Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Einen Teil des Winters 1517 und 18 blieb Michelangelo in Rom, um dort sein Hauswesen aufzulösen und den Umzug nach Florenz zu bewerkstelligen. Durch diesen Aufenthalt, bei dem von ungnädiger Gesinnung des Papstes so wenig die Rede sein kann als bei früheren Gelegenheiten, verschwinden nun auch die Vermutungen über Leo des Zehnten und Raffaels feindschaftliches Verhältnis zu Michelangelo.

Die beiden großen Künstler standen einander nicht im Wege. Jeder besaß seinen Wirkungskreis. Sie hatten beide zu Gewaltiges geleistet, um sich verkennen zu dürfen. Ihre Gegnerschaft kann nur im Auftreten ihrer Anhänger widereinander beruht haben. Was ist über Goethes Verhältnis zu Schiller nicht bis auf unsere Tage erzählt und geglaubt worden, und endlich, nachdem ganz in die Tiefe gedrungen und jede Äußerung beider an die richtige Stelle gesetzt ward, wie rein erschienen sie in ihren Gefühlen zueinander. Es gibt eine falsche Vergötterung großer Menschen; ebenso falsch aber ist es, sie allzusehr nach dem gewöhnlichen Maße zu nehmen und die Feindschaft, die bei bloßen Talenten vielleicht natürlich erscheint, bei denen für möglich zu halten, die in zu vollem Maße begabt wurden mit eigenem Besitztum, um auch die reichsten neben sich beneiden zu dürfen.

Ohne Nebenbuhler in Rom, umgeben von einem Hofstaate lernender und mitarbeitender Künstler, entfaltete Raffael eine umfangreiche Tätigkeit. Er baute am Sankt Peter; er malte im Vatikan; er stand an der Spitze der Ausgrabungen und gab sich diesem Geschäfte mit besonderem Eifer hin. Es genügte nicht, daß jeder antike Marmor in Rom bei Strafe vorher ihm gezeigt werden mußte, ehe er verwandt werden durfte: durch Italien bis Griechenland hatte er seine Leute, die für ihn zeichneten, wo antike Werke vorhanden waren oder gefunden wurden. Das allein, was Raffael nebenbei abtat, hätte andere Männer ganz und gar in Beschlag genommen mit ihren Gedanken. Für ihn aber scheint es wie ein Spiel gewesen zu sein. Vom Morgen bis zum Abend muß seine Tage ein Wirbel von Geschäften, Arbeiten und Besuchen, die er empfing oder abstattete, erfüllt haben, niemals Ruhe, immer vorwärts, und trotz dieser Flüchtigkeit tief in seinem Herzen die Macht, sich ganz zu versenken in seine Werke und die Dinge so still und rein zu erfassen, als hätte er wie ein Mönch in der Zelle gesessen und gearbeitet.

