Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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Vierzehntes Kapitel

1536-1546

Trotz der Trauer, in die Michelangelo durch den Verlust des Vaters und des Bruders versetzt worden war, darf ich die Zeit von 1536 bis 41 eine für ihn besonders glückliche nennen.

Immer wo wir das Leben großer Männer betrachten, ist das der schönste Teil ihres Daseins, wenn sie, mit einer ebenbürtigen Kraft zusammentreffend, außer sich selbst einen würdigen Maßstab für die Tiefe ihres Geistes finden. Ich sage nicht: für ihre Kunst oder das, was bei denen, die keine Künstler sind, an die Stelle dieser Kunst tritt; denn es genügt ihnen, einen Menschen gefunden zu haben, von dem sie im ganzen Umfang ihres Willens verstanden werden; zu dem sie reden dürfen, ohne ihre Worte hinterher erklären zu müssen. Der, auch wo sie nur den abgerissenen Teil eines Gedankens aussprechen, mühelos aus seinem eigenen Geiste das Fehlende ergänzt. Es gibt keine größere Sehnsucht als die, einem solchen Geiste zu begegnen, kein größeres Glück, als ihn gefunden zu haben, keine größere Trauer, als auf dies Glück verzichten zu müssen, sei es, daß man es niemals genoß, oder daß es verloren ging.

Glücklicher fühlte sich Goethe gewiß niemals, als im Austausch seiner Gedanken mit Schiller. Einsamer nie, als da der Tod diesen Freund hinwegnahm. All die zuerst so feurig eingegangenen Freundschaften, denen immer wieder Kälte oder Flucht ein Ende machte, waren vergebliche Versuche, Menschen zu entdecken, deren Verständnis seinen Geist umspannte. Längst hatte Goethe es aufgegeben, andere zu finden als im besten Falle gutwillig nachgebende Seelen, die wenigstens nicht widersprachen, wo sie nicht verstanden, als er Schiller antraf. Wenige außer ihm sind bekannt, denen das Schicksal so günstig waltete. Wir wissen von keinem ebenbürtigen Freunde, der Dante, Shakespeare oder Beethoven nahe gestanden. Byron fand Shelley. Aber wenn den meisten auch das versagt blieb, was in der Vollkommenheit als das lebendige Echo des eigenen Geistes zu betrachten wäre, das wenigstens ward fast allen zuteil, sich einmal in das Gefühl hineintäuschen zu dürfen, sie hätten gefunden, was sie bedurften, und wären es nur die Augen eines Mädchens, aus deren Tiefen sie das Verständnis ihrer Geheimnisse herauszulesen glaubten.

Michelangelo aber war ganz einsam alt geworden. »Ich habe keine Freunde, brauche keine und will keine haben«, schrieb er in jungen Jahren aus Rom nach Hause. In Florenz, wenn die Künstler sich versammelten, zum Gespräch hier und da oder zu Festlichkeiten: selten war Michelangelo dabei. Das nahm zu, je älter er ward. Keine Andeutung haben wir, daß andere Seelen ihm nahe gestanden als die der großen Toten seines Vaterlandes. Die Lebenden, die seine Umgebung bildeten, scheint er nur deshalb so dicht um sich gelitten zu haben, weil sie seinen Gedanken mit den ihrigen niemals lästig wurden. Tölpel zuweilen hatte er im Hause, die überhaupt keine Gedanken hegten, die er duldete wie Kinder, zu denen er sich herabließ. Kinder liebte er. Auf der Straße soll ihn einmal ein Knabe angesprochen haben, er möge ihm doch etwas zeichnen, und Michelangelo nahm das dargebotene Blatt und erfüllte auf der Stelle die Bitte. Daß er Frauen geliebt hat, zeigen seine Gedichte, kein einziges aber, aus dem ein anderes Gefühl spräche als das der Resignation oder der Trauer über unerwiderte Leidenschaft. Wie Beethoven scheint er niemals die gewonnen zu haben, nach der seine Sehnsucht stand.

Ein Gedicht von vielen sei hier angeführt, in dem er sagt, welche Kämpfe er bestanden.

Noch einmal spannst du gegen mich den Bogen?
Laß ab! Die Zeiten sind nicht mehr die alten,
Und lies in meiner Stirne tiefen Falten,
Es sei die Glut von ehedem verflogen.

Ja, stürmte die noch! Wären die Gedanken
Noch ungezäumte Rosse; unbeschrieben
Die heit're Stirn, und wären fest geblieben
Die Schleier, die mir vor den Augen sanken.

Da wär' ich noch ein Ziel für deine Blicke,
Verwundbar noch von deinen Feuerpfeilen,
Nun aber spare sie, – sie prallen ab.

Willst du, daß dich ein Schmerzensschrei entzücke,
So mußt du andre mit dem Gift ereilen,
Das meiner Brust genug zu dulden gab.

So war er alt geworden, sechzig Jahre, wo der Mensch aufhört an die Erfüllung seiner Hoffnungen wie an eine Pflichtzahlung des Schicksals zu glauben. Und dennoch ward ihm jetzt noch gewährt, wonach er sich sehnte. Endlich trat ihm Vittoria Colonna entgegen.

Michelangelos und Vittorias Freundschaft ist berühmt. Jeder, der seinen Namen nennen hörte, kennt auch den ihrigen. In jenem Jahre, als die Erwartung in Rom erwachte auf freieres geistiges Leben in Italien, erschien Vittoria dort, eng verbunden mit den Männern, die für die Durchführung der neuen Ideen arbeiteten, und neben Occhino als der zweite geistige Mittelpunkt gleichsam, um den die Anhänger der Lehre dieses Mannes sich vereinigten.

