Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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III

Man war erstaunt gewesen über die stillen Anfänge seiner Herrschaft. Seinem Charakter nach hätte er längst die Waffen ergreifen müssen. Doch es schien sich seine Natur geändert zu haben und er von der alten Rache nichts mehr zu wissen, die er an so vielen Feinden nehmen wollte. Giulio aber sammelte in der Stille Geld für die Soldaten. Die Papstwahl hatte ihn zu viel gekostet. Er mußte erst wieder die Taschen voll haben. Bis dahin suchte er unter der Hand die Dinge so zu lenken, daß sie ihm, wenn er endlich gerüstet aufträte, so bequem als möglich lägen.

So herrschte eine Zeitlang, den ewigen Krieg der Florentiner gegen Pisa ausgenommen, Friede in Italien. Doch wie der Papst seine geheimen Pläne machte, fehlten sie auch den übrigen nicht.

Mailand gehörte Frankreich; Ludwig der Zwölfte war vom Kaiser damit belehnt worden. Florenz erfreute sich des französischen Schutzes in erster Linie; und dennoch, mit dem Besitze Genuas und der Lombardei hatte Ludwig sich die Politik der Sforzas und Viscontis aneignen müssen, die gleichsam an der Scholle haftete: er mußte nach dem Besitze der italischen Westküste streben und Pisa zu gewinnen suchen. Dabei blieben die hergebrachten Ansprüche auf Neapel, das Gonsalvo, der große Capitano, für Spanien glänzend zurückerobert hatte und als Vizekönig regierte. Hinter dem allen aber lauerte der größte Gedanke: das Kaisertum! Ludwig wollte in Rom als Kaiser gekrönt werden, es war auch das die alte Sehnsucht seiner Vorgänger, die auf ihn überging und die seine Nachfolger noch drei Jahrhunderte fruchtlos hegten, bis Napoleon sie zur Erfüllung brachte.

Solange Giulio regierte, war dergleichen aber nicht möglich. Deshalb mußte dieser beseitigt werden. Der Kardinal von Amboise, Giulios einstiger Nebenbuhler bei der Papstwahl (nebst Ascanio Sforza, der als Gefangener in Frankreich an der Pest starb, d. h. vergiftet ward), sollte ihm dazu behilflich sein. Ein Konzil würde Giulio absetzen, rechnete der König, und Amboise an seine Stelle wählen. Es waren noch keine festen Pläne, nur leitende Ideen, die man hegte, aber wie es natürlich war, daß sie Ludwig im Sinne lagen, ebenso natürlich war es, daß Giulio selber sie erkannte und sich zu schützen suchte.

Und dies zeigte sich einstweilen nicht so schwierig. Dem Könige standen zwei Mächte gegenüber, welche dafür sorgten, daß auch nicht ein Schritt von Frankreich getan würde, zu dem sie nicht zuvor ihre Einwilligung gegeben. Spanien in erster Linie, das heißt Aragon, das nach Isabellens Tode von Kastilien wieder getrennt, mit Neapel dagegen nun vereinigt dem alten Könige Ferdinand gehorchte. Maximilian sodann, der römische König, dessen Sohn, Herzog Philipp von Burgund, zur Zeit Kastilien innehatte. Philipp regierte dort für seinen Sohn Karl, nochmaligen Kaiser Karl den Fünften. Der kastilische Adel, der für seine Rechte fürchtete, hatte ihn ins Land gerufen. Denn auch König Ferdinand wollte in Kastilien für Karl regieren, der auch sein Enkel war. In aller Kürze hier die Verwandtschaft: Max heiratete Marie von Burgund; Philipp, der Sohn aus dieser Ehe, eine Tochter Ferdinands und Isabellens. Dadurch hatte Karl, der Ferdinands und Maximilians Enkel zugleich war, Anwartschaft auf beide Spanien, Burgund und auf die Kaiserkrone, was ihm auch in der Folge alles zufiel.

Damals aber, wo Karls Mutter eben im Wahnsinn gestorben und er selber ein zartes Kind war, hatten die Aussichten vorläufig nur die Folge, daß Maximilian sich kräftiger dem Süden zuwandte. Das deutsche Kaisertum wollte er wieder zu Ehren bringen, Mailand natürlich einst für Karl zurückerwerben, Venedig demütigen und den Papst in seine alte abhängige Stellung zurückdrängen.

Das waren die habsburgischen Ideen jener Tage. Und um sie mit den französischen vielleicht zu versöhnen, wurde an einer Heirat zwischen Karl und Claude, der Tochter Ludwigs, gearbeitet.

Zwischen zwei solchen Gewalten stehend, deren Politik ganz Europa umfaßte, blieb den Päpsten geringer Spielraum. Sie mußten der einen oder der anderen anheimfallen. Es stand wieder wie in jenen längst verflossenen Jahrhunderten, wo Frankreich und Deutschland jedes seinen eigenen Papst zu machen strebte. Indessen, die Dinge gestalteten sich erst. Ferdinand von Aragons sowie Venedigs Dasein bewirkten, daß immer vier an der Partie mitspielten; auch England griff ein. So blieb Gelegenheit für Koalitionen, und in der allgemeinen Verwirrung boten sich Schlachtfelder für Giulios Ehrgeiz.

Seine Natur bedurfte gewaltsamer Aufregungen, dies ist der letzte Grund seiner Taten. Er warf sich auf das Nächstliegende. Nach dem Sturze der Borgias hatten die Venezianer einen Teil der Romagna an sich gerissen, Ravenna, Cervia, Rimini, drei wichtige Küstenstädte, und Faenza im Inneren. Die beiden besaßen Salzwerke, die ungemeine Einkünfte gewährten. Rimini bot Venedig noch im Jahre 1504 freiwillig an, Giulio aber antwortete, daß er sie sämtlich mit Gewalt an sich zu bringen hoffe. Zu Anfang 1505 zeigten sich die Venezianer noch williger, sie wollten jetzt alles bis auf Rimini und Faenza ausliefern, nur möchte der Papst die Gesandten der Stadt, die in den Kirchenbann getan worden waren, in Rom zu Gnaden wieder aufnehmen. Hierauf ging er einstweilen ein, ohne Frankreich konnte er nichts gegen Venedig tun, und so gern Ludwig die Venezianer gedemütigt gesehen hätte, so wenig wünschte er doch Maximilian nach Italien zu ziehen, der sich bei einem Kriege gegen die Stadt sogleich in Bewegung gesetzt haben würde.

Giulio konnte deshalb nach dieser Seite hin vorderhand nichts unternehmen. Aber er wollte einen Krieg haben. Er beschloß, Bologna und Perugia, zwei päpstliche Städte, die sich seit langen Jahren unter den Bentivoglis und Baglionis zu selbständiger Politik erhoben hatten, in seine Gewalt zurückzubringen. Gegen beide Familien hegte er persönliche Feindschaft, und Frankreich zeigte sich hier geneigter, tätige Hilfe zu gewähren, denn es fürchtete eine Verbindung Giulios mit Venedig.

