Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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VI

Am 20. Juli beginnt in der Stadt die Einfuhr von Lebensmitteln. Jedermann sollte in seinem Hause die Vorratsräume füllen so viel hineinginge. Das Jahr war ein gutes gewesen und begünstigte die Verproviantierung. 3000 Mann arbeiten an der Mauer, 10 000 Soldaten stehen im Solde der Republik, 4000 bewaffnete Bürger kommen dazu, und täglich werden neue Truppen angeworben. Am 24. nimmt die Zerstörung der Vorstädte ihren Anfang. Mit Widdern, wie die Alten sie gebrauchten, werden die Häuser eingestoßen, Baumwerk und Gebüsch in den Gärten abgehauen und zu Faschinen verarbeitet. Häuser, Paläste, Kirchen stürzen zusammen, alles greift zu und hilft bei dem Werke der Vernichtung. Wie die Matrosen auf den Schiffen, erzählt Varchi, hätten sie im Takt geschrien, wenn die Seile zurückgezogen oder wieder losgelassen wurden, durch welche die schweren Stoßbalken in Bewegung kamen. Oft halfen die Eigentümer der Gebäude am eifrigsten bei ihrem Einbruch. So sehr lebte in der Masse des Volkes der Geist der Freiheit, und nur in wenigen von den reichsten Familien zeigte sich Widerstreben, das Seinige zum Opfer zu bieten.

Bei dieser Arbeit des Zugrunderichtens ereignete sich eines jener kleinen natürlichen Wunder, die für die Macht der Kunst über den Menschen Zeugnis ablegen. Ein Haufe Bauern und Soldaten ist damit beschäftigt, das Kloster von San Salvi einzureißen. Schon liegt ein Teil des Gebäudes in Trümmern, als sie an den Speisesaal kommen, wo wie gewöhnlich das Abendmahl groß an die breite Wand gemalt war. Dies Werk, das heute noch an dem halbzerstörten Gemäuer steht, frisch und wohlerhalten, als wäre alles eben erst vorgefallen, ist eine Freskomalerei Andrea del Sartos und eine der schönsten, die er geschaffen hat.

Del Sarto wäre längst genannt geworden als einer der bedeutendsten Florentiner Künstler, stände er nicht so sehr außer Zusammenhang mit seinen Zeitgenossen. Wenige Jahre jünger als Raffael, gehört er noch zu den Meistern, die im Vergleich zu Michelangelo und Leonardo die jüngeren, im Vergleich zu denen aber, welche um 1529 bereits die Mehrzahl bildeten, die älteren genannt werden müssen. Dem inneren Gehalt seiner Werke nach hält er sich etwa mit Fra Bartolommeo auf einer Höhe: ausgezeichnete Begabung, aber Mangel an der umfassenden geistigen Ausbildung, die mit dem Anbruch des sechzehnten Jahrhunderts unerläßlich ward, um mit Raffael, Michelangelo und Leonardo gleichen Schritt zu halten. Seine Zeichnung ist edel und oft von erhabener Einfachheit, seine Farbe nie brillant, aber bis in die zartesten Nuancen harmonisch, sie hat das eigentümliche Bleiche oder Lichte, das dem Florentiner Kolorit überhaupt eigen ist und aus dem Einfluß der Freskomalerei erklärt werden könnte. Andrea del Sarto fehlte wenig, um ein Genie ersten Ranges zu heißen, dies wenige aber fehlte ihm um so empfindlicher. Vasari drückte sich aus eigener Anschauung so über ihn aus: hätte etwas Stolzeres, Kühneres in Andreas Natur gelegen, sagt er, er stände ohnegleichen da; eine gewisse Schüchternheit des Geistes jedoch, ein Sichfügen und Nichthervorstechenwollen ließ nie das lebendige Feuer bewußter Selbständigkeit in seine Werke fließen, durch das er die höchste Höhe in seiner Kunst erreicht haben würde; Hoheit und Fülle fehlten ihm. Vasari legt hier aber den allerhöchsten Maßstab an.

Del Sarto war nur einmal in Rom, verließ es aber bald wieder und ging, einen kurzen Aufenthalt in Frankreich ausgenommen, nicht fort von Florenz, wo er während der zwanziger Jahre etwa denselben Rang einnahm, den Sebastian del Piombo in Rom behauptete. Als Michelangelo 1525 zum Papste berufen wurde, übergab er ihm den jungen Vasari, der zu ihm in die Lehre getan worden war. Daß aber Michelangelo in bezug auf del Sarto gesagt haben soll, er kenne in Florenz einen, der es mit Raffael aufnehmen würde, ist eins von den vielen Urteilen, welche ihm spätere Schriftsteller in den Mund legen, ohne eine andere Quelle als Hörensagen zu haben. Hätte er dergleichen geäußert, so wäre es nur Spott gewesen.