Jener Bibbiena, der einst den armen Improvisator Cardiere so hart angefahren hatte, dann den Medicis in das Exil folgte und am Hofe von Urbino den fidelen Gesellschafter abgab, der alle Welt närrisch machte, war jetzt Kardinal. Bekannt ist er in der Literaturgeschichte als Verfasser des ältesten gedruckten italienischen Lustspieles. Seine Nichte Maria hatte er Raffael zur Gemahlin zugedacht. Es finden sich einige Briefe Bembos, Geheimschreibers des Papstes, an diesen, worin von Raffael die Rede ist, und die, obwohl sie ihn kaum erwähnen, dennoch zeigen, wie eingelebt er in diese höchsten Kreise war. »Der Papst«, lautet der Schluß eines Schreibens vom 3. April 1516, »befindet sich wohl, morgen wird er wahrscheinlich auf drei bis vier Tage nach Palo auf die Jagd gehen. Ich, Navigero, der Graf Castiglione und Raffael wollen morgen nach Tivoli, wo ich vor siebenundzwanzig Jahren zuletzt gewesen bin.« Am 19. April meldet er die Ankunft der herzoglichen Herrschaften aus Urbino: »Gestern war ich bei der Herzogin, der ich übrigens, so oft ich kann, meine Aufwartung mache. Sie empfiehlt sich Ihnen und Madonna Emilia gleichfalls. Signor Unico ist dort als beständiger Verehrer stets zu finden. Immer noch die alte Leidenschaft, die nun schon drei und halbes Lustrum alt ist, wie er selbst eingesteht. Diesmal aber ist er hoffnungsreicher als jemals, die Herzogin hat ihn aufgefordert, vor ihr zu improvisieren, und er denkt bei dieser Gelegenheit ihr steinernes Herz zu rühren. Raffael, der sich Ihnen empfehlen läßt, hat von unserem Tebaldeo ein so vortreffliches Porträt geliefert, daß es ein Spiegel nicht ähnlicher zeigen könnte. Ich habe nie eine solche Ähnlichkeit auf einem Bilde gesehen. Die Porträts des Grafen Castiglione und unseres seligen Herzogs sehen dagegen aus, als wenn sie von Raffaels Lehrjungen gemacht worden wären, sowohl was die Ähnlichkeit an sich betrifft, als auch im Vergleich zu dem Tebaldeos. Ich beneide ihn förmlich und gedenke mich eines Tages auch malen zu lassen. Eben, wie ich soweit geschrieben habe, kommt Raffael selber, er muß geahnt haben, daß von ihm in dem Briefe die Rede war, und bittet mich zu bemerken, Sie möchten ihm doch die Angaben zu den übrigen Gemälden zukommen lassen, die in Ihrem Zimmer ausgeführt werden sollen; diejenigen, über welche Sie bereits bestimmt hätten, würden diese Woche fertig werden. Wahrhaftig, es ist keine Lüge, in diesem Augenblicke erscheint auch Graf Castiglione! Ich soll Ihnen seinerseits vermelden, er würde, um seine alten guten Gewohnheiten nicht zu unterbrechen, diesen Sommer in Rom bleiben.«

Das gemalte Zimmer, von dem die Rede ist, scheint das Badezimmer des Kardinals Bibbiena im Vatikan zu sein. Damals stand Raffael im dreiunddreißigsten Jahre. Er war stärker und voller geworden. Er hatte seinen eigenen Palast, und wenn er nach dem Vatikan ging, sagt Vasari, bildeten fünfzig Maler sein Gefolge. Seine Liebenswürdigkeit aber war so groß, daß aller Neid und jede Mißgunst zwischen den Künstlern zu Boden gehalten wurde.

Keines seiner Werke ist so charakteristisch für jene Tage als eins, das als ihre freiesten reizendste Ausgeburt auch jetzt noch, verdorben und übermalt, den Hauch des römischen Lebens in sich trägt, dem Raffael sich damals hingab. Er hat das meiste daran nicht einmal selbst gemalt, sondern nur die Zeichnungen geliefert. Aber auch das gehört zu seinem Wesen, daß er andere arbeiten ließ und, was sie auf sein Geheiß geschafft hatten, mit wenigen Meisterstrichen zu seinem Eigentum stempelte.

In Trastevere (jenseits der Tiber) liegt das Gartenhaus des Bankiers des Papstes, des reichsten Mannes seiner Zeit, Agostino Chigis, heute die Farnesina genannt, weil es in späteren Jahren in den Besitz der Familie Farnese kam. Mitten in den Gärten steckt es, die sich den Fluß entlangziehen, an dessen anderes Ufer dichtan die vollen Häusermassen der Stadt anstoßen. Hinüberfahrend ist man aus den stillen Gebüschen in lärmende Gassen versetzt. Das war vor Jahrhunderten wohl nicht anders als heute.

