Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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V

Die Ereignisse jedoch unterbrachen diese künstlerischen Pläne. Der Beschluß des Consiglio vom 22. August kann als eins der letzten Zeichen des guten Glaubens an eine gedeihliche Entwicklung der Dinge betrachtet werden. Denn gerade in jenen Tagen, als man in Florenz so über den Schmuck des Palastes verhandelte, ging das Heer der Verbündeten vor Neapel seinem Untergang entgegen. Zwei Tage nach dem 28. starb Lautrec, der französische Obergeneral, an der im Lager ausgebrochenen pestilenzialischen Krankheit, und der größte Teil seiner Soldaten folgte ihm. Eben noch war Neapel auf dem Punkte gewesen, sich den Franzosen ergeben zu müssen, und durch einen plötzlichen Umschwung wird den Kaiserlichen der Sieg, wenn man den Umstand so nennen will, daß kein Feind mehr da war, in die Hände gegeben. Die Sache des Kaisers gewann bald die Oberhand in Italien. Der Papst fing an zu fühlen, daß Spanien die Seite sei, nach der er sich zu wenden habe, und die Bürgerschaft von Florenz war von neuem in der Lage zu erwägen, ob man mit Spanien oder Frankreich gehen wolle.

Der Entschluß, der jetzt gefaßt wurde, war ein entscheidender. Die Parteien standen sich hart gegenüber. Der Papst, dem es ein fürchterlicher Bissen war, mit Hilfe derselben Spanier, die ihn eben noch so schändlich mißhandelt hatten, seine Familie in Florenz wieder einzusetzen, ließ kein Mittel unversucht, die Stadt ohne diesen Beistand wiederzugewinnen. Er zog die mildesten Saiten auf, in sanften Wendungen verlangte er so gut wie nichts, aber man wußte, was dahinter verborgen lag. Capponi drang darauf, es solle mit dem Kaiser direkt unterhandelt werden; dann, man müsse Vertrauen zum Papste haben. Weder das eine, noch das andere ging durch. Beschlossen wurde, daß an dem Bündnisse mit Frankreich festzuhalten sei.

Von der Idee der altflorentinischen Freiheit war die Allianz mit Frankreich unzertrennlich. Wenn ihr ein florentinisches Herz mitten durchschneidet, werdet ihr eine goldene Lilie darin finden, lautete das Sprichwort. Luigi Alamanni, einer der edelsten Bürger der Stadt, der, mitbeteiligt an der Verschwörung vom Jahre 21, im Auslande hatte leben müssen und ein Freund des großen Doria geworden war, welcher damals mit der genuesischen Flotte aus dem Dienste Franz des Ersten in den Karls übertrat, kam im Herbst 28 zurück, nur um den Bürgern die absolute Notwendigkeit klarzumachen, daß es jetzt nur einen Weg zum Heile gebe: direktes Unterhandeln mit dem Kaiser. Doria war den Florentinern wohlbekannt; im November 27 hatte die Regierung von Genua bei Michelangelo einer Statue wegen angefragt, welche ihm errichtet werden sollte. Doria selbst, beteuerte Alamanni, wolle die Unterhandlungen am kaiserlichen Hofe einleiten. Nichts werde der Stadt so große Sicherheit gegen die Medici geben als ein solcher Schritt, und daß dies in der Tat die Wahrheit war, geht aus der Furcht des Papstes hervor, daß man sich in Florenz dazu entschließen würde. Aber Clemens brauchte von dieser Seite keine Gefahr zu erwarten. Vergeblich waren Alamannis Worte; so wenig vermochte er durchzudringen, daß man seine eigene Gesinnung in Zweifel zog und auf ihn als einen Feind der Freiheit mit Fingern wies.

Es ist zu bedauern, daß dieses Denkmal für Doria nicht zustande kam. Denn da Giulios Statue zu Bologna zerstört wurde und da die beiden Medicäer über den Sarkophagen in San Lorenzo die persönliche Ähnlichkeit der beiden Fürsten nicht geben sollten, so hätte Dorias Standbild vielleicht gezeigt, wie Michelangelo Aufgaben dieser Art ausführte. Sebastian del Piombos herrliches Porträt läßt erkennen, wie sehr die Erscheinung des Mannes sich für ein plastisches Werk in kolossaler Größe eignete. Dieses Gemälde wirkt selbst so plastisch, daß es in der Erinnerung das Wesen einer Statue beinahe annimmt. Unter Michelangelos Einfluß hatte Sebastian diese Auffassung menschlicher Gestaltung gewonnen, obwohl freilich auch Giorgione sie ihm gelehrt haben konnte.

