Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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Zehntes Kapitel

1525-1530

I

Das Jahr 1525 war kein günstiges. In Rom und in Florenz wiederholtes Auftreten der Pest. Krieg in der Lombardei. Ein Komet am Himmel, der die Furcht erregt, die ganze Welt werde durch eine neue Sündflut zugrunde gehen. In demselben Jahre auch Jubiläum in Rom, aber die Pest beeinträchtigt das Zusammenströmen der Pilger, die Feierlichkeiten und die Einnahmen.

Clemens der Siebente, diesen Namen hatte Medici angenommen, nachdem ihm die Auswahl viel Kopfzerbrechen gekostet, berief Michelangelo im Jahre 25 zu sich. Michelangelo hatte sich dem Bau der Sakristei von San Lorenzo mit aller Kraft zugewandt, dagegen waren nun die Erben Giulio des Zweiten aufs neue klagbar geworden. Sie bestanden darauf, daß ein Abkommen getroffen werde. Deshalb zitierte der Papst Michelangelo, und dieser stellte sich. Die Angelegenheit wurde den Wünschen des Papstes gemäß erledigt. Schon damals behauptete der Herzog von Urbino, der Repräsentant der Roveres in dieser Sache, Michelangelo habe mehr ausgezahlt erhalten, als er zugeben wolle, aber erst später kamen die Streitigkeiten darüber zum offenen Ausbruch. Für jetzt genügte der Wille des Papstes, daß man seinen eigenen Plänen zuliebe von der weiteren Verfolgung der Sache Abstand nahm.

Condivi sagt, Michelangelo sei ungern in Rom gewesen und habe sich rasch wieder nach Florenz gemacht, weil er die späteren Ereignisse vorausgesehen. Kein Mensch aber konnte damals ahnen, was sich zwei Jahre später ereignen würde. Eher hätte ihn die Pest bestimmen können, sich nicht länger als notwendig dort aufzuhalten, daß er aber ungern in Rom war, findet seine Erklärung vielleicht in der Art und Weise, wie am päpstlichen Hofe in Sachen der Kunst gewirtschaftet wurde. Denn was Michelangelo selbst früher bei Giulio dem Zweiten, Raffael dann bei Leo dem Zehnten gewesen, als das spielte sich Bandinelli jetzt bei Clemens dem Siebenten auf und benutzte gerade in jenen Tagen diese Gunst, um Michelangelo eine empfindliche Beleidigung zuzufügen.

Vasari widmet Bandinelli eine lange Lebensbeschreibung, weil er in Verkehr mit ihm stand und Bandinelli Einfluß hatte auf das, was in Florenz geschah. Auch Benvenuto Cellini läßt ihn in seiner Biographie charakteristisch genug auftreten. An sich ist Bandinelli eine Null. Er würde heute gar nicht mehr genannt werden, hätte ihn nicht jener fälschliche Verdacht, Michelangelos Karton vernichtet zu haben, berühmt gemacht. Kein einziges seiner Werke regt aus einem anderen Grunde die Frage an, von wem es gearbeitet sei, als weil man vielleicht wissen möchte, wer so etwas Kaltes und zugleich so etwas Anspruchsvolles hervorgebracht habe.

