Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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II

Alles das geschah 1536, im zweiten Jahre der Arbeit am Jüngsten Gericht. Aber andere Dinge noch ereigneten sich damals. Es ist noch nichts gesagt worden von der Reformation. Sie war wie ein großer Krieg, von dem bisher die italienischen Grenzen kaum berührt worden waren, gerade jetzt aber begann er ins eigne Land getragen zu werden.

Riformare heißt umgestalten. Riformare lo stato bedeutete für Florenz, die Verfassung umstoßen und eine neue aufstellen. Die Reformation der Kirche war ein altes von den Päpsten selbst anerkanntes Bedürfnis. Zunächst aber wurde eine Umgestaltung im äußern Leben der Geistlichkeit darunter verstanden. Diese Verhältnisse waren als unerträglich anerkannt. Und da, wo etwas krank und verderbt ist, die am offenbarsten zutage tretenden Folgen gewöhnlich für die Ursache des Übels angesehen werden, so war die allgemeine Losung: Reformation, Aufhebung dieses Unwesens!

Die Päpste durften sich schon deshalb einem solchen Umschwunge günstig zeigen, weil mit der Einführung einer strafferen Sittenregel größere Abhängigkeit von Rom eintreten mußte. Rom war die Hauptstadt der Welt: Alles erschien heilsam, was es in dieser Eigenschaft befestigte. Der erneuerte Gehorsam der Geistlichen würde eine Erfrischung der Abhängigkeit aller Christen herbeigeführt haben. Aber Rom auch hätte mit gutem Beispiele vorangehen müssen, und das war der große Schritt, zu dem sich weder Päpste noch Kardinäle entschließen konnten. Und wer die römischen Zustände genauer kennt, wird einsehen, es hätte sich nicht tun lassen. Es wäre eine Zumutung gewesen, als wolle man von Paris heute verlangen, es sollte der Erfindung der Moden entsagen, alle liederlichen Männer dort sollten gesittete Leute werden, alle Diebe ehrlich, alle Dirnen stille Jungfrauen. Wer Paris kennt, wird sagen, es geht das nicht. Und so auch ging es in Rom nicht, daß Papst und Prälaten sich zu einfach christlichem Wandel bequemten. Daß es aber nicht ging, darin liegt die Ursache, warum die Hälfte Deutschlands abfiel von der römischen Kirche.

Das Wort Reformation war im Anfang des 16. Jahrhunderts die Parole wie Konstitution etwa im Beginne des unsrigen. Man fühlte den elenden Zustand, und das, was man unter dem Worte verstand, sollte Abhilfe bringen für alles Übel. Man setzte in Verbindung damit den Gedanken an ein allgemeines Konzil, auf dem die Völker selbständig ihren Glauben neu festsetzten und die Kirche von Grund aus neu aufbauten: eine Vereinigung der edelsten geistigen Kräfte aller Nationen, deren Entscheidung sich Papst, Fürsten und Völker zu fügen hätten. Man wußte nicht recht, wie und wo und wann, aber man drang darauf. Und diese Idee, die zu hoch und allgemein war, als daß bestimmte Leute auf ihre Verwirklichung hätten losarbeiten können, weil dies oder jenes Vorteilhafte dabei herausgekommen wäre, sondern die jedermann nur in der Ferne als eine Art irdisches Strafgericht bei allgemeiner Umkehr zu reineren Lebensformen vorschwebte, zündete in Deutschland plötzlich und führte den Umschwung und die Kämpfe und Erfolge herbei, die wir heute als ein einziges Ereignis zusammenfassend die Reformation nennen. Für uns bedeutet Reformation eine geschichtliche Tat, für das 16. Jahrhundert enthielt das Wort eine Fülle idealer Wünsche und Erwartungen.

Man wird, wenn man sich mit der Geschichte der romanischen Völker beschäftigt hat, in moralischen Dingen, ohne es verhindern zu können, zu einem künstlichen Standpunkte hinaufgetrieben. Man sieht, wie das Schöne, oft selbst das Gute und Große, aus den frevelhaftesten Verhältnissen und Menschen aufsprießt, und man hört endlich auf zu verurteilen. Man betrachtet bloß. Die Gerechtigkeit scheint es zu verlangen. Man kommt soweit sogar, Männer wie Savonarola, der doch nichts tat als aus edelstem Beweggrunde das Treiben der Welt beim rechten Namen zu nennen, und todesmutig eine Umkehr herbeizuführen suchte, als Störenfriede anzusehen, die mit rohen Händen in ein harmonisches Gewebe packen. Goethe verurteilt ihn so gegenüber Lorenzo dei Medici, der im Vergleich zu Savonarolas edelster Reinheit doch kaum genannt zu werden verdiente. Savonarola war es, den Luther für seinen Vorkämpfer erklärte. Aber soweit Luther von Savonarola unterschieden ist, soweit ist Deutschland unterschieden von Italien. Savonarola war wie ein Wassertropfen, der vergebens auf einen glühenden Stein fiel, Luther ein fruchttragendes Korn, das zur rechten Zeit in empfänglichen Boden gelegt wurde.

Deutschlands innere Zustände erscheinen Anfang des 16. Jahrhunderts derart, daß seit fast unvordenklicher Zeit keine Einwirkung nach außen geübt worden war. Deutschland lieferte die Armeen für die kriegführenden Fürsten des übrigen Europas, aber sie kämpften nicht für ihr Vaterland. Die Landsknechte ließen sich für Geld gegen jeden Feind führen. Einen Willen zu äußern als deutsche Nation, fühlte man sich nicht imstande. So eng und seltsam verschränkt waren die Fesseln, in denen Land und Volk lagen, daß man sich, angegriffen von außen, nicht einmal hätte verteidigen können. Aber es griff niemand an. Die Kriege, die Kaiser Max gegen Frankreich führte, mußte Burgund, seine italienischen Feldzüge Mailand bezahlen. Was er aus Deutschland erhielt, war wenig. Das Land, das vereint stärker gewesen wäre als jede Nation der Welt, lag damals in unendliche Stücke zerspaltet ratlos da, erfüllt von den ewigen Fehden kleiner und kleinster Mächte untereinander. Daß der Kaiser nichts dreinzureden hatte, verstand sich von selbst. Albrecht Dürer schrieb nach Hause, wie man in Venedig den deutschen Kaiser als machtlos verspottete; zu Hause aber machte man es nicht besser. Es liegt nichts Aggressives in der deutschen Natur. Nur wehren will man sich. Und so saß jeder auf seinem Fleck: Bürger, Ritter, Fürsten und Geistliche, jeder bemüht, sich zu sichern, jeder mit seinen Gedanken nach innen gewandt. Und weil kein äußerer Anstoß daran rüttelte, war der Zustand ein reicher und üppiger. Machiavelli, als er auf einer seiner diplomatischen Reisen unsere Grenzen berührte, schrieb ein Buch über Deutschland, worin er es den Italienern, wie Tacitus Germanien den Römern einst, als ein beglücktes, in seiner Vortrefflichkeit beneidenswertes Musterland schilderte.

