Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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III

Michelangelo hatte schon vor dem Regierungsantritte des neuen Herrn im Vatikan nichts mehr zu tun gehabt, Raffael, der von Würde zu Würde stieg, war dort allmächtig. Selbst in die Sixtinische Kapelle einzudringen, war Raffael endlich gelungen. Er arbeitete an den Kartons für die Teppiche, welche den tiefsten Teil der Mauer rings herum bedecken sollten, Werke, die durch innere Größe, Einfachheit und Beherrschung aller Körperformen das Bedeutendste sind, was er geschaffen hat. Hier tritt er am nächsten an Michelangelo heran, und wenn Raffaels Absicht war, ihn durch eine gewaltige Leistung zu bekämpfen, so gelang es ihm. Ob Leo jedoch, Raffael für den vorzüglicheren Künstler haltend, deshalb so viel Gunst auf ihn gehäuft, oder ob dies nur die Folge jener zweiten Kunst war, die Raffael im höchsten Grade besaß: die Menschen unwiderstehlich anzuziehen, ist ungewiß. Es scheint, daß Leos und Michelangelos Naturen einander leise abstießen. Es gehörte ein Mann wie Giulio II. dazu, um bei persönlicher Frage und Antwort Michelangelo zu überbieten, Leo scheute sich vor ihm. Er sprach offen aus, Michelangelo sei so wild, und es lasse sich mit ihm nicht verkehren. Indessen, Leo war Papst und Michelangelo war Michelangelo. Er nahm eine Stellung ein, welche Aufträge für ihn wie eine Notwendigkeit erscheinen ließen,

Auch erwartete Michelangelo diese Aufträge als etwas Sicheres und suchte sich für den Fall, daß sie erfolgten, die Schultern frei zu machen. Mit der größten Anstrengung wurde die Fortführung der Grabmalarbeiten betrieben. Im Sommer 1515 werden von Buonarroto 1500 Dukaten als Betrag aller beim Spitalmeister niedergelegten Gelder nach Rom gesandt. Michelangelo wollte das Metall zu den Bronzeteilen des Monumentes dafür kaufen. Er müsse rasch fertig werden, schreibt er, denn der neue Papst werde nächstens seine Dienste in Anspruch nehmen. Er mahnt die Seinigen, sich einzuschränken und keine unsichern Spekulationen zu unternehmen. Der Spitalmeister, höre er, habe sich beklagt, daß er so große Summen verlange. Der Spitalmeister sei verrückt: so lange Jahre habe der Mann das Geld ohne Zinsen von ihm gehabt, und nun, wo man sein Eigentum verlange, räsoniere er. Oft sind Michelangelos Briefe jetzt im hellen Ärger geschrieben, wenn die zu Hause seinen Anordnungen nicht nachgekommen waren, immer aber voll Sorge um das Wohl der Familie. Vom 21. April 1516 haben wir ein kurzes Billet des Kardinals Aginense an ihn, eines der Testamentsexekutoren Giulios, der in Ausdrücken, welche eine gewisse Ängstlichkeit verraten, die Bitte ausspricht, Michelangelo möge doch die Herzogin von Urbino nicht mit dem unangenehmen Gefühle von Rom abreisen lassen, nichts von dem Monumente gesehen zu haben. Am 8. Juli desselben Jahres wird mit den Erben Giulios ein neuer Kontrakt vereinbart, demzufolge das Grabmal abermals neue Gestalt erhalten soll. Jetzt soll es ganz dicht an die Wand gerückt werden. Der Preis 16 500 Dukaten, von denen 3 500 bereits gezahlt worden waren. Die Arbeitszeit neun Jahre. Fälle von Krankheit oder andere Verhinderungen besonders vorgesehen. Versprechen angestrengter Tätigkeit von seiten des Meisters zugesagt, der nach Belieben in Rom, Pisa, Florenz oder Carrara arbeiten dürfe: all das aber wiederum umsonst, denn es ergeht der Ruf an Michelangelo, im Vatikan die Befehle des Papstes für Erbauung einer Marmorfassade der Kirche San Lorenzo in Florenz in Empfang zu nehmen.