Begleitet von den Kardinälen, zog der Papst mit der Armee von Rom aus, gegen Perugia zuerst, das auf halbem Wege nach Bologna liegt. Er hatte nicht mehr als fünfhundert Lanzen bei sich, das heißt fünfhundert schwerbewaffnete Ritter, welche mit ihrem Gefolge eine ziemliche Armee repräsentierten. Der Zuzug der Verbündeten sollte sich unterwegs anschließen. Gianpagolo Baglioni dagegen, ein alter Kriegsunternehmer, stand so wohlversorgt mit Soldaten da, daß er seine Stadt getrost hätte verteidigen können. Dennoch kam er Giulio schon in Orvieto entgegen, unterwarf sich und wurde mit seinen Leuten in Sold genommen. Inmitten des Hofstaates und der Kardinäle zog der Papst feierlich in Perugia ein, als einzige Bedeckung seine Leibgarde um sich. Baglioni hätte ihn jetzt mit seiner ganzen Umgebung fangen können. Es wäre vielleicht ein gutes Geschäft gewesen. Aber dieser Mann, der alle seine Verwandten meuchlings umgebracht hatte, fühlte sich gelähmt durch die Persönlichkeit Giulios und ließ, wie Machiavelli sagt, die schöne Gelegenheit, sich die Bewunderung der Zeitgenossen und ewigen Ruhm zu erwerben, ungenutzt vorübergehen, nur weil ihm der Mut fehlte, so verbrecherisch zu sein, als es der Moment erforderte. Und damit dieses Urteil nicht als eine absonderliche Ansicht Machiavellis erscheine, sei bemerkt, daß auch Guiccardini den Mangel an augenblicklicher Tatkraft bei Baglioni rügt. So war das Zeitalter. Es fiel keinem von beiden ein, auch nur daran zu erinnern, welch eine Schmach es gewesen sei, das Oberhaupt der Christenheit hinterlistig gefangenzunehmen.

In Perugia erschien der Kardinal von Narbonne im Namen des Königs von Frankreich. Giulio möge sein Unternehmen gegen Bologna wenigstens verschieben. Der Papst hatte Rom verlassen, noch ehe ihm Ludwig seine Hilfe fest zugesagt. Die Bentivogli standen gut mit Frankreich. Aber es hatte die einlaufende Mahnung keine andere Wirkung, als daß der Papst von allen Seiten Soldaten heranzog, um desto rascher vorzugehen. Der König gab nach. Giulio mußte versprechen, Venedig nicht anzugreifen, unter dieser Bedingung lieferte Ludwig sechshundert Ritter und dreitausend Mann Infanterie. Hundertundfünfzig Ritter führte Baglioni, hundert schickten die Florentiner unter Marcanton Colonna, hundert der Herzog von Ferrara, aus Neapel kamen Stradioten (eine Art berittener griechischer Mietstruppen, deren sich Venedig meistens bediente), zweihundert leichte Reiter endlich führte Francesco Gonzaga zu, der zum Oberbefehlshaber der Armee ernannt wurde.

Der alte Bentivoglio mit seinen Söhnen, die sich von allen Seiten angegriffen sahen, wartete den Sturm nicht ab. Als sie von dem feindlichen Anrücken der Franzosen hörten, flüchteten sie diesen entgegen und wurden gegen gute Bezahlung in Schutz genommen. Ihren Palast plündert und zerstört das Volk. Giulio wird in prachtvollem Geleite in die Stadt eingeholt. Die Bürger erhalten ihre Freiheiten zurück. Der Papst kam als »Befreier von Italien«. Das Wetter war so herrlich in jenen Tagen, daß alles in Blüte stand, und die begeisterten Bürger den Papst als den Herrn des Himmels und der Planeten begrüßten. Giulio aber traf trotzdem die nötigen Maßregeln, Bologna auch für die Folge, wenn diese Stimmung etwa umschlagen könnte, gut päpstlich zu erhalten. Er setzte sich einstweilen da fest und blickte um sich. Die Reihe kam nun doch an die Venezianer. Für den Augenblick aber ruhten die Dinge, und man fand Zeit, sich der Kunst und Michelangelos zu erinnern.

Während der Papst Krieg führte, hatte dieser in Florenz am Karton weitergezeichnet und ihn zu Ende gebracht. Die Kämpfe mit Pisa nahmen damals das öffentliche Interesse ganz in Anspruch. Michelangelo hatte seinen Stoff aus dem Kreise der Kriege gewählt, die seit Jahrhunderten zwischen beiden Städten walteten. Um die Zeit etwa, wo Salvestro bei Medici lebte, wandte sich ein englischer Kriegsunternehmer nach Italien, Hawkwood, von den Italienern Aguto genannt, ein berühmter tapferer Mann, dessen Grabdenkmal heute noch in Santa Maria del Fiore zu sehen ist. Dieser mischte sich in die Kämpfe seiner Zeit; es kam ihm auf Arbeit an und nicht auf die Sache, der er diente: ehe er zu den Florentinern übertrat, hatte er im Solde der Pisaner Krieg gegen sie geführt, und während dieser Periode seiner Tätigkeit ereignete sich der Vorfall, den Michelangelo dargestellt hat.

Die Truppen standen sich in der Nähe von Pisa gegenüber. Es war sehr heiß, die Florentiner legten die Rüstungen ab und badeten im Arno. Aguto benutzt diese Gelegenheit zu einem Überfall. Noch zur rechten Zeit aber eilt Manno Donati herbei und verkündet die drohende Gefahr. Die Badenden stürzten ans Ufer und in die Waffen – diesen Moment ergriff Michelangelo. Jung und Alt durcheinander – einige können mit den nassen Gliedern nicht in die anklebenden Kleider hinein, andere haben schon die Rüstung auf dem Leibe und schnallen das Riemenzeug fest; dort erklimmt einer eben das Ufer, stemmt sich mit beiden Armen auf und blickt in die Ferne – man sieht die ganze Gestalt, die uns den Rücken zudreht, und ihre wundervolle Bewegung; ein anderer, der schon mit den Kleidern beschäftigt ist, unterbricht einen Augenblick die Arbeit des Anziehens, dreht den Kopf um nach der Gegend, woher Gefahr droht, und deutet dahin; wieder einer, der noch ganz nackt ist, kniet auf der Höhe des Ufers und reckt den linken Arm tief hinab einem anderen Arme entgegen, der mit verlangenden Fingern tief aus dem Wasser emporkommt – mit dem rechten Arm und den Knien sucht er sich oben Widerstand zu schaffen. Es ist nicht möglich, die einzelnen Gestalten alle zu beschreiben, die Verkürzungen, die Kühnheit, mit der immer das Schwierigste gewollt, die Kunst, mit der es erreicht worden ist: dieser Karton war die Schule für eine ganze Künstlergeneration, die nach ihm ihre Anschauungen formte.

Ausgeführt wurde er niemals. Ein Teil des Kartons ist, wenn Borghini nicht falsch berichtet, gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch auf einer Villa bei Florenz vorhanden gewesen. Heute existiert vom Gemälde nichts als eine Kopie geringen Umfanges, die nur im allgemeinen die Stellung der Figuren erkennen läßt. Einige Gestalten dagegen, die eine Gruppe bilden, hat Marcanton gestochen. Es ist eines seiner schönsten Blätter und läßt wohl ahnen, welch ein prachtvolles Werk der Karton gewesen sein muß. Ein zweiter Stich, der einen anderen, größeren Teil des Ganzen wiedergibt, ist von Agostino Veneziano, Marcantons Schüler. Aber während jenes Blatt im Jahre 1510 noch nach dem Original gezeichnet sein konnte, weiß man bei diesem nicht, woher die Zeichnung stammt. Als eine Eigentümlichkeit der Komposition tritt noch die alte florentinische Manier hervor, mehr ein breites Gedränge als eine sich der Mitte zu aufbauende symmetrisch gegliederte Anordnung zu geben. Die Schönheit der Arbeit lag, abgesehen vom geistigen Inhalte, im Reichtum unverhüllter Körperwendungen. Leonardo hatte darin längst Großes geleistet, die Anatomie und das Studium der Verkürzungen waren von ihm vor Michelangelos Auftreten mit Meisterschaft betrieben worden, dennoch mußte er sich von diesem nun übertroffen sehen.

