Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Um diesem Anblick für unsere Augen den höchsten Glanz zu verleihen, stellt nun auch Raffael sich ein. Sein Vater, Giovanni Santi, ein Mann, der als Maler und Verfasser einer gereimten Chronik, welche die Geschichte seiner Landesherren, der Herzöge von Urbino, enthält, Ehrenwertes, wie man zu sagen pflegt, geleistet hatte, ließ ihn elfjährig als verwaistes Kind zurück. Er wurde von Hause fort zu Perugino nach Perugia in die Lehre getan und war genötigt, sich ganz auf sich selbst zu stellen. Wenig älter als zwanzig Jahre, hatte er es in Perugia schon dahin gebracht, als einer der besten Meister der Stadt bekannt zu sein. Er bedurfte einen größeren Wirkungskreis. So, vom Schicksal gezwungen, sich in die Welt zu schicken, und von der Natur mit einer Liebenswürdigkeit begabt, die das Wohlwollen der Menschen ihm zuwandte, betrat er in Florenz den günstigen Boden für eine höhere Entwicklung, und seine Werke zeigen, welch ungemeine Förderung ihm dort zuteil ward.

Wie kostbar wäre eine nähere Mitteilung aus dem Florentiner Leben dieses einzigen Winters, wo die drei größten Künstler der neueren Zeit zusammentrafen. Leonardo im Begriff, mit Michelangelo einen Zweikampf einzugehen, in dem es sich um eine ungeheure Beute von Ruhm handelte, Raffael zwischen beiden noch ohne feste Pläne und eigene Gedanken und nur mit einer Ahnung der großen Zukunft erst im Herzen, der er entgegenging. Wichtig wäre die nähere Kenntnis jener Epoche, weil in ihr die Keime zu den späteren persönlichen Verhältnissen der drei Meister zu liegen scheinen. Raffaels verstorbener Vater war mit Leonardo näher bekannt gewesen, Perugino, Raffaels Lehrer, mit ihm befreundet. Raffael, jung, feurig, anschmiegsam, sieht zum ersten Male die erstaunlichen Werke da Vincis und gerät hinein in die eifersüchtige Erregung der Parteien. War es nicht natürlich, daß er, statt an das zu glauben, was der Gegner all seiner Freunde und Gönner erst tun wollte, sich an das hielt, was diese selbst bereits geleistet hatten? Es ist so viel von dem gesprochen, was Raffael und Michelangelo in der Folge getrennt hielt: dies aber waren die Umstände, unter denen sie sich zum ersten Mal begegneten.

Wie verschiedenartig ist die Jugend dieser drei Männer und die Art, wie sie in die Kunst hineinkamen. Michelangelo gegen die Wünsche seiner Eltern durch unbeugsamen eigenen Willen; Leonardo als ein reicher, junger Mensch mit seinem Talente spielend; Raffael als der Sohn eines Malers, unter Farbentöpfen aufwachsend, als gäbe es auf der Welt nur diese eine Tätigkeit. Michelangelo von Anfang an selbständig, eigene Ideen verfolgend und in Opposition gegen Eltern und Meister; Leonardo nicht weniger eigenwillig seiner Phantasie nachgehend und im ganzen Gebiete des geistigen Schaffens umhersuchend nach Aufgaben, die ihn zur Erprobung seines Geistes verlockten; Raffael in einer stillen Nachahmung gegebener Vorbilder so sehr befangen, daß seine Werke kaum von den Arbeiten derer zu unterscheiden sind, mit denen er sich zusammenfand. Und auch die Zukunft, die sich diese Drei bereiteten, doch nur ein Produkt des einen hervorstehenden Charakterzuges, der genialen Launenhaftigkeit bei Leonardo, des heftigen Willens bei Michelangelo und einer fast weiblichen Hingabe an die Verhältnisse, die sein Schicksal gestalteten, bei Raffael.

Bei allen Dreien sollte hierin bald eine entscheidende Wendung eintreten, und zwar am ersten bei Michelangelo, den das Jahr 1505 mit dem Manne bekannt werden ließ, durch den er in seiner ganzen Größe erkannt und in allen seinen Fähigkeiten zur höchsten Entwicklung gezwungen ward.


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