Doch sein langjähriges Intrigieren gegen Michelangelo macht Bandinelli wichtig. Wenn etwas den Sprung abwärts von Leo zu seinem Nachfolger kennzeichnet, ist es das Favoritentum dieses Menschen, der, obschon in den Adelstand erhoben, sein Leben lang eine bedientenhafte Natur blieb und, wenn er auch platzeinnehmende und sogar von seinen Zeitgenossen gelobte Werke geschaffen hat, nichts als ein routinierter Stümper war. Aber schon sein Vater, einer der geschicktesten Goldschmiede in Florenz, war ein Vertrauensmann der Medici gewesen, dem sie bei der Flucht im Jahre 1494 viel kostbares Gerät übergaben, das er richtig bei ihrer Rückkehr wieder ablieferte. Diese Gunst ging auf den Sohn über. Leonardo da Vinci hatte Bandinellis Zeichnungen als bedeutend anerkannt, ihn zur Verfolgung der künstlerischen Laufbahn ermuntert und zu Rustici, seinem eigenen Freunde und Schüler, in die Lehre gebracht. Früh schon bildet sich bei Bandinelli der wunderbare Haß gegen Michelangelo und die fixe Idee, daß er ihn zu übertreffen berufen sei. Durch leidenschaftliches Drauflosarbeiten und hervorragendes Geschick im äußerlichen Handwerk, wobei er keine Gelegenheit versäumt, der herrschenden Familie seine Ergebenheit zu bezeugen, gelingt es ihm vorwärtszukommen. Im Fordern, Sichbeschweren über Zurücksetzung und im Verklagen der andern läßt er sich durch nichts irre machen. Solche Charaktere sind an Höfen oft lieber gesehen als Menschen, die selten etwas verlangen, es da aber, wo es ihnen zukommt, als ein Recht beanspruchen. Jene, so unbequem sie zuzeiten fallen mögen, geben sich doch, wie sie sind, und lassen sich mit Geld zu untertäniger Freundlichkeit umstimmen; diese scheinen stets etwas zu verbergen, und was sie empfangen, nehmen sie schweigend als eine gebührende Anerkennung. Bandinelli war um Clemens gewesen, so lange dieser als Kardinal in Florenz regierte, und ihm nach Rom gefolgt. Wie ein Hund zu seinem Herrn, paßte er zu ihm. Er durfte bellen und knurren und ward je nachdem getreten und gestreichelt.

Michelangelo aber wollte er nicht bloß überflügeln. Er betrachtete ihn als denjenigen, der an seinem Unglücke, verkannt zu werden, die Schuld trüge. Seine bloße Existenz sah er als eine Heimtücke des Schicksals an. Sich selbst hielt er für die wahre Sonne der Kunst: schändlicherweise war Michelangelo vor ihm am Horizonte aufgestiegen, und als er hinterdrein kam, war es schon Tag und niemand verwunderte sich. Aber die Welt sollte gezwungen werden, zwischen ihnen beiden zu wählen, und deshalb bei ihm, wie bei manchem andern Künstler, der sich durch das bloße Dasein eines höheren beleidigt und verkannt fühlt, die Sucht, seine eigenen Werke in unmittelbare Nachbarschaft zu denen seines Gegners zu bringen.

Michelangelos bedeutendstes Werk in Florenz war der David am Tore des Palastes. Bandinelli wollte auf die andere Seite des Eingangs eine Marmorarbeit setzen, um den Leuten zu zeigen, wem so viel Lob eigentlich zukäme. Soderini hatte 1507 bereits eine zweite Statue für diese Stelle bei Michelangelo bestellt, und der Block dazu lag fertig in Carrara. Die Ausführung zog sich nur deshalb hinaus, weil Michelangelo niemals Zeit dafür fand. Nach dem Sturze des Gonfaloniers suchte Bandinelli den Stein für sich zu erhalten. Beim Einzuge Leo des Zehnten wußte er es dahin zu bringen, daß sein Modell eines Herkules, als Gegenstück des David, vor dem Palaste als Festschmuck aufgestellt wurde. Er prahlte damals öffentlich, Michelangelos Ruhm vernichten zu wollen; jetzt endlich, im Jahre 1525, setzte er die Sache beim neuen Papst durch.