Die Meinungen teilten sich in Florenz natürlicherweise. Es wurde mit Heftigkeit für und wider die beiden Meister gestritten. Erregt eine große Kraft nur erst das Vertrauen, daß man sich ohne Bedenken auf sie verlassen könne, dann ist auch die Partei um sie her gebildet. Der Karton muß den Freunden Michelangelos dies Gefühl der Sicherheit gegeben haben, auf das es ankam. Michelangelo stand fortan nicht mehr einsam der Schule Leonardos entgegen und hatte das Glück auf seiner Seite.

Es ging schlecht mit Leonardos Malerei im Saale des Palastes, bei der er, statt al fresco zu malen, Ölfarben anwandte. Die Komposition, mit der die Mauer zu diesem Zwecke von ihm behandelt worden war, hielt nicht; die Arbeit verdarb ihm unter den Händen. Dazu kam das Mißlingen des Projektes, dem Arno ein neues Bett zu graben und die Pisaner durch die Ableitung des ihre Stadt durchschneidenden Flusses zur Übergabe zu zwingen. Zweitausend Erdarbeiter waren aufgewandt worden; zuletzt stellte sich heraus, daß man bei der Nivellierung Rechenfehler begangen hatte. Leonardo war, scheint es, dabei beteiligt. Empfindlichkeiten zwischen ihm und Soderini machten das Leben in Florenz vollends unbehaglich. Er hatte seinen Gehalt abholen lassen und lauter Rollen von Kupferstücken empfangen. Mit einer stolzen Antwort sandte er das Geld zurück: er sei kein Maler, den man mit Dreiern bezahle. Es kam so weit, daß der Gonfalonier den Vorwurf aussprach, Leonardo habe Geld erhalten, ohne Arbeit zu liefern. Dieser brachte jetzt ein Summe zusammen, die allem entsprach, was er überhaupt je empfangen hatte, und stellte sie Soderini zur Verfügung, der sie anzunehmen verweigerte. Aus Mailand dagegen kamen dringende Einladungen. Leonardo ließ sich Urlaub geben und ging, ohne sein Gemälde beendet zu haben, von Florenz fort, um sich zu der alten Stätte seines Ruhmes zurückzuwenden, wo er vom Statthalter des Königs von Frankreich glänzend aufgenommen wurde. Den Aufforderungen Soderinis, wiederzukommen und den eingegangenen Verpflichtungen zu genügen, setzte jener hohe Herr selber die höflichsten Ablehnungen entgegen. Leonardo erhielt den Titel eines Malers seiner Allerchristlichsten Majestät, kam in dieser Eigenschaft noch einmal nach Florenz im Jahre 1507, ordnete seine Verhältnisse und begab sich nach Frankreich, wohin ihn sein neuer Gebieter berufen hatte. Solchen Wünschen gegenüber konnte sich der Gonfalonier nur nachgiebig verhalten. Leonardos Gemälde im Saale des Palastes ist nie vollendet worden, und was davon fertig war, allmählich zugrunde gegangen.

Michelangelo blieb Herr des Schlachtfeldes, aber auch ihn rief nun der Wille des Papstes aus Florenz fort. Kaum war Bologna eingenommen, im November 1506, so traf ein Schreiben des Kardinals von Pavia ein, die Signorie von Florenz würde Seiner Heiligkeit einen großen Gefallen erweisen, wenn sie Michelangelo auf der Stelle nach Bologna senden wolle, und dieser selbst dürfe sich über den ihm bevorstehenden Empfang nicht zu beklagen haben. Eine Woche später ging Michelangelo dahin ab, versehen mit einem außerordentlichen Empfehlungsschreiben des Gonfaloniers an seinen Bruder, den Bischof von Volterra. »Wir können versichern«, heißt es darin, »daß Michelangelo ein ausgezeichneter Mann ist, der erste seines Handwerks in Italien, ja vielleicht in der ganzen Welt. Wir können ihn nicht angelegentlich genug empfehlen. Bei freundlichen Worten und sanfter Begegnung kann man alles von ihm erreichen. Man muß ihn nur merken lassen, daß man ihn liebt und günstig gegen ihn gestimmt sei, und er wird staunenswerte Arbeit liefern. Hier hat er jetzt die Zeichnung zu einem Gemälde gemacht, das ein ganz ausgezeichnetes Werk sein wird, desgleichen ist er mit zwölf Aposteln beschäftigt, zu neun Fuß ein jeder, die vorzüglich ausfallen werden. Noch einmal empfehlen wir ihn euch.« Und im Nachsatz: »Michelangelo kommt im Vertrauen auf unser gegebenes Wort.« So wenig verließ man sich immer noch auf die sanfte Weise des Papstes.

Neben diesem Briefe erhielt Michelangelo einen zweiten, energischer lautenden an den Kardinal von Pavia. Er blieb unschlüssig bis zu den letzten Tagen. Noch kurze Zeit vor dem Datum jener Briefe hatte der Gonfalonier geschrieben, daß er Michelangelo »zu der Reise zu bringen hoffe«. »Ich ging«, sagte Michelangelo von sich selbst, »mit dem Riemen um den Hals.« Das heißt also, wie ein Hund, der gezogen wird. Zu Ende des Monats mag er in Bologna eingetroffen sein.

Sein erster Gang war nach San Petronio, um die Messe zu hören. Hier wurde er von einem der päpstlichen Diener erkannt und gleich zu Seiner Heiligkeit mitgenommen. Giulio saß im Palaste der Regierung bei Tische und ließ Michelangelo hereinführen. Um die nun folgende Szene ganz zu begreifen, muß man den Charakter des Papstes verstehen. »Er ist«, schreibt im Jahre 1506 einer der Gesandten an seinem Hofe, »terriblement colerique und schwer zu behandeln. Er hat nicht die Geduld, ruhig anzuhören, was man sagen will, und die Menschen zu nehmen, wie sie sind. Aber wer ihn zu behandeln weiß und wem er einmal Vertrauen geschenkt hat, der findet stets den besten Willen bei ihm.«

Bei Michelangelos Anblick konnte Giulio den aufsteigenden Zorn nicht bemeistern. »So lange also hast du gewartet«, fuhr er ihn an, »bis wir selber kämen, um dich aufzusuchen?« Bologna nämlich liegt näher bei Florenz als dieses bei Rom, und der Papst, wenn er so wollte, war Michelangelo entgegengekommen.

Michelangelo kniete nieder und erbat die Verzeihung Seiner Heiligkeit. Er sei nicht aus bösem Willen fortgegangen, sondern weil er sich beleidigt gefühlt. Es sei ihm unerträglich gewesen, sich fortjagen zu lassen, wie ihm geschehen sei. Giulio sah finster vor sich nieder und gab keine Antwort, als einer von den geistlichen Herren, der vom Kardinal Soderini gebeten war, sich nötigenfalls ins Mittel zu legen, das Wort ergriff. Seine Heiligkeit möge den Fehler Michelangelos nicht zu hoch aufnehmen; er sei ein Mensch ohne Erziehung; das Künstlervolk wisse wenig, wie man sich zu verhalten habe, wo es nicht die eigene Kunst beträfe; sie wären alle nicht anders. Wütend wandte sich der Papst jetzt gegen den unberufenen Fürbitter. »Du wagst es«, schrie er auf, »diesem Manne Dinge zu sagen, die ich ihm selbst nicht gesagt haben würde? Du selber bist ein Mensch ohne Erziehung, du ein elender Kerl; und er nicht! Mir aus den Augen mit deinem Ungeschick!« Und als der arme Herr wie angedonnert stehen bleibt, müssen ihn die Diener zum Saale herausschaffen. Er war noch gut genug davongekommen, wenn es wahr ist, was man in Rom erzählte, daß der Papst bei Tafel Kardinäle selber durchgeprügelt hatte. Dem Zorne Giulios war damit ein Genüge geschehen. Gnädig winkte er Michelangelo herbei und schenkte ihm seine Verzeihung. Er solle Bologna nicht wieder verlassen, als bis er seine Aufträge empfangen hätte.

