirkung von seiten eines Fürsten auf die Kunst gibt es überhaupt nicht, denn die Kunst wird immer erniedrigt werden, wenn Fürsten aus äußerlichen Rücksichten und nicht aus dem edelsten Bedürfnis ihrer eigenen Seele sie zu erheben versuchen. Lorenzos Beispiel zeigt, daß die aufgewandten Geldmittel die geringste der treibenden Kräfte waren, welche sich hier vereinigten. Es bedurfte dazu, daß Medici selbst so tief in die klassischen Studien eingeweiht war, daß er die Jünglinge mit eigenem Blicke auswählte, daß er an den Sammlungen, die er ihnen zu Gebote stellte, selber die größte Freude hatte. Er ernennt den Lehrer, er verfolgt die Fortschritte, er erkennt aus den ersten Versuchen des Anfängers die glänzende Zukunft. Er bot den jungen Leuten in seinem Palaste den Verkehr mit den ersten Geistern Italiens. Denn alles strömte nach Florenz, und das Haus der Medici war nicht nur der Platz, von dem aus die feinsten Fäden der Politik nach allen Seiten gesponnen wurden, sondern die religiöse Bewegung, die philosophischen Studien, die Poesie, die Philologie wandten sich dahin, um teilweise eine entscheidende Richtung zu erhalten. Was Großes in der Welt geschah, wurde dort gekannt, besprochen und gewürdigt. Das Mittelmäßige erstickte unter der Fülle des Vortrefflichen. Das Vortreffliche selbst wurde nicht nach äußeren Merkmalen blind in den Kauf genommen, sondern mit Verständnis geprüft, ehe man es bewunderte. Bewegtes, geselliges Leben mischte sich ununterbrochen mit den ernsten Arbeiten, und als heilsamer Gegensatz zu den Süßigkeiten dieses Daseins wirkte der scharfe kritische Verstand des florentinischen Publikums, das sich in Sachen höherer Kultur weder bestechen noch betrügen ließ.

Das war es, was man nur in Florenz antraf und was die Florentiner an ihre Stadt fesselte: daß sie einzig dort die wahrhaft fördernde Anerkennung ihres eigenen feinen Geistes fanden. Nirgends sagte man so böse Dinge, nirgends aber sprach man so schön. Mißhandelt sahen sich die Künstler oft, mit erbärmlicher Knauserei in ihrem Lohne verkürzt, mit beißenden Worten und Beinamen verfolgt, stets aber dennoch mit jener wahrhaftigen Gerechtigkeit bis in ihre außerordentlichsten Leistungen erkannt und abgeschätzt, um derentwillen man gern alles übrige darangibt. Was ist ein Künstler ohne ein Publikum, das er seiner würdig fühlt? Donatello sehnte sich aus Padua, wo man ihn mit Schmeicheleien überschüttete, in seine Vaterstadt zurück. In Florenz fände man freilich immer an seinen Werken zu tadeln, sagte er, aber man reize ihn auch zu erneuten Anstrengungen und zur Erwerbung höherer, ruhmvoller Vollkommenheit. Wer sich Ruhe gönnte in Florenz, trat in den Hintergrund. Diejenigen Künstler, denen der Gewinn des täglichen Brotes nicht der nächste Grund zur Arbeit war, wurden durch den Ehrgeiz weiter gespornt, die aber, denen es auf die Bezahlung ankam, mußten alle Kräfte anspannen, weil die Konkurrenz so groß war. In der Luft von Florenz, sagt Vasari, liegt ein ungeheurer Antrieb, nach Ruhm und Ehre zu streben. Keiner will mit den übrigen gleichstehen, jeder möchte höher hinaus. Man sagt sich, bist du nicht so gut wie jeder andere? Kannst du es nicht ebenso weit und weiter bringen? Wer in behaglicher Ausbeutung der Kunst, die er gelernt hat, fortexistieren will, darf nicht in Florenz bleiben. Florenz ist wie die Zeit, die die Dinge schafft und sie wieder zerstört, wenn sie sie zur Vollendung gebracht hat.

Ich glaube, wenn es irgendwo erlaubt ist, sich eine romantische Vorstellung von den Dingen zu machen, so dürfen wir es bei Betrachtung der florentinischen Geselligkeit jener Jahre. Die Künste, die bei uns doch immer ein feineres Gewürz des Lebens sind, ohne das man sich allenfalls behelfen könnte, bildeten dort ein so notwendiges Ingredienz, daß sie wie das unentbehrliche Salz zum Brote waren. Man dichtete nicht nur, man sang auch die Lieder, die man gedichtet, Tanzen, Reiten, Ballspiel waren alltägliche Genüsse, und ein Gespräch, bei dem man die Blüte der Sprache anzuwenden trachtete, erschien ebenso willkommen wie ein frisches Bad oder eine Mahlzeit. Was dieses Leben aber gerade für Michelangelo erhöht haben muß, ist eine Eigenheit der romanischen Völker, die den germanischen abgeht. Das unbeholfene Wesen, das die Jugend bei uns schweigsam oder unlustig macht, wenn sie mit dem Alter zusammentrifft, kennen die Italiener nicht. Junge Leute von fünfzehn, sechzehn oder siebzehn Jahren, die in Deutschland die Unbehaglichkeit nicht überwinden können, mit der sie sich zwischen Älteren und Jüngeren ohne eigentliche Stellung sehen, gehen in Italien frei von beengenden Gedanken umher und wissen sich Frauen, Männern und Kindern gegenüber zu benehmen.

So empfing Michelangelo in dem Alter, in dem der fügsame Geist des Menschen der tiefsten und fruchtbarsten Eindrücke fähig ist, eine Erziehung, die kaum in glücklichere Zeiten fallen konnte. Bald aber traten nun auch die Stürme ein, deren Spuren ebenso erkenntlich in seinem Charakter sind, als es jene ersten sonnigen Tage waren. Denn Lorenzos Ende stand näher bevor, als irgend jemand ahnte, und die Änderung der Dinge, die schon in den letzten Jahren seiner Regierung begonnen hatte, bildete sich in immer rascherem Verlaufe zu totalem Umsturze des Bestehenden aus.


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