Michelangelo hatte Feinde im Vatikan. Bei der Bestellung der Sakristei von San Lorenzo wünschte der Schatzmeister des Papstes, daß die zum Bau der Fassade bestimmten Blöcke bei der neuen Sakristei benutzt, dem Papste jedoch noch einmal in Rechnung gesetzt würden. Michelangelo wies das zurück, und der Mann wurde sein Gegner. Außerdem waren ihm die jüngeren Florentiner Bildhauer wenig geneigt. Leo der Zehnte hatte verlangt, wie vorn erzählt worden ist, Michelangelo solle die für die Fassade bestimmten Statuen im Modell, groß wie sie später ausgeführt würden, herstellen, damit andere danach arbeiteten und das Ganze rascher zustande käme. Michelangelo war nicht dazu zu bewegen, er fertigte nichts als die kleinen Modelle an, nach denen er allein zu arbeiten imstande war. Dies hielten die Jüngeren für absichtliche Mißgunst. Er wolle alles allein tun, um alles zu verdienen und um ihnen die Gelegenheit abzuschneiden, ihm seine Kunst abzulernen. Geringere Talente glauben immer, es käme nur auf Griffe an, welche die großen Meister zufällig entdeckt hätten. Bei Leo indessen fruchteten dergleichen Nachreden nicht viel. Dieser hatte an Narren oft sein Vergnügen, wußte sie aber zeitweise doch von denen zu unterscheiden, welche überragende Naturen waren. Leo fürchtete sich vor Michelangelo. Er sprach es gegen Sebastian del Piombo offen aus: Michelangelo sei terribile, er jage den Menschen Schrecken ein, man könne mit ihm nicht auskommen. Clemens dagegen, obgleich Michelangelo ihn zuweilen mit Hohn und Spott behandelt, war ihm stets wohlgesinnt. Aber Clemens war mittelmäßig und liebte seinesgleichen. Ihm wurde jetzt vorgerechnet, es sei zu viel, auch diese Arbeit Michelangelo zu geben. Schon das Grabmal bringe er nicht fertig: wenn er jetzt den Herkules begönne, würden Sakristei und Bibliothek darunter leiden. Clemens stand zu niedrig, um die Unmöglichkeit eines Rangstreites zwischen Michelangelo und Bandinelli zu fühlen. Man stellte ihm vor, er werde, indem er beide beschäftige, doppelt gut bedient sein.

Bandinelli hatte eben erst eine Kopie des Laokoon für den König von Frankreich beendet, er arbeitete in der unmittelbaren Nähe des Papstes, und sein Werk gefiel Clemens so gut, daß er nicht nur an die Originalgruppe den fehlenden Arm von Bandinelli aus Wachs restaurieren ließ, sondern auch die Kopie, statt sie nach Frankreich zu schicken, im Palaste der Medici aufstellen ließ. Man braucht heute in den Uffizien diese Gruppe nur zu sehen, um eine Idee von Bandinellis Manier zu haben. Eine schwächliche, unruhige Nachbildung der Antike. Und was den Arm anbelangt, welcher steif und unharmonisch zu dem Ganzen steht, so wäre es gut, wenn der nach ihm später gearbeitete Marmorarm ebenso wie die neuangesetzte Hand des Apoll von Belvedere wieder entfernt und die antiken Werke von den Ansätzen neueren Unverstandes gereinigt würden.

Bandinelli produzierte jetzt sein Modell eines Gegenstücks des buonarrotischen David, und der Papst gab ihm den Auftrag. Im Juli 1525 langte der Marmor in Florenz an. Jedermann fühlte das Unrecht, das dem großen Michelangelo durch seinen Entscheid zugefügt worden war. Beim Herausschaffen des Steines aus dem Fahrzeuge rissen die Stricke, und er stürzte in den Arno, aus dem er mühsam wieder in die Höhe gehoben ward. Es kursierte darauf ein gereimtes Pasquill, worin gesagt war, der Marmor habe sich aus Kummer, daß er aus den Händen Michelangelos denen des Bandinelli überliefert sei, ersäufen wollen.

Es war wirklich eine Schande für Michelangelo. Kein Raffael noch Leonardo machten ihm mehr den Ehrenplatz streitig. Perugino, Francia, Signorelli und wie sie alle hießen, die besseren älteren Meister, die einst mit ihm zusammen arbeitend gerechten Ruhm erworben hatten, waren tot oder nicht weit vom Tode. Er stand allein, eine neue Generation um ihn her, von denen kein einziger die Kunst selbständig in der alten Weise ausübte, nachahmende Schüler auch die besten unter ihnen, und einem der elendesten wurde die Ehre zuteil, unter Zurücksetzung Michelangelos selbst ein Gegenstück zu dem Werke zu liefern, von dem er den Anfang seines Ruhmes datierte.