Vielleicht aber wäre Michelangelo selbst gegen ein Denkmal für Doria damals gewesen. Man wollte keinen Mittelweg einschlagen. Daran ging Capponi zugrunde, daß er dies dennoch versuchte, und deshalb muß Michelangelo zu seinen Gegnern gehört haben. Denn mit den Parteien wurde der Gonfalonier schon fertig, allein über den Parteien stand eine Auswahl von Männern, diejenigen, welche Busini als die Blüte der Bürgerschaft zuerst aufzählt, wo er über die Spaltungen der Stadt berichtet: diese täuschte er nicht. Sie wollten die Freiheit. Nichts weiter. Begeisterte Anhänger der Idee mehr, als daß sie etwas Bestimmtes, praktisch Erreichbares darunter verstanden hätten, war ihr reiner Wille gleichsam der gute Geist von Florenz. Leider wollten die Fügungen des Schicksals, daß ein Dämon aus ihm werden sollte, das aber kann unser Urteil nicht umgestalten.

Michelangelos Familie gehörte dem hohen Adel der Stadt nicht an. Er selbst war nicht reich, kein ausgesprochener Anhänger Savonarolas, aber auch kein Arrabiate. Er hatte kein Programm, er stand auf, wo sich auf irgendeiner Seite eine Neigung gegen das Ideal der Freiheit zeigte, die sein Herz erfüllte, aber deren Wesen er ebensowenig in Worte zu übersetzen vermocht hätte, als irgendein tief im Herzen wurzelndes Gefühl in der Sprache klar aufgeht. Nur gelegentliche Handlungen zeigen es.

So hoch stand Capponi nicht. Er zählte zum höchsten Adel der Stadt. Man sagt, der Papst habe ihn damit kirre gemacht, daß er seinem ältesten Sohne Caterina, die Herzogin von Urbino, zugesagt. Den anderen habe er zum Kardinal machen wollen. Es wäre unnatürlich gewesen, hätte der Gonfalonier nicht darauf Rücksicht nehmen oder die Ansprüche der andern hohen Familien unbeachtet lassen wollen, deren Zorn gegen die Medici nur daher stammte, daß diese ihnen das Vorrecht geschmälert hatten, neben ihnen die Tyrannen in Florenz zu spielen. Capponi, aufgewachsen in denselben Prätentionen, mußte ihnen zuerst gerecht zu werden suchen.

Und so kam es. Die eigentliche Regierung der Stadt bestand aus 80 Bürgern, dem Zusammenfluß der höchsten Behörden. An sie wandten sich die fremden Gesandten, ihnen wurden die Berichte der eigenen zuerst vorgetragen. Capponi zog zu dieser Versammlung den hohen Adel der Stadt, als wenn sich das von selbst verstände, gleichsam als Lords, denen der Zutritt durch Geburt zukam. Sie stimmten nicht mit, aber sie nahmen teil an den Sitzungen, Männer von Erfahrung und in der Kunst aufgezogen, ihre Meinung plausibel zu machen. Befangen durch diese, wagten die Achtzig nicht zu reden, wie sie dachten, oft sogar nicht zu stimmen, wie sie meinten. Aber noch mehr: die Achtzig wechselten in kurzen Zwischenräumen, da die Mehrzahl der hohen Ämter nur immer auf kurze Zeit besetzt wurde, jene Vornehmen blieben stets dieselben. Statt sich um die Ämter zu bewerben, lehnten sie diese sogar ab. Sie bedurften dessen nicht, es wäre ihnen ein Hindernis gewesen. Und so fiel der Schwerpunkt der Regierung in sie, an die sich, weil sie das einzig stehende und zugleich unabhängige Element bildeten, unwillkürlich die Gesandten der fremden Mächte wandten, und von denen so indirekt über das Geschick der Stadt entschieden ward.