In diese Stille hinein kam von Italien her der Strom des neuerschlossenen antiken Geistes. Kein Volk ist fähiger, geistigem Einflusse sich hinzugeben als das unsere. Gierig wurde aufgesogen, was über die Alpen kam, und als eigener Besitz weiter verarbeitet. Eine unwillkürliche Verbindung derer entstand, welche die neuen geistigen Kostbarkeiten gewonnen hatten oder zu erlangen wünschten, eine Art freier Genossenschaft, die ohne Rücksicht auf Wohnort und Geburt sich über das Land verbreitete. Man hielt zusammen ohne Zweck, ohne Ziel, ohne Geheimnisse, aber in dem Gefühle sich begegnend, daß Deutschland in einer unwürdigen Lage sei und daß es anders werden müsse. Früher hatte der Kaiser die ganze Welt beherrscht, jetzt war er verachtet. Ungeheure Summen gingen aus dem Lande nach Rom jährlich, um dort ohne Nutzen für uns vertan zu werden. Eine zahlreiche Geistlichkeit in Deutschland selber hatte die besten Striche als ewiges Eigentum inne. Voll Scham sah sich der einzelne, der all das begriff und gern geändert hätte, machtlos diesen Zuständen gegenüber, und wenn er zu den Mächtigsten im Lande gehört hätte.

Zu praktischen Gedanken, wie wir sie heute bei jeder sozialen oder politischen Bewegung verlangen, verdichtete sich diese Unzufriedenheit jedoch nicht. Hutten, der am heftigsten und deutlichsten schreibt, sagt nirgends etwas, das uns heute als tunlich einleuchtete und eine Umgestaltung der Verhältnisse herbeigeführt haben könnte. Gesetz, Ordnung und Herkommen wollte niemand antasten. Auch drängte nichts zu augenblicklicher Regung. In jenen Zeiten, wo der Verkehr so gering war, daß, was im Süden des Landes sich ereignete, erst nach Monaten langsam, langsam zur Kenntnis des Nordens gelangte, wo die Nachrichten meistens nur als dunkle Gerüchte weiterliefen, waren politische Wünsche von schwacher Triebkraft. Aber die klassische Bildung und die Freiheit der Gedanken griffen weiter und weiter um sich, und der Boden, der ihnen am bequemsten lag, war die Masse der Geistlichen selber, die an Nachdenken gewöhnt und mit der Fähigkeit begabt, das Gedachte auszusprechen, die neuen Ideen bereitwillig aufnahmen und verarbeiteten.

Es ist schwer, sich heute eine Vorstellung von der Macht und der Ausbreitung der damaligen Geistlichkeit zu bilden. Wir haben auch im katholischen Deutschland heute nichts mehr, was sich nur von ferne zum Vergleiche böte. Selbst Italien, das doch von Mönchen und Abbaten erfüllt zu sein scheint, würde, verglichen mit dem Zustande jener Zeiten, leer erscheinen. Die Dinge standen so, daß man, in der Übertreibung redend, hätte sagen können, halb Deutschland gehörte der Geistlichkeit, wie man heute sagt, die Armee des Landes zehrt das halbe Budget auf. In der Tat, unsere stehenden Heere lassen die Stellung der Geistlichen im 16. Jahrhundert am ehesten begreifen. Man denke diese Hunderttausende von Soldaten, vom Bauernsohne an der niedrigsten bis zu den Spitzen des Adels an der höchsten Stelle, in Religionsbeamte verwandelt. Lauter einzelne, aber in sich aufs festeste gegliederte Menschen, die mitten im Lande sitzend von seinen Gesetzen dennoch befreit sind und über allen andern den günstigsten Platz einnehmen. Man denke die Kasernen als Klöster, die Festungen als Bischofssitze, und nun weiter die ganze Masse nicht etwa als direkt vom Staate unterhalten, sondern jede Kaserne, jede Festung so reichlich mit Land und arbeitenden Untertanen ringsum dotiert, daß nicht nur der tägliche Unterhalt davon bestritten werden kann, sondern noch genug übrig bleibt, um nach Rom davon zu senden oder es zum eigenen Überflusse aufzuspeichern. Und endlich, dieser Besitz geschützt wie keiner im Lande und täglich zunehmend durch Schenkungen aller Art. Reich waren diese Herren. Muße hatten sie, sich mit geistigen Dingen zu beschäftigen. Aus allen Familien rekrutierten sie sich. In alle Angelegenheiten waren sie verwickelt. Es war nichts Geringes, eine solche Macht von Rom aus zu kommandieren, denn auf ihr beruhte in den Ländern das Ansehen der Kirche. Und nun, diese Geistlichkeit, die keine äußere Gewalt zum Sturze gebracht hätte, denken wir uns plötzlich selber zuerst die neuen Gedanken aufnehmend und eine Reformation der römischen Wirtschaft im nationalen Geist begehrend. Was Deutschland als politischer, nach außen wirkender Macht so hindernd im Wege stand, die Zersplitterung, die Souveränität fast jeder Stadt und jedes Herrensitzes, kam ihm bei der geistigen Bewegung nun zugute. Es gab keinen zentralen Willen, von dem aus man sie hätte unterdrücken können. Hätte der Kaiser anders regieren wollen als durch Bitten und Vorstellungen, so hätte er Deutschland zuvor erobern müssen. Es war, abgesehen von seiner Unbehilflichkeit als Ganzes, so frei im einzelnen und so kunstreich zusammengefügt, daß von der Durchführung allgemeiner Maßregeln ohne den guten Willen der Leute keine Rede sein konnte. So war der Boden beschaffen, auf dem Luther erschien. Der Anstoß, der von ihm ausging, war ein so ungeheurer und widerstandsloser, daß innerhalb der zehn Jahre zwischen 1520 und 30 in Deutschland eine Veränderung der Verhältnisse eintrat, wie sie zwischen 1806 und 1815 nicht durchgreifender gewesen sein kann.