Von seiten des Papstes war böser Wille dabei gerade nicht im Spiele. Clemens hatte keinen Geschmack. In jenem selben Jahre kam Clemens nun doch noch mit einem Projekte zum Vorschein, welches Michelangelo für alle Bandinelli eingeräumten Vorteile entschädigt hätte. Es sollte vor dem Garten der Medici in Florenz ein achtzig Fuß hoher Koloß von Michelangelo errichtet werden. Clemens ließ von verschiedenen Seiten deshalb bei ihm anfragen, ja hat ihm selber vielleicht deshalb geschrieben, und die Antwort Michelangelos auf eine dieser Anfragen ist erhalten geblieben.

Mit unbarmherzigem Spotte weist er ihn darin ab. Indem er auf die Sache einzugehen scheint, baut er in Gedanken einen Koloß auf, wie der Papst ihn etwa wünschen möchte. Nicht da, wo Seine Heiligkeit ihn aufstellen wolle, sondern auf der andern Seite der Straße werde er besser stehen, weil er da weniger Platz fortnehme. Freilich befinde sich da der Laden eines Barbiers, allein der Mann brauche deshalb in seinem Geschäfte nicht gestört zu werden: man könne die ganze Bude ja in den Koloß hineinbauen, wenn man diesen in sitzender Gestalt errichtete. Um den Barbier beim Feuermachen nicht zu hindern, könne man dem Kolosse ein Horn des Überflusses in den Arm geben, welches als Schornstein diente. Und damit auch der Kopf zu etwas gut wäre, so ließe sich ein Taubenhaus darin anbringen, oder, noch besser, man könne Glocken hinein hängen und der Riese als Campanile für die Kirche von San Lorenzo dienen. Wenn dann der Klang der Glocken aus seinem offenen Munde herausströme, würde es lauten als rufe er »Misericordia«, was besonders an den hohen Festtagen, wo die große Glocke geläutet würde, bedeutenden Effekt tun müsse. Was den Marmor dafür anlange, so müsse man ihn nachts und wohl verpackt nach Florenz bringen, damit ihn ja niemand sehe. Das Schreiben ist mit raffinierter Umständlichkeit abgefaßt und muß dem Papste scharf gezeigt haben, wie Michelangelo über seine Projekte dachte. Nur bei einer Ungebundenheit des Verkehres, wie er damals herrschte, konnte einem Papste gegenüber dergleichen gewagt werden. Freilich versicherte Michelangelo, in demselben Atem gleichsam, dem hohen Herrn seinen festen Willen, die Sakristei von Lorenzo mit aller Anstrengung zu fördern, und der Augenschein bestätigte die Wahrheit seiner Beteuerungen. Das Grabmal für Giulio trat in den Hintergrund. Es war abermals eine andere Form für dasselbe ausgemacht worden. Der Bau sowohl als der innere Schmuck der Sakristei nahmen Michelangelos ganze Energie in Anspruch.

Von Rom schien er mit seinen Arbeiten nun gänzlich losgelöst. Zwar bestand sein Atelier fort, und in seinem Hause am Macello dei Corvi wurde für das Grabmal Giulios noch gemeißelt, anderweitige Aufträge aber hatte er für Rom nicht mehr.

Außer Sebastian del Piombo arbeitete keiner dort, der ihm näher stand. Neben diesem Penni, ein Schüler Raffaels, als der bedeutendste, doch ohne eigentümliches Gepräge, ausgezeichnet nur den Späteren gegenüber. Giulio Romano, Raffaels größter Schüler oder besser: Nachahmer, war bereits nach Mantua gegangen, wo er vom Herzoge als künstlerische Kraft in jeder Richtung ehrenvoll beschäftigt wurde. Auch Penni ging bald fort. Es hatte ziemlich ein Ende mit der römischen Kunst im großen Maßstabe, während in Florenz, wo sie kein äußerlicher, von der Laune eines einzigen Herrn abhängiger Luxus, sondern die Blüte einer eigentümlichen Kultur war, in guten und bösen Zeiten weiter geschafft ward.