Erbaut hatte das Haus Baldassare Peruzzi, aus Siena gebürtig, das heute noch, reichlich geschmückt von den Werken dieses Meisters, überhaupt neben Florenz den Ruhm beanspruchen darf, die Mutter tüchtiger Künstler gewesen zu sein. Peruzzi arbeitete unter den Borgias in Rom und für Papst Giulio in Ostia, als er noch Kardinal war. Nach dessen Erhebung wurde er von Bramante beim Bau des vatikanischen Palastes verwandt. Er paßte durchaus in die frische, produktive, drauflosarbeitende Wirtschaft in Rom, malte Häuserfassaden, Bilder für Kirchen und Privatpersonen, baute und zeigte in seinem Stil, der gleich dem Bramantes und Sangallos eine heitere, doch bei ihm mehr zierliche Nachahmung der Antike ist, eigentümlichen Charakter. Seine Gemälde weisen ihn in Raffaels Schule, bewahren jedoch eine aus dem Meister selbst stammende edle Einfachheit. Er ist ein Mann, der für sich allein steht.

Auch Peruzzis schönstes Bauwerk ist die Farnesina. Vasari sagt mit Recht, sie scheine nicht gemauert, sondern aus dem Boden geboren zu sein, so ganz vollkommen steht sie da in ihrer reizenden Einsamkeit. Heute [1857] ist sie verlassen, ihre offenen Hallen sind zugemauert, ihre Malereien der Anßenwände verblichen oder mit dem Kalke abgefallen, und in den schlecht gepflegten Gärten, zu denen eine verrostete Eisentüre aufgeschlossen wird, sieht man die alten Springbrunnen kaum noch von dürftigem Gewässer angefeuchtet oder vertrocknet und die leeren Postamente ohne Statuen. Auch die breite Eingangshalle, deren Decke Raffael malte, ist verschlossen: man hat zwischen den Säulen Wände gezogen und oben, in den Bogen, Fenster grob eingesetzt. Allmählich aber, wenn man sich in die Gemälde vertieft, schwindet das Gefühl der Vergänglichkeit.

Die Decke ist wie die der Sixtina ein glattes Tonnengewölbe, das in runden Bogen ringsum an die Wände ansetzt. Raffael hatte bei Michelangelo gelernt. Auch er nahm die Wölbung als die blaue, lichte Luft, in die er eine neue Architektur hineinbaute. Aber er führte sie aus Blumenkränzen auf. Über jedem runden Bogen malte er einen emporstrebenden Spitzbogen aus Girlandenwerk gebildet, und die sämtlichen, sich einander zuneigenden Spitzen verband er durch einen umlaufenden Kranz, der, weil das Gewölbe gleich dem der Sixtina, lang und schmal ist, in der Mitte einen langen viereckigen Raum bildete. Diesen teilte er quer durch und spannte in den beiden immer noch länglichen Vierecken zwei Teppiche aus, auf denen wir die Hauptgemälde erblicken, während das Übrige innerhalb der durch die aneinander stoßenden Spitzbogen gebildeten Dreiecke gemalt ist, perspektivisch so gehalten, als schwebten die Figuren hoch in den Lüften, zu denen man durch die Girlanden emporschaut.

Den Inhalt all dieser Gemälde bildet die Geschichte Amors und Psyches, das bekannte, reizende Märchen des Altertums. Psyche ist die Tochter eines Königspaares, das, verblendet von der Schönheit ihres Kindes, dessen Schönheit über die der Venus selber setzt und dadurch den Zorn der Göttin herabfordert. Jeder hat gelesen, wie es dahin kommt, daß das arme Kind, auf der Spitze eines Felsens verlassen, seinen Tod erwartet, wie sanfte Zephyre es niedertragen, wie Psyche, in einen Zauberpalast geleitet, Amors Gemahlin wird, wie ihre Schwestern sie verführen, den im Dunkel der Nacht verhüllten Gatten mit der Lampe heimlich zu betrachten, wie Amor flieht, wie sie verzweiflungsvoll ihn sucht und nach den grausamsten Proben neu mit ihm vereinigt wird. Unendliche Bilder scheinen in der Erzählung zu liegen. Raffael hatte nur eine kleine Anzahl Räume damit zu füllen. Wie ging er zu Werke?