Del Sarto starb als kaum vierzigjähriger Mann. Er hat viel gearbeitet. Florenz ist reich an seinen Werken, und in vielen Galerien finden wir davon; die schönsten aber in seiner Vaterstadt, wo man allein den richtigen Begriff von seiner Art zu malen erlangen kann. Denn in seinen Freskobildern ist er am kühnsten und natürlichsten.

Möglich, daß sein Gemälde im Kloster San Salvi durch Michelangelos ausdrücklichen Befehl gerettet ward. Denn er leitete die Demolierung der Vorstädte, und ohne seine Zustimmung hätte wohl nirgends eine Ausnahme gemacht werden dürfen. Vielen anderen Werken der Kunst wurde keine Schonung zuteil, und viel ging innerhalb der Mauern verloren damals: Gold- und Silberarbeiten, die man einschmolz, Bilder und Statuen, die von den in Not geratenen Besitzern verkauft und ins Ausland, besonders nach Frankreich geführt wurden. Franz der Erste hatte seinen Agenten dafür in Florenz, Batista della Palla, der nach allen Seiten hin damals die Geldverlegenheit der Bürger sich zunutze machend, Kunstwerke ankaufte und fortschickte.

Vasari erzählt einen dieser Fälle. Jener Borgherini, mit dem Michelangelo so nahe befreundet war, einer der reichsten unter den Florentiner Bankiers, hatte, als die Belagerung ihren Anfang nahm, die Stadt verlassen und sich nach Lucca begeben. In seinem Palaste befand sich ein Zimmer, das von den ersten Meistern ausgemalt und bis auf den geringsten Hausrat mit künstlerischer Pracht ausgestattet war. Puntormo besonders war darin tätig gewesen, ein Schüler Michelangelos, und heute am bekanntesten dadurch, daß er nach dessen Kartons einige Gemälde geliefert hat. Dieses kostbare Gemach schien dem Agenten des Königs eine gefundene Beute. Es war das Eigentum eines von denen, die geflohen und geächtet waren. Der Regierung wußte Batista della Palla vorzustellen, daß kein passenderes Geschenk der Republik an König Franz gefunden werden könne als der völlige Inhalt dieses Gemaches, und erhielt die Erlaubnis, sich in Besitz desselben zu setzen.

Borgherinis Gemahlin war im Palaste geblieben. Sie sollte an Geld empfangen, was für die Arbeit bezahlt worden wäre. Mit seiner Machtvollkommenheit auf dem Papier präsentiert sich ihr Batista. Sie aber läßt sich nicht einschüchtern. »Wagst du, elender Trödler, hier einzudringen«, ruft sie ihm entgegen, »und die Paläste der Edelleute ihres Schmuckes zu berauben, um die Häuser der Fremden, deines eigenen jämmerlichen Gewinstes wegen, damit anzufüllen? Doch über dich, plebejische Seele und Feind des Vaterlandes, erstaune ich weniger als über die Regierung, die solche Verbrechen begünstigt. Dieses Bette hier, das du willst fortschleppen lassen, um deiner Habsucht einen Gewinn zu schaffen, obgleich du den Anschein annimmst, als tätest du es mit Bedauern, ist mein Hochzeitsbette, zu dessen Schmuck der Vater meines Gemahls diese königlichen Zieraten anfertigen ließ, und was ich um seinet- und meines Mannes willen verehre und mit meinem Blute verteidigen will, ehe ihr es berühren sollt. Fort mit deinen Helfershelfern! Sage denen, die dir Vollmacht geben, mich zu berauben, wenn sie König Franz Geschenke machen wollten, möchten sie ihre eigenen Häuser und Gemächer plündern, und wenn du zurückzukommen wagst, sollst du erfahren, wie ich dich dann heimschicke!« – Es scheint nicht, daß della Palla einen zweiten Versuch machte. Andere verteidigten wohl weniger energisch ihr Eigentum, viele dankten dem Himmel, daß sich in so schlechten Zeiten jemand fand, der Geld für dergleichen gab, während noch andere, wie die Medici selbst, bevor sie abzogen, ihr goldenes und silbernes Gerät, das fast in allen Häusern der Form nach künstlerischen Wert besaß, einschmelzen ließen. Nicht nur um selbst Geld zu gewinnen, sondern auch damit es der Staat im dringenden Falle nicht dafür fortnähme.