Noch im Jahre 1525 konnte die Kuppel der Sakristei gewölbt werden. Michelangelo hatte sich in der Konstruktion des Rohbaues ziemlich an Brunelleschi gehalten. Die Sakristei ist ein Raum von mäßigem Umfang. Das Licht fällt von oben ein. Piloto, der Goldschmied, eine der Florentiner stadtbekannten Personen, geschätzt wegen seiner Eisenarbeiten und gefürchtet seiner bösen Zunge wegen, fertigte den Kopf mit 72 Facetten für die Laterne an, den durchbrochenen Aufbau über der Öffnung in der Mitte des Gewölbes. Als man Michelangelo sagte, er werde seine Laterne doch wohl besser als die Brunelleschis machen, soll er geantwortet haben: »Anders wohl, besser nicht.«

Im Jahre 1525 war Michelangelo auch in Carrara. Sein Name mit der Jahreszahl dahinter befindet sich dort an einem in den lebendigen Fels gehauenen Basrelief, das ich jedoch nicht selbst gesehen habe. In Carrara wurden die Bildwerke für die Sakristei vorbereitet. Von denen, welche Michelangelo eigenhändig meißeln wollte, fehlten noch die vier kolossalen Flußgötter, welche die Sarkophage tragen sollten und von denen in der Folge niemals etwas zustande gekommen ist. Für sie mußten erst noch die Blöcke beschafft werden. Im Jahre 16 wurde außerdem dann der Bau der Bibliothek von San Lorenzo begonnen.

Im Jahre 1525 aber schon geschah, was in seinen Folgen diesen Bauten wieder ein vorläufiges Ende machte: der König von Frankreich, damals Bundesgenosse des Papstes, wurde bei Pavia geschlagen und als Gefangener Karls des Fünften nach Madrid geführt. Kaum war Clemens, dem nun nichts anderes übrig blieb, der Bundesgenosse des Kaisers geworden, als durch einen natürlichen Kristallisationsprozeß eine Verbindung aller übrigen Fürsten Europas gegen diesen zustande kam, in deren Pläne sich der Papst, trotz des eben geschlossenen Bündnisses mit Karl, verflechten ließ. Es ist eine der glänzendsten Stellen Guicciardinis, wie er den Papst zwischen seinen beiden Ministern darstellt, von denen Clemens den einen, den kaiserlich gesinnten Schomberg, verehrt und fürchtet, den der französischen Politik ergebenen Ghiberti liebt und nicht entbehren kann; wie beide sich entgegenarbeitend ihn bald dahin, bald dorthin ziehen, und er selber, furchtsam und unentschlossen, aber eigensinnig und voll Eifersucht auf das eigene entscheidende Wort, endlich, nachdem das unaufhörliche Hin- und Hersprechen über die Dinge ihn mit der täuschenden Beruhigung erfüllte, es sei in der Tat ernstlich Beratung gepflogen worden, sich dahin ausspricht, daß der Kriegserklärung gegen den Kaiser beizutreten sei.

Der jedoch war nicht mehr der junge Mensch, von dem Geringes erwartet wurde, dem zum Spotte man einst in Speyer an die Ecken geschrieben: »Wir wollen von keinem Knaben regiert werden«, und der den deutschen Fürsten bei der Wahl deshalb zumeist den Vorzug vor dem Könige von Frankreich zu verdienen schien, weil Franz des Ersten eingreifende Energie gefürchtet wurde. In den sechs Jahren seiner Herrschaft hatte sich Karl zu einem Fürsten gebildet, der sein ungeheures Reich zusammenzufassen verstand und den Papst zwischen Neapel und Mailand so fest in der Klemme hielt wie den König von Frankreich zwischen Burgund und Spanien. Die Lutheraner in Deutschland begünstigte er, wie man es in Italien ansah. Gegen den Kaiser sich jetzt aufzulehnen, war für England oder Venedig allenfalls noch eine Möglichkeit, der Papst aber hätte einsehen müssen, daß ihm keine andere Rolle mehr zukam, als durch die Heuchelei freiwilliger herzlicher Ergebenheit die Notwendigkeit zu verdecken, der er sich fügen mußte.