Die Arrabiaten hätten dem ein Ende gemacht, wären die Piagnonen nicht gewesen, denen von den Großen, Capponi an der Spitze, geschmeichelt ward. Außerdem, das Gros der Bevölkerung, die niederen Einwohner ohne politische Rechte und ohne Anteil am Consiglio grande, waren abhängig von den Großen, in deren Brot die meisten standen. Und so blieben die Arrabiaten in der Minorität zwischen zwei Gewalten, gegen die beide ihnen die Waffen fehlten.

Mit dem Jahre 1529 begann der Krieg der Parteien. Bis dahin hatte innerhalb der Stadt auch die Pest das öffentliche Leben niedergedrückt, während von außen her die Gefahr nicht drängte. Frankreich und Venedig hielten aus gegen den Kaiser und führten den Krieg weiter. Als nun aber die Pest verschwunden und die Annäherung zwischen Papst und Kaiser eine öffentliche Sache war, wurde Capponis zweifelhafte Gesinnung bald auf die Probe gestellt.

Sollte Florenz sich mit den Waffen verteidigen, wenn es von den Medici angegriffen wurde? Je näher das Frühjahr kam, um so näher rückte die Notwendigkeit, darüber zu entscheiden. Es herrschte Teuerung. Es bereitete sich wieder einer von den Momenten vor, wo unbestimmte Angst ausbricht und die Parteien sich vermischen. Befürchtungen tauchen auf, ohne daß man weiß, warum es gerade um so viel schlimmer stehen soll um die Stadt. Mißtrauisch beobachtet einer den andern, und überall werden geheime Verbindungen mit dem Papste gewittert. Dem Gonfalonier wird von staatswegen untersagt, irgendwie mit den Medici zu verhandeln. Da, am 15. April, entfällt ihm der Brief, der die geheime Korrespondenz mit Agenten des Papstes aufdeckt. Einer seiner ärgsten Feinde, ein Arrabiate, ist der glückliche Finder. Nach einem Höllenskandal im Palaste der Regierung muß Capponi auf der Stelle sein Amt niederlegen. Von der Anklage auf Hochverrat rettet ihn die im Consiglio grande gehaltene Verteidigungsrede; mit seiner mildernden, beschönigenden Art und Weise aber, die öffentlichen Angelegenheiten zu lenken, hat es nun ein Ende. Carducci, zweimal vergebens von den Arrabiaten dazu vorgeschlagen, wird in der Erregung des Momentes durchgebracht, ein Mann, den in anderen Zeiten weder Geburt noch Vermögen so hoch gestellt haben würden, ein politischer Emporkömmling, dessen Haß gegen die Medici die beste Garantie der Brauchbarkeit abgab, bei dem Gesinnung ersetzen sollte, was ihm an staatsmännischem Blick abging, und dessen Redlichkeit die Stadt mehr zu bedürfen schien als die Mißtrauen erweckende Gewandtheit Capponis. Mit seiner Wahl war ein entscheidender Schritt getan. Deutlicher konnte dem Papste nicht gesagt werden, was er zu erwarten hätte, jetzt erst sah er sich in Wahrheit ausgestoßen und mit Gewalt beinahe dem Kaiser zugetrieben, bei dem Hilfe suchen zu müssen das Schwerste war, was ihm vom Schicksal auferlegt werden konnte. Und wie er, so die Stadt, von der, wenn sie auch unter Capponi noch so energisch den Medici die Rückkehr verweigerte, dennoch jetzt erst die längst über die Familie ausgesprochene Achtserklärung als etwas Wirkliches behandelt ward.

Der neue Gonfalonier stand bei seinem Eintritte ins Amt mit der Majorität der Bürger in vollem Einklang. Nichts aber konnte ihm die Hilfe einer Partei ersetzen, welche für ihn im stillen arbeitete wie die Pallesken für Capponi. Schon dieser hatte soweit nachgehen müssen, die diplomatischen Vertreter an fremden Höfen aus der Volkspartei zu nehmen und mit ihnen die vornehmen Herren abzulösen, welche diese Posten bis dahin innegehabt. Jetzt, wo nun gar ein Demokrat ohne Rang und Namen die erste Stelle des Staates bekleidete und die Aristokraten in Florenz auch bei den Beratungen der Regierung in das streng gesetzliche Maß der Teilnahme zurückgedrängt wurden, verfiel die Leitung der Dinge der dilettantischen Energie wohlgesinnter, aber unbeholfener Bürger.

