Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Wären sie auf guten Pferden gerade durchgeritten, so hätte die Reise eine Woche in Anspruch genommen. Allein die Franzosen standen in der Romagna. Es mag also längere Zeit darauf hingegangen sein. Desto kürzer mußten sie sich in Venedig selbst fassen, nachdem sie es endlich erreicht. Michelangelo war der einzige, der Geld hatte, sehr bald ging seine Barschaft auf die Neige, und die Gesellschaft faßte den Entschluß, nach Florenz zurückzukehren.

So gelangten sie wieder bis Bologna, wo die Bentivogli die herrschende Familie waren. Diese hatten sich erst seit kurzer Zeit zu entscheidender Übermacht emporgeschwungen und wußten sich oben zu halten. Die ihnen feindlich gesinnten Häuser wurden durch Verbannungen oder auch Morde unschädlich gemacht, die Bürger durch strenge Gesetze und Abgaben im Zaume gehalten. Unter diesen Gesetzen befand sich eines, das in seltsamer Manier zur Ausführung kam: jeder Fremde mußte sich bei seinem Eintritte am Tore melden und erhielt als Legitimation ein Siegel von rotem Wachs auf den Daumen geklebt; wer es unterließ, verfiel in eine bedeutende Geldstrafe. Michelangelo und seine Freunde kamen wohlgemut, aber ohne Siegel auf den Daumen, in die Stadt, wurden gefaßt, vor Gericht geführt, zu fünfzig Lire Strafe verurteilt, und, da sie soviel nicht aufzubringen vermochten, einstweilen festgehalten.

Zufällig kamen sie in dieser bedrängten Lage einem der ersten Männer in Bologna zu Gesichte, einem Messer Gianfrancesco Aldovrandi, Mitgliede des großen Rates und Haupte einer angesehenen Familie. Dieser ließ sich den Fall vortragen, machte Michelangelo frei und lud ihn, als er gehört, daß er ein Bildhauer sei, zu sich in sein Haus ein. Michelangelo jedoch lehnte die Ehre ab. Er stehe nicht allein und könne seine Freunde nicht verlassen, welche auf ihn angewiesen seien; mit ihnen zusammen, zu dreien aber, wollten sie dem Herrn nicht beschwerlich fallen. »Oh«, rief Aldovrandi, »wenn die Dinge so stehen, da möcht' ich bitten, mich doch gleichfalls mitzunehmen und auf deine Kosten in der Welt herum spazierenzufahren.« Dieser Scherz ließ Michelangelo zu praktischeren Ansichten kommen. Er gab seinen Reisegenossen den Rest seines Geldes, nahm Abschied von ihnen und folgte seinem neuen Beschützer. Und dies war das Vernünftigste, was er hatte tun können, denn kaum waren einige Tage vergangen, so kamen die Medici, Piero und seine Brüder und was von Anhängern ihnen sonst gefolgt war, auf der Flucht in Bologna an, denn in Florenz war die Prophezeiung Lorenzos in Erfüllung gegangen.

Um dieselbe Zeit, wo Michelangelo sich nach Venedig fortgemacht, hatten die Franzosen die Toskana betreten. Der König, welcher wohl wußte, wie französisch gesinnt die Bürgerschaft war, wollte das Äußerste versuchen, ehe er als Feind aufträte. Er hatte noch einmal Durchzug verlangt, Piero ihn wiederum verweigert. Dies war eine Herausforderung. Ein Teil der Armee kam von Genua her das Meeresufer entlang, die Hauptmacht mit dem Könige marschierte von Pavia südlich auf die Apenninen los und überschritt sie da, wo auf dem schmalen Küstenlande genuesisches und florentinisches Gebiet aneinanderstießen.

Hier lagen eine Anzahl befestigter Plätze, die Lorenzo noch erworben hatte, und die jetzt, von Pieros Leuten besetzt, wenn sie Widerstand leisteten, ganz Toskana verschlossen halten konnten. Die Gegend war sumpfig, kalt und ungesund. Lebensmittel mußten von weitweg auf Schiffen herbeigeführt werden. Die Truppen des Königs bestanden größtenteils aus gemietetem, zu Meuterei geneigtem Volke, unter dem es bereits zu gewaltsamen Unruhen gekommen war; ein Aufenthalt an dieser Stelle wäre den Franzosen verderblicher als eine verlorene Schlacht gewesen.

Pieros Lage war also nicht allzu verzweifelt. Er hatte die Orsini mit einigen Leuten im Lande, um den bedrohten Festungen Entsatz zuzuführen. Gegen Obigni, der aus der Romangna heranzog, schützten ihn wohl zu verteidigende Gebirgspässe. Er hätte den Mut nicht zu verlieren brauchen.