Giuliano di Sangallo war mit dem Papste in Bologna. Vielleicht verdankte Michelangelo dem Einflusse dieses Mannes, daß ihm die Gunst des heiligen Vaters unvermindert von neuem zuteil ward. Sangallo brachte Giulio auf den Gedanken, sich eine kolossale Bronzestatue in Bologna errichten zu lassen. Michelangelo erhielt Befehl, sie auszuführen. Was es kosten würde, wollte der Papst wissen. Es sei nicht sein Handwerk, erwiderte Michelangelo, doch denke er sie für 3000 Dukaten zu schaffen; ob der Guß aber gelingen werde, dafür könne er nicht einstehen. »Du wirst sie so oft gießen, bis es gelingt«, antwortete der Papst, »und wirst soviel ausgezahlt erhalten, als du bedarfst.« Was das anlangte, so brauchte der Papst nicht zu knausern, da die Statue natürlich vom »Volke von Bologna« gesetzt ward. Die 3000 Dukaten wurden auf der Stelle angewiesen, und Michelangelo machte sich an die Arbeit.

Über keins seiner Werke haben wir so viel Berichte von seiner Hand. Der Verkehr zwischen ihm und den Seinigen in Florenz war lebhaft, und die gesamte Korrespondenz liegt endlich nun gedruckt vor.

Der erste Brief ist vom 19. Dezember 1506, wenige Wochen also nach seiner Ankunft geschrieben, und zwar an den um zwei Jahre jüngeren Lieblingsbruder, welcher nach einer in der Familie bestehenden Gewohnheit den Namen Buonarroto als Vornamen führte. Michelangelo bittet ihn, Piero Orlandini zu sagen, daß es ihm unmöglich sei, die bestellte Dolchklinge selber zu arbeiten. Orlandini wünsche etwas ganz Außerordentliches zu haben, allein erstens liege der Auftrag außerhalb seiner Kunst, und zweitens fehle ihm die Zeit, ihn auszuführen. Doch solle innerhalb eines Monats die Klinge geschafft werden, und zwar so gut als sie nur immer in Bologna zu haben sei. – Eingelegte Degen- und Dolchklingen gehörten jenerzeit wie kostbare Panzer zum notwendigen Besitz eines reichen Edelmanns, und es wurden große Summen darauf verwandt. Man arbeitete diese Klingen nach verschiedenen Mustern; in der Lombardei ahmten die Goldschmiede den Efeu und Wein in seinen Reben und Ranken nach, in Rom den Akanthus, und wieder andere Pflanzen fanden sich in den Arabesken der türkischen Dolche. Über Piero Orlandini ist mir nichts weiter bekannt, als daß er fünfzehn Jahre später in Florenz enthauptet wurde, weil er über die legitime Geburt Clemens des Siebenten Verdächte geäußert.

Michelangelo hoffte damals, schon zu Ostern 1507 in Bologna fertig zu sein und nach Florenz zurückzukommen.

Der Brief zeigt ihn als den eigentlichen Mittelpunkt der Familie. Buonarroto hat über Giovansimone, einen wieder um anderthalb Jahre jüngeren Bruder geschrieben, den ich später einmal als »gefälligen Dichter« genannt finde und der, wie es scheint, eben in den Anfangsgründen einer bestimmten Laufbahn stand. Michelangelo antwortet, er freue sich, daß Giovansimone bei Buonarroto im Geschäft guten Willen zeige. Er werde ihn, wie sie alle, stets unterstützen, wenn Gott Kraft dazu gebe, und ihnen halten, was er zugesagt habe. Wenn Giovansimone aber die Absicht hege, ihn in Bologna aufzusuchen, so müsse er ihm ernstlich abraten. Seine Wohnung sei erbärmlich, es befinde sich nur ein einziges Bett darin, in welchem sie zu vieren schliefen. Giovansimone solle sich gedulden, bis die Statue gegossen sei, dann wolle er ihm ein Pferd schicken und ihn abholen lassen. Bis dahin möchten sie Gott bitten, daß alles seinen guten Fortgang nehme. Dies der gewöhnliche Schluß seiner Briefe, darum aber keine bloße Redensart, wie aus anderen Stellen ersichtlich ist. Etwas wunderlich klingt das Abholenlassen bei dem Bruder, der damals etwa 28 Jahre zählte. Ich möchte vermuten, ohne darum dem Andenken Giovansimones zu nahezutreten, derselbe sei vom Schicksale dazu bestimmt gewesen, wie nicht selten in ähnlichen Fällen beobachtet wird, Michelangelos außerordentliche Gaben für das praktische Leben durch einen entsprechenden Mangel daran in der Familie gleichsam wieder auszugleichen.

Von den 3000 Dukaten war sogleich ein bedeutender Teil nach Florenz abgegangen. Es verblieb übrigens in der Folge bei dieser Zahlung, obgleich Michelangelo sich zu starken Nachforderungen an den Papst berechtigt glaubte. Am 22. Januar 1507 bereits beantwortet Michelangelo einen Brief Buonarrotos, worin dieser über den Ankauf eines Grundstücks durch den Vater berichtet hatte. Giovansimone besteht darauf, nach Bologna zu kommen, Michelangelo weist ihn abermals zurück: erst müsse er den Guß hinter sich haben. Zu Mittfasten hoffe er sicher, würde es soweit sein; Ostern käme er nach Florenz. Die Dolchklinge für Orlandini sei dem besten Meister zu Bologna in Auftrag gegeben, falle sie nicht gut aus, so werde er sie umarbeiten lassen. Was diese Klinge anlangt, welche in den Briefen noch oft erwähnt wird, so sei gleich gesagt, daß sie endlich fertig und abgesandt wurde, dem Besteller nun aber nicht gefiel, so daß Michelangelo sie zurücknahm.

Das waren die Dinge etwa, die Michelangelo nebenbei im Kopfe hatte, während er an dem Modell der Statue arbeitete. Der Papst muß ihm doch ab und zu gesessen haben. Wie anders die Gedanken, die Giulio während dieser Zeit durch die Seele gingen. Er betrieb von Bologna aus die Allianz mit Frankreich gegen die Venezianer. Er wollte die ganze Romagna zurückhaben. Der König zeigte sich jetzt geneigter. Philipp von Burgund war in Kastilien plötzlich gestorben. Maximilians Pläne, in Italien einzufallen und, von Kastilien unterstützt, als Herr und Kaiser aufzutreten, verloren ihre Furchtbarkeit. Ludwig durfte daran denken gegen Venedig vorzugehen und der Republik die Teile des mailändischen Gebietes wieder abzunehmen, welche sie in Besitz genommen. Eine Zusammenkunft zwischen ihm und dem Papste in Bologna wurde ausgemacht, bei der das Nähere mündlich verabredet werden sollte.

Nun aber kamen dem Papste ganz andere Dinge zu Ohren. Genua hatte sich gegen den König von Frankreich erhoben, das Volk den Adel, der sich an ihn anlehnte, samt der französischen Besatzung aus den Mauern getrieben, als altes Reichslehen den kaiserlichen Adler aufgepflanzt und sich unter Maximilians Schutz gestellt. Giulio, von Geburt ein Genuese, seiner Neigung nach Demokrat, wie er denn auch in Bologna als Beschützer des Volkes gegen die Übergewalt des Adels aufgetreten war, unterstützte heimlich die Aufständischen. Er drang beim König auf einen Vergleich statt gewaltsamer Schritte gegen die Stadt. Jetzt vernahm er, daß Ludwig, unter dem Scheine, Genua zum Gehorsam zurückzuführen, umfangreiche Rüstungen mache, deren eigentlicher Zweck ein durchgreifender Zug nach Italien sei. Toskana solle eingenommen werden, in Pisa dann ein Konzil zusammentreten und der Kardinal d'Amboise als Papst daraus hervorgehen. Diese Nachrichten und zugleich die, daß Maximilian mit Ludwig halb und halb im Einverständnisse sei, gelangten durch die Venezianer nach Bologna.