Allerdings suchte Carducci sogleich Vornehme und Piagnonen zu beruhigen und sich geneigt zu machen. Er tat seiner eigenen Partei entgegen das mögliche, um Capponis Freisprechung herbeizuführen, welcher wie im Triumphzuge den Palast verließ. Allein Carduccis Macht war weit geringer als die Capponis. Wenn er als guter Bürger die Achtzig gegen jeden ungesetzlichen Einfluß sicherzustellen bemüht war, mußte er sich ihnen bald so weit unterordnen, daß er nichts als die ausführende Hand ihrer Abstimmung war. Während die Beschlüsse früher unter dem Einfluß der Pallesken zustande kamen, schloß Carducci diese jetzt nicht nur aus, sondern gestattete den 16 Fahnenträgern des Volkes obendrein den Zutritt, Bürgern, deren Amt darin bestand, in Zeiten der Not die Fahnen zu tragen, unter welche die Bürgerschaft der Stadt verteilt war, um auf den Ruf des Gonfaloniers den Palast zu verteidigen, und die weniger als irgend jemand von Staatsgeschäften verstanden. Zugleich war es fast unmöglich, das Geheimnis zu wahren. Man erzählte sich auf der Straße, was in den geheimen Beratungen der Regierung vorgetragen oder beschlossen worden war, was in den Depeschen der Gesandten stand. Die Pallesken dagegen kamen nun ganz unter sich zusammen. Was sie betrieben, wußte niemand. Man begann einzusehen, es könne der Fall eintreten, daß man, von Frankreich verlassen, dem Kaiser allein Widerstand zu leisten hätte. Ohne zu wissen warum, empfand man, es gehe bergab, und die Verteidigung der Stadt, welche früher nur als allgemeine Möglichkeit vor Augen stand, drängte sich mit immer größerer Gewißheit als der Fall auf, der sicher zu erwarten wäre und der die Betreibung der Fortifikationsarbeiten zur wichtigsten und dringendsten Angelegenheit machte.

Capponi war gegen eine Befestigung der Stadt gewesen. Er meinte, es sei gar nicht möglich, ihr nahe zu kommen, käme man ihr aber nah, so würde man sie mit den besten Werken nicht verteidigen können. All die letzten Jahre, seit Clemens regierte, war an Befestigungen gearbeitet worden, zu denen einer der ersten Generale der Zeit umfangreiche Pläne entworfen hatte. Auch unter Capponi wurde langsam weitergebaut. Im Herbste 1528 hatte man ein wenig ernsthafter daran gedacht, aber nicht soviel vorwärts gebracht. Im April 29 jetzt wurde Michelangelo zum obersten Leiter der Befestigung von Florenz und der Städte des florentinischen Gebietes ernannt, während man Malatesta Baglioni, das Haupt der herrschenden Familie in Perugia, zum Oberbefehlshaber der Armee zu gewinnen suchte.

Michelangelos Tätigkeit war eines von den Dingen gewesen, welche dem Sinne Capponis zuwiderliefen und die er doch nicht verhindern konnte. Indirekt suchte der Gonfalonier ihm entgegenzuwirken. Schon begonnene Arbeiten ließ er bei zufälliger Abwesenheit Michelangelos, der nicht immer in Florenz sein konnte, entweder liegen oder sogar abtragen. Aber die Tage seines Amtes waren damals gezählt, und mit dem Eintritt Carduccis verwandelte sich die Lässigkeit der Regierung in ein Treiben und Anfeuern, dem Michelangelo, so ungemein seine Arbeitskraft auch war, jetzt kaum Genüge leisten konnte.

Florenz teilt sich in zwei Hälften, die nördlich vom Arno gelegene Stadt, das eigentliche Florenz, und die südlich vom Flusse angebaute kleinere Hälfte, die zur größeren wie Sachsenhausen etwa zu Frankfurt am Main liegt. Hier war der Angriff zuerst zu erwarten. Hier stoßen die umliegenden Höhen am dichtesten an die Mauern, so daß, wer in ihrem Besitz war, ganz Florenz mit der Artillerie beherrschte. Deshalb erschien eine Befestigung der nächstliegenden Hügel nötig, und mit dem von San Miniato machte Michelangelo den Anfang, während für die Umgebung der nördlichen Stadt vorerst nur eine genaue Aufnahme und Abschätzung aller außerhalb der Ringmauer gelegenen Gebäude vorgenommen wurde, deren Zerstörung bei dringender Gefahr erfolgen sollte.