Sie kam aus Neapel, wo sie Occhino kennenlernte. Sie vielleicht hatte seine Berufung nach Rom durchgesetzt. Als die Tochter Fabrizio Colonnas und die Witwe des Marchese von Pescara, der beiden ersten Edelleute und Feldherrn ihrer Zeit, stand sie dem höchsten Adel in Europa ebenbürtig zur Seite. Pescara hatte daran gedacht, König von Neapel zu werden. Pompeo Colonna, Clemens des Siebenten Nebenbuhler, war mächtiger als der Papst in Rom. In Vittorias und der schönen Giulia Gonzaga Palast traf sich die in den höchsten Kreisen Neapels gebildete Gemeinde, deren Seele Valdes war, ein Spanier, welcher lange Jahre die Obliegenheit gehabt hatte, den Kaiser über die deutsche Bewegung in laufender Kenntnis zu erhalten, und in dessen Herzen die unwillkürlich eingezogene Wahrheit bei der Berührung mit Occhino in Flammen ausbrach. Er blieb in Neapel, begann zu predigen und hielt, so lange sein kurzes Leben dauerte, die Gedanken dort lebendig, mit denen Occhino und Vittoria Colonna jetzt in Rom selber eingezogen.

Vittoria wurde vom Papste aufgenommen wie es einer Fürstin ihres Ranges geziemte. Der Kaiser, bei seiner Anwesenheit in Rom, suchte sie in ihrem Palaste auf. Die Kardinäle Polo und Contarini, die Häupter der Partei Occhinos, waren ihre vertrauten Freunde, und wen das Interesse der geistlichen Reform nicht mit ihr verbunden hielt, den zog ihre Schönheit, ihre Liebenswürdigkeit und das an, was von ihren Zeitgenossen einfach ihre Gelehrsamkeit genannt ward. Man war stolz darauf, sich zu ihren Freunden, Verehrern oder Schützlingen rechnen zu dürfen. Denn ihre Verbindung und die Bedeutung ihrer Familie erlaubten ihr, manchen unter die Flügel zu nehmen.

Wir wissen nicht wie Michelangelo sie kennen lernte. Sie war 1536 nicht zum ersten Male in Rom. Sie war dort gewesen als jung verheiratete Frau mit Pescara, ihrer Sonne, wie sie ihn nennt, dem sie schon in der Wiege verlobt war und den sie fern von sich sterben lassen mußte. In der Schlacht von Pavia wurde er schwer verwundet. Auf dem Wege zu ihm vernahm sie seinen Tod und kehrte nach Rom zurück, wo Clemens der Siebente sie mit Gewalt abhalten mußte, ins Kloster zu gehen. Er verbot den Nonnen sie einzukleiden. Aber sie lebte wie eine Nonne. Sie wollte nichts hören von den glänzenden Heiratsanträgen, die nicht auf sich warten ließen. Sie erlebte dann das Unheil in Rom, das die Ihrigen über die Stadt brachten; ihr ganzes Vermögen bot sie an, um die Verluste wieder gut zu machen. Dann ging sie nach Ischia zurück, wo sie mit Pescara einst glückliche Tage verlebt hatte. Sie war kinderlos. Zwischen Ischia und Neapel teilte sie von da an ihre Zeit bis 1536. Es scheint, daß sie in diesem Jahre doch erst Michelangelos Freundin ward.

Aber soviel wüßten wir nicht einmal, hätte nicht die wunderbare Fügung, die darüber zu wachen scheint, daß nichts für immer verborgen bliebe, was unsere Kenntnis großer Naturen erhöht, ein Dokument wieder zutage gefördert, das Michelangelo und Vittoria im Frühling des Jahres 37 auf das lebendigste uns erscheinen läßt.

Ein Miniaturmaler, Francesco d'Ollanda mit Namen, wurde in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts vom König von Portugal, in dessen Diensten er stand, nach Italien geschickt und legte bei seiner Rückkehr Bericht ab über seine Erlebnisse. Sein vom Jahre 1549 datiertes Manuskript fand sich auf einer der Lissaboner Bibliotheken, und Graf Raczynski ließ einige Teile desselben ins Französische übersetzt in seinem Buche über die Kunst in Portugal abdrucken. Wir sehen Francesco mitten im römischen Leben, und da wir keine Ursache haben, seine Wahrhaftigkeit in Zweifel zu ziehen, in einer Nähe des Verkehrs mit Vittoria und Michelangelo, der günstiger und inhaltreicher kaum zu wünschen wäre. Zwei Sonntage beschreibt er, die er mit ihnen zugebracht, und die Unterredungen gibt er wieder, die dabei geführt wurden. Noch steht die kleine Kirche von San Silvestro auf Monte Cavallo dem Quirinalischen Palaste gegenüber, wo man sich zusammenfand. Nicht mehr wie damals freilich, denn der Schmuck einer späteren Zeit füllt sie aus: die kleine behagliche Sakristei hinter dem Altare ist mit Fresken Domenichinos bemalt, die geschnitzten Chorstühle sind auch wohl nicht mehr die alten – zu jener Zeit war das Kloster, zu dem die Kirche gehörte, ein Nonnenkloster, heute sitzen Mönche darin – aber der dämmerige kleine Raum ist wie er damals war; der Klosterhof, den ich erfüllt von blühenden Zitronenbäumen fand, und dahinter die colonnesischen Gärten, die von den Palästen auf, die unten am Fuße des Hügels stehen, sich den Quirinal hinanziehen, und durch deren Wege Vittoria zum Kloster emporstieg, das damals nicht, wie heute, an einem palastumgebenen Platze, sondern einsam wohl zwischen Gärten und niederen Häusern auf der Höhe lag.