Giulio vereinigte sich sogleich mit ihnen. Gemeinsame Schritte beim Kaiser wurden verabredet, um Schutz gegen Frankreich zu erreichen. Des drohenden Konzils wegen erschien des Papstes Anwesenheit in Rom notwendig. Der Kardinal von San Vitale wurde in Bologna als Legat eingesetzt; Giulio legte noch den Grundstein der neuen Zitadelle, die er zu bauen beabsichtigte, und zog Ende Februar 1507 nach Rom ab. Als Vorwand mußte die Erklärung der Ärzte dienen, daß ihm die Luft in Bologna nicht zuträglich sei. Auch wolle er fort, behauptete man, weil die Einkünfte in Rom ausblieben, wenn er nicht in Person dort zugegen sei.

Ehe er abreiste, sah er noch das Modell Michelangelos. »Am letzten Freitage war der Papst bei mir im Atelier«, heißt es in einem vom 1. Februar datierten Briefe. »Er gab mir zu verstehen, daß die Arbeit seinen Beifall habe. Bittet Gott, daß sie gut gerate, denn wenn dies geschieht, hoffe ich beim Papste große Gnade zu gewinnen. Er wird in diesem Karneval noch Bologna verlassen, so wenigstens geht bei den Leuten hier die Rede. Die Klinge schicke ich, sobald sie fertig ist, durch sichere Gelegenheit.«

Michelangelo hatte den Papst in mehr als dreifacher Lebensgröße dargestellt. Die Rechte war erhoben, in betreff der Linken hegte er Bedenken, was man am besten hineingebe. »Ob Sr. Heiligkeit vielleicht ein Buch genehm sei?« »Gib mir ein Schwert hinein«, rief der Papst aus, »ich bin kein Gelehrter!« Auch wollte er wissen, was die erhobene Rechte bedeute, ob er Fluch oder Segen austeile. Es war hergebracht nämlich, daß bei den Darstellungen des Jüngsten Gerichtes Christus als Richter mit erhobener Rechten die Mitte des Gemäldes bildete. Daran mochte der Papst sich erinnern. »Du rätst dem Volke von Bologna weise zu sein«, antwortete Michelangelo und nahm Abschied von seinem Herrn, der am Palmsonntage in Rom wieder eintraf, wo er festlich empfangen ward. Vor dem Vatikan stand ein Triumphbogen, eine Nachahmung des Konstantinbogens am Kolosseum, dessen Inschrift ihn als Sieger und Befreier begrüßte.

Genua, wo die unterste Klasse des Volkes den Herrn spielte, wurde jetzt angefeuert, standzuhalten. Ferdinand von Aragon hoffte der Papst auf seine Seite zu ziehen. Dieser war damals nach Neapel gegangen, weil Philipp von Kastilien Gonsalvo, den Vizekönig, aufgefordert hatte, dem Könige von Aragon den Gehorsam zu verweigern und ihm selbst vielmehr das Königreich auszuliefern. Gonsalvo dachte nach Philipps Tode daran, Neapel für sich zu behalten, huldigte aber Ferdinand, als dieser in Person erschien, und folgte ihm nach Spanien. Giulio dachte den König in Ostia zu sehen, wo die spanischen Galeeren vorüberkommen mußten. Zwar hatte er als derjenige, der die Investitur von Neapel erteilte, Gonsalvo angetrieben, sich zu erheben und mit ihm gemeine Sache zu machen, trotzdem wollte er nun mit Ferdinand unterhandeln. Dieser aber segelte, ohne anzulegen, vorbei nach San Savona, wo er mit Ludwig zusammentraf, der siegreich von Genua kam. Der Papst schickte den Kardinal von Pavia nach Savona, der aber bei den dortigen geheimen Verhandlungen gar nicht zugelassen ward. Nur das brachte er mit nach Rom zurück, daß die beiden Herrscher sich im innigsten Einverständnisse befänden, und der gefürchtete Kardinal d'Amboise der einzige Dritte bei ihren Unterhandlungen gewesen sei.

Zu bemerken ist hier, daß es in betreff Neapels schon längere Zeit zu einer Verständigung zwischen Aragon und Frankreich gekommen war. Die französisch gesinnten Barone kehrten zurück und erhielten ihre Güter wieder; Neapel verblieb Ferdinand, der dagegen eine französische Prinzeß heiratete, so alt er war, und eine Entschädigung in barem Gelde leistete.

Den Papst retteten die kollidierenden Interessen Frankreichs und Maximilians. Gegen Venedig waren beide einer Gesinnung, hatten sich auch wohl über Burgund und über Kastilien geeinigt, wo Max im Namen seines Enkels die Regierung verlangte, während Ferdinand sie zugleich in Anspruch nahm; aber daß Ludwig das Kaisertum für sich und die päpstliche Würde für Amboise als letztes Ziel vor Augen hatte, während Max sogar die seltsame Idee faßte, sich in Rom nicht nur zum Kaiser krönen zu lassen, sondern dort zu gleicher Zeit selber Papst zu werden, machte das Einverständnis unmöglich. Giulio unterhandelte stets mit beiden, er haßte sie gleichmäßig und hätte am liebsten gesehen, wenn sie sich einander zum Vorteile Italiens aufgerieben hätten. Immer verlangte er Hilfe von einem, wenn der andere drohte, immer stemmte er sich dennoch dagegen, wenn einer von beiden bewaffnet zu seinem Schutz erscheinen wollte. Während er durch den Kardinal von Pavia in Savona zu unterhandeln suchte, sandte er einen anderen Kardinal zum Reichstage nach Kostnitz, den Maximilian zusammenberufen hatte, weil er Geld und Soldaten für den italienischen Feldzug brauchte.

Diese Ereignisse füllten für Giulio den Sommer 1507. Bei Michelangelos Werke war unterdessen eingetreten, was er als Möglichkeit vorausgesagt hatte: der Guß verunglückte. Von Anfang an hatte er Widerwärtigkeiten bei der Arbeit. In jenem Briefe, der den Besuch des Papstes meldet, ist am Schluß von Verdrießlichkeiten die Rede, die ihm durch seine Leute verursacht wurden. »Wenn Lapo«, schreibt er, »und Ludovico, die hier in meinen Diensten standen, etwa mit dem Vater reden sollten, so sage ihm, er möge sich nicht um das kümmern, was sie aufstellten, besonders was Lapo vorbrächte, und sich durch nichts aufregen lassen. Sobald ich Zeit zum Schreiben hätte, würde ich ihm alles auseinandersetzen.«

Trotzdem traf ein, was er hatte verhüten wollen, denn ein an den Vater gerichteter Brief vom 8. Februar zeigt, daß dieser nicht nur den Klagen der beiden fortgeschickten Leute williges Gehör geliehen, sondern auch den Sohn darüber zur Rede gestellt hatte. Michelangelo gibt nun Auskunft. Zuerst verweist er den Vater auf einen an Granacci gerichteten Brief, welchen er sich zeigen lassen solle, in einem Postskriptum jedoch kommt er, wie dies öfter bei ihm der Fall ist, auf die Sache zurück und erzählt, wie ihn Lapo beim Ankaufe von 120 Pfund Wachs hätte betrügen wollen.