Michelangelo befand sich im Herbste 1516 in Carrara, wo unter seiner Leitung Marmor für das Grabdenkmal gebrochen wurde, als ihm zwei Nachrichten gleichzeitig zukamen: die eine aus Rom, jener Befehl des Papstes; die andere aus Florenz, daß sein Vater lebensgefährlich erkrankt sei. »Buonarroto«, schreibt er am 23. November 1516 aus dem Gebirge an seinen Bruder, »ich ersehe aus deinem letzten Brief, daß der Vater todkrank gewesen ist und daß der Arzt ihn jetzt, falls keine bösen Zwischenfälle eintreten, außer Gefahr erklärt hat. Ich komme deshalb nun nicht nach Florenz, ich stecke zu tief in der Arbeit, wenn sich aber sein Zustand verschlimmern sollte, so will ich ihn auf alle Fälle vor seinem Hinscheiden noch gesehen haben, und wenn ich selber mit ihm sterben müßte. Doch hoffe ich, es geht gut, und komme deshalb nicht. Sollte aber, wovor Gott ihn und uns bewahren möge, ein Rückfall eintreten, so sorge dafür, daß ihm die letzten Tröstungen und das Sakrament gereicht werden, und laß dir von ihm sagen, ob es sein Wunsch ist, daß von uns etwas für das Heil seiner Seele geschähe. Sorge auch dafür, daß ihm zu seiner Pflege nichts mangele, denn ich habe mich für ihn allein abgemüht, um ihm bis zu seinem Tode ein sorgenfreies Leben zu schaffen. Auch deine Frau muß sich seiner annehmen und auf seine Bedürfnisse achthaben, und ihr alle, wenn es darauf ankommt, dürft keine Ausgaben scheuen, und sollte es unser Vermögen kosten. Gebt mir bald Nachricht, denn ich bin in großer Besorgnis.«

Diesem Briefe beigeschlossen war ein anderer, welchen Borgherini so rasch als möglich nach Rom befördern solle, da wichtige Dinge darin enthalten seien. Am 5. Dezember geht Michelangelo selbst dahin ab, vernimmt die Absichten des Papstes und fertigt eine Zeichnung an, auf welche hin er mit dem Bau der Fassade beauftragt wird.

Michelangelo hat alles auf den Fassadenbau Bezügliche in einer Denkschrift zusammengestellt, deren größter Teil erhalten blieb. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil dadurch eine Anschuldigung gegen seinen Charakter als grundlos beseitigt werden kann, welche verschiedenfach formuliert immer wieder aufs neue gegen ihn erhoben worden ist.

In Vasaris Leben des Leonardo da Vinci lesen wir: Zwischen Leonardo und Michelangelo herrschte Gereiztheit und Übelwollen. Und deshalb, als Michelangelo vom Papste zur Konkurrenz für die Fassade von San Lorenzo nach Rom berufen ward, ging er, mit Erlaubnis des Herzogs Giuliano, von Florenz dahin; Leonardo, als er dies hörte, verließ Rom und reiste nach Frankreich.

Neuere Biographen Leonardos haben, was Vasari sagt, zu einer Erzählung ausgebildet, deren Widerlegung nicht zu umgehen war. Man berichtet: kaum habe Michelangelo in Florenz Nachricht empfangen, daß Leonardo in Rom sei, als er sich sofort dahin aufmachte, um dem Einflusse seines alten Gegners entgegenzuwirken. Um vom Herzog Giuliano aber die Erlaubnis zu dieser Reise zu erlangen, habe er bei demselben vorgegeben, daß er vom Papst der Fassade wegen nach Rom berufen sei. Diese Mühe jedoch (Leonardo zu verdrängen nämlich) sei ihm von Leonardo selbst erspart worden, der sich, sobald er von seines alten Nebenbuhlers Ankunft gehört, freiwillig von Rom fortbegeben habe.