Was Karl persönlich so großes Übergewicht über Franz gab, war die Kälte, mit der er handelte, und der Schein der Legitimität, den er allen seinen Maßregeln aufzudrücken verstand. Nur mit Widerstreben brachte er jedesmal seiner Friedensliebe das Opfer, Krieg zu beginnen. Gezwungen von seinen Gegnern, das klarste Recht zu verteidigen, bedauerte er sie, die es verkannten und ihm die Waffen in die Hand nötigten. Franz dagegen, der ihm in Schlauheit nichts nachgab, besaß diese Überlegung nicht, und es fehlte ihm die Beständigkeit im Verfolgen der Unternehmungen. Er kam wie ein Donnerwetter, beruhigte sich aber, wenn seine Blitze nicht getroffen hatten. Er war launig, empfindlich und unfähig, quälende Gedanken zu beherbergen. Bezeichnend ist für ihn, was freilich erst lange nach diesen Zeiten sich ereignete, daß er beim Tode seines ältesten Sohnes nicht erlauben wollte, daß der Hof Trauer anlegte oder irgendjemand ihn an den Verlust erinnerte. Jetzt als Gefangener in Madrid wäre er vor Gram gestorben, hätten die Unterhandlungen um seine Freiheit nicht zu einem Resultate geführt. Zwei Millionen an barem Gelde, seine beiden Söhne als Geiseln, Aufgeben der Rechte auf Burgund, Vermählung mit Karls Schwester Eleonore, das waren die Bedingungen, die mit heiligen Schwüren bekräftigt wurden. All das aber konnte Franz nicht hindern, sobald er sich in Freiheit sah, der Verbindung gegen den Kaiser beizutreten.

Dieser rüstete langsam dagegen. Im Jahre 1526 läßt er den Papst einen kleinen Vorschmack dessen kosten, was ihm in Rom bevorstände, falls er nicht Ruhe hielte. Der Kardinal Colonna, nächst Soderini der mächtigste Feind der Medici, bricht von Neapel aus mit bewaffneter Hand in Rom ein. Nur den Papst wollte man treffen. Die vatikanische Vorstadt, der päpstliche Palast vor allem, wird geplündert. Clemens flüchtet in die Engelsburg und muß mit dem kaiserlichen Statthalter in Neapel akkordieren, um die Plage los zu werden. Doch das hielt nur für den Moment. Die Anstrengungen der Verbündeten nehmen ihren Fortgang, und der Papst verharrt im Bündnisse mit ihnen. Da, im Herbste 1526, kommt das in Deutschland vom Kaiser geworbene Heer über die Alpen nach Italien: die Landsknechte unter Frundsberg und Bourbon, die über Rom das ungeheure Elend brachten. Denn das verstand sich von selbst wieder, daß Italien der Schauplatz dieses Krieges würde.

Auf dem Meere waren die venezianische, französische, päpstliche und genuesische Flotte vereint der spanisch-neapolitanischen Seemacht um das Fünffache überlegen. Zu Lande aber vermochte der Kaiser furchtbarer und nachhaltiger aufzutreten. Auch führten hier nicht vereinigte Massen vorausbedachte große Schläge. Was die Kriegführung jener Tage von der heutigen am meisten unterscheidet, ist die Langsamkeit der Bewegungen und der Mangel an Zusammenhang. Befehle und Nachrichten konnten zu spät kommen oder ausbleiben, die fortwährende Ungewißheit gestattete keine umfassenden, rasch auszuführenden Pläne. Die Zufälligkeiten der Verpflegung, der klimatischen Einflüsse, des zufließenden oder mangelnden Soldes für die Truppen, die Abhängigkeit von den Mitteln zur Fortschaffung der Artillerie, bösartige Krankheiten, die bei der in den Lagern herrschenden Unreinlichkeit und Abwechslung zwischen Mangel und Überfluß fast unvermeidlich waren, endlich, der gute Wille der Mannschaft, die dem Feldherrn gegenüber oft das entscheidende Wort über Schlagen und Nichtschlagen, Bleiben und Vorrücken abgab, machten die Erfolge eines Feldzuges unberechenbar. Wo Siege erfochten wurden, konnte ein Zufall dem, der die Oberhand behielt, jeden Vorteil rauben, auf der anderen Seite die Vernichtung einer Armee den, der sie ausgesandt, nicht in seiner Hartnäckigkeit irre machen. Die Fürsten, gewöhnt an diese Verhältnisse, fingen leichter Krieg an, wie sie leichter Frieden schlossen, und es entstand daraus eine Vermischung von Krieg und Frieden, die der fortdauernde, gewöhnliche Zustand war.