Francesco d'Ollanda beginnt seinen Bericht mit einer für seinen König und Herrn berechneten Erklärung über die Zwecke seines römischen Aufenthaltes. Nur die Kunst habe er vor Augen gehabt. »Man sah mich nicht«, sagt er, »im Gefolge des großen Kardinal Farnese oder hoher Geistlicher, um deren Gunst ich buhlte; andere Leute suchte ich auf. Den Giulio di Macedonia, den berühmten Miniaturmaler (ein Meister, sei nebenbei bemerkt, der wie er nach Michelangelos Zeichnungen verschiedenfach arbeitete, ihm im ganzen überhaupt so sehr nachstrebte, daß man ihn den kleinen Michelangelo nannte), Baccio, den edlen Bildhauer (er meint Bandinelli damit, der damals an den Grabdenkmälern Leos und Clemens des Siebenten arbeitete), Pierino del Vaga, Sebastiano del Piombo, Valerio von Vicenza, Jacopo Melichino (einer der Baumeister in Diensten Paul des Dritten) und Lattantio Tolomei, Männer, deren Freundschaft für mich von höherem Werte war, als die Gunst der vornehmen Leute, und hätte diese ihr Rang auf die höchste Höhe irdischer Größe erhoben. Michelangelo aber erweckte ein solches Gefühl anhänglicher Liebe in mir, daß wenn ich ihm im päpstlichen Palaste oder auf der Straße begegnete, oftmals die Sterne am Himmel standen, ehe ich ihn wieder losließ. Dom Pedro Mascaranhas, unser Gesandter, mag mein Zeuge sein, wie schwierig es war, so weit bei ihm zu kommen. Dom Pedro hat eines Abends selbst mitangehört, wie Michelangelo über meine Arbeit mit mir scherzte, da ich in seinem Auftrage eine vom Kardinal Santi Quattro gewünschte Reihe von Abbildungen römischer und italienischer Merkwürdigkeiten übernommen hatte. Mein höchster Gerichtshof war das ehrwürdige Pantheon, dessen geringste Säulenstücke ich zeichnete, oder die Grabdenkmäler des Agrippa und Augustus, das Kolosseum, die Bäder des Caracalla und Diokletian, die Triumphbogen, das Kapitol und was die Stadt an merkwürdigen Bauten sonst beherbergt, deren Namen meinem Gedächtnisse leider schon zu entfliehen beginnen. In die prachtvollen Gemächer des Papstes aber führte mich kein anderer Gedanke als die Bewunderung für Raffael von Urbino, der sie mit seinen edlen Händen geschmückt hat.

Während ich so meine Zeit in Rom zu Rate hielt, ging ich sonntags einmal zu Messer Tolomei, um ihm, wie meine Gewohnheit war, einen Besuch zu machen. Er hatte mir durch Bosio, den Sekretär des Papstes, dazu verholfen, mit Michelangelo bekannt zu werden; ein bedeutender Mann, den edle Gesinnung, hohe Geburt (er war ein Verwandter des Papstes), Alter und unbescholtener Lebenswandel ehrwürdig machten. Ich traf ihn nicht, aber er hatte hinterlassen, ich würde ihn auf Monte Cavallo in der Kirche von San Silvestro finden, wo er mit der Marchesa von Pescara die Erklärung der Briefe des heiligen Paulus höre. Und somit machte ich mich auf den Weg nach San Silvestro.

Vittoria Colonna aber, die Marchesa von Pescara und Schwester Ascanio Colonnas, ist eine der vornehmsten und berühmtesten Frauen in Italien und der ganzen Welt. Schönheit, Reinheit des Lebenswandels, Kenntnis der lateinischen Sprache, kurz, alle Tugenden zieren sie, die einer Frau zum Lobe gereichen. Des glänzenden Lebens satt, das sie ehemals führte, hat sie sich seit dem Tode ihres Gemahls ganz und gar den Gedanken an Christus und den Studien hingegeben, unterstützt bedürftige Frauen und steht als Vorbild echt katholischer Frömmigkeit da. Sie war Tolomeis vertraute Freundin, und auch ihre Bekanntschaft verdanke ich ihm.

Ich trat ein. Man forderte mich auf, Platz zu nehmen, und die Vorlesung und Erklärung der Briefe wurde fortgesetzt. Als sie beendet war, nahm die Marchesa das Wort, und indem sie mich und Tolomei ansah, sagte sie: ›Ich bin wohl nicht ganz im Unrecht, wenn ich glaube, daß Messer Francesco lieber Michelangelo über die Malerei, als Fra Ambrosio über die Paulinischen Briefe reden hört?‹

›Gnädigste Frau‹, erwiderte ich, ›Ew. Exzellenz scheinen den Glauben zu haben, daß mir alles, was nicht Malerei und Kunst heißt, fremd und unverständlich sei. Es wird mir sicherlich immer sehr angenehm sein, wenn Michelangelo spricht, über die Briefe des heiligen Paulus aber möchte ich Fra Ambrosios Erklärungen vorziehen.‹

Ich hatte etwas pikiert gesprochen. ›Ihr dürft das nicht so ernsthaft nehmen‹, wandte sich jetzt Tolomei zu mir, ›die Frau Marchesa war gewiß nicht der Meinung, daß ein Mann, der ein tüchtiger Maler ist, nicht auch zu allem anderen tüchtig wäre. Dazu stellen wir Italiener die Kunst zu hoch. Vielleicht enthielten die Worte der Frau Marchesa die leise Andeutung, daß uns außer dem Genusse, den wir gehabt, der noch bevorstände, auch Michelangelo heute sprechen zu hören.‹

›Wenn die Dinge so stehen‹, erwiderte ich, ›so würde trotzdem nichts Außerordentliches geschehen, denn Ihre Exzellenz würden heute nur einmal wieder Ihrer Gewohnheit folgen: tausendmal mehr zu gewähren, als man zu verlangen wagte.‹