Ganz anders stand es mit dem übrigen Europa. In Frankreich saß der König inmitten eines mächtigen, oft widerspenstigen, aber wenn es sich um die Ehre des Landes handelte, so gefügigen Volkes, daß weder Adel noch Städte den Gehorsam zu verweigern wagten. Die Geistlichkeit war in seiner Gewalt. Zu Bologna im Jahre 1515 hatte Leo der Zehnte Franz dem Ersten das Besetzungsrecht der geistlichen Stellen überlassen müssen. Dem Könige war dadurch die Möglichkeit geschaffen, geleistete Dienste mit reichen Abteien und Bischofssitzen zu belehnen. Die französischen Kardinäle bildeten in Rom eine für ihren König kämpfende Kolonne. Franz der Erste war Herr seines Landes; nur geringe Summen flossen nach Rom von Frankreich aus. Er konnte die Bewegung der Geister nicht hindern, so frei war man immer noch, aber er konnte vorbauen, daß öffentlich nichts geschähe, was seine Macht schmälerte. Deshalb, als in Deutschland die Dinge so weit gediehen waren, daß die geistlichen Besitztümer zu einer Art vogelfreier Beute wurden, bei der ein jeder zuzugreifen suchte, während keine Autorität Einhalt zu tun Gefallen trug, denn Städte, Fürsten und die geistlichen Herren selber verwandelten die Güter der Kirche in ihren Privatbesitz, betrachtete Franz die Reformation in seinen Staaten als Rebellion und behandelte diejenigen danach, die er als Schuldige zu ertappen für gut befand. In Frankreich sind unter ihm die ersten Ketzer verbrannt worden.

Hatte in Frankreich aber die Bewegung trotzdem immer noch Eingang und Verbreitung: den wunderbarsten Gegensatz gegen Deutschland bildet Spanien. Während die Deutschen durch geschichtliche Entwicklung und Nationalcharakter langsam der Reformation zugedrängt wurden, brachten die Geschicke des Landes sowohl als die Eigentümlichkeit der Denkungsart bei den Spaniern gerade das Entgegengesetzte hervor. Einer der glänzendsten Abschnitte in Buckles Geschichte der Zivilisation zeigt, wie fanatische Anhänglichkeit an Fürsten und Religion der Grundzug des Charakters und die Quelle der Größe und des Verfalls für dieses Volk sei. Nicht nur, daß die Spanier sich anfangs ablehnend gegen die neue Lehre verhielten: sie allein sind es gewesen, durch deren Hilfe in späteren Zeiten die ungeheuren Versuche der habsburgischen Dynastie, Deutschland zum Katholizismus zurückzuzwingen, möglich wurden.

Denn lange Jahre schon, bevor es sich bei uns regte, war in Spanien die Inquisition in Tätigkeit gewesen. Als gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Ferdinand und Isabella die Mauren völlig nach Afrika zurückgeworfen hatten, war das Königreich von Mohammedanern, Mauren und Juden dermaßen überschwemmt, die sich durch Betriebsamkeit nicht nur oft über die Spanier selbst erhoben, sondern ebensooft sich durch Heiraten mit ihnen verbunden hatten, daß die Nation eine Reinigung des Landes verlangte. Christen allerdings waren diese Mauren und Juden oft geworden, massenhafte Übertritte hatten stattgefunden, aber das gerade machte sie um so unerträglicher. Und indem dazu kam, daß ihre Reichtümer den König zu reizen begannen, wurden auf sein Betreiben die geistlichen Gerichte eingesetzt, welche darüber zu erkennen hatten, ob die, die sich Christen nannten, auch Christen seien. Der Papst selber, als er die Bulle erließ, durch welche die Inquisition errichtet wurde, tat es mit Widerstreben und warnte vor Mißbrauch.

Bald genug handelte es sich bei den Opfern dieses Gerichts nicht mehr um Juden und Heiden. Die Begeisterung für die reine Lehre wurde zu einer krankhaften Sucht. Jahrhunderte lang hatte man gegen die Ungläubigen gekämpft: was eintrat, war nur eine Fortsetzung dieser Kämpfe. Die Inquisition war populär in Spanien, man verlangte Scheiterhaufen wie man Stierkämpfe begehrte. Zwischen den Jahren 148o und 1517 sind in Spanien 13 000 Ketzer wirklich und 8700 im Bilde verbrannt worden, 170 000 mit geistlichen Strafen belegt und innerhalb 40 Jahren in Sevilla allein 4500 durch Feuer getötet. Auf alles erstreckte sich die Verfolgung, was der reinen Lehre Schaden bringen könnte. 6000 Bücher wurden in Salamanca einmal auf einen Schub während der neunziger Jahre in Asche verwandelt. Lesen und Schreiben ward auf ein Minimum beschränkt; griechische und hebräische Bibeln wurden ganz verboten. So gesinnt war die Geistlichkeit, gegen die Kolumbus zu kämpfen hatte. So standen die Dinge, ehe man nur an Luther dachte. Als dessen Auftreten dann aber manche mit sich fortriß und für alle die Gefahr der Ansteckung entstehen ließ, erhob sich die Inquisition mit solcher Energie dagegen, daß die Geschichte der spanischen Reformation nur von einzelnen Märtyrern, nirgends aber von einer Bewegung des Volkes erzählen kann.

Nur Italien besaß politisch und geistig die Bedingungen, die eine der deutschen ähnliche Freiheit gewährten. Auch waren die Päpste dort verhaßt genug, und unzählige Gelegenheiten hätten sich geboten, ihre Herrschaft umzustoßen. Allein, man war daran gewöhnt. Zu einem Feuer, wie es in Deutschland ausbrach, mußte sich, wie bei der Bildung eines Torfmoores, Jahrhunderte lang alles geistige Wachstum in Brennstoff verwandelt haben. In Italien aber brannte es seit ewigen Zeiten schon unaufhörlich. Es war kein Vorrat da an Material. Das politisch bewegte Leben füllte die täglichen Gedanken der Leute aus. Es herrschte nicht die stille, brütende Atmosphäre wie in Deutschland. Man war zu fanatischem Losbruche täglich bereit, wie in Florenz geschehen war, die Begeisterung ließ sich auf einzelne Jahre sogar frisch erhalten, endlich aber fiel man doch in die ironische Gleichgültigkeit gegen das Priesterunwesen zurück. Dabei hing überall der politische Zustand zu sehr mit den einmal bestehenden römischen Verhältnissen zusammen, als daß man eine Änderung gewünscht hätte. Venedig, Florenz, Neapel, Mailand wollten ihre Kardinäle in Rom haben und sahen deren glänzendes Auftreten als dienliches Mittel zur Erhaltung ihres Einflusses an. Außerdem, niemand war lüstern in Italien nach den Kirchengütern. Alles war zu fest geordnet und dem allgemeinen Vorteile gemäß eingerichtet. Am meisten in Rom, dessen Wohlstand auf dem weltlichen Treiben der Prälaten gänzlich beruhte und das mit eigenen Kräften die Summen nicht aufzutreiben brauchte, die von den großen Herren ausgegeben wurden. Die Beschwerden betrafen immer nur einzelne Punkte. Übergriffe waren es, die man rügte, keine Umgestaltung von Grund aus begehrte man. Ja, nicht einmal die Möglichkeit einer solchen Verwandlung war von Leuten denkbar. Ihr Haß ging auf bestimmte Persönlichkeiten. Nicht ausrotten, nur beschneiden wollte man das wilde Holz. Die Päpste gaben sich Mühe, sie setzten zuweilen an, zum Schneiden aber kam es nicht. So äußerlich nahm man die Dinge in Rom, daß dem Auftreten Luthers die gemeinsten Gründe unterlegt wurden. Nicht aus Haß, sondern weil man ihn nach sich selber beurteilte. Luther habe Lärm geschlagen, meinte man, weil seinem Orden die Einsammlung des Ablasses entzogen worden wäre. Leo hatte die Erhebung dieser Gelder einem Genueser Hause überlassen, als Abschlagzahlung für in froheren Zeiten vorgeschossene Summen. In Genua erinnerte man sich, daß die Augustiner, deren altes Vorrecht das Einsammeln des Ablasses war (und denen Luther angehörte), zu bedeutende Prozente zurückzubehalten pflegten, und übergab den Dominikanern den Handel. Nun trat Luther auf gegen den Ablaß. Es wäre jetzt, so sah man in Italien die Sache an, eine kaufmännische Unredlichkeit von seiten des Papstes gewesen, den Genuesern nicht auf jede Weise zu Hilfe zu kommen und ihnen die Eintreibung des Geldes zu ermöglichen. Die Leute hatten dafür gezahlt und waren überdies Leos Verwandte. Auch hätte der Papst in der Tat kein Geld gehabt, den Ausfall selber zu decken. Deshalb kein Bedenken im Vatikan: Martin Luther mußte zu Boden geschlagen werden, er empörte sich gegen die Kirche. Man dekretierte Anwendung der kräftigsten Mittel. Leo verfuhr von Rom aus gegen Deutschland wie in altrömischen Zeiten etwa ein Kaiser gegen eine ferne Provinz verfahren haben würde, die wegen Überbürdung und sonstiger erlittener Ungerechtigkeit ihre Unabhängigkeit proklamiert hätte. Erst Gehorsam, dann Untersuchung, jedenfalls aber Niederwerfung des Aufstandes als selbstverständliche Voraussetzung aller Maßregeln. Niemand in Rom und Italien aber, als die lutherische Bewegung ihren Anfang nahm, dachte im entferntesten daran, daß dies der Beginn einer Reformation werden könne. Und so, während in Deutschland alles auf den Kopf gestellt und die allgemeinen Verhältnisse in kurzer Zeit so gründlich verändert worden waren, daß eine Wiederherstellung des alten Zustandes nicht mehr möglich war, regte sich in Italien weder ein Gefühl der Zustimmung noch der Nachahmung.