Es scheint, als hätte er von dem, was sich zunächst aufdrängt, gar nichts gezeigt. Der Stolz der Eltern, ihre Verzweiflung, Psyche trostlos verlassen, dann im Palaste von unsichtbaren Händen bedient, dann Amor belauschend, dann in Tränen umherirrend, von einer Prüfung zur anderen: – nichts davon. Raffael fühlte, daß die Geschichte drei Hauptpersonen habe: die erzürnte Venus, die unschuldig liebende Psyche und Amor: und daß sich in diesen dreien der Gang der Fabel konzentriert. Venus muß besänftigt werden, Psyche um Amor leiden, Amor sich endlich wieder mit ihr vereinigen. So erblicken wir Venus zuerst, die auf einer Wolke sitzend auf etwas deutet, das in der Tiefe unten vorgeht. Sie zeigt ihrem Sohne das verblendete Volk, das entzückt von Psyches Anblick, ihr wie einer Gottheit Opfer bringt, während Venus' eigene Altäre vernachlässigt bleiben. Amor, neben ihr stehend, blickt kühn hinab, wohin ihr Finger seinen Augen den Weg weist. Ein fünfzehnjähriger Jüngling; mit der rechten ganzen Faust hat er, wie man eine Lanze angreift, einen Pfeil gefaßt, als wolle er ihn als einen Speer hinabstoßen, um die zu zermalmen, die seine Mutter beleidigten. Man fühlt, er hat verstanden, was sie meint, und verspricht ihr, die Rache zu vollführen.

Raffael hat das Märchen gleichsam in ein Drama verwandelt. Hier gibt er die erste Szene. Wir wissen was geschehen ist, wir erwarten was geschieht.

Die zweite Szene stellt einen Moment dar, der in der Erzählung ganz fehlt: Amor, den drei Grazien Psyche aus der Ferne zeigend. Die Göttinnen sitzen vor ihm auf zusammengeballten Wolken. Die erste, vorderste hat uns den Rücken zugewandt und blickt seitwärts herab. Ihr im Profil erscheinendes Gesicht ist bis zum Auge von der Schulter bedeckt. Die zweite sieht zu Amor auf, der aus der Höhe herab auf Psyche deutet, die wiederum unsichtbar in der Tiefe gedacht wird. Sie scheint Amor lieber zuzuhören als, wie die erste, hinabzugehen. Sie hat ein Bein über das andere gelegt, und ihre rechte Hand ruht auf dem Knie; ihre Haarflechten sind vorn am Halse unter der Kehle zusammengeknotet und fallen in blonden Löckchen in die Brust herab. Die dritte, etwas höher als die beiden andern, ist die reizendste. Ihr Kopf ist zu drei Viertel sichtbar, und die kühne Schönheit einer unschuldigen Natur erfüllt ihn. Amor braucht die rechte Hand um herabzudeuten, mit der linken redet er, das heißt, ihre Finger sind in einer Weise gestellt, daß man sogleich die Geste erkennt, mit der er seinen Worten Ausdruck geben will. Er scheint zu sagen: seht, wie schön sie ist! Scheint euch nicht auch natürlich, daß ich Psyche zu meiner Geliebten mache, statt sie zu vernichten? Und alle drei sind damit einverstanden.