Ist nun zwar, was uns auf diese Weise als eine ausgemachte Sache vorgetragen wird, schon dadurch zu beseitigen, daß ein Mißverständnis der italienischen Sprache nachgewiesen werden kann (denn es ist immer noch besser, hier Unkenntnis statt absichtlicher Verdrehung vorauszusetzen), so darf jetzt jedoch mit Sicherheit behauptet werden, daß auch Vasaris Angabe eine Unmöglichkeit enthält. Wir besitzen eine eigenhändige Notiz Leonardos, derzufolge er, nachdem er in Rom das nicht gefunden, was er erwartet, bereits Ende Januar 1516 für immer von dort wieder fortzog. Ende November 1516 aber erst erging der Ruf des Papstes an Michelangelo. Sollte Leonardo aber florentinisch gerechnet haben, so daß nach römischer Zählung der Januar 1517 als die Zeit seiner Abreise anzunehmen wäre, so stimmte das ebensowenig zu jenen Behauptungen. Denn dann wäre zur Zeit seines Fortgehens die Bestellung längst erfolgt und Michelangelo bereits wieder in Carrara gewesen.

Leonardo war im Jahre 13, als Giuliano dei Medici zur Krönung Leos nach Rom zog, mit diesem dorthin gegangen, vom Papste jedoch seiner zögernden Art zu arbeiten wegen ohne größere Aufträge gelassen worden. Nicht durch Michelangelo, sondern durch Raffael würde er verdrängt worden sein, wenn er wirklich aus Eifersucht Rom verlassen hätte. Doch auch das ist nur eine leere Vermutung. Warum durchaus immer auf solche Persönlichkeiten kommen? An nichts wird lieber geglaubt als an kleinliche Leidenschaften und Fehler großer Männer und nichts sorgfältiger ausgebeutet als die darauf hinzielenden Andeutungen der Biographen. Wieviel mag in Vasaris Erzählungen stehen, wo wir nicht einmal ahnen, daß es falsch ist, um vielleicht niemals aufgeklärt zu werden. Denn es gibt Charaktere unter seinen Zeitgenossen, die Vasari, weil er die einzige Quelle ist, aus der wir sie kennen lernen, geradezu vernichtet haben kann.

Als Michelangelo im Dezember 1516 in Rom eintraf, fand er dort eine Anzahl von Künstlern versammelt, deren Zeichnungen gleich der seinigen für die projektierte Fassade eingefordert worden waren. Die Ausführung dieses letzten fehlenden Schmuckes der mediceischen Familienkirche, in der Brunelleschi und Donatello sich verewigten, war oft beabsichtigt worden. Lorenzo Medici hatte seinerzeit selbst eine Zeichnung dafür entworfen. Man führte Kirchenbauten damals nicht selten in dieser Weise aus, daß die Fassade von vornherein außer Anschlag kam und ihre Errichtung späteren Zeiten mit neuen Geldmitteln aufgespart blieb. Kostbare, fertig ausgebaute Kirchen bieten so in italienischen Städten häufig den sonderbarsten Anblick. Auch Santa Maria del Fiore, ringsum mit dem prachtvollsten Marmorgetäfel bekleidet, zeigte bis auf die neuere Zeit als Fassade eine häßliche kahle Wand, die nun freilich mit einer ungeheuren, schneeweißen Marmordekoration zugedeckt worden ist. Deshalb war auch bei Leos Einzug die Holzfassade des Sansovino der passendste Schmuck zur Verschönerung des Domes und der ganzen Stadt, der sich nur ersinnen ließ.