In Deutschland erfüllte der Geist Luthers alle Schichten der Gesellschaft. Auch er wurde anfangs von denen verkannt, die sich als Vertreter des Fortschritts an der Spitze der Bewegung hielten. Man wußte nichts von ihm und hegte Mißtrauen, bald aber drang die herrliche Natur des Mannes durch. Luther ging der Sache auf echt deutsche Weise zu Leibe. Savonarola wollte die Florentiner einexerzieren gleichsam zu einem besseren Leben, predigte praktische Moral und behielt die Theologie für sich zurück. Luther machte es umgekehrt. Was geht uns Deutsche ein römischer Papst an? fragt er. Was uns die Kardinäle? Wer hat diesen Leuten überhaupt das Recht gegeben, zu stehen, wo sie stehen? Was weiß die Bibel von einem Papste? Es gibt keine angeborene geistige Abhängigkeit von Rom. Es gibt keine Autorität der Kirche ohne die Bibel. Sie allein enthält die Religion. Jedem freien Manne ist es erlaubt, in ihr zu suchen, was ihm frommt. Was Savonarola erst in der höchsten Bedrängnis mehr zu seiner Verteidigung als zur Belehrung des Volkes aussprach, daß die Überzeugung der eigenen Brust höher zu achten sei als der Papst, damit fing Luther an, und nicht allein für sich selbst, sondern für alle Menschen beanspruchte er die Freiheit, sich Gott gegenüber auf das Gewissen allein zu berufen. Rom, Papst, Kardinäle, Hierarchie, alles mit einem Gedanken als falsche Ware beiseite gekehrt. Frisch anknüpfend an die eigenen Worte Christi, wie sie die Bibel enthält, war es keine neue, doch nur wieder in Formeln gebannte Lehre, mit der Luther kam, sondern die Rückkehr wollte er zum ersten Zustande, wo jeder mit den Aussprüchen Christi in der Brust sich selbst seinen Glauben zimmerte. Kein Unterschied waltete fortan zwischen Laien und Geistlichen. Jeder war Geistlicher, der sich vom Geiste erfüllt fühlte. Und indem diese Lehre aus dem Munde eines gesunden Mannes floß, der wie ein Zauberer die Gemüter mit sich fortriß, von den deutschen Fürsten bis zu den Bauern abwärts, die seine Sprache verstanden, drang sie wie ein Feuer in dürres Holz und erregte den Sturm, der sich plötzlich als eine Empörung gegen den Papst und das römische Wesen zeigte, wie sie seit dem Bestehen der katholischen Kirche nicht erlebt worden war.

Es ist auffallend, daß selbst dann noch, als die Wichtigkeit der deutschen Verhältnisse erkannt worden war, die italienischen Politiker jener Tage nur die politischen Veränderungen ins Auge fassen, die äußerlich als die ersten Folgen der Bewegung zutage traten. Fürsten und Städte seien beutegierig nach dem fetten Kirchenbesitze, räsonierte man; die niederen Geistlichen verlocke die Freiheit, ungestraft ins bürgerliche Leben eintreten zu können; die geistlichen Fürsten hätten gern ihre zeitliche Herrschaft in eine dynastische verwandelt; niemand in Italien erwähnt auch nur, was die stärkste von den treibenden Mächten war: die allgemeine Überzeugung.

Es ist nicht zu leugnen, die politische Seite der Dinge war auch für die Deutschen oft das Vorwiegende. Städten und Landesherren kam die Gelegenheit sehr zupasse, im Eifer für den neuen Glauben die Kirchengüter einzuschlucken. Sie wollten und konnten den Zuwachs an innerer und äußerer Freiheit nicht wieder aufgeben, den sie der neuen Lehre verdankten. Vielleicht hätten die Dinge ein schlimmeres Ende genommen, wäre Franz der Erste Kaiser geworden. Da er unterlag, kam den deutschen Reformierten seine Unterstützung zugute. Die er, wären sie seine Untertanen gewesen, zu vernichten gestrebt haben würde, beförderte er in ihrer Widerspenstigkeit gegen den Kaiser. Und Karl, dem die hilfreichen Kräfte der deutschen Fürsten unentbehrlich waren, sah sich gezwungen, seinen rebellischen Untertanen Versprechungen zu geben, statt sie mit Gewalt unter die Herrschaft der Kirche zurückzuführen. Man hört oft im Tone des Vorwurfs sagen, Karl sei kein deutscher Kaiser, sondern ein spanischer König gewesen, der weder deutsch gesprochen noch in Deutschland gewohnt habe: die Deutschen selber zwangen ihn dazu, sich auf seine außerdeutschen Völker zu stützen. Als sie ihn wählten, war seine beste Empfehlung, daß man von ihm erwartete, er werde dem Lande so wenig als möglich zur Last fallen. Karl war es nicht zu verdenken, wenn er in der Zukunft sein Bestreben darauf richtete, den Deutschen zu zeigen, daß er ihr Herr sei; die Deutschen aber hatten das bessere Recht für sich, wenn sie mit dem römischen Priesterregimente zugleich die weltliche Macht eines Kaisers nicht mehr dulden wollten, die, ihrem Wesen nach aufs innigste verwandt mit jener geistlichen Gewalt, jetzt gerade mehr als jemals unnatürlich und fremd erschien. Denn die Dienste, die vom Volke gefordert wurden, sollten offenbar nicht im Geiste des echten Kaisertums zum Besten des Vaterlandes verwendet werden.