Aber er war nicht Herr seiner Stadt. Florenz merkte immer mehr, daß der König nur gegen die Medici und nicht gegen die Bürger Krieg führe. Karl hatte von Anfang an, als Piero sich gegen ihn erklärte, die Florentiner Kaufleute in Lyon unbelästigt gelassen, nur die Medici zwang er, ihre Bank zu schließen. Es ist gesagt, wie die vornehmen Florentiner in Frankreich selbst zum Kriege drängten. Man erwartete Karl wie einen Befreier. Schon im Jahre 93 hatte Savonarola, aufgefordert von der Regierung, ein Gutachten über die beste Form einer Regierung für die Stadt abgegeben und darin mit schneidender Schärfe die Gelüste Pieros dargestellt, wenn er auch, statt den Namen zu nennen, nur im allgemeinen einen Fürsten beschrieb, wie er etwa herrschen würde und herrschen müßte, wenn er sich zum Tyrannen einer freien Stadt aufwürfe. Es ist eine brillante Schrift, die, mit kaltem, staatsmännischen Blicke, aber auch mit der leidenschaftlichen Energie der Partei abgefaßt, ebensosehr die augenblickliche Lage charakterisiert, wie zwanzig Jahre später Machiavellis Buch vom Fürsten ein Bild der so völlig veränderten Zustände gewährt.

Savonarolas Macht wuchs zusehends in jenen Tagen. Politik und Theologie waren eins für ihn. Er drängte sich nicht mehr auf, als man ihn suchte. Der Haß gegen die Medici ging immer unverhüllter einher. Piero mußte einen äußersten Entschluß fassen, wenn er sich halten wollte.

Der Herzog von Montpensier mit dem Vortrabe der königlichen Armee war zuerst diesseits der Apenninen angekommen und vereinigte sich mit den von Genua heranziehenden Truppen. Er bombardierte Fivizzano, den ersten jener kleinen florentinischen Plätze, schoß Bresche, stürmte und ließ die Besatzung und die Einwohner bis auf den letzten Mann zusammenhauen.

Immer war noch nichts verloren und Toskana unter dem Schurze der übrigen Festungen so sicher wie früher, allein die Nachricht von den Greueltaten der Franzosen versetzte Florenz in Gärung. Piero faßte zum ersten Male seine Lage ins Auge, wie sie war. Er sah sich verlassen und verraten. Es fehlte ihm an Geld; er wollte borgen, aber seine besten Freunde machten Schwierigkeiten und zeigten sich unerbittlich. Von Neapel war keine Hilfe zu erwarten, auf Alexander Borgia kein Verlaß, in Pisa regten mailändische Agenten das Volk zur Empörung auf, denn Sforza wollte die ganze Küste Toscanas, Lucca, Livorno und Pisa in seine Gewalt bringen; er war es, der den König am meisten auf Toskana losgehetzt hatte. In Pisa befand man sich auf nichts vorbereitet, Piero ließ in aller Eile die Zitadelle wenigstens mit Munition versehen; aber was in Florenz selber beginnen, das keine andere Besatzung hatte als seine eigenen bewaffneten Bürger, und wo die Empörung ihr Haupt erhob? Piero tat in dieser Lage einen Schritt, der, wenn er besseren Erfolg gehabt hätte, als die Tat eines entschlossenen Mannes gelten müßte, welcher im Gefühl seiner Lage das letzte Rettungsmittel anzuwenden wagt, der aber, da er leider zum Unheil ausschlug, anders beurteilt worden ist: er gab sich unbesiegt dem König in die Hände.

Wäre er nach Neapel oder Venedig geflüchtet, den einzigen Orten, die ihm offen standen, so hätten die Florentiner alsbald mit Karl dem Achten Frieden gemacht, ihm die alte Würde des Beschützers der florentinischen Freiheit neu übertragen und ein Bündnis geschlossen, das die Medici für immer der Herrschaft beraubte. Viel besser, dem Könige zu Füßen zu legen, was man noch besaß, und vielleicht als Preis von ihm zu verlangen, was Neapel nun nicht mehr verschaffen konnte.

Piero wollte als Herzog von Florenz in die Stadt zurückkehren, als er die Führung einer Gesandtschaft übernahm, die im Namen der Regierung mit dem Könige unterhandeln sollte. Unterwegs hörten sie, wie Paolo Orsini vergebens den Versuch gemacht, sich mit dreihundert Mann nach Sarzana zu werfen. In Pietrasanta ließ Piero seine Begleiter zurück und verfügte sich unter französischer Bedeckung allein ins Hauptquartier nach Pontremoli.

Das Erscheinen des großen Lombarden, unter welchem Namen Piero nach seines Vaters Vorgang in Frankreich bekannt war, wo alle Italiener für Lombarden galten, erregte Erstaunen im Lager. Noch größeres die schmählichen Anerbietungen, die er machte. Das von seinem Vater erst erworbene und mit ungeheuren Kosten befestigte Sarzana, das Montpensier vergeblich berannte, die anderen Festungen, Livorno und Pisa dazu, wollte er freiwillig überliefern. Florenz sollte sich mit Karl verbünden, unter seine Obhut treten und 200 000 Dukaten zur Fortführung des Krieges leihen.