Die Marchesa lächelte. ›Man muß zu geben wissen, wenn man ein dankbares Gemüt vor sich hat‹, sagte sie, ›und hier zumal, wo Geben und Empfangen gleichen Genuß gewährt.‹ Auf ihren Ruf war einer von ihren Leuten herbeigekommen. ›Du kennst die Wohnung des Michelangelo? Geh, und richte ihm aus, ich und Messer Tolomei befänden uns hier in der Kapelle, wo es schön kühl sei, auch wäre die Kirche geschlossen und angenehm, ich ließe fragen, ob er hier in unserer Gesellschaft einige Stunden zu verlieren Lust trüge, um sie für uns zum Gewinn zu machen. Aber kein Wort, daß der Herr aus Spanien hier sei!‹

Ich konnte mich nicht enthalten, Tolomei leise eine Bemerkung darüber zu machen, mit welcher Feinheit die Marchesa die geringsten Dinge zu behandeln wisse. Sie fragte, was wir da sprächen. ›Oh‹, antwortete Tolomei, ›er sagte, mit welcher Klugheit Ew. Exzellenz selbst bei einem so geringfügigen Auftrage zu Werke gingen. Denn da Michelangelo weiß, daß wenn er einmal mit Messer Francesco zusammentrifft, es keine Möglichkeit für beide gibt, sich wieder zu trennen, so vermeidet er ihn, wo er nur kann.‹

›Ich habe es wohl gemerkt‹, sagte die Marchesa, ›ich kenne Michelangelo. Aber es wird schwer sein, ihn auf die Malerei zu bringen.‹

Fra Ambrosio aus Siena, einer der berühmtesten Prediger des Papstes, hatte bis dahin keine Silbe geäußert. ›Da der Herr aus Spanien‹, begann er jetzt, ›selbst ein Maler ist, so wird sich Michelangelo wohl hüten, vom Malen zu reden. Der Herr sollte sich hier verstecken, wenn er ihn darüber sprechen hören will!‹

›Es würde vielleicht schwerer sein, als ihr glaubt, den Herrn aus Spanien vor den Augen Michelangelos verborgen zu halten‹, versetzte ich mit einiger Schärfe dem ehrwürdigen Herrn: ›er würde, auch wenn ich versteckt wäre, meine Anwesenheit eher bemerken als Ew. Ehrwürden vielleicht ohne das, und wenn ihr eine Brille zu Hilfe nähmet. Laßt ihn nur kommen, ob er merken wird daß ich da sei, oder nicht.‹

Die Marchesa und Tolomei lachten. Nach einigen Minuten, während deren keiner etwas sagte, hörten wir an die Tür klopfen. Jeder fürchtete, Michelangelo möchte es nicht sein, der unten am Monte Cavallo wohnte. Durch einen glücklichen Zufall aber traf ihn der Diener in der Nähe von San Silvestro, als er eben im Begriff war, nach den Thermen zu gehen. Er kam die Esquilinische Straße herauf im Gespräch mit seinem Farbenreiber Urbino, ging also gerade in die Falle und war es, der an die Türe schlug.

Die Marchesa erhob sich, um ihn zu empfangen, und blieb eine ziemliche Zeit so stehen, bis sie ihn zwischen sich und Tolomei Platz nehmen ließ. Ich setzte mich nun auch, ein wenig entfernt von ihnen. Zuerst schwieg man, dann aber begann die Marchesa, die niemals reden konnte, ohne diejenigen, mit denen sie sprach, und den Ort selber, wo sie sich befand, zu adeln, mit der größten Kunst die Rede auf alle möglichen Dinge zu bringen, ohne jedoch auch nur entfernt die Malerei zu berühren. Sie wollte Michelangelo sicher machen. Sie ging wie um eine unangreifbare Festung herum, während er sich auf seiner Hut hielt. Endlich aber unterlag er dennoch. ›Es ist eine alte Erfahrung‹, sagte sie, ›daß niemand gegen Michelangelo aufkommen kann, der mit seinen eigenen Waffen, das heißt mit Geist und Feinheit, gegen ihn streiten wollte. Und so werdet ihr es erleben, es gibt nur ein Mittel, das letzte Wort zu behalten ihm gegenüber, man muß von Prozessen und von der Malerei reden, dann sagt er nichts mehr.‹

›Oder vielmehr‹, bemerkte ich jetzt aus meiner Ecke, ›das allerbeste Mittel, Michelangelo matt zu machen, wäre einfach, ihn wissen zu lassen, daß ich hier sei, denn selber gesehen hat er mich bis diesen Augenblick nicht. Freilich, um etwas so Unbedeutendes, wie ich bin, vor ihm zu verbergen, war das sicherste Mittel, es ihm dicht unter die Augen zu bringen.‹

›Verzeihung, Meister Francesco‹, rief er aus und wandte sich erstaunt nach mir hin, ›es war unmöglich euch zu sehen, ich sah niemand hier als die Marchesa. Aber da ihr durch Gottes Fügung da seid, so kommt mir als Kollege zu Hilfe.‹

›Die Marchesa‹, erwiderte ich, ›scheint wie die Sonne dem einen die Dinge zu zeigen, den anderen aber, der in sie selber hineinblickt, blind zu machen. Bei euch ist sie schuld, daß ihr mich nicht seht, und bei mir ist sie die Ursache, daß ich euch überhaupt heute zu sehen bekomme. Wer übrigens‹, fügte ich hinzu, ›könnte im Streit mit Ihrer Exzellenz noch Gedanken übrig haben für seinen Nachbar? Man braucht sie wahrhaftig für sich selber. Und deshalb allein‹, schloß ich, mich zu Fra Ambrosio wendend, ›schien es mir vorhin überflüssig, den guten Rat eines gewissen ehrwürdigen Herrn zu befolgen.‹

Alle lachten. Fra Ambrosio stand auf, verabschiedete sich bei der Marchesa, grüßte uns und ging. Er hat in der Folge zu meinen besten Freunden gehört.