Das verstand man vielleicht in Italien, tiefer ging man nicht. Darauf hin machte man Pläne. Was das Dogma anbelangte, das heute Katholiken und Protestanten eigentlich scheidet, so wurde es als ein Punkt betrachtet, über welchen man sich, wenn nur erst bei den übrigen eine Vereinigung erzielt worden wäre, ohne Zweifel verständigen würde. Denn die Protestanten (um diesen Namen, der später aufkam, jetzt schon anzuwenden) erschienen nur in dem politischen Teile ihrer Forderungen fest und einverstanden, während innerhalb ihres neuen Glaubens alsbald verschiedene Meinungen ausgesprochen und mit Heftigkeit verfochten wurden, als deren notwendiges Ende die Rückkehr unter die alte geistliche Botmäßigkeit erschien.

Deshalb, so sehr die deutschen Zustände Leo dem Zehnten am Herzen lagen, dürfen wir keinen Zweifel hegen, daß ihm seinerzeit die Vertreibung der Franzosen aus der Lombardei und das Emporbringen seiner Familie eine bei weitem wichtigere Angelegenheit war, und daß auch Papst Clemens' schlaflose Nächte und der Ärger, an dem er zuletzt zugrunde ging, nicht durch die deutschen Ketzer verursacht wurde. Wenn Clemens den Siebenten ein der katholischen Kirche zugefügter Verlust erschütterte, so war es der Fall von Rhodus, das in die Hände der Türken geriet. Das war unwiederbringliche schmachvolle Einbuße. Deutschland verloren zu geben, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Was ihn mit Furcht erfüllte, Deutschlands und Luthers wegen, war das Drängen auf ein Konzil. Nichts wäre vielleicht damals noch ein stärkerer Stoß gegen Luther gewesen, im Interesse der römischen Kirche, als eine allgemeine Versammlung, der sich jeder hätte unterwerfen müssen. Die Deutschen wären zuletzt doch in der Minorität geblieben, glaube ich, denn die Sache würde sich bald genug so gedreht haben, daß, abgesehen von allen Verbesserungen der Kirche, die Romanen den Germanen keine Zugeständnisse gemacht hätten. Clemens aber wollte das Konzil nicht aus ganz privaten Ursachen: er zitterte vor dem Gedanken, daß dort die Frage seiner unehelichen Geburt zur Sprache käme. Diesen Flecken konnte er nicht von sich abwaschen, hatte er doch einen Florentiner Bürger, der nur daran zu tippen wagte, enthaupten und durch glaubwürdige Zeugen beschwören lassen, daß seine Mutter mit Giuliano dei Medici heimlich verheiratet gewesen sei.

Dazu kam, daß, weil Deutschland keinen Mittelpunkt hatte und nur einzelnes verlautete, von dem was vorging, die Bewegung, von Italien aus betrachtet, geringer erschien, als sie war. Man begriff die Bedeutung der Bibelübersetzung nicht und des plötzlichen Eintretens der deutschen Sprache in geistigen Dingen, wo bisher nur das Lateinische gewartet. Alle Stände fühlten sich in nationalem Sinne neu verbunden, denn Luther handhabte die Sprache mit einer Kraft und Schönheit, daß seine Bibel nicht bloß ein gelehrtes Werk, sondern wie ein Gedicht war, das überwältigend den Menschen in die Seele drang. Wir sind, so hoch wir diese Arbeit verehren, heute kaum imstande, die Wirkung in uns selbst zu empfinden, die Luthers Werk bei seinem Erscheinen ausübte. Damals war sie die Blüte dessen, was in den Straßen und Häusern allen Zungen geläufig war.

Wie sollte dergleichen in Rom oder von den Kardinälen begriffen werden, die wie Ärzte in ein infiziertes Land, zu uns kamen, um die Krankheit an Ort und Stelle kennenzulernen und mit geeigneten Vorschlägen sich wieder einzufinden. Genährt wurde die Täuschung, der man sich im Vatikan hingab: es werde möglich sein, wenn Gewalt nicht fruchtete, durch Nachgiebigkeit vielleicht eine Wiedervereinigung herbeizuführen, durch die Bereitwilligkeit der Deutschen, zu unterhandeln. Man stritt und disputierte, man übersah von beiden Seiten zuweilen, daß die einzige Konzession, welche die Reformierten hätte zufriedenstellen können, die Vernichtung der römischen Herrschaft war, und so zog sich die Sache hin, und während in Deutschland der umgestaltete Zustand der Dinge mit den Jahren bereits sich zu einem legitimen Verhältnisse zu befestigen begann, ward man in Rom immer unsicherer und unschlüssiger.

Schon unter Leo dem Zehnten war man zweifelhaft gewesen. Luthers Behauptung, daß den Päpsten das Recht nicht zustehe, für Geld Sünden zu erlassen, war eine Überraschung; man fing in Rom selbst erst an, die Frage zu studieren, und kam zu keinem sichern Resultate. Man war ferner nicht einig darüber, ob Luther frischweg verdammt werden dürfe, ohne vorher gehört zu sein. Leo schnitt diesen Zweifel ab durch die Bulle, in welcher Luther verurteilt wurde, und der nach Deutschland gesandte Kardinal ging so weit, auf Luther öffentlich zu schimpfen und das Verlangen zu stellen, es dürfe das ihm zur Reise nach Worms gewährleistete freie Geleit nicht respektiert werden.