Diese Angabe gewährt Einblick in den Stand der Arbeit. Sie zeigt, daß der Guß der Statue damals vorbereitet wurde. Zuerst bedurfte es hierzu eines Tonmodells. War es getrocknet, so ersetzte man, was auf diese Weise geschwunden war, durch aufgetragenes Wachs, bis das Modell wieder seine volle Gestalt besaß, und umgab es mit einem dicken Überzuge von Lehm. Saß dieser wohlgetrocknet und fest darüber, so wurde das Ganze erhitzt, Ton und Lehm sogen das flüssig gewordene Wachs auf, und der frei gewordene, die ganze Figur umgebende hohle Raum nahm das Metall auf. Dies ist die einfachere Art zu gießen, die Benvenuto Cellini angibt. Die kompliziertere kann bei ihm, wie bei Vasari, gleichfalls nachgelesen werden.

Den Guß getraute sich Michelangelo indessen nicht auf eigene Faust auszuführen. Es gehörten dazu Erfahrungen, die nur langjährige Arbeit geben konnte, und die Sache war diesmal zu wichtig, um es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Michelangelo wandte sich an die Regierung von Florenz und erbat Meister Bernardino, der dem Geschützwesen der Republik vorstand, zur Hilfe. Da die Ehre der Stadt, sowohl dem Papste als den bologneser Künstlern gegenüber, mit auf dem Spiele stand, konnte ein solches Verlangen wohl gestellt werden. Am 20. April schreibt er jedoch seinem Bruder, er möge die Regierung wissen lassen, daß er, da auf sein Gesuch keine Antwort eingelaufen sei, und er daraus entnehme, daß Meister Bernardino wahrscheinlich aus Furcht vor der Pest nicht kommen wolle, einen Franzosen in Dienst genommen habe. Es sei ihm unmöglich gewesen, länger zu warten und untätig dazustehen.

In der Tat hatte im März das Sterben in Bologna begonnen. Es starben nicht viele – nur von vierzig Fällen hatte Michelangelo gehört, als er den 26. März schrieb – aber, wen die Pest einmal gefaßt hat, setzt er hinzu, den läßt sie nicht wieder los.

Fünf Wochen später kommt der Geschützmeister dann doch, der Mitte Mai erst Urlaub erhalten hatte, und Anfang Juli wird unter seiner Leitung der Guß vorgenommen.

Der Erfolg war kein erfreulicher. »Buonarroto«, beginnt der Brief, der dies meldet, »wisse, daß wir meine Figur gegossen und dabei Unglück gehabt haben, da Meister Bernardino, sei es aus Mangel an Sachkenntnis oder weil es ein ungünstiges Geschick so wollte, das Metall nicht gehörig geschmolzen hatte. Es ließe sich ein langes und breites darüber schreiben: genug, die Figur ist nur bis zum Gürtel gekommen, und das übrige Metall, d. h. die andere Hälfte, blieb im Ofen stecken, weil es nicht flüssig war, so daß ich, um es herauszubekommen, den Ofen einschlagen muß. Dies sowie die Herstellung der Form wird in dieser Woche noch vorgenommen, und bringen wir hoffentlich alles wieder in Ordnung, freilich nicht ohne große Arbeit, Anstrengung und Ausgaben. Ich war meiner Sache so gewiß, daß ich Meister Bernardino zugetraut hätte, er könne das Metall ohne Feuer schmelzen; auch will ich nicht sagen, daß er ein schlechter Meister sei und nicht das rechte Interesse daran gehabt habe, aber Irren ist menschlich, das ist diesmal bei ihm zur Wahrheit geworden, zu meinem und seinem eigenen großen Nachteil. Denn man hat hier in einer Weise über ihn gesprochen, daß er sich vor den Leuten kaum sehen lassen darf«

»Lies diesen Brief Baccio d'Agnolo vor, wenn du ihn siehst, und ersuche ihn, dem Sangallo in Rom darüber Nachricht zu geben. Empfiehl mich ihm, Giovanni da Ricasoli und Granaccio. Wenn jetzt alles gut abläuft, hoffe ich in vierzehn Tagen bis drei Wochen fertig zu sein und nach Florenz zu kommen, geht es nicht gut, so muß ich noch einmal ganz von vorn anfangen. Ich gebe dir Nachricht. Schreibe mir, wie sich Giovansimone befindet. Der Einschluß ist ein Brief an Giuliano di Sangallo nach Rom. Sende ihn so gut und so schnell als möglich ab oder, wenn er in Florenz ist, gib ihn ihm.«

Sehr bald war das Versehen nun wieder gutgemacht. Der obere Teil der Statue wurde zum zweiten Male gegossen. Am 6. Juli hatte Michelangelo das Mißlingen gemeldet: schon am 30. konnte er vom neuen Gusse berichten. Noch sei die Form freilich so heiß, daß man nicht daran rühren dürfe, und sogar abermals eine Woche später war die nun wohlgelungene Statue nur zur Hälfte aufgedeckt. Es hätte der Guß viel besser, aber auch viel schlechter ausfallen können, schreibt Michelangelo, indem er zugleich seinen Bruder dringend bittet, ihm die Florentiner Erzgießer vom Halse zu halten, welche sich sofort zu ihm auf den Weg hatten machen wollen. Den 2. August endlich teilt er mit, die Statue sei frei und besser ausgefallen, als er erwartet habe.

Michelangelos hauptsächlichster Korrespondent war damals freilich Sangallo, an welchen die Briefe durch Buonarroto nach Rom gingen. Diese besitzen wir nicht mehr. Ohne Zweifel verfolgten Michelangelos Freunde in Rom den Gang der Dinge mit Spannung. Er selbst fühlte sich unbehaglich und sehnte sich nach dem Abschlusse der Arbeit. Tausend Jahre deuchte es ihn noch, daß er dies elende Leben weiter zu ertragen habe. Ein einziges Mal, seit er überhaupt in Bologna sei, habe es geregnet, und eine Hitze herrsche, wie er sie nie für möglich gehalten. Dabei sie der Wein teurer wie in Florenz und ein jämmerliches Getränk.

Im Oktober schreibt er sehr zufrieden über den Stand der Dinge, er hoffe jetzt rasch zu Ende zu kommen und große Ehre einzulegen. Im November aber gewinnt die trübe Stimmung wieder die Oberhand. Buonarroto hatte wegen Familienangelegenheiten Michelangelos baldige Rückkehr verlangt. Er selber, antwortete dieser, wünsche wohl noch mehr als sie, daß er kommen könne. »Ich befinde mich«, lauteten seine Worte, »hier in der unangenehmsten Lage. Wenn ich diese angestrengte Arbeit, die mir Tag und Nacht keine Ruhe läßt, zum zweiten Male tun sollte, ich glaube kaum, daß ich es durchzusetzen imstande wäre. Ich bin überzeugt, kein anderer, dem diese ungeheure Last aufgelegt worden wäre, hätte sie ertragen. Mein Glaube ist, daß eure Gebete mich aufrecht und gesund erhalten haben. Denn niemand in Bologna, selbst nach dem glücklichen Verlauf des Gusses nicht, glaubte, daß ich mit der Statue gut zu Ende käme; vorher glaubte kein Mensch, daß der Guß gelingen würde. Bis zu einem gewissen Punkte habe ich sie nun gebracht, vollenden werde ich sie jedoch in diesem Monat nicht, im nächsten aber jedenfalls, und dann komme ich. Bis dahin seid gutes Mutes, ich werde halten, was ich versprochen habe. Versichere dies dem Vater und Giovansimone in meinem Namen, und schreibe mir, wie es mit Giovansimone geht; lernt ordentlich und gebt euch Mühe im Geschäft, damit ihr, wenn es darauf ankommt, und das wird bald der Fall sein, die nötige Erfahrung habt.«

Der folgende Brief vom 20. Dezember enthält die Bitte, ein beigelegtes Schreiben rasch und sicher an den Kardinal von Pavia nach Rom gelangen zu lassen; er könne nicht fort von Bologna, ohne Antwort darauf zu haben. Am 5. Januar 1508 dankt er für die pünktliche Besorgung. Er hofft in vierzehn Tagen abzureisen; tausend Jahre schienen ihm zu sein bis dahin, denn seine Lage sei derart, daß, wenn Buonarroto sie sähe, er ihn bedauern würde. Dies sei der letzte Brief aus Bologna.