›Seine Heiligkeit‹, nahm die Marchesa jetzt das Gespräch wieder auf, ›hat die Gnade gehabt, mir die Erlaubnis zum Bau eines neuen Nonnenklosters, gleich hier in der Nähe, in der halben Höhe des Monte Cavallo zu erteilen, da wo der Turm steht, von dem Nero auf die brennende Stadt herabsah. Die Schritte frommer Frauen sollen die Spuren des Bösen verwischen. Ich weiß nicht, Michelangelo, wie ich das Gebäude errichten lassen soll, wie groß und nach welcher Seite hin. Ließe sich vielleicht das alte Mauerwerk noch benutzen?‹

›Sicherlich‹, erwiderte er, ›der alte Turm könnte die Glocken tragen. Ich sehe keine Schwierigkeit bei diesem Baue. Wir können, wenn Ew. Exzellenz es wünscht, auf dem Heimwege den Platz in Augenschein nehmen.‹

›Ich hätte euch nicht darum zu bitten gewagt‹, antwortete sie, ›aber ich sehe, die Worte des Herrn ›er demütigte die Stolzen und erhöhte die Niedrigen‹ bleiben wahr unter allen Umständen. Ihr aber versteht mit Gewissenhaftigkeit zu schenken, wo andere nur auf gut Glück zu verschwenden pflegen, und deshalb stellen eure Freunde euch selbst um so viel höher als eure Werke, und es schätzen diejenigen, welche nur eure Werke und nicht euch selbst kennen, das an euch, was in geringerem Maße vollkommen genannt werden kann. Bewunderungswürdig erscheint mir die Art und Weise, wie ihr euch der Welt zu entziehen versteht. Unnützen Gesprächen und den Anträgen all der Fürsten, welche Gemälde von eurer Hand verlangen, aus dem Wege geht und die Arbeit eures ganzen Lebens als ein einziges großes Werk gleichsam hingestellt habt.‹

›Gnädige Frau‹, erwiderte Michelangelo, ›das sind unverdiente Lobsprüche, aber da die Rede einmal darauf gebracht worden ist, so möchte ich mich hier über das Publikum beklagen. Tausend alberne Vorwürfe bringt man gegen bedeutende Künstler auf. Sie seien seltsame Leute. Man könne nicht an sie heran. Es sei nicht mit ihnen auszuhalten. Niemand im Gegenteil kann so natürlich und menschlich sein als große Künstler. Aber man bleibt dabei (von den wenigen Leuten, die vernünftiger denken, rede ich nicht), sie seien launenhaft und wunderlich. Gerade das aber verträgt sich am wenigsten mit dem Wesen eines Malers. Es ist richtig, Maler haben gewisse Eigenheiten, besonders hier in Italien, wo besser als irgendwo in der Welt gemalt wird; aber wie soll ein Künstler, der mitten in seinen Arbeiten steckt, Zeit und Gedanken hernehmen, um den Leuten die Langeweile zu vertreiben? Es gibt wenige genug, die, was sie zu tun haben, mit voller Gewissenhaftigkeit tun. Wer zu diesen aber gehört, der wird begreifen, warum mit großen Künstlern zuweilen nichts anzufangen sei. Gewiß, ihr Hochmut ist nicht daran schuld. Aber wie selten begegnen sie einem Geiste, der ein Bild versteht; sollen sie sich da in jedes leere Geschwätz einlassen, das sie aus ihren tiefen Gedanken hinausreißt? Ich kann Ew. Exzellenz versichern, Seine Heiligkeit sogar setzt mich manchmal in Verlegenheit, wenn er mich fragt, warum ich mich nicht öfter sehen lasse. Ich glaube ihm nützlicher zu sein und gewissenhafter zu dienen, wenn ich zu Hause bleibe, als wenn ich um jede Kleinigkeit im Palast erscheine, ich pflege bei solchen Fragen Seiner Heiligkeit zu erwidern, ich zöge es vor, nach meiner Art und Weise zu arbeiten. statt wie andere den ganzen Tag vor ihm Parade zu machen und keine Hand zu rühren.‹

›Glücklicher Michelangelo‹, rief ich aus, ›unter allen Fürsten der Welt gibt es nur einen einzigen, den Papst, der diese Sünde verzeiht.‹