Adrian der Sechste übernahm die Händel mit dem reinsten Willen, eine gerechte Entscheidung zu treffen. Als Kern des Widerstreites blieb die Frage bestehen, ob die ewige Seligkeit abhängig sei vom Glauben an die durch Christi Tod erworbene Vergebung der Sünden, oder ob gute Werke dazutreten müßten. Gute Werke aber ließen sich ersetzen durch Geld, und für Geld, so hatte Leo eigenmächtig festgestellt, könne der Papst die Strafe der Sünden erlassen. Adrian, ein strenger, in wissenschaftlicher Behandlung der Dinge alt gewordener Geistlicher von germanischem Blute, versuchte seine eigene Überzeugung an die Stelle der leichthin gegebenen Entscheidung seines Vorgängers zu setzen. Vergeben sollte die Sünde dem sein, stellte er auf, der ein gutes Werk tue. Vollbringe er es in vollkommener Weise, so trete vollkommene Vergebung ein, mangele etwas daran, so könne sie nur insoweit eintreten, als sie durch diesen Mangel nicht beeinträchtigt werde. Diese billige Entscheidung, meinte er, müsse allem Streite ein Ende machen. Und vielleicht, hätte der Empörung der Deutschen gegen die Kirche nicht neben der theologischen Frage der gründliche Wille, die Abhängigkeit von Rom überhaupt abzuschütteln, zugrunde gelegen, es wäre auf diese Auffassung hin ein Ausgleich herbeizuführen gewesen, denn so weit ging selbst Luther nicht, das Prinzip der eigenen Forschung in der Bibel bis in die äußersten Konsequenzen durchführen zu wollen. Frei und unabhängig stellt er die Gemeinde hin, ordnet sie jedoch Geistlichen unter, denen er eine gewisse Macht beilegt über das Seelenheil ihrer Pfarrkinder. Adrians Versöhnungsversuch war der einzig ehrlich gemeinte, der je von Rom ausging. Nur der Wahrheit und der Ehre Gottes zuliebe suchte dieser Papst das wahre Beste der Christenheit, absehend von den äußerlichen Verlusten, die der Kirche daraus erwachsen könnten.

Aber die Kardinäle, in deren Mitte er darüber Rat hielt, begriffen ihn gar nicht. Er beseitigte das Papsttum damit, warf man ihm ein. Die Päpste dürften das Recht nicht aus den Händen geben, daß durch sie allein der Weg zur Seligkeit erschlossen werde. Habe Leo auch in der Übereilung seine Bulle erlassen, was anerkannt wurde, so sei er trotz seines Fehlers als Papst unfehlbar, und was er gesagt, könne nicht umgestoßen werden. Woher man das Geld nehmen wolle, um die Genuesen zu entschädigen? Adrian ward überstimmt. Ja, Soderini, der damals noch bei ihm in Gunst stand, machte geradezu geltend, es sei wider das eigne Interesse, gegen die Pracht, das Wohlleben und die Sitten des römischen Hofes einzuschreiten, weil es den Anschein gewinnen würde, als habe Luther durch sein Geschwätz das durchgesetzt. Tief niedergeschlagen bekannte der Papst endlich seinen Freunden, die ihm am nächsten standen, er sei traurig daran, er sehe wohl ein, daß es beim besten Willen außer der Macht der Päpste liege, das Gute durchzusetzen.

Clemens der Siebente hielt natürlich Leos Entscheidung aufrecht. Anderes aber verhinderte ihn, scharf gegen die Lutheraner einzuschreiten: die Streitigkeiten zwischen Rom und Kaiser brachen aus, die den Deutschen in solchem Grade zum Vorteile gereichten, daß, als nach zehn Jahren ein neuer Papst zu wählen war, die Lutheraner nicht mehr eine unbestimmte gärende Masse, sondern ein organisiertes Ganzes bildeten, das Angriffen zu widerstehen den Mut und die Macht besaß.

Unter Clemens war die neue Lehre in Italien bekannter geworden. Schon 1524, auf dem Reichstage zu Nürnberg, klagt der Legat des Papstes darüber, daß Luthers Schriften im Venezianischen eifrig gelesen würden. In Savoyen und Mailand wachse die Bewegung der geheimen Verbindungen, schreibt Erasmus von Rotterdam in demselben Jahre, mit Besorgnis in die Zukunft blickend. Im folgenden Jahre wird in Lucca Ablieferung aller lutherischen Bücher und deren Verbrennung anbefohlen. Das Wort Lutheraner gewann in Italien den Sinn, wie bei uns zu verschiedenen Zeiten die Beinamen demagogisch, demokratisch, kommunistisch und ähnliche. Das schreckliche Unheil Roms war durch »lutherische« Landsknechte herbeigeführt worden. Deshalb, als sich Florenz gegen den Papst erhob, suchte man mit ängstlicher Strenge das Ansehen dort von sich fern zu halten, als habe man ketzerische Hintergedanken. Jeder Disput über Glaubenssachen wurde verboten. Bruccioli, der im Verdacht stand, lutherische Ideen zu hegen, kam kaum mit dem Leben davon, und am eifrigsten gegen ihn zeigten sich die Piagnonen und die Brüder von San Marco. Nicht den Abfall von der katholischen Lehre, sondern nur deren Erhöhung habe Savonarola gewollt, erklärten sie. Es ist wunderbar, daß auch in der Folge, als überall die neue Lehre auftauchte, die Florentiner nie die mindeste Neigung für sie zeigten.

Ein wichtiges Zeugnis aber ist uns aufbewahrt, wie die gebildeten, hochstehenden Männer sogar zu Florenz damals ganz in der Stille über Luther dachten. Guicciardini, wenn er in seinem Geschichtswerke den Namen erwähnt, spricht korrekt im römischen Sinne über ihn und verdammt das von Luther kommende Unheil. Aber es sind Privataufzeichnungen von seiner Hand zutage gekommen, Hefte, in die er um 27 und 28 gelegentlich seine Gedanken niederschrieb, da redet er anders. Nur ein einziger Wunsch sei in ihm lebendig, das Aufhören dieser fluchwürdigen Priesterwirtschaft in seinem Vaterlande. Was ihn zwinge, sich bei geheimen Gedanken zu begnügen, seien, gesteht er offen ein, seine persönlichen Verhältnisse. »Immer«, so lautet einer seiner Stoßseufzer, »habe ich den Untergang des Kirchenstaates aus innerster Seele gewünscht, aber das Schicksal hat es gewollt, daß ich selbst mich unter zwei Päpsten nicht nur für die Vergrößerung ihrer Macht bemühen, sondern sie sogar zum Gegenstande meiner Wünsche machen mußte. Wäre diese Rücksicht nicht gewesen, so hätte ich Martin Luther wie mich selbst geliebt, denn ich hätte hoffen dürfen, seine Anhänger würden die Despotenwirtschaft der Geistlichen vernichtet oder ihnen doch die Flügel beschnitten haben.«