Auf diese Bedingungen hin wurde Piero zu Gnaden angenommen; was er für sich selbst verlangte und wohl zugestanden erhielt, zeigte sein Auftreten in Florenz, wohin er sich jetzt zurückzukehren anschickte, und zwar in Begleitung seiner Truppen, deren er gegen die Franzosen nicht mehr bedurfte. Allein vor ihm war die Gesandtschaft dort wieder eingetroffen, an deren Spitze er ausgezogen war, und hatte berichtet, was geschehen war. Pieros eigenmächtiges Verfahren, das in seinem völligen Umfange nicht einmal bekannt sein konnte, erregte eine Indignation, von der jetzt auch die treuesten Anhänger der Medici mit fortgerissen wurden. Dennoch hielt man sich ihm gegenüber in den Grenzen. Eine zweite Gesandtschaft wurde sogleich ernannt und Piero abwesend zu ihrem Mitgliede gewählt. Fünf Männer, darunter Savonarola. Er war es, der in Lucca, wo sie den König bereits antrafen, das Wort führte. Er sprach von der Freiheit und Schuldlosigkeit des florentinischen Volkes und verlangte bestimmte Zusicherungen. Karl gab ausweichende Antwort. Savonarolas Ruf war längst nach Frankreich gedrungen, und der König scheute den Mann, verehrte ihn vielleicht, aber er hatte sich mit Piero zu tief eingelassen. Dieser, der sich noch bei ihm befand, sobald er die Fünfe erscheinen sah, wußte, wie die Dinge in Florenz standen. Unter dem Vorwande, vorauszueilen und den Empfang des Königs in Pisa vorzubereiten, beurlaubte er sich und eilte nach Florenz. Paolo Orsini trieb zusammen, was von Soldaten im Moment aufzubringen war, und folgte ihm.

Am 8. November abends war Piero zurück in der Stadt, am 9. morgens erschien er vor dem Palast der Regierung. Er wollte eintreten, die große Glocke läuten, das Parlament berufen und die Verfassung stürzen. Einer der angesehensten Bürger, Luca Corsini, trat ihm entgegen und riß ihn zurück. Was er hier zu tun habe? Piero sah sich und seine Gefolge auf den Platz hinausgedrängt, das Volk stand in dichten Gruppen umher und sah mit an, was daraus würde. Einzelne Stimmen riefen ihm zu, er möge mit Gott gehen, wohin er Lust habe. Plötzlich erhob sich daraus ein Rufen, ein Geschrei, Libertà, libertà, popolo, popolo, die Kinder riefen zuerst und warfen mit Steinen auf den Medici und die ihn begleiteten. Niemand hatte Waffen, aber die Haltung des Volkes und das Geschrei erschütterten Piero, daß er zurückwich. Nun kam der Polizeimeister mit seinen Leuten und versuchte den Platz zu säubern. Das war das Zeichen des Ausbruchs. Die Wut wandte sich gegen ihn, der Palast der Polizei wurde gestürmt und die Gefangenen in Freiheit gesetzt.

Piero war im Palaste Medici wieder angelangt und sandte Boten an Paolo Orsini, der in der Nähe der Stadt lagerte. Aber auch die Herren von der Regierung fühlten, daß sie handeln müßten. Die Sturmglocke wurde gerührt, und aus allen Teilen der Stadt strömten die Bürger in Waffen auf den Platz zusammen. Dahin versuchten jetzt die Medici noch einmal vorzudringen.

Giovanni, der Kardinal, nachmals Leo der Zehnte, dessen freundliches Benehmen von jeher gegen das stolze Auftreten Pieros angenehm abstach und der den Bürgern der liebste der drei Brüder war, sollte zuerst erscheinen und das Volk anreden, Piero mit Giuliano und Orsini wollten mit den Truppen nachfolgen. Aber Giovanni ward zurückgestoßen, ehe er den Platz erreichte, auf die anderen, als sie mit den Truppen erschienen, wurde aus den Fenstern mit Steinen geworfen, und sie wagten sich nicht weiter vorwärts. Das Volk greift an. Giovanni flüchtet nach San Marco, dort abgewiesen, rettete er sich als Mönch verkleidet aus den Toren der Stadt. Piero mit den Seinigen folgt ihm. Noch einmal versuchen sie in den Vorstädten Geld auszuwerfen und das niedrige Volk, das da vorzugsweise wohnte, zur Empörung aufzureizen, aber als man ihnen auch hier mit Steinwürfen erwidert, eilen sie rascher vorwärts, bis eine förmliche Flucht daraus wird. Und so ging es fort nach Bologna.


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