›Gerade darin sollten Fürsten am nachsichtigsten sein‹, sagte er. ›Was den Papst betrifft‹, fuhr er nach einer Weile fort, ›so hat mir die Wichtigkeit des Werkes, das ich in seinem Auftrage vollende, eine solche Freiheit gegeben ihm gegenüber, daß ich im Gespräch zuweilen, ohne daran zu denken, meinen Filzhut hier auf den Kopf setze und frisch von der Leber weg rede. Und es fällt ihm nicht ein, mir deshalb den Kopf abschlagen zu lassen; im Gegenteil, er läßt mich leben, wie ich Lust habe, und gerade in solchen Momenten diene ich ihm am eifrigsten. Allerdings, wenn irgend ein verbohrter Kopf sich einbilden wolle, man müsse ganz einsam sein, man dürfe keinen Menschen um sich haben, das sei der wahre Lebensgenuß, so würden ihn seine Freunde mit vollem Rechte laufen lassen und die Welt ihn mit allem Fug verurteilen, aber einen Künstler, der einsam lebt, weil sein Lebenszweck es mit sich bringt oder weil er keine falschen Redensarten ausgeben will und der obendrein nichts von euch verlangt, nicht ruhig gewähren zu lassen, ist die größte Ungerechtigkeit. Wozu ihn mit Gewalt beteiligen wollen an eurer Zeittotschlägerei? Er bedarf der Stille. Es gibt geistige Arbeit, die ihren Mann ganz und gar verlangt und auch nicht den kleinsten Teil seiner Seele frei läßt, mit dem er sich euch hingeben könnte. Hätte er so viel leere Zeit, als ihr habt, so mag er des Todes schuldig sein, wenn er sie nicht genau wie ihr mit Verbeugungen und anderen Übungen der Höflichkeit ausfüllt. Wenn ihr aber bei ihm eindringt und ihn lobt, nur um euch selbst zu ehren, und seine Gesellschaft sucht, weil ihr euch etwas darauf einbildet, so laßt ihn euch gefallen, wie er ist. Wenn dann Papst und Kaiser mit ihm reden, so habt genug daran. Ich sage, ein Künstler, der, statt den höchsten Anforderungen seiner Kunst zu genügen, dem großen Publikum es recht zu machen sucht, der in seinem persönlichen Auftreten nichts von Seltenheit und Eigenheit hat, oder was die Welt so nennt, wird nie und nimmer ein außerordentlicher Geist sein. Freilich, was das gewöhnliche Künstlervolk anlangt, da braucht man mit keiner Laterne umhergehen: die stehen, wer nach ihnen sucht, an jeder Straßenecke überall, so weit die Welt ist.‹

Michelangelo machte hier eine kleine Pause, und die Marchesa ergriff das Wort. ›Wenn diese guten Freunde, welche die großen Künstler belagern, wenigstens noch wie in alten Zeiten wären. Archesilas besuchte einmal den Apelles, der krank war, und während er ihm die Kissen zurechtlegte, steckte er heimlich eine Handvoll Gold darunter. Als hernach die alte Magd den Schatz entdeckte, beruhigte sie Apelles; darüber brauchte sie gar nicht verwundert zu sein, das sei Archesilas gewesen.‹

›Große Künstler‹, begann Tolomei hierauf, ›würden mit keinem anderen Sterblichen tauschen. Meistens sind sie mit dem zufrieden, was sie mit ihrer Arbeit gewinnen. Wenig genug oftmals. Sie beneiden die Reichen nicht, denn sie halten sich für reicher als die Reichsten. Ein durch die Kunst geschulter Geist erkennt die Leerheit des Lebens derer, die sich für die Mächtigen der Erde halten und denen all ihr Ruhm mit in den Sarg gelegt wird. Was man Glück nennt im gemeinen Sinne, kann den nicht mehr verlocken, der nach dem Ruhme strebt, der für den großen Haufen freilich keine Reize hat. Ein Künstler ist stolzer auf ein gelungenes Stück Arbeit als ein Fürst auf eine eroberte Provinz. Ich kann Grafen und Herzöge machen, sagte der Kaiser Max, als er einen zum Tode verurteilten Künstler begnadigte, Gott allein aber kann einen großen Maler schaffen.‹

›Messer Tolomei‹, sagte jetzt die Marchesa, ›gebt mir einen guten Rat! Dürfte ich an Michelangelo jetzt wohl die Bitte stellen, mich ein wenig über die Malerei aufzuklären, oder wäre er imstande, uns plötzlich durch die Tat beweisen zu wollen, daß die großen Männer trotz allem wirklich keine Vernunft annehmen und launenhafte Geister sind?‹

›Gnädigste Frau‹, erwiderte Tolomei, ›Meister Michelangelo muß hier eine Ausnahme machen und seine Gedanken mitteilen, wenn er sich auch vor der Welt verborgen hält.‹

›Euere Exzellenz haben zu befehlen‹, sagte Michelangelo, ›und ich zu gehorchen.‹

Die Marchesa lächelte. ›Da wir einmal darauf gekommen sind: ich möchte wohl wissen, was ihr über die niederländische Malerei denkt. Sie scheint mir frommer zu sein als die italienische.‹

›Die niederländische Malerei‹, entgegnete der Meister langsam, ›wird allen, die sich fromm nennen, im allgemeinen mehr als die italienische zusagen. Die niederländische wird ihnen die Tränen in die Augen treiben, wo sie die unsere kalt läßt. Die Ursache liegt aber nicht in der Kraft jener Gemälde, sondern in den schwächlichen Empfindungen dessen, der sie auf sich wirken läßt. Die niederländische Malerei sagt allein Frauen und jungen Mädchen, Geistlichen, Nonnen und vornehmen Leuten zu, die für die wahre Harmonie eines Kunstwerks keinen Sinn haben. Die Niederländer suchen das Auge zu bestechen, sie stellen liebliche, angenehme Gegenstände dar, Heilige und Propheten denen sich nichts Böses nachsagen läßt. Gewänder, Holzwerk, Landschaften mit Bäumen und Figuren, was als hübsch auffällt, in der Wahrheit aber nichts von der echten Kunst in sich hat, und wo es sich weder um innere Symmetrie, noch um sorgfältige Auswahl und wahre Größe handelt. Kurz, eine Malerei ist es ohne Inhalt und Kraft. Aber ich will nicht sagen, daß man schlechter male als anderswo. Was ich an der niederländischen Malerei zu tadeln habe, ist, daß man auf einem Gemälde eine Menge Dinge zusammenbringt, von denen ein einziges wichtig genug wäre, um ein ganzes Bild auszufüllen. So aber kann keins in genügender Art verwendet werden. Nur die in Italien entstehenden Werke kann man echte Kunst nennen. Deshalb ist die italienische Kunst die wahre.Auch Luther kennt trotz Dürer und Cranach nur den Gegensatz der niederländischen und italienischen Malerei.

