Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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III

Nachdem Michelangelo sich in solcher Weise ausgezeichnet hatte, fühlte man, scheint es, in Florenz, daß auch Leonardo da Vinci Gelegenheit gegeben werden müsse, etwas Großes zu tun. Soderini, seit dem Herbste 1502 zum Gonfalonier auf Lebenszeit erwählt, weil die Stadt ihm und seinem Bruder, dem Bischof von Volterra, die rettende Hilfe Frankreichs zu verdanken hatte, war Leonardos besonderer Freund. An Soderini lag es wohl, daß man einen würdigen Auftrag als Ehrensache ansah. Er machte den Vorschlag, die leeren Wände des Saales, in welchem das Consiglio grande tagte, mit Gemälden bedecken zu lassen. Anfangs Februar 1504, kurze Zeit also, nachdem über den David beraten worden war, erhielt Leonardo den Auftrag, die eine große Wand des Saales auszumalen. Zur Anfertigung des Kartons richtete man ihm den sogenannten Saal des Papstes im Kloster Santa Maria Novella ein, wo in früheren Zeiten die Päpste und anderer fürstlicher Besuch abzusteigen pflegten,

Über den Inhalt des von ihm geschaffenen Gemäldes sind wir nicht ganz im klaren, da es samt dem Karton zugrunde gegangen ist und die vorhandene Kopie nicht mit der Beschreibung stimmt, welche von Leonardos eigener Hand davon auf unsere Tage kam. Seine Worte umfassen ein kompliziertes Werk mit vielen Gruppen, die sich zu einem Ganzen verbinden, die Kopie dagegen gibt nur eine einzige Gruppe, ein Gefecht von Reitern, die wahrhaft furienmäßig ineinander verbissen sind. Menschen und Pferde fallen sich an und bilden ein Knäuel, dessen Mittelpunkt ein seine Fahne verteidigender Krieger ist. Eine Art kannibalischer Mordwut erfüllt die Gesichter und die ganzen Gestalten; seltsame Rüstungen nach Art der alten Römer bedecken sie; in kühnen Stellungen winden sich die Körper – alles meisterhaft gezeichnet. Jedenfalls bildeten diese kämpfenden Reiter den Mittelpunkt des Gemäldes. Die uns erhaltene Kopie ist von Rubens, sehr wirkungsvoll gestochen von Edelinck. Doch wissen wir nicht, wie viel Rubens von seinem Eigenen dazutat und wie treu er sich an das Original gehalten hat. Die Florentiner müssen wie verblüfft vor dem Werk gestanden haben. Es war durchaus etwas Neues. Niemand konnte erwarten, daß derselbe Künstler, der bisher so zarte Bilder nur seiner sanft hinträumenden Phantasie entlockte, in kolossalen Figuren die entfesselten Leidenschaften wütender Soldaten darstellen würde.

Michelangelo verbrachte den Sommer 1504, währenddem Leonardo mit diesem Werke beschäftigt war, ohne anstrengende Arbeit. Er las die Dichter und dichtete selbst, sagt Condivi. Zu tun war indessen immer noch so viel, daß er vom Morgen bis zum Abend hätte arbeiten können. Der David von Bronze wartete auf seine Vollendung; für den David vor dem Palaste mußte noch das Postament geschafft werden: erst im September waren alle Arbeiten daran beendet; die zwölf Apostel für Santa Maria del Fiore warteten: endlich die Arbeiten für den Dom von Siena. Hieran scheint er zunächst gedacht zu haben, bewogen wohl durch Piccolominis Wahl zum Papste. Im Oktober 1504 waren vier Stück Statuen fertig, andere aber bereits vorausbezahlt. Der Kontrakt wurde erneuert und mehr Zeit zugestanden. In zwei Jahren sollten die übrigen elf nachgeliefert werden. Würde Michelangelo krank, heißt es in dem Schriftstücke, so käme die verlorene Zeit in Abzug.

Die Klausel scheint mehr allgemeiner Vorsicht als besonderer Befürchtung entsprungen zu sein, denn obgleich Michelangelo in seiner Jugend von zarter Konstitution war, so änderte sich das in der Folge. Sein Körper wurde immer kräftiger. Er war mager, von festen Sehnen und gedrungenem Körperbau; er hatte breite Schultern, von Natur aber war er eher klein als hoch gewachsen zu nennen. Enthaltsamkeit in jeder Beziehung und die Arbeit stählten ihn. Zu entbehren brauchte er nichts, denn er verdiente große Summen, aber er ließ das Geld liegen oder unterstützte seine Familie damit. »So reich ich bin«, sagte er einmal in hohem Alter zu Condivi, »ich habe doch immer wie ein armer Mann gelebt.« Auch darin stach er ab gegen Leonardo, der im Bewußtsein seiner schönen Gestalt Luxus um sich her bedurfte und mit Gefolge einherzog.