Es wäre interessant zu wissen, was er dem Kardinal Alidosi mitzuteilen gehabt, denn gerade dieser traf bald darauf in Bologna ein, und zwar infolge von Ereignissen, durch die der Winter dort zu einer bewegten Zeit gemacht wurde. Die Bentivogli, die in Mailand saßen, und ihre Anhänger in Bologna hatten das Mögliche versucht, die verlorene Herrschaft zurückzugewinnen. Da Frankreich, das mit Giulio noch keineswegs öffentlich gebrochen hatte, nicht zugab, daß sie ihre Pläne unverdeckt betrieben, so nahm man zu heimlichen Mitteln seine Zuflucht. Sie versuchten den Papst zu vergiften. Sie warben in der Stille Truppen und verabredeten mit ihren Anhängern in der Stadt einen Überfall. Vor allem wollten sie sich an den Marescottis, ihren bittersten Feinden, rächen, die das Signal zum Anzünden des Palastes gegeben hatten. Auf das Volk hofften sie, weil der Legat sich durch Habsucht unerträglich machte. Dieser Kardinal von San Vitale war vom gemeinsten Stande so hoch erhoben worden, nur weil er ein Landsmann des Papstes und dessen williger Diener war.

Anfang 1508 sollte die Verschwörung zum Ausbruche kommen. Die Umtriebe der Bentivogli aber blieben nicht unbemerkt. Die Marescotti, die am meisten zu fürchten hatten, waren am scharfsichtigsten gewesen. Sie sahen die Dinge kommen, Ercole Marescotti ging nach Rom, um besondere Maßregeln des Papstes zum Schutze der Seinigen zu erbitten. Jetzt war Eile nötig. Nachts wird der Palast der Marescotti umzingelt. Was man darin fände, wolle man umbringen und dann die Bentivogli in die Stadt lassen. Aber die im Schlafe Überraschten, Männer, Frauen und Kinder, flüchten halbnackt über die Dächer anstoßender Häuser, nur zwei Diener werden ergriffen und niedergemacht. Dann mit zwei Kanonen, die sie im Palaste vorgefunden, ziehen sich die Aufrührer in eins der befestigten Tore der Stadt zurück – Stadttore waren in jenen Zeiten immer kleine Zitadellen – und setzten sich in Verteidigungszustand.

Päpstliche Truppen lagen nicht in der Stadt. Nur in den seltensten Fällen gestatteten damals die Bürger einer Stadt geworbenen Soldaten den Eintritt in ihre Mauern, nicht einmal denen, die sie selbst bezahlten. Die Zitadelle des Papstes stand noch unfertig da. Der Kardinal wußte nicht mehr, was zu tun sein. Dagegen unterhandelte nun der Senat mit den Anführern, die vergebens auf die Bentivogli gewartet hatten und sich endlich aus ihrer Position am Tore in ihre Häuser zurückzogen.

Der Papst verzieh alles von Rom aus, berief San Vitale zurück, nahm ihm die erpreßten Summen ab und steckte ihn in die Engelsburg. Der Kardinal von Pavia, Francesco Alidosi, gefürchtet wie Giulio selber, mächtig wie er und habgieriger noch als sein Vorgänger, traf als neuernannter Legat in Bologna ein. Er legte achthundert Mann in die Stadt, beschleunigte den Bau der Zitadelle, ließ den Palast der Marescotti auf öffentliche Kosten wiederherstellen und einer Anzahl Bürgern nach kurzer Prozedur auf dem Markte die Köpfe herunterschlagen. So stand es in Bologna zu der Zeit, wo die Bildsäule des Papstes fertig über dem Hauptportal von San Petronio aufgestellt ward. Am 21. Februar 1508 geschah es, nachdem sie eine Woche vorher bereits an die Kirche geschafft worden war. Noch am 18. hatte Michelangelo seinem Bruder geklagt, nun, da alles fertig sei, ziehe man ihn mit den Arbeiten wieder hin, und er dürfe nicht abreisen, weil Giulio ihm befohlen habe, nicht eher von Bologna fortzugehen, als bis die Statue an Ort und Stelle sei. Diese Woche wollte er noch warten, dann aber abreisen, ohne sich an den Papst zu kehren.

Nur drei Tage brauchte er noch zu warten. Unter Glockengeläute, Getön von Trompeten, Pfeifen, Trommeln und Geschrei des Volkes ging die Enthüllung vor sich, genau in dem Augenblicke, welchen die Astrologen als den günstigsten bezeichnet hatten. Mit Erleuchtung der Stadt, Feuerwerk und Festlichkeiten wurde der Tag geschlossen. Der Papst hielt weder Schwert noch Buch in der Linken, sondern die Schlüssel des heiligen Petrus, während er mit der Rechten dein Volke den Segen gab.

Das Portal, auf dem die Statue stand, das mittelste der drei gotischen Kirchentore, welche die unvollendete Fassade der Kirche schmücken, ist ein Werk Jacopo della Quercias, eines von denen, die um die Türen San Giovanni mitkonkurrierten. Als Ghiberti den Preis erhielt, ging Jacopo nach Bologna, wo ihm durch Giovanni Bentivoglis Fürsprache das Tor von San Petronio übertragen ward. Dreitausend Goldgulden erhielt er dafür und freien Marmor. So traf überall wieder toskanische Arbeit mit ihresgleichen zusammen in Italien.

Michelangelo, dessen Werk nun also vollendet war, kehrte nach Florenz zurück. Wem er in Bologna etwa nahe gestanden während der Zeit, die er dort arbeitete, wissen wir nicht; über seinen ferneren Zusammenhang mit Messer Aldovrandi etwa wird nichts mitgeteilt. Doch finden wir diesen als Mitglied der von der Bürgerschaft dem siegreichen Papste entgegengesandten Deputation.

Das dagegen kann als ziemlich sicher angenommen werden, daß Michelangelo mit den Künstlern der Stadt, deren Neid ihn das erste Mal davontrieb, auch diesmal keine Freundschaften schloß.

Francesco Francia, der berühmte Goldschmied, Maler und Stempelschneider, war das Haupt der bolognesischen Schule. Er kam zu Michelangelo in die Werkstätte und besah sich die Statue. Ohne über anderes zu reden, äußerte er nur, das Metall sei gut. »Wenn es gut ist«, antwortete Michelangelo, »so kann ich mich beim Papste dafür bedanken, der es mir geliefert hat, gerade so wie ihr euch beim Kaufmann, bei dem ihr die Farben kauft, für eure Bilder bedanken könnt.«

Francia, ein heiterer, herzlicher Mann, der fremdes Verdienst gern anerkannte, mag dennoch von Anfang an Michelangelo nicht unbefangen gegenübergestanden haben. Die Eifersucht der Parteien spielte vielleicht nach Bologna hinüber. Als ein Freund Peruginos, dem er durch gemeinsame treffliche Schüler verbunden war, ist es nicht zweifelhaft, auf welcher Seite er stand. Und hierzu stimmt, daß er sich später als einen begeisterten Freund Raffaels zu erkennen gab.