Florenz war damals von Vorstädten und Kirchen, Klöstern und Palästen umgeben, an die sich in weiterem Umkreise unzählige Landhäuser anschlossen. Auch diese hätten als Unterkunftsstätten einer feindlichen Armee zerstört werden müssen. So kostbar war dieser Gürtel von Gebäuden, daß man in Italien schon deshalb eine Belagerung der Stadt für unmöglich hielt: nimmermehr würden sich die Bürger entschließen, so gegen ihr Eigentum zu wüten. Deshalb erscheint es natürlich, daß man mit ihrer Zerstörung auch jetzt wenigstens zögerte. Desto rühriger wurden die Arbeiten um San Miniato betrieben. Den alten Plan der Medici, welche gleichfalls diese Höhe im Auge gehabt, verwarf Michelangelo. Er zog die Linien enger zusammen. Die Bauern der Umgegend wurden aufgeboten und das Werk mit solchem Eifer von ihm gefördert, daß seine Backstein-Bastionen mit wunderbarer Schnelligkeit aus der Erde wuchsen.

Vier Plätze wollte man außer der Hauptstadt verteidigen: Pisa, Livorno, Cortona und Arrezzo. Die beiden ersten unentbehrlich, weil durch sie der Verkehr mit der See offen gehalten wurde, die beiden andern, weil sie der von Süden kommenden Armee den Weg verlegten. Von Norden her war einstweilen nichts zu fürchten. Dahinaus hatte man nur einige Gebirgspässe besetzt zu halten. Auch stand der Herzog von Ferrara als Generalkapitän in Diensten der florentinischen Republik und ließ vereint mit Venedig, auf das wie auf ihn als unversöhnlichen Feind des Papstes fest gerechnet wurde, nichts an die toskanischen Grenzen kommen. Ferrara sowohl als Venedig hatten päpstliche Städte inne, die, wenn es einmal zum Bündnisse zwischen Papst und Kaiser kam, so gut wie Florenz verteidigt werden mußten.

Im April, Mai und Juni 29 sehen wir Michelangelo teils von Florenz aus, teils persönlich mit den Befestigungen von Pisa und Livorno beschäftigt. Briefe sind noch vorhanden, in denen seine Anwesenheit verlangt und später über seine Inspektionsreise berichtet wird. Er empfängt Pläne und sendet sie revidiert wieder ab. Aus der Dringlichkeit, mit der um ihn geschrieben wird, und der wiederholten Antwort, daß er nicht abkommen könne, läßt sich schließen, wie sehr er von seinem Amte in Anspruch genommen und daß er die Seele der gesamten Tätigkeit war.

Die Depeschen des venezianischen Gesandten aber zeigen, wie in denselben Tagen die Hoffnung immer mehr schwindet, daß König Franz mit einer Armee nach Italien käme. Die beiden Prinzen von Frankreich waren als Geiseln in Madrid. Der König ertrug es nicht, seine Kinder länger entbehren zu müssen. Mit 40 000 Mann Infanterie, 2000 Pferden und 400 Rittern hatte er erscheinen wollen; man nahm das für so gewiß, als man die Ankunft des Kaisers für zweifelhaft hielt: aber die Anzeichen, daß man sich getäuscht, wurden stärker und stärker.

Noch war indessen nichts Entscheidendes geschehen, und man rechnete mit Vermutungen. In der Lombardei hielt die vereinte französisch-venezianische Macht die Kaiserlichen in Mailand belagert. In Neapel befanden sich die Truppen der Verbündeten wieder im Vorteil gegen die Spanier. Auch war der Papst krank, und die Nachrichten darüber ließen von Rom aus eine Lösung der Dinge als Möglichkeit erscheinen. Clemens, erschöpft durch die Erlebnisse der letzten Jahre, war im Dezember 1528 dem Tode nahe gewesen und seitdem nicht wieder zu Kräften gekommen. Im Frühjahr steigerten sich die Leiden aufs neue und sein Verschwinden vom Schauplatz stand in Aussicht. Statt dessen trifft am 13. Juni die vernichtende Nachricht von der Niederlage der Franzosen in der Lombardei ein, und zugleich eine Depesche aus Frankreich über die bevorstehende Versöhnung zwischen dem Kaiser und dem Könige.