Feurige Augen und ein prachtvoller Bart gaben diesem ein absonderlich imponierendes Aussehen, Michelangelos Kopf dagegen war fast abnorm gebildet. Die Stirn stand mächtig vor, der Schädel war breit, die untere Partie des Gesichtes geringer als die obere, er hatte kleine, lichte Augen; was ihn aber geradezu entstellte, war die Nase, die ihm Torrigiano, einer seiner Mitschüler im Garten der Medici, durch einen Faustschlag zerschmettert hatte. Michelangelo soll ihn gereizt haben; doch wird anders behauptet, es sei der bloße Neid gewesen. Er wurde damals für tot nach Hause getragen. Torrigiano mußte flüchten und durfte lange Jahre nicht nach Florenz zurückkehren. Er war ein roher Mensch, der sich öffentlich seiner Tat rühmte (Benvenuto Cellini erzählt es) und später elend ums Leben kam.

Vielleicht war es die Entstellung seines Gesichtes, die Michelangelos natürliche Neigung zu Melancholie und Einsamkeit erhöhte und ihn herb und ironisch machte. Er war im höchsten Grade sanft, duldsam und gutmütig, er hatte eine natürliche Scheu, den Leuten wehzutun, aber in Sachen der Kunst duldete er keine Kränkung seines guten Rechtes. Er erkannte die anderen unparteiisch an, aber auch sie sollten ihn nicht für leichter nehmen, als er in der Tat wog. Er besaß ein gewaltiges Selbstgefühl; wo ihm deuchte, daß er der Erste sein könnte, sollte es nicht an ihm liegen, daß dies verborgen bliebe.

Dieser Gesinnung entsprachen vielleicht die Gründe, die ihn zum Entschlusse brachten, nun auch als Maler zu zeigen, was er vermochte. Leonardo war der größte: mit ihm mußte er sich messen. Leonardo malte die eine Wand des großen Saales; er wollte die andere malen. Die Nachrichten fehlen, ob sein Wille oder anderer Leute Meinung den ersten Anstoß gab, daß ihm im Herbste 1504 der Auftrag zukam, die zweite Wand des Saales mit einem Gemälde zu versehen. Soderini forderte ihn dazu auf, Michelangelo schlug ein. Diese Bestellung zeigte deutlicher als andere, welch ungemeinen Begriff man von seiner Fähigkeit hegte.

Er hatte so gut wie nichts gemalt bis dahin; die beiden Madonnen waren doch kaum zu rechnen. Diese Bilder, so ziemlich das einzige, das er zustande gebracht, konnten unter gewöhnlichen Umständen nicht genügen, um das Zutrauen zu erwecken, er werde jetzt ein kolossales Werk zu liefern imstande sein, würdig, einem Gemälde Leonardos gegenübergestellt zu werden. Und man traute es ihm dennoch zu! Leonardo, dem von Rechts wegen, wenn er seine Aufgabe würdig löste, die andere Wand hätte zufallen müssen, mußte sich gekränkt und gleichsam im voraus aufs ungünstigste beurteilt sehen, denn sein Karton war fertig, als Michelangelo den seinigen begann. Man räumte diesem einen großen Saal im Spital der Färber zu Sant Onofrio ein. Einige Daten aus Rechnungen, die Gaye auffand, kommen hier sehr zustatten. Am 31. Oktober 1504 erhält der Buchbinder Bartolommeo di Sandro sieben Liren für vierzehn Bogen bologneser Royalpapier zum Karton des Michelangelo; der Buchbinder Bernardo di Salvadore fünf Liren, um den Karton zusammenzukleben; im Dezember werden die Handwerker bezahlt, die das Papier auf das Gerüst aufgespannt haben; auch finden sich die Rechnung des Apothekers für Wachs und Terpentin, womit man Papier tränkte, das zu Fenstern dienen sollte. So sehen wir Michelangelo hier zeichnen, Leonardo dort malen, und Florenz nach innen und außen in zufriedenstellenden Verhältnissen. Niemals entwickelte sich die Blüte der Stadt ruhiger als in jenen Tagen, nie hat die Kunst in Florenz Größeres getan und Größeres verheißen als damals.


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