»Anno 39, den 9. Februar«, heißt es in den Tischreden, »redet Dr. M. L. von welschen Malern, wie geschickt und sinnreich sie wären, denn sie könnten der Natur so meisterlich und eigentlich nachfolgen und nachahmen in Gemälden, daß sie nicht allein die rechte, natürliche Farbe und Gestalt an allen Gliedern geben, sondern auch die Gebärde, als lebten und bewegten sie sich.

Flandern folget und ahmt ihnen etlicher Maßen nach, denn die Niederländer, sonderlich die Fleminger, sind verschmitzte und listige Köpfe, lernten bald und leichtlich fremde Sprachen, denn sie haben eine behende und fertige Zunge. Und wenn man einen Fleminger in einem Sacke durch Italien oder Frankreich führte, spricht man, so lernet er bald die Sprache.«

Die deutsche Kunst wurde als von der niederländischen abhängig angesehen.

Malte man anderwärts so, so würde man sie ebensogut nach einem andern Lande benennen, wo sie geübt wird. Die echte Kunst ist edel und fromm durch den Geist, in dem sie arbeitet. Denn für die, welche es begreifen, macht nichts die Seele so fromm und rein als die Mühe, etwas Vollendetes zu schaffen; denn Gott ist die Vollendung, und wer ihr nachstrebt, strebt dem Göttlichen nach. Die wahre Malerei ist nur ein Abbild der Vollkommenheit Gottes, ein Schatten des Pinsels mit dem Er malt, eine Melodie, ein Streben nach Einklang. Ganz lebendiges Verständnis aber nur vermag zu fühlen, worin die Schwierigkeit liege. Und deshalb ist die Kunst so selten, und es gibt so wenige, die sie erreichen.

Daß man aber in Italien etwas Gutes zustande bringt, das hat seine Gründe. Laßt einen Maler anderswo arbeiten, einen Meister, der sich alle Mühe gibt, und ruft dann einen Lehrling nur, der bei uns gelernt hat, laßt beide zeichnen und malen, jeden nach seiner Art, und vergleicht: ihr werdet finden, daß der, der in Italien nur ein Schüler war, im Hinblick auf die echte Kunst mehr leistete als jener Meister, der nicht aus Italien ist. So wahr ist dies, daß selbst Albrecht Dürer, ein Meister, der so geschickt und feinfühlend arbeitet, wenn er etwas malen wollte, was uns täuschen sollte, als sei es in Italien geschaffen, möchte er nun eine gute oder schlechte Arbeit geliefert haben, dennoch nichts zu malen imstande gewesen wäre, bei dem ich nicht auf der Stelle bemerkte, daß es weder aus Italien noch von einem italienischen Künstler stammte. Und deshalb, kein anderes Volk, ein oder zwei spanische Meister ausgenommen, kann malen, wie wir malen. Auf der Stelle wird man den Unterschied fühlen.

Unsere Kunst ist die des alten Griechenlands. Nicht weil etwas italienisch, sondern weil es gut und korrekt ist, sagt man: das ist gemalt, als hätte es ein Italiener gemacht, und wer es erreichte, ohne in Italien zu malen, würde dennoch so genannt werden. Die Kunst gehört keinem Lande an, sie stammt vom Himmel; wir aber besitzen sie. Denn nirgends hat das alte Reich so deutliche Spuren seiner Herrlichkeit hinterlassen als bei uns, und mit uns, glaube ich, wird die wahre Kunst untergehen.‹

Er schwieg. Ich reizte ihn fortzufahren. ›Nur den Italienern also, behauptet ihr, sei die Malerei eigen?‹ sagte ich. ›Ist das aber zu verwundern? Habt ihr nicht in Italien ebensoviel Grund, gut zu malen als andere Völker schlecht? Ihr seid fleißig von Natur. Willen, Geschmack und Talent bringt ihr mit auf die Welt. Keinem genügt es in eurem Lande, ein Handwerker zu bleiben, ihr arbeitet, um emporzukommen. Verhaßt ist euch die Mittelmäßigkeit. Ihr seid gut daran: ihr habt die großen Vorbilder, sie drängen sich euch bei jedem Schritte auf. Das Land ist voll von Meistern, die euch anleiten, von Fürsten, die euch schützen, von Köpfen, die euch verstehen. Alles dreht sich um die Kunst bei euch, alle Ehre fließt ihr zu. Bei soviel Fürsten und großen Herren: Einer hat dennoch nur den Namen des Göttlichen davongetragen, ein Maler, Michelangelo!‹

›Ihr sprecht wie ein guter Italiener und als ob ihr bei uns geboren wäret‹, sagte die Marchesa, als ich geendet. Und darauf begann sie ein Lob der Malerei, wie veredelnd sie auf ein Volk wirke, wie sie es zur Frömmigkeit, zum Ruhm, zur Größe führe, daß ihr vor innerer Bewegung die Tränen in die Augen traten. So ging die Zeit hin. Es war spät geworden. Michelangelo erhob sich zuerst. Die Marchesa stand auf. Ich bat sie, mir das Glück zuteil werden zu lassen, am nächsten Tage abermals bei dieser Vereinigung mit erscheinen zu dürfen. Sie gewährte mir die Bitte, und auch Michelangelo versprach zu kommen. Wir begleiteten sie bis an die Türe. Tolomei ging mit Michelangelo; ich aber begleitete die Marchesa von San Silvestro bis zu dem Kloster, wo das Haupt Johannes des Täufers aufbewahrt liegt und wo ihre Wohnung war. Von dort aus machte ich mich auf den Heimweg.«