Zwischen dieser und der dritten Szene ist geschehen, was scheinbar den Schwerpunkt der Fabel bildet. Psyche ist Amors Gattin geworden; die Schwestern haben sie verleitet, nachts mit der Lampe ihn zu beschleichen; er ist entflohen; verwundet von dem abgesprungenen glühenden Funken, geplagt von den Schmerzen der Wunde und von der Leidenschaft zu der verlorenen Geliebten, liegt er im Palaste seiner Mutter. Eine Möwe aber taucht in die Tiefen des Meeres, wo Venus haust, und verrät ihr, was geschehen sei. Von Wut entflammt darüber, daß Amor, statt ihre Feindin ins Verderben zu stürzen, von ihrer Schönheit selbst gefesselt worden ist, und im festen Entschlusse, die Vereinigung beider nun und nimmermehr zuzugeben, stürzt sie (wütend wie eine alte Fürstin von gutem Adel etwa, die gehört hat, daß ihr Sohn ein Bauernmädchen heiraten wolle) empor in ihren alten Palast, läßt über Amor einen Strom von Schimpf und Drohungen aus und eilt weiter, um Psyche zu suchen und an ihr selber ihren Zorn auszulassen. Da begegnen ihr Juno und Ceres. Was sie hätte? wohin sie wolle? warum sie erzürnt sei? Sie trägt den Fall vor und verlangt ihre Hilfe, Psyche vorher nur erst ausfindig zu machen. Höhnisch aber wird sie von den beiden Göttinnen gebeten, sich doch ihrer eigenen Aventuren zu erinnern und ihren Sohn tun zu lassen, wozu er Lust habe.

Dies ist die dritte Szene. Prächtig die Bewegung der Juno; ein rötliches Tuch umfliegt ihr Haupt und ist leicht über das Haar gedeckt. Ceres, mit dem Körper von Venus abgewandt, sich mit dem Kopfe aber nach ihr umdrehend, hat ein goldnes, bis zum Halse reichendes Gewand an und goldne Ähren wie einen Kranz im Haare. Mit Juno zu gleicher Zeit redet sie Venus an und läßt die Hände mitsprechen. Venus steht vor ihnen. Ein rötlich und golden schimmerndes Gewand flattert wie ein langer Streifen Zeug um sie her, den sie mit den Armen an sich festhält.

Verspottet von den Göttinnen und mit ihrer Bitte abgewiesen, eilt sie nun auf den Olymp, um sie Jupiter selbst vorzutragen.

Ihre Reise empor durch die Lüfte zeigt die vierte Darstellung. Sie steht in einem goldenen Wagen, ein in grau und roten Schatten wechselndes Gewand, das um sie her fliegt, hält sie mit der Linken, mit der Rechten den Faden, an dem ein Taubenpaar den Wagen hinaufzieht. Sie ist eine volle, kräftige, doch nicht üppige Frau. Wie verwandelt aber sehen wir sie in der folgenden Szene! Wie ein armes, unschuldiges Mädchen, dem alle Welt Leides antun will, steht sie vor Jupiter. Die Schultern ein wenig aufgezückt, die Knie zusammengedrückt, die Arme an sich gezogen und nur die beiden Hände schüchtern auseinander nach unten hin; den Kopf hält sie nach der Seite gelehnt, – es ist als sähe man die personifizierte scheue, schmeichlerische Bitte gegenüber der allmächtigen Gewalt. Jupiter, mit dem Flammenbündel im Arm, hört die Göttin wohlwollend an, blickt halb auf sie, halb sinnend in die Luft und überdenkt, wie die Sache am besten zu behandeln sei. Ganz wie ein regierender Herr, der, in eine Familiensache hineingezogen, beschwichtigend das Seinige zu tun verspricht, um die gefürchtete Mesalliance zu verhindern.

Den Erfolg sehen wir in der nächsten Szene: Merkur, der hinabschwebt, um das allgemeine Gebot zu verkünden, wodurch jeder Sterbliche bei Strafe verpflichtet wird, die flüchtige Königstochter im Betretungsfalle anzuhalten und auszuliefern. Mit ausgebreiteten Armen schwebt der Gott herab, sein Mantel, golden und braun, wird vom Winde in schönen Falten nach oben hin gerissen, man sieht den Sturz der Gestalt aus den Lüften nieder; die linke Hand erhebt er mit ausgebreiteten Fingern als Botschafter, in der rechten hält er eine Tuba; der geflügelte Helm, den er trägt, läßt einen Schatten auf sein Gesicht fallen, als schwebte er eben unter der Sonne fort.