Wie scharf es aber zwischen Michelangelo und Perugino herging, zeigt ein Vorfall, den ich hier erwähne, weil die Zeit, in der er sich ereignete, von Vasari nicht näher angegeben wird. Perugino hatte sich mit beleidigendem Spotte über Michelangelos Arbeiten ausgesprochen, und dieser darauf gesagt, daß er ihn in seiner Kunst für einen rohen, unwissenden Menschen halte. Perugino geht vor Gericht und verklagt ihn, wird aber mit seiner Klage auf eine Weise abgewiesen, die noch empfindlicher für ihn als Michelangelos Worte waren. Dieser hatte recht; er sagte nur, was sich nicht leugnen ließ. Perugino war seit 1500 etwa, nachdem er bis dahin ausgezeichnete Werke vollendet hatte, in eine schwunghafte Bilderfabrikation hineingeraten, die ihm jenen Vorwurf um so eher eintragen konnte, als er, in einer stämmigen, handwerksmäßigen Art und Weise auftretend, diejenigen obendrein verhöhnte, die, mühsamer und gewissenhafter arbeitend, ihn zu übertreffen suchten, wie er selbst jedoch die Sache auffaßte: seinen wohlerworbenen Ruf zu untergraben trachteten.

Michelangelo, dem die Kunst das Höchste auf Erden war, dem ihre Erniedrigung um des Geldgewinns willen verächtlich schien, mußte sich um so tiefer beleidigt fühlen durch den Anblick eines Meisters, der so Vortreffliches früher zustande gebracht und nun, statt weiterzuschreiten, rückwärts ging. Und dies nicht etwa, weil die Not ihn trieb, sondern weil er das, was er sich bereits erworben, bequem und rasch zu vermehren wünschte. Aus Ärger über den beschämenden Erfolg seines Vorgehens bei Gericht soll Perugino die Stadt damals verlassen haben. Es kann übrigens, wenn es überhaupt geschah, doch nur für kurze Zeit gewesen sein, denn er taucht bis in die spätesten Zeiten seines Alters in Florenz immer wieder auf.

Mochte nun Francias Zusammenhang mit Perugino schuld sein an seiner Verstimmung gegen Michelangelo, keinenfalls scheint dieser selbst etwas dazu getan zu haben, Francia sich geneigter zu machen. Wenn wir Vasari glauben wollen, der obiges Zusammentreffen auch erzählt, so ist es dabei noch viel schlimmer zugegangen. Nach ihm hätte Michelangelo dem guten Francia die derbe Antwort erstens im Beisein anderer Leute gegeben, zweitens aber noch ein allgemeines Urteil über ihn und seinen Schüler Costa hinzugefügt, das nicht wegwerfender gedacht werden kann. Vasari mildert die Ausdrücke etwas in der zweiten Auflage seines Buches, wonach Michelangelo nur das eine Wort gebraucht haben soll, mit dem er auch Perugino taxierte, daß Francia ein goffo, ein roher Handwerker sei. Wollen wir aber auch alles für eine von jenen Klatschgeschichten halten, die niemals in Wirklichkeit so vorgefallen sind, wie man sie wiedererzählen hört, so bleibt doch immer der letzte Eindruck, Michelangelo habe rücksichtslos seine Meinung ausgesprochen und sich nicht viel darum gekümmert, ob es in derben Worten geschah. Francia gegenüber scheint er sich aber ganz besondere Gewissenhaftigkeit zur Pflicht gemacht zu haben. Durch den eigenen Sohn, einen schönen Knaben, ließ er Francia sagen, seine lebendigen Gestalten gerieten ihm besser als die, welche auf seinen Bildern zu sehen seien. Auch das erzählt Condivi. Wohl möglich, daß die Stimmung, die sich unter diesen Umständen erzeugte, an dem traurigen Schicksale Anteil hatte, dem die Statue, die Michelangelo eben mit so großen Mühen vollendete, einige Jahre später anheimfiel.

Denn es will mir scheinen, als sei Francias Abneigung gegen Michelangelo und die zweideutige Art, dessen Werk anzuerkennen, auch die Folge politischer Gereiztheit gewesen. War die Familie Bentivogli den Bürgern verhaßt gewesen: den Künstlern hat sie stets reichlich zu tun gegeben. Francia besonders war von ihnen geliebt und geehrt worden. Jetzt lag ihr Palast in Trümmern, in dem er selbst gemalt, und die große Glocke seines Turmes war in die Form der Statue des Papstes miteingeflossen. Jetzt mußte Francia, der früher die Stempel der bentivoglischen Münzen geschnitten, als besoldeter Vorsteher der Münze zur Arbeit verpflichtet, die Münzen schneiden, auf denen Giulios Kopf zu sehen war und deren Inschrift ihn als den Befreier der Stadt von den Tyrannen pries. Übermäßig betrübt war Francia durch diese Erlebnisse, wußte sich aber, wie Vasari gleichfalls erzählt, als verständiger Mann still in sein Schicksal zu finden. Einem allein gegenüber jedoch konnte ihm das nicht gelingen, dem, der jetzt als fremder Künstler in Bologna erschien, um das Bild dessen zu gießen, der dieses Unglück über die Stadt gebracht. Und obendrein diese Statue ein außerordentliches Werk! Francia, das Haupt der bolognesischen Künstlerschaft, durfte sich kaum anders als feindlich Michelangelo gegenüberstellen.

Möglich, daß noch etwas anderes durch diese Lage der Dinge herbeigeführt ward: in demselben Winter 1506 auf 7, in welchem Michelangelo seine Arbeit in Bologna begann, erscheint dort zum Besuch von Venedig aus Albrecht Dürer und wird von den Künstlern mit großer Auszeichnung aufgenommen. Ehe er von seiner zweiten italienischen Reise zurückkehrte, unternahm er diesen Abstecher; nirgends aber eine Spur, daß er mit Michelangelo zusammengetroffen sei. Als Anknüpfungspunkt hätte Martin Schongauer dienen können, nach dessen Stich Michelangelo seine erste Malerei zustande gebracht, während Dürer, der Schongauer hoch verehrte, nichts mehr bedauerte, als des Glückes nicht teilhaftig geworden zu sein, bei ihm als Schüler gelernt zu haben. Eine unbefangene Begegnung beider aber wäre vielleicht kaum möglich gewesen. Hätten es die einheimischen Künstler nicht getan, die in Bologna studierenden Deutschen würden Dürer zurückgehalten haben. Denn diese empfanden die Mißachtung schmerzlich, in der der deutsche Kaiser damals in Italien stand, und sahen den Papst, in dessen Diensten Michelangelo stand, für den Teufel an, der auch für sie an allem Unheil schuld war.

So betrachtet erscheint Michelangelos Einsamkeit als ein natürliches Produkt der Verhältnisse. Aber auch ohne diese Einwirkung würde er sich still und zu Hause gehalten haben, wie er am liebsten tat. Wir sehen, daß die Sorge um seine Familie auf ihm lastete. Die Traurigkeit, die den Grundzug seines Wesens bildet, fand nur Trost in der Hingebung an seine Arbeit. Wüßte man ein einziges Beispiel anzuführen, daß er der großartigen Idee treulos geworden sei, die er von der Mission eines Künstlers hegte, so müßte sein Benehmen seinem Standesgenossen gegenüber hochmütig und roh genannt werden, und gerade daß er ihn an Talent so weit überragte, spräche am stärksten gegen ihn. Aber dem Gefühl, das ihn so streng urteilen ließ, genügte er selbst in vollem Maße. Er wies jede Bestellung zurück, die er nicht würdig erfüllen zu können glaubte. Er kam auf das freundlichste denen zu Hilfe, die seine Hilfe in Anspruch nahmen. Die Kindlichkeit seines Charakters bricht überall durch, wo wir ihn näher kennenlernen, und Soderinis Brief enthielt kein Lob, das mit der Wahrheit im Widerspruch stand. Tief versunken jederzeit in seine Pläne und voll Liebe zu dem, was er zur Erscheinung bringen wollte, war es ihm unerträglich, anderen zu begegnen, die anders dachten. Ohne zu wollen und zu wissen vielleicht, wie sehr er sie verletzte, tat er dann Aussprüche, durch die er die Zahl seiner Feinde vermehrte, welche ihm sein überragendes Talent allein schon erzeugen mußte.


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