Die niedergebrochenen Häuser sollten nun in Festungswerke verwandelt werden. Die Regierung sendet Michelangelo nach Ferrara, um sich die berühmten Befestigungen dort anzusehen und mit dem Herzoge Rücksprache zu nehmen. Am 28. Juli verläßt er die Stadt und trifft am 2. August abends in Ferrara ein, wo er sogleich dem florentinischen Gesandten seine Briefe überreicht. Bei diesem seine Wohnung zu nehmen, verweigerte er, wie der Gesandte das in der Michelangelos Ankunft meldenden Depesche ausdrücklich erwähnt. Über dergleichen Kleinigkeiten wurde damals von den Diplomaten genau Buch geführt, und so gut wie der Gesandte in Rechnung gebracht haben würde, was ihm aus Michelangelo Beherbergung an Unkosten erwachsen, wird dieser ohne Zweifel bei seiner Rückkehr liquidiert haben, was er im Wirtshause ausgegeben hatte.

Ferrara war in Italien zu jenen Zeiten der eigentliche Militärstaat, und der Herzog galt, was Kriegführung und Politik anbetraf, für einen vollendeten Künstler. Seine Regierung war eine fortlaufende Kette von Schwierigkeiten gewesen, die er alle überwand und durch die er sich nicht hindern ließ, sein Land und die eigene Familie in die Höhe zu bringen.

Man hoffe, wird dem Gonfalonier von Florenz geschrieben, es werde nichts versäumt werden, um dem Herzoge deutlich zu machen, welch ein Mann Michelangelo sei und welch hohe Meinung die Regierung von ihm hege. Auch wurde ihm sogleich alles gewährt. Nachdem er zuerst in Begleitung des Gesandten Stadt und Festungswerke in Augenschein genommen, wiederholte er die Besichtigung in Begleitung des Herzogs selber. Neben ihm reitend, erhält er aus seinem Munde Auskunft über alle Punkte. Seine Exzellenz, berichtet der Gesandte, habe Michelangelo mit der äußersten Freundlichkeit aufgenommen.

Über eine Woche blieb er in Ferrara. Als er sich im Palaste verabschiedete, hielt ihn der Herzog noch zurück. Scherzend erklärt er ihn für seinen Gefangenen und verlangte als Lösegeld das Versprechen, ein Bild für ihn zu malen. Michelangelo sagte die Arbeit zu und machte sich wieder nach Florenz auf, wo während seiner Abwesenheit Tag und Nacht an den Befestigungswerken geschafft worden war, die Festtage nicht ausgenommen. Mit Sehnsucht erwartete man seine Ankunft und das Resultat der Beratungen mit dem Herzoge.

Denn gerade in den Tagen seiner Abwesenheit hatte sich die Lage der Dinge in Florenz zum Schlimmsten gewandt. Positive Nachrichten über den in Cambray geschlossenen Frieden waren angelangt. Gewißheit hatte man nun, daß die Florentiner von Frankreich verlassen und dem Papste preisgegeben waren. Franz der Erste unterwarf sich der spanischen Übermacht. Venedig und Ferrara strichen nun auch die Segel. Die letzte Hoffnung für Florenz beruhte auf der Möglichkeit, so lange vielleicht Widerstand zu leisten, bis die damals leicht wechselnden Verhältnisse sich günstiger gestalteten. Nun, da die Wahl so stand, ob man dies Äußerste über sich nehmen und, wie die Pallesken meinten, das Schicksal auf wahnsinnige Weise herausfordern sollte, setzten diese durch, daß eine Gesandtschaft an den Kaiser geschickt wurde, um direkt zu unterhandeln. Capponi hatte das immer gewollt, aber in Zeiten, als es noch möglich war. Denn jetzt, wo zwischen Papst und Kaiser feste Verträge bestanden, konnte nichts mehr dabei herauskommen.

Auch diente die Gesandtschaft nur dazu, Ferrara und Venedig eine Art Vorwand dafür zu liefern, daß sie Florenz im Stiche ließen. Sie erklärten das Verfahren der Stadt für eine Treulosigkeit, während Karl die Gesandten in Genua zwar empfing, auf ihre unbestimmten Anträge jedoch unbestimmt antwortete und nach Bologna weiterging, Alessandro und Ippolito in seiner nächsten Umgebung, spanische Truppen, welche seine Flotte mitgebracht, langsam nachrückend, und von Norden her eine deutsche Armee im Anzuge, die einstweilen keine andere Bestimmung hatte, als mit den Spaniern vereint in Italien eine imposante Macht zu bilden.