Nun, im siebenten Bilde, erblicken wir Psyche zum ersten Mal. Sie ist lange umhergeirrt, hat sich der grausamen Venus zuletzt freiwillig ausgeliefert und die furchtbarsten Mißhandlungen erduldet. Unmögliche Dinge befiehlt ihr die Göttin, aber die Tiere helfen ihr; die Ameisen sortieren ihr einen aus verschiedenen Getreidearten durcheinander aufgeschütteten Körnerhaufen, die Schwalbe holt ihr die Flocke aus dem Felle des goldenen Widders, endlich, der Turm, von dem sie sich beim dritten Auftrage, der ihr ganz unausführbar scheint, herabstürzen will, beginnt zu reden und gibt ihr guten Rat, wie sie aus der Unterwelt die Büchse mit einem Teilchen von der Schönheit der Proserpina zurückbringen könnte.

Ihre Rückkehr aus den finstern Höhlen der Unterwelt zeigt die folgende Szene. Wiederum hat Raffael eine neue Episode des Märchens geschaffen, denn es steht nichts davon zu lesen, daß Psyche von Genien aus den Tiefen der Erde zum Palaste der Venus zurückgetragen sei. Einer der kleinen Liebesgötter, der sich ihr unter die Achsel drängt, um sie emporzutragen, gehört zu den reizendsten Kindergestalten Raffaels die ich kenne: dunkle kühne Augen und ein himmlischer Trotz in dem kleinen Munde. Psyche, von einem lichtgrünen Gewande kaum bedeckt, scheint ganz willenlos. Sie blickt mit stillbeglücktem Ausdruck vor sich nieder, das Gefäß hält sie hoch über sich mit der linken Hand, eines der geflügelten Kinder unterstützt den Ellenbogen, damit sie nicht ermüde; den andern Arm hat sie dem kleinen Genius, der sich mit der Schulter unter ihre Achsel drückt, über den Rücken gelegt.

Nun trifft sie mit Venus wieder zusammen. Kniend, die Hand auf die Brust gelegt, blickt sie wehmütig zu ihr empor und überreicht die Büchse der Proserpina. Über ihrem Haupte flattern die Tauben der Göttin, die beide Arme hoch erhoben hält. Nicht bloß vor Erstaunen, scheint es, sondern auch als sei es eine Wonne für sie, Psyche dadurch noch zu quälen, daß sie das Gefäß nicht annehmen will.

Unterdessen aber hat sich Amor, von Sehnsucht gequält, seinesteils auch zum Vater der Götter aufgemacht, und klagend über die Härte seiner Mutter bittet er um Gnade für sich und für die Geliebte. Diese Szene ist eine der herrlichsten und mit Recht berühmt. Jupiter nimmt den guten Jungen beim Kopf, küßt ihn auf die Wange und tröstet ihn. Amor blickt dem alten König des Himmels und der Erde so zuversichtlich froh ins Auge; Jupiters schneeweißes Lockenhaar und Bart berühren sich so schön mit der blühenden Wange. Er sitzt mit übergeschlagenen Beinen, ein violettgraues Gewand liegt über seinem Schoß, hinter ihm der Adler, den Schnabel voll Blitze. Amors eine Hand, mit dem Bogen darin, ruht in Jupiters Schoße, die andere, mit einem senkrecht ruhenden Pfeil zwischen den Fingern, fällt glatt an seiner Seite herab; er steht im Profil, der vordere Flügel, den man ganz übersieht, liegt im Schatten, der andere, dessen Spitze und oberer Rücken dahinter hervorgehen, leuchtet ganz hell.