Die Aufführung der Fassade von San Lorenzo bildete eine gewaltige Aufgabe. Hätte Michelangelo sie übernommen, so wäre an eine Rückkehr zum Grabdenkmale Giulios einstweilen gar nicht zu denken gewesen. Er stellte dies Leo vor und berief sich auf seine Verpflichtungen gegen die Familie Rovere; er sei kontraktlich gebunden und habe bereits Geld empfangen, man fordere Arbeit dafür. Der Papst erwiderte, er möge ihn nur gewähren lassen; mit den Rovere wolle er schon fertig werden, daß sie die Einwilligung gäben. Diesen blieb denn auch nichts anderes übrig, als ja zu sagen; das einzige, was sie erreichten, war das Zugeständnis, daß Michelangelo gestattet wurde, während er mit dem neuen Auftrage beschäftigt sei, zugleich am Grabdenkmale wenigstens weiterzuarbeiten. Denn gemeinhin wurden die Kontrakte so abgefaßt, daß bis zur Vollendung der Arbeit, um die es sich handelte, inzwischen keine andere angerührt werden durfte.

Zusammengefunden hatten sich zur Konkurrenz vorerst Raffael, seit dem vergangenen Jahre oberster Baumeister am Sankt Peter und vom Papste ausdrücklich mit nach Florenz geführt. Die beiden Sansovini ferner, Neffe und Onkel, die Sangalli, endlich Baccio d'Agnolo. Michelangelos Entwurf, der noch vorhanden ist, wie auch einige der übrigen Zeichnungen, nur daß bei diesen nicht entschieden feststeht, welchen Meistern sie einzeln zuzuteilen sind, trug den Sieg davon. Der Papst gab ihm den Auftrag, versuchte jedoch die Sache zu drehen, daß Michelangelo als Leiter des Ganzen andere Meister unter sich arbeiten ließe und besonders in Betracht der Skulpturen jüngeren Bildhauern die Modelle lieferte. Davon wollte Michelangelo unter keiner Bedingung hören. Entweder er allein oder gar nicht, dabei blieb er und setzte es durch. Aber diese Ausschließlichkeit machte böses Blut und wurde ihm von vielen Seiten nachgetragen. Am 31. Dezember ist er schon in Carrara zurück. Am 8. Januar 1517 empfängt er dort 1000 Dukaten zum Beginn der Arbeiten; der Gonfalonier mußte sie ihm durch einen Expressen nachsenden, weil Michelangelo, als er sich in Florenz des Geldes wegen bei ihm gemeldet hatte und im Vorzimmer warten sollte, ohne weiteres abgereist war.

Die nun folgende Zeit wird durch die Beaufsichtigung des Marmorbrechens im Gebirge ausgefüllt.

Die neue Tätigkeit, in welche Michelangelo durch den Auftrag Leo des Zehnten versetzt worden war, forderte nicht nur einen Bildhauer und Baumeister, sondern einen Ingenieur und dazu einen Mann, der Leuten zu befehlen verstand. Die Fassade einer Kirche, wie der von San Lorenzo, mit Skulpturen zu bedecken, war eine Aufgabe, neben der das Grabdenkmal Giulios ein bescheidenes Ansehen annimmt. Dazu kam, daß Michelangelo sich auch bei diesem von niemand wollte helfen lassen. Frühling und Sommer 1517 verstreichen ihm im Gebirge. In Carrara sowohl läßt er arbeiten als bei Pietrasanta und Serravezza, an Plätzen, die er selbst herausgefunden, Steinbrüche auftun. Im August kommt er nach Florenz, um auf den Wunsch des Papstes ein Modell der Fassade anfertigen zu lassen. Baccio d'Agnolo stellt das Architektonische aus Holz her, Michelangelo arbeitet die Figuren in Wachs dazu. Dazwischen erkrankt er. Endlich sendet er das Ganze durch seinen Diener nach Rom, wohin er vom Papste durch besonderen Befehl dann selbst entboten wird. Jetzt erst werden die näheren Bedingungen der Bestellung verabredet. Michelangelo erlangt, daß die Arbeiten für das Grabdenkmal nebenher fortlaufen dürfen. Er läßt, um dies zu ermöglichen, das dafür bestimmte Marmormaterial nach Florenz schaffen und erhält die, in der Folge freilich nicht gehaltene Zusage, es würden die Fortschaffungskosten sowohl als die beim Rücktransporte nach Rom zu erhebenden Eingangszölle vom Papste getragen werden.


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