Zu gleicher Zeit findet südlich von Perugia die Vereinigung des Heeres statt, das unter Oranien, wie nun offen ausgesprochen wurde, gegen Florenz marschieren sollte. Der Herzog von Ferrara verbietet jetzt seinem Sohne, den von den Florentinern übertragenen Oberbefehl anzunehmen. Wie es mit Venedig stand, zeigt die Klausel des Vertrages von Cambray, wonach sich der König verpflichtet hatte, gegen die Republik seine eigene Flotte mit operieren zu lassen, falls nicht binnen bestimmter Frist die an der neapolitanischen Ostküste in Besitz genommenen Städte übergeben würden. Die Florentiner aber wollten sich wehren, und mit jener seltsamen Freudigkeit, die in Zeiten der Not durch die Anspannung aller Kräfte in den Gemütern hervorbricht, wird die Ankunft des Feindes erwartet.

Der erschien rascher als man gedacht. In der zweiten Woche des Septembers schon wird Perugia preisgegeben. Man hatte es verteidigen wollen, Malatesta jedoch überläßt mit Erlaubnis der florentinischen Regierung seine Stadt dem Prinzen und zieht sich auf Arezzo zurück. Das gab den Bürgern, so mutig sie waren, doch einen Stoß. Man dachte daran, wozu der bloße Vorschlag früher für Verrat erklärt worden wäre, Gesandte an den Papst zu schicken. Noch aber kam es nicht soweit. Wer am meisten dagegen sprach, war Capello, der venezianische Gesandte. Warum, sagen seine Depeschen. Kein Mittel habe er versäumt, heißt es darin, den Herren im Palaste deutlich zu machen, daß ein solcher Schritt ihr sicherer Untergang wäre, denn klar sei es – dies seine Worte – träte jetzt eine Verständigung zwischen Clemens und der Stadt ein, so müsse sich die Armee des Prinzen auf Apulien, Urbino und die Romagna werfen oder in der Lombardei mit den Truppen des Kaisers vereinigen, um gegen Venedig zu operieren. Während Capello den Florentinern also die besorgteste Freundschaft heuchelt, geschieht alles, was er tut, nur zum Nutzen seiner eigenen Regierung.

Den 16. September kommt Malatesta in Florenz an, um die Festungswerke zu inspizieren, von denen wir außer dem Berge von San Miniato, die Bastionen vor Porta di San Giorgio und Porta della Giustizia als Michelangelos vorzüglichste Schöpfungen erwähnt finden. Arezzo soll um jeden Preis gehalten werden. Noch am 8. war Michelangelo dahin begehrt worden, um guten Rat zu geben, am 19. aber schon marschieren die florentinischen Truppen auch von dort ab. Tags zuvor war Cortona gefallen. Innerhalb weniger Tage ist der Krieg, der fern an den Grenzen von Toskana geführt und ausgekochten werden sollte, dicht vor die Mauern von Florenz getragen und eine Stimmung in der Stadt aufgeregt, die auch hier eine augenblickliche Entscheidung, vor der der Waffen, herbeizuführen drohte.

Denn bis dahin hatte die mediceische Partei ausgehalten in Florenz. Sie wollten ihren Einfluß bei den Entschließungen der Regierung nicht aufgeben. Sie hofften auf eine Lösung der Dinge, welche den Medici die Rückkehr gestattete, ohne sie selbst zu viel von ihrer Unabhängigkeit einbüßen zu lassen. Das setzen sie jetzt noch durch, daß die Gesandten an den Papst gewählt werden, und, um sofortigen Einhalt in den Bewegungen der kaiserlichen Armee zu erwirken, ein Bürger den Gesandten vorausgeschickt wird, der ihre Ankunft melden sollte. Clemens aber will jetzt von nichts mehr hören als bedingungsloser augenblicklicher Unterwerfung. Und zugleich läßt er den Häuptern der mediceisch Gesinnten den Befehl zukommen, Florenz zu verlassen und sich in Rom einzufinden.