Die Mißachtung der römischen Zustände war so groß, daß es für solche Äußerungen, die Liebe zu Martin Luther allenfalls abgerechnet, gar nicht des Geheimnisses bedurft hätte. Clemens gab Machiavelli den Auftrag, eine florentinische Geschichte zu schreiben. Machiavelli spricht darin von den Neffen der Päpste und den Anstrengungen der ersten Priester der Christenheit, nicht die Kirche, sondern ihre Familien zu erheben. Aus diesen Neffen, sagt er, sind jetzt sogar Söhne geworden, und es bleibt den Päpsten nur noch übrig, wie sie darauf bedacht gewesen sind, fürstliche Nachkommen zu hinterlassen, nun auch darauf zu denken, das Papsttum zu einer erblichen Würde zu machen. Und eine Schrift mit solchen Dingen darin ließ Clemens sich zueignen, als dessen Sohn Alessandro dei Medici vom Volke bezeichnet wurde. Der Papst kümmerte sich wenig um dergleichen historische Betrachtungen; er duldete, daß Filippo Strozzi an der päpstlichen Tafel selbst die Religion verspottete und sich in den argen Reden, die er führte, für schlimmer als ungläubig zu erkennen gab. Man sah die Kirche und ihre Diener mit der Gesinnung an, mit der Lukian einst der antiken Priesterwirtschaft seiner Tage gegenüberstand. Man hatte keinen Sinn für das eigentlich Christliche im Gegensatze zum Heidnischen. Worauf es in Rom ankommt, schreibt Erasmus von Rotterdam 1527, ist, ein Mann zu sein, der gut ciceronianisch Latein schreiben kann; wer das nicht versteht, ist schlimmer als ein Ketzer. In ciceronianischen Wendungen wurde von den offiziellen Schriftstellern des Vatikans der Mangel an Gottesfurcht und an christlicher Zucht mit den tragischsten Ausdrücken, welche die lateinische Sprache beherbergte, beklagt und den Lutheranern gegenüber der Schein angenommen, als sitze in Rom eine Versammlung ganz in die Pflichten ihrer hohen Sendung vertiefter heiliger Männer, gegen die sich die deutschen Empörer als eine sittenlose, verbrecherische Rotte erhoben hätten.

Clemens ging mit Tode ab. Farnese, den wir, wenn Giulio der Zweite ein weißer Löwe genannt wurde, einen weißen Fuchs nennen könnten, kam ans Ruder zu einer Zeit, wo die im Boden schlummernden Keime überall in Italien offenbar zu werden begannen und notwendigerweise die bisher befolgte Politik gelegentlichen Einschreitens mit einer energischeren Behandlung vertauscht werden mußte. Durch die Landsknechte unter Bourbon sollen die lutherischen Ansichten zuerst nach Neapel verschleppt worden sein. Jedenfalls muß die seit Eroberung Roms fast ein Jahr lang dauernde Unfähigkeit des Papstes, als regierendes Oberhaupt der Kirche den leisesten Einfluß auszuüben, dazu beigetragen haben, den Italienern die Idee, daß sich auch ohne derartige Päpste leben lasse, als durchführbar zu beweisen. Um diese Zeit bildeten sich die ersten lutherischen Gemeinden in Italien, und zwar in allen Teilen des Landes. Und gerade weil es sich nicht um Raub von Kirchengütern, Aufhebung der Klöster und Gewinn von Rechten handelte, deren Besitz Fürsten oder Städte zur Ausbeutung des religiösen Umschwunges hätte reizen können, sondern da es den Leuten nur um den religiösen Inhalt der schwebenden Frage zu tun war, so konnten die, welche sich von ihr ergriffen fühlten, nur solche sein, die ganz aus sich selbst auf diese Dinge hingelenkt, sie in ihrer Tiefe faßten. Sie dachten nicht an Auflehnung gegen die Kirche, sie wollten sie nur reinigen. Ihnen kam die Anschauung, die man im Vatikan doch selber hegte, zugute, daß die deutschen Reformierten nicht als ausgeschieden aus dem Verbande der Kirche zu betrachten seien. Die katholische Lehre war damals so ungleich und vieldeutig, so wenig festgestellt in vielen Punkten: ihre Umgestaltung war in Rom zumeist so sehr als dringendes Bedürfnis empfunden, daß diejenigen, welche sich eingehend mit solchen Fragen beschäftigten, selbst wenn sie dabei eigene, vom Herkömmlichen abweichende Überzeugungen gewannen, in keiner Weise als Feinde der katholischen Lehre dastanden. Hinneigung zu Luthers Lehren bis auf einen gewissen Punkt war keine Ketzerei. Verkehr fand statt zwischen hervorragenden Reformierten und italienischen Laien und Geistlichen. Man suchte einander aufzuklären und die Bedingungen abzuwägen, unter denen man sich wieder vereinigen könne. Dazu bedurfte es des Studiums. Die streitigen Punkte wurden historisch, philosophisch, politisch erörtert. Und so entstand eine Bewegung in Italien, sanft anschwellend und ohne Gedanken an Gewaltsamkeit, deren Vertreter sich dicht bis an den Papst heran erstreckten und auf die Art und Weise, wie vom Vatikan aus die deutsche Sache behandelt wurde, den größten Einfluß hatten. Paul dem Dritten schien nichts näher am Herzen zu liegen als eine durch die mildesten Mittel herbeizuführende Erledigung. Kardinäle, deren versöhnliche Gesinnung bekannt war, gingen hin und her zwischen Rom und Deutschland, und obgleich sie zurückkehrend das Feuer mehr ins eigene Gebiet trugen, statt es im fremden zu löschen, schien der Papst doch selbst seine Freude zu haben an der Lebhaftigkeit, mit der sich in Italien die bedeutenderen Kräfte mit der Lösung der großen Frage beschäftigten. Zwischen den Häuptern der Katholiken und Reformierten wurde freundschaftlich unterhandelt; aufgegeben war die brutale Befehlshaberei, mit der die Legaten unter Leo auftraten; von Unterwerfung auf Gnade und Ungnade nicht mehr die Rede. Den Vorschlägen der Lutheraner wurde in Rom aufmerksame Beachtung zuteil, man machte Gegenvorschläge, der beste Wille ward gezeigt, und gegenseitig schien man nur das eine Ziel im Auge zu haben: Formeln ausfindig zu machen, die eine Art billiger Mitte hinstellend die Wiedervereinigung dem Wortlaute nach zuließen, ohne auf den genaueren Ausdruck dessen zu dringen, was nebenher von beiden Seiten stillschweigend im Sinne behalten wurde. Die Notwendigkeit einer schleunigen Reform wurde in Rom offiziell anerkannt. Schonungslos deckte man die eigenen Schäden auf. Eine zur Feststellung dieser Übelstände vom Papste eingesetzte Kommission von Kardinälen faßte das Resultat ihrer Beratungen in einer Reihe von Sätzen zusammen, bei deren Auffassung sie kein Blatt vor den Mund nahm. Nur einen führe ich an: es sei ein Skandal, daß Kardinäle am hellen Mittage in weltlicher Kleidung in der Gesellschaft berüchtigter Frauen erblickt würden. Nicht an den Frauen überhaupt wurde Anstoß genommen, sondern an der Qualität derselben. Wenn wir heute die Ehelosigkeit der katholischen Geistlichkeit besprechen, indem wir die zur Entbehrung der Familienfreuden verurteilten Einsiedler bedauern, so ist das ein Gesichtspunkt, den damals die wenigsten hegten. Es handelte sich nur darum, die herkömmlichen Verhältnisse der Geistlichen zu Frauen aus Rücksicht auf die allgemeine sittliche Sicherheit in Ehen zu verwandeln. In Deutschland besonders drang man darauf, weil es den Bürgern der eigenen Weiber und Töchter wegen notwendig schien. Denn daran dachte niemand, den geistlichen Herren ihre Verbindungen überhaupt verbieten zu wollen oder es für schändlich zu halten, wenn sie Kinder hatten.