Deshalb fürchtete man in Rom nichts, als im Herbst 26 die Deutschen in der Lombardei erschienen und den Winter über sich dort festsetzten. Für Florenz erwachte im Frühjahr 27 die Besorgnis. Die Stadt war, seitdem der Kardinal von Cortona das Regiment führte, in eine böse Stimmung geraten. Nicht eine der Erwartungen, welche Clemens als Kardinal erregt hatte, wurde von ihm als Papst gerechtfertigt. An die Zeiten Leos, dessen Tod als Erlösung begrüßt worden war, erinnerte man sich bald in Florenz wie in Rom als an die guten alten Tage. Nichts mehr war zu spüren von seiner Freigebigkeit und reichlich verteilten Gnadenbeweisen. Der Kardinal von Cortona, ein geiziger, strenger Mann, belastete Bürger und Geistlichkeit mit Steuern. Sein grobes Auftreten machte ihn bald der eigenen Partei ebenso verhaßt, wie er zu Anfang nur den Gegnern der Medici gewesen. Dazu kam, daß er kein geborener Florentiner war. Wie Piero aber nach des alten Lorenzo Tode behielt Cortona die Oberhand in Florenz, so lange er sich nicht gezwungen sah, in der Anhänglichkeit aller eine Stütze suchen zu müssen. Er war verloren, sobald äußerer Anstoß die Parteien vereinigte und es sich nicht mehr um das Ausfechten der innern Zwistigkeiten, sondern um die Rettung des Vaterlandes handelte.

Die Truppen der verbündeten Mächte, das heißt die vereinigte päpstlich-venezianische Armee stand den Kaiserlichen an der Grenze des Königreichs Neapel gegenüber und war nicht vermögend, den nun auch im Norden herankommenden Feind aufzuhalten. Bourbon näherte sich Toskana. Dem Papst wurde plötzlich angst. Ohne sich dadurch irren zu lassen, daß er selbst einer der gegen den Kaiser Verbündeten war, unterhandelte er mit dem spanischen Statthalter in Neapel, und ein Vergleich kommt zustande. Bourbon erhält die Weisung, mit dem Marsche innezuhalten. Aber die Truppen drängen vorwärts und reißen ihn mit sich. Florenz und Rom waren die Lockspeisen, auf die hin das Heer geworben war. Frundsberg soll ein goldenes Messer am Gürtel getragen haben, mit dem er den Papst abschlachten wollte, und rotseidene Schnüre für die Hälfte der Kardinäle. Langsam über Ferrara und Bologna wälzen sich die Heersäulen auf Toskana los, und in demselben Maße, als die Gefahr von außen anwächst, wird sie drohender innerhalb von Florenz. Immer mehr schließen sich die Bürger zu einer großen Masse aneinander, immer unzuverlässiger werden die Freunde der Medici.

Denn wie beim Sturze Pieros, war es der mit den Medici auf einer Linie stehende Adel, der die Bewegung gegen die Übermacht jetzt begünstigte.

Diese Herren, die, wo es auf die Erhaltung ihrer Privilegien ankam, mit den Medici gingen und im ganzen die Partei der Pallesken bildeten, zerfielen in zwei Lager. Die einen hielten um jeden Preis zu ihnen. Bekannt als offenbare Feinde des Volkes und Mediceischer oft als die Medici selber, bekümmerten sie sich wenig um den Haß, den ihnen diese Stelle eintrug. Sie fühlten sich mächtig als Teilhaber an der höchsten Regierungsgewalt. Die anderen dagegen hätten sich wohl den Vorrang der Medici gefallen lassen, wollten aber nicht die Stellung Untergebener annehmen. Sie, die ersten Familien der Stadt, traten um so fester auf, als sie, den Medici meistens nahe verwandt, Mitglieder zählten, die sich der Erbfolge nach für berechtigter hielten als Clemens, Ippolito und Alessandro selber, uneheliche Anwüchse, deren einziger Rechtstitel im Besitz der Macht bestand.