Dies die Beschreibung der ersten Zusammenkunft. Am nächsten Sonntage stellte sich Francesco wieder in San Silvestro ein. Er hat die Stadt durchwandert, die erfüllt war vom Festgedränge zu Ehren der Herzogin Margherita, Alessandro dei Medicis Witwe, die Paul der Dritte für den jungen Ottavio Farnese vom Kaiser zur Gemahlin erlangte. Ihr zu Ehren wurde der Karneval 1537 glänzender als je in Rom begangen. Francesco sah die prachtvoll geschmückten Reiter und Triumphwagen vom Kapitol herabziehen. Er bewundert die Fahnen, die goldnen Rüstungen, die kostbar geschirrten Pferde. Dann steigt er auf zum Monte Cavallo, wo es einsam ist, und findet Tolomei und Michelangelo mit Fra Ambrosio. Es ist Nachmittag, sie gehen in den Garten hinter dem Kloster, wo sie sich unter dem Schatten der Lorbeerbäume niedersetzen, die weite Stadt zu ihren Füßen. Vittoria ist diesmal nicht zugegen. Zum folgenden Tage läßt die Marchesa darauf Francesco ausdrücklich einladen. Diese Zusammenkunft findet sich in dem, was Graf Raczynski aus Francescos Berichte mitteilt, nicht beschrieben. Wahrscheinlich erschien der Bericht dem Grafen nicht wichtig genug, denn schon auch was am zweiten Sonntage gesprochen ward, ist nicht von dem Belang, um hier eine Stelle zu finden. Es werden die Arbeiten der italienischen Meister in ganz Italien durchgegangen, aber die persönliche Färbung fehlt, durch die der Anfang dieser Gespräche so bedeutend und lebendig erscheint.

Es sei ausdrücklich ausgesprochen, daß ich Francescos Mitteilungen in dem Sinne nicht für authentisch halte, um sie rein als die Blätter seines Tagebuchs zu betrachten. Er hat die Dinge arrangiert. Die Form, in die er seine Mitteilungen gebracht, war eine gewöhnliche damals und mag von ihm die künstlerische Abrundung erhalten haben, die Plato den Zusammenkünften gab, bei denen Sokrates und Alkibiades erschienen. Ähnlich läßt Machiavelli Fabricio Colonna unter einem Baume im Garten der Rucellai mit seinen Freunden über die italienische Kriegskunst reden. Dennoch ist wahr, was Francesco erzählt. Lesen wir nur den von Bottari gedruckten Brief Claudio Tolomeis gerade aus jenen Tagen, worin auch dieser eine Zusammenkunft beschreibt. Wie da im Garten eines reichen Römers der Abend verbracht wurde, wo zum Essen dann schließlich auch Michelangelo erschien. Man war da nicht viel anders zusammen als in der Sakristei von San Silvestro oder im Garten der Colonna. Auch macht sich die innere Echtheit des von Francesco gegebenen Berichtes fühlbar. Er brauchte keine Erfindungen zu machen, er stand Vittoria, Tolomei, Ambrosio, Michelangelo so nahe, und er gab die Charaktere treu und ohne Zusatz. Den Vittorias zumal, die zu den Frauen gehörte, die, willenlos scheinbar, nie durch Gewalt etwas zu erzwingen suchen, und dennoch alles erreichen, was sie sich vorgesetzt. In ebenso sanfter Weise mag sie in Neapel ihr erstes Probestück vollbracht haben, den Neffen ihres Gemahls, den jungen d'Avalos, denselben der vor Volterra gegen Ferrucci kämpfte, aus einem wilden ungezügelten Jünglinge zu einem Manne umzuformen, der Kunst und Wissenschaft liebte. Sie war stolz darauf, das vollbracht zu haben. Und wie zart übt sie ihre Herrschaft über Michelangelo aus, dem sonst nicht beizukommen war; dem sie damals zum ersten Male das Glück einflößte, einer Frau nachzugeben, und für den sie die Jahre, die sie in Rom damals verlebte, zu einer Zeit des Glückes machte, das er vorher niemals gekannt.

Es bedarf nicht der ersten Jugend für eine Frau, um den Geist eines Mannes gefangenzunehmen, der in ihr das höchste Verständnis entdeckt. Vittoria war noch schön und freudig zu jener Zeit. Sie stand mit an der Spitze der Partei, der die Zukunft zu gehören schien. Hätten ihre Freunde den Erfolg für sich gehabt, Vittorias Name würde von noch größerem Glanze heute umgeben sein. Sie, Renata von Ferrara und Margareta von Navarra, alle drei durch Freundschaft verbunden und in fortwährendem Verkehr, bildeten das Triumvirat von Frauen, unter dessen Anführung das gebildete Italien damals in den Kampf ging. Polo oder Contarini hätten nur, wozu beide Aussicht hatten, nach Pauls Tode zur höchsten Würde gelangen dürfen, und der Sieg der guten Sache war errungen.

Diese Hoffnungen erregten und erhöhten Vittoria. Nach langen Jahren der Trauer und Einsamkeit schien auch für sie eine neue beglückende Zeit zu beginnen. 1538 wurden ihre Gedichte zum ersten Male gedruckt. In Ferrara nahm sie die Huldigungen eines Hofes entgegen, der ganz auf die Anerkennung geistigen Verdienstes gerichtet war. Ariost verewigte diese Zeit durch seine Verse auf Vittoria. Und zurückkehrend nach Rom, empfingen ihre dortigen Freunde sie mit eifersüchtiger Freude. Fünf Jahre dauerte das, unzweifelhaft die glücklichsten, die Michelangelo in seinem Leben zuteil geworden sind.

Dann aber kam der Umschwung im Jahre 41, und mit einem Schlage trat ein jammervoller Wechsel ein.


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