Stand es so mit Franz dem Ersten schon vor dem Unglück in der Lombardei, so wußte man jetzt, daß keine Hoffnung mehr auf seine Hilfe sei. Er war gezwungen, die italienischen Verbündeten ihrem Schicksale zu überlassen. Schon hatten die Verhältnisse sich so gewandt, daß an der genuesischen Küste der Landung spanischer Truppen entgegengesehen ward und die Bewohner von Spezzia ihre Habe nach Genua flüchteten. Bald war man nun auch darüber unterrichtet, daß der Papst wiederhergestellt, der Vertrag zwischen ihm und dem Kaiser zu gemeinsamer Unterjochung der Stadt abgeschlossen und der Prinz von Oranien in Rom angelangt sei, um den Feldzug vorzubereiten.

Dieselben deutschen Landsknechte und Spanier, welche Rom zu einer Wüste gemacht und mit dem Papste selbst den Hohn auf die Spitze getrieben, traten in päpstliche Dienste, und Oranien, der im Vatikan gehaust, wurde von Clemens durch die Hoffnung auf die Hand Caterinas zu größerer Energie angefeuert. Guicciardini schreibt in jenen Zeiten: auch das Stärkste was man über den Hof des Papstes sage, müsse zu schwach erscheinen, die Wirtschaft im Vatikan sei eine Infamie und ein Musterbild alles Verdammungswürdigen. Ist es zu verwundern, wenn die Völker damals sich zu befreien strebten von der Herrschaft dieser Priester und daß Luthers Lehre, nachdem sie eine Zeitlang wie heimliches Feuer in Deutschland um sich gefressen, nun in allen Ländern zum Ausbruch kam? In ganz Europa erwachte damals erst ein Echo dessen, was zehn Jahre lang in Deutschland gepredigt worden war. Denn alle Welt erkannte, wie es in Rom zuging. Karl brauchte den Papst, weil er gekrönt sein wollte, Clemens Karl, weil er die eigene Vaterstadt lieber vernichten als seine Familie nicht darin herrschen sehen wollte. Bei Karl aber wenigstens weitgreifende, großartige Pläne eines bedächtig langsam schreitenden Herrschers, bei Clemens rachsüchtige launenhafte Politik eines wütend gemachten kleinlichen Menschen, dem Lüge und Verrat das tägliche Brot war. Ich wüßte nicht einen einzigen Zug bei diesem Papst zu finden, der mehr als höchstens das Gefühl des Mitleids für ihn aufkommen ließe. Es liegt etwas weibisch Kränkliches in seinem Wesen, das ihn unerträglich macht und das seine Bildnisse unheimlich treffend wiedergeben.

Noch immer wurde von Rom aus nicht offen gegen Florenz verfahren. Die Rüstungen galten offiziell nur dem Kriege gegen Perugia: Malatesta Baglioni sollte gezüchtigt werden, daß er gegen den Willen des Papstes den Oberbefehl der florentinischen Truppen übernommen. Auch Siena sollte Strafe erleiden. Malatesta hätte sich vielleicht jetzt mit dem Papste vereinigt, wäre er nicht überzeugt gewesen, daß auch nicht ein Punkt der Versprechungen, mit denen man ihn lockte, gehalten würde. Die Sanesen gleichfalls hätten mit Entzücken das Unglück der ihnen verhaßten Florentiner mit angesehen, hätte nur nicht durch die Medici auch bei ihnen die alte Tyrannei wieder eingesetzt werden sollen. Einstweilen hielt deshalb Toskana gegen den Papst zusammen, sogar der Tyrann von Piombino bot für Geld seine Truppen an. Aber bei dieser Vereinigung des ganzen Landes nicht ein Zug menschlich verbindenden nationalen Gefühls. Nur die Berechnungen der einzelnen, deren gemeinsamer Vorteil zufällig Widerstand war, brachten den Zusammenschluß zuwege. Man muß das beobachten um zu fühlen, wie lebendig, frei und natürlich die Stellung von Florenz war. Auch hier eine egoistische Politik, aber was die Bürger tun, erhält eine Beimischung von Kindlichkeit, die zu inniger Teilnahme auffordert. Sei trugen ein Ideal im Herzen, dem sie sich opfern wollten.


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