Dieser Teil des Adels begünstigte den Aufstand. Sie verlangten, daß den Bürgern Waffen gegeben würden, weil die Gefahr zu drohend herankomme, und die Regierung allein sie abzuwenden nicht imstande sei. Als im Palaste Medici bei Cortona über diesen und andere Vorschläge eines Tages Beratung gehalten wird, erhebt sich der Sohn jenes Mannes, der Karl dem Achten in demselben Hause einst so kühn gegenübertrat, Niccolo Capponi, mit der Erklärung, dergleichen den Staat betreffende Angelegenheiten müßten nicht hier, sondern im Palaste der Regierung besprochen werden. Diese Worte blieben ohne Erfolg für den Augenblick, draußen aber wiedererzählt und in der Stadt umhergetragen, dienten sie dazu, die Spannung zu erhöhen. Die Bewaffnung der Bürger war unnötig; es lagen Mietsoldaten genug in der Stadt, um sie gegen Bourbon zu verteidigen. Außerdem, die von Süden her zum Schutze von Florenz vorrückende Armee mußte jede Stunde eintreffen. Aber der Strom der öffentlichen Meinung war zu stark. Am 26. April sollten die Waffen zur Verteilung kommen.

Früh am Morgen dieses Tages jedoch erhält der Kardinal die Nachricht, daß die Armee der Verbündeten der Stadt nahe sei. Auf der Stelle gibt er Befehl, die Waffen zurückzuhalten, und reitet mit den beiden Medici dem Herzoge von Urbino entgegen, unter dessen Kommando die Truppen standen. Am Abend, so wird ausgemacht, soll dieser in Florenz einziehen. Alle Gefahr für die Medici war vorüber.

Das aber fühlte man in der Stadt. Während der Kardinal draußen mit dem Herzoge beratschlagt, hat sich die Bürgerschaft, welche die zugesagten Waffen erwartete und sich getäuscht sah, vor dem Palaste der Regierung versammelt. Wieder erhebt sich der Ruf popolo, popolo, libertà! Der Palast wird gestürmt, ohne daß die als Besatzung darin liegenden Soldaten Widerstand leisten, die vornehmsten Bürger, darunter anerkannte Freunde der Medici, improvisieren eine Ratssitzung, und vier Beschlüsse werden angenommen: die politischen Gefangenen sind frei, der Staat wird wieder hergestellt, wie er unter Soderini gewesen, die Medici sind verbannt, und das Volk wird in Waffen zum Parlamente gerufen.

Die Kunde dieser Ereignisse wird dem Kardinal unverzüglich zugetragen. Cortona mit Ippolito und Alessandro nehmen 1000 Mann von der Armee und kehren auf der Stelle nach Florenz zurück. Von ihren Freunden dort ist dafür gesorgt worden, daß das Tor, durch welches sie kommen müssen, offen gehalten wird, und eben als die Herren dabei sind, weiter zu beschließen, daß die Stadt an der italienischen Verbindung gegen den Kaiser festhalte und daß man mit der Achterklärung über die Medici keineswegs die Ehrfurcht gegen Clemens als Papst verletzt haben wolle, erscheinen Ippolito und Alessandro mit den Soldaten vor dem Palaste. Viele von den Bürgern, die das ihren Zug begleitende Geschrei palle, palle! vernommen haben, flüchten, noch ehe die Truppen sichtbar geworden sind: die Zurückgebliebenen verriegeln das Tor des Palastes.

Hier entspannt sich jetzt eine Art von Kampf. Die Soldaten suchen mit eingesetzten Piken die Tore zu sprengen, die Bürger schleudern von den Fenstern herab, was gerade zur Hand ist, um sie davonzuscheuchen. Eine von oben kommende Bank fiel auf den David des Michelangelo, der aus dem Gewühl am Tore herausragte, und schlug ihm den einen Arm ab. Es gelang die Soldaten fortzutreiben. Die Nacht bricht ein. Die Medici wollen Kanonen auffahren lassen, als der venezianische Gesandte und andere Männer von Einfluß einen Vergleich zustande bringen. Alles soll als nicht vorgefallen betrachtet werden und für ewige Zeiten vergessen sein. Auf diese Bedingungen verlassen die Belagerten den Palast, der von den Soldaten wieder in Besitz genommen wird.


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