Zum Schluß: Merkur, der Psyche zum Olymp trägt. Sie hat die Arme auf der Brust gekreuzt, die Augen wenden sich empor, sie lächelt, es ist als lauschte sie den Worten Merkurs, der ihr im Fluge schon allerlei von den Palästen der Götter erzählt. Sein Haupt wird im Profil über dem ihrigen sichtbar. Mit dem Caduceus deutet er nach oben, man sieht jedoch nur seine Hand mit dem Stiel des Stabes darin. Wiederum umfliegt ihn der braungoldne Mantel, und auf seine silberne Flügelkappe scheint das Licht scharf herab, daß ihm ein Schatten über das Gesicht fällt. Die Flügel des Helmes sind golden, seine flatternden Locken blond; Psyches Haar aber, das gleichfalls sonnenblond erscheint, ist ihr über dem Haupte in einen sanften Knoten geschlungen, und was davon frei blieb, fliegt nach oben, als trügen wirbelnde Lüfte sie beide aufwärts.

Auf den großen Bildern, die eins neben dem andern die Mitte der Wölbung einnehmen: die Darstellung Psyches im Kreise der Götter und ihre Vermählung. Es sind volle, figurenreiche Kompositionen, am schönsten die letztere, wo wir die Götter und Göttinnen alle um den goldnen, auf zartvioletten Wolken ruhenden Tisch zum Hochzeitsmahle gelagert sehen. Wenn irgend etwas ein Spiegelbild der Zeit bietet, in der diese Werke entstanden, so sind sie es. Die ganze heidnische Pracht des damaligen Daseins drücken sie aus, den Schluß der üppigen Wiedergeburt des alten Römer- und Griechentums in Rom, das nach diesen Tagen allmählich wieder in Verfall geriet.

Ich habe die Gemäldefolge so genau beschrieben, weil sie am wenigsten bekannt ist und weil sie Raffaels Talent bewundern läßt für die Wahl der Momente, in denen geistig der Umschwung des Märchens liegt. Doch wir gewinnen noch ein anderes Resultat. Wie Homer in der Ilias nicht die Eroberung Trojas, sondern den Zorn des Achilles besang, so malte Raffael nicht die Leiden der Psyche, sondern den Zorn der Venus. Steht das aber fest, so wird es fast zu einer Notwendigkeit, sein berühmtes, unter dem Namen Galatea bekanntes Wandgemälde im Zimmer nebenan nicht als eine Darstellung dieser Nymphe, sondern als den Zug der Venus über den Ozean aufzufassen, wie er zu Anfang des Märchens von der Psyche bei Apulejus genau beschrieben steht. Dieses Bild eröffnet das Ganze und gehört so notwendig dazu, als die letzten großen Gemälde in der Mitte der Decke, die den Abschluß bilden. Auch begreift sich nun, warum diese Darstellung von Raffael in früheren Jahren zuerst gemalt und das folgende, das längst versprochen und immer aufgeschoben war, in späteren Zeiten dazugesetzt wurde.

Noch eines bestimmte mich, so ganz abgehend von Michelangelo ein Werk Raffaels hier völlig auszubreiten. Kein anderes legt in solchem Grade Zeugnis ab von der glücklichen Stimmung jener Tage. Chigis Gartenhaus war der Schauplatz von Festlichkeiten, denen der Papst beiwohnte, nach deren Schluß die goldenen Schüsseln, von denen man gespeist, in die Tiber geschleudert wurden, Schüsseln, zu denen vielleicht auch Raffael die Zeichnungen geliefert. Chigi, dem die Juwelen der päpstlichen Krone versetzt worden waren, der alle Künstler beschützte, dessen Haus die Dichter besangen und der von einem sienischen Kaufmann zu einem der ersten römischen Adligen emporstieg. Wir haben, wenn wir der damaligen Zeiten gedenken, zu sehr die innere Fäulnis im Sinne. Schon um Raffaels willen müssen wir anders urteilen. Was Raffael gedacht und wie er gehandelt, wissen wir nicht. Die überlieferten Zeugnisse geben nur Äußerlichkeiten. Aber daß er mitten in der Gesellschaft Leos drinsteckend all die herrlichen Werke schuf, deren Adel und Reinheit uns noch im frischesten Glanze vor Augen stehen, läßt sich nicht leugnen, und daß er, obgleich die Quelle seiner Kunst nur in seinem Herzen lag, dennoch unmöglich dem Einfluß dessen, was seine tägliche Gewohnheit war, sich entziehen konnte, wird niemand annehmen. Was aber war es, was die römische Gesellschaft unter Giulio und Leo so fruchtbar für die Geister gemacht hat?