Die Lage der Dinge war derart, daß es jetzt noch den Pallesken um ein Haar gelungen wäre, einen Umsturz zugunsten der Medici herbeizuführen. Schon hatten sie es soweit gebracht, daß ein Teil der Behörden von der Notwendigkeit überzeugt war, es müsse ein Bürger mit unbeschränkten Vollmachten nach Rom gesendet werden. Doch der Gonfalonier hielt stand ihnen gegenüber. Wäre am 18. September aber der Prinz von Oranien nur um eine Tagereise der Stadt näher gewesen, nichts hätte dann der allgemeinen Stimmung Halt zu geben vermocht, und eine Kapitulation wäre abgeschlossen worden. Denn ein panischer Schrecken ergriff die Bürgerschaft. Die plötzliche Ankunft der Soldaten Malatestas hatte die Idee aufkommen lassen, er selber stehe im Solde des Papstes und werde die Stadt, die in seiner Gewalt war, ausliefern. Viele verlassen Florenz. Die vom Papst berufenen Pallesken fliehen zum größten Teile ins Hoflager nach Bologna, viele andere, die nur die Furcht davontrieb, in die umliegenden Städte. Und unter denen, die so ihr Heil in der Flucht suchen, befindet sich auch Michelangelo!

Er hatte ganz besondere Gründe, die Sache der Stadt als eine verlorene anzusehen. Er glaubte im Benehmen des Generals bei dessen Anordnungen zur Armierung der Wälle absichtliche Nachlässigkeit bemerkt zu haben. Der Hügel von San Miniato, als der Kern der Befestigungen vor der südlichen Stadt, war Malatesta speziell zuerteilt worden, und über die Art, wie er die Kanonen dort aufstellen ließ, erstaunte Michelangelo dermaßen, daß er Mario Orsini, einen der anderen im Solde der Republik stehenden Hauptleute, darüber zur Rede setzte.

»Du solltest doch wissen, daß diese Baglionis sämtlich Verräter sind«, antwortete ihm der. Michelangelo eilt in den Palast und gibt seine Besorgnisse zu erkennen. Man hört ihn an, lacht ihn aus und wirft ihm Mangel an Mut vor. Man war den Herren von der Regierung an jenem Tage zu oft mit dergleichen gekommen, und sie weisen kurz ab, was von Verdacht und Befürchtungen vorgebracht wird. Ihre erste Pflicht war, sicher und fest aufzutreten und kein Bedenken aufkommen zu lassen.

Aufgeregt und beleidigt verläßt Michelangelo den Palast und kehrt nach San Miniato zu seinen Bastionen zurück. Dort aber hat er nun eine entscheidende Begegnung. Rinaldo Corsini kommt zu ihm heraus und sagt ihm ins Ohr, er solle sich fortmachen, wenn er sein Leben retten wolle. In wenig Stunden würden die Medici in der Stadt sein. Noch zögert er, allein Corsini läßt nicht los, sie gehen zusammen in die Stadt, in Michelangelos Haus, und die Flucht wird beschlossen.

Man hat sich bemüht, Michelangelo weiß zu brennen, und ist zu dem Endurteil gelangt, daß, wenn ihm auch seine Schwachheit als ein natürliches Gefühl, das jeden einmal völlig zu überwältigen vermöge, verziehen werden könne, dennoch nichts ihn von dem Vorwurf befreie, als Bürger damals seine Pflicht nicht getan zu haben. Nichts natürlicher aber als seine Flucht. Für ihn stand fest, daß Malatesta ein Verräter sei. Statt gehört zu werden von der Regierung, war er mit Hohn abgewiesen und beleidigt worden. Er sah voraus, wie am nächsten Tage schon die, welche eben noch so energisch jede Vermittelung und jede Vorsicht von der Hand wiesen, von Malatesta oder Oranien zum Schweigen gebracht sein würden. Er wollte kein Zeuge des Verderbens sein. Er hatte seinen alten Vater, seine Brüder und deren Familien, welche sämtlich ohne ihn nicht existieren konnten. Er mußte ihnen seinen Kopf erhalten. Während Corsini fortgeht, um die Pferde zu beschaffen, läßt Michelangelo 3000 Dukaten in seine Kleider nähen und übergibt der Magd, was sich an Vorräten im Hause befindet. Zu vieren steigen sie dann auf: er, sein Diener Antonio Mini, sein alter Freund, der Goldschmied Piloto, und Rinaldo Corsini. Es war nicht so leicht, aus der Stadt zu entkommen. Ein Tor nach dem andern wird probiert, ob man sie herausließe, endlich bei der Porta di Prato findet sich ein Durchlaß. Eine Stimme erhebt sich aus dem dort Wache haltenden Trupp, es sei ja Michelangelo, welcher Ausgang begehre, einer von den Neun Männern! Als oberster Intendant der Befestigungsarbeiten nämlich gehörte Michelangelo zu dem Collegium der »Neun Männer über das Kriegswesen«, die als eine Art Generalstab unter den Befehlen der »Zehn Männer über Krieg und Frieden« standen. Und so, als die Wachen am Tor seinen Namen hören, lassen sie ihn und seine Begleitung frei durchpassieren.


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