Was Paul den Dritten jedoch bewog, so frei in Sachen Religion vorzugehen, waren zumeist politische Gründe, die gewiß schon für Clemens den Siebenten maßgebend gewesen wären, hätte sich dieser dem Kaiser gegenüber nicht allzu abhängig gefühlt. Paul konnte mit besseren Kräften die alte Politik wieder aufnehmen, mit Frankreich gegen Spanien und mit Spanien gegen Frankreich zu operieren. Unter dem Vorwande, die beiden Feinde Franz und Karl zu versöhnen, bediente er sich ihrer Streitigkeiten zum eigenen Gewinn. Sein Interesse forderte, sie womöglich bei gleichen Kräften zu erhalten. Und da Frankreich mit der Zeit in eine immer nachteiligere Stellung geraten war, mußte Karl zurückgehalten werden vor zu bedeutendem Machtzuwachs. Dieser wäre ihm zuteil geworden, hätte Deutschland sich ihm gefügt. Daher schon bei Clemens eine gewisse Sympathie mit den lutherischen Fürsten als politische Macht betrachtet. Paul aber ging weiter. Sein Bestreben war, mit den Deutschen unmittelbar in Verbindung zu treten und eine direkte Verständigung herbeizuführen. Dagegen aber stemmte sich der Kaiser und suchte seinerseits ohne den Papst die deutschen Fürsten zufriedenzustellen. Nicht durch Rom sollten sie zu ihm, sondern durch ihn Rom wieder zugeleitet werden, er wollte sie nicht nur zu Katholiken wieder, sondern vor allem zu seinen Untertanen machen. Und so, indem der Papst und Kaiser sich entgegenarbeiteten, beide nicht in der Lage, Gewalt anzuwenden, brachte dies die Lutheraner in eine so glänzende Position, wie sie nimmermehr hätten erringen können, wären sie auf ihre eigene Energie angewiesen gewesen.

Dieser befriedigende Zustand dauerte so lange in Deutschland und Italien, als der Papst auf diesem Wege etwas zu erreichen hoffte. Für das geistige Leben Roms glückliche Zeiten, deren Ruhe und hoffnungsreiche Arbeitsamkeit in um so angenehmerem Lichte erscheinen, als die jämmerlichen Zustände unter Clemens vorausgegangen waren. In jenen Jahren von 1535 bis 40 schien die unbekümmerte Freiheit der Tage Leos des Zehnten zurückgekehrt zu sein, wo alles erlaubt war und nichts verfolgt wurde. Paul der Dritte war ein Mann von Geschmack und liebte Glanz und prachtvolles Leben. Besser als Leo der Zehnte, der auf gut Glück oft Gesindel erhöhte und bedeutende Kräfte unberücksichtigt ließ, zog er eine Reihe ausgezeichneten Männer nach Rom und machte sie zu Kardinälen. Contarini, einen venezianischen Edelmann, der als Diplomat und Gelehrter im höchsten Ansehen stand; Polo, einen Verwandten der englischen Königsfamilie, der sein Vaterland aufgegeben hatte, als Heinrich der Achte sich zum Oberhaupt der englischen Kirche machte; Bembo, als Gelehrter jetzt einer der ersten Männer Italiens; Morone, Sadolet, Ghiberti und andere: alle klassisch gebildet, erfahren und vom Geiste wahrhaft menschlicher Mäßigung erfüllt. Diese bildeten die Gesellschaft, die im Vatikan den Ton angab. Ihr Bestreben war, die große Versöhnung herbeizuführen, durch welche die Lutheraner der römischen Kirche wiedergewonnen würden, um durch ihren Eintritt belebend selber auf sie einzuwirken.

Diesen Männern stand auch Michelangelo nahe. Nicht daß er täglich mit ihnen verkehrt hätte und tatsächlich hineingezogen worden wäre in die Interessen, die sie bewegten, aber der Grundzug ihres Strebens war der seinige. Er wußte, was sie hofften, und hegte in seiner Seele die Gedanken, um deren Befestigung von ihnen gekämpft wurde.

Dennoch, gerade da wir Michelangelo mit ihnen verbunden sehen, läßt auch seine Stellung wieder erkennen, wie weit entfernt man im Süden war, das was im Norden geschah, unmittelbar auf sich übertragen zu wollen. Man verhielt sich nicht zu Deutschland in theologischer Beziehung, wie in politischer etwa heutzutage ein Staat, der eine monarchische Regierung abschüttelnd sich an eine benachbarte Republik anschließen und ihre Formen zu den seinigen machen möchte. Es mag in Italien manche gegeben haben, die so dachten; die liberale Partei aber, als ein Ganzes betrachtet, teilte diese Ansichten nicht. So unabhängig wir Michelangelo finden, nichts verrät bei ihm feindliche Gesinnungen gegen Papst und römische Kirche; so versöhnlich Contarini, Polo und ihre Genossen erscheinen, die eine spätere Zeit geradezu lutherischer Umtriebe bezichtigen konnte, so wenig dachten sie daran, von der Machtvollkommenheit des Papstes den geringsten Teil aufzuopfern und die deutschen Ideen an die Stelle der italienischen zu setzen.

Was auch hätte diesen hochgebildeten Italienern die Lehre Luthers gewähren können, das sie nicht schon besaßen? Den Deutschen schloß sich die Bibel wie ein Geschenk des Himmels zum ersten Male auf. Man stürzte sich in die religiösen Fragen wie auf goldhaltigen Boden, von dem früher niemand recht gewußt, der plötzlich offen dalag und den jung und alt zu durchwühlen begannen. In Italien stand es anders. Man bedurfte keines Zuwachses an Material dort. Sie kannten die Bibel längst, sie besaßen Dante oder Petrarca, wenn sie sich mit der Phantasie in das Gefühl der Unsterblichkeit vertiefen wollten, sie hatten in den Werken der Kunst denselben Inhalt noch einmal, anders gestaltet. Michelangelo kommt in seinen Sonetten oft auf den Tod und die Unsterblichkeit zurück. In philosophischer Ruhe aber schreibt er seine Gedanken nieder, oft so weit entfernt von der biblischen Gesinnung, ohne die man dergleichen in Deutschland gar nicht hätte berühren dürfen, daß er eher für einen Schüler Platos als einen Christen gelten würde, wenn nicht die nagende Unruhe, die ihn über seine eigene Würdigkeit erfüllt, zeigte, wie sehr er es dennoch sei.


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