Es sind drei Mächte stets, welche die Welt regieren: Geld, Geist und Gewalt. Diese feinden sich an untereinander. Steht ihr Einfluß auf die Geschicke eines Volkes aber in solchem Verhältnis zueinander, daß keine die andere überbietet, dann offenbart sich die Blüte eines Volkes. Man könnte sie auch benennen: Energie, Genie und Geburt, oder Erwerbende Kraft, Wissenschaft und Adel: es sind immer die drei Zeichen, durch die das Schicksal Menschen erhöht, indem es sie reich macht, ihnen überragende Seelenkräfte oder eine erhabene Stellung durch die Geburt verleiht. Immer wo einer dieser drei Titel mehr gilt als der andere, krankt die freie Entfaltung eines Volkes, weil sie den richtigen Schwerpunkt verloren hat.

Wie heute in England etwa oder wie in Griechenland einst, so in Italien zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts hielt sich der Einfluß dieser drei Mächte im Gleichgewichte. Raffael war Maler, aber konnte Kardinal werden. Nirgends ist es so leicht gewesen für eine bedeutende Persönlichkeit, sich zu jeder Stellung emporzuschwingen, als in Rom damals. Der familienlose, vielgestaltete geistliche Staat bildete den Durchgang zu allem Erreichbaren. Eine lebendige Zirkulation aller menschlichen Kräfte fand statt. Das Pedantische, Voraussichtliche heutiger Laufbahnen verschwand. Jeder Übergang war möglich. Man konnte mit geringer Anstrengung seine Vergangenheit vernichten, man kompromittierte sich durch nichts auf die Dauer, auch durch die furchtbarsten Verbrechen nicht, so erfüllt war der Moment stets vom Geräusch des Gegenwärtigen, daß keiner sich auf die Melodie des vorhergehenden Tages besonnen hätte. Vorwärts strebten die Menschen. Wie im Laufe die Kleider fliegen, so zeigt sich jeder bald unverhüllt, bald in den prächtigsten Falten wieder, und indem jeder das Leben kannte, lernte er sich schützen gegen die Gefahren, die es mit sich brachte. Das Verstecken des wahren Charakters, das bei uns mit kalter Faulheit oft ein Leben lang leicht vollbracht wird, war dort unmöglich oder gelang nur dem Geschicktesten. Man erkannte deutlicher, was drohte, und vermied es, mit furchtloser Kühnheit den sicheren Weg wählend.

Wenn wir heute von den verwerflichen Dingen hören oder sie selbst erleben, die Paris und London in sich tragen, so zweifeln wir dennoch nicht, welche Vorteile es mit sich bringe, dort gerade für das Leben geschult zu werden, und für den, der dort aufgewachsen ist, wird sich die Voraussetzung nicht bilden, er habe teil an der moralischen Verwilderung, in deren Mitte er sich bewegte, und wenn er sie noch so dicht gestreift hätte.

Eine solche Erziehung war es, die Raffael in Rom empfing. Seine Werke sind die Schöpfungen eines Mannes, dem nichts Schranken setzte, der sich vollkommen in seinem Elemente fühlt, der, wie es die Stunde verlangt, gehen, ringen, reiten, schwimmen oder sogar fliegen kann. Nur das Rom Leo des Zehnten war im Stande, das aus ihm zu machen und das ihm zu gewähren, dahingegen Michelangelo, der einsam ging, nur das besaß, was die Stille und Einsamkeit in einer großen Seele zeitigen.


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