Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Auf Michelangelos Malerei in der Kapelle war unterdessen der Krieg nicht ohne Einfluß gewesen. Im September 1510 hatte der Papst Rom verlassen. Alsbald stockten die Zahlungen. »Lieber Vater«, schreibt Michelangelo, »heute morgen, am 5. September, habe ich Euren Brief empfangen und mit großer Betrübnis gelesen. Buonarroto ist krank, bitte schreibt mir auf der Stelle, wie es mit ihm steht. Hat er sich nicht gebessert, so komme ich nächste Woche nach Florenz. Freilich könnte mir die Reise zum größten Nachteil ausschlagen, denn ich habe kontraktmäßig noch 500 Dukaten zu erhalten, und ebensoviel war mir der Papst für die zweite Hälfte des Werkes schuldig, nun aber ist er abgereist, ohne irgendwelche Verfügungen zu hinterlassen, so daß ich ohne Geld dastehe und nicht weiß, was ich tun soll. Gehe ich fort, so könnte er das übel aufnehmen und ich dabei um das Meinige kommen oder sonst Verdruß haben. Ich habe an den Papst geschrieben und warte auf Antwort. Ist Buonarroto aber noch in Gefahr, so schreibt, und ich lasse alles stehen und liegen. Sorgt für alles, sollte Geld fehlen, so geht zum Spitalmeister von Santa Maria Nuova, zeigt ihm diesen Brief, wenn er Euch ohne das nicht glauben will, und laßt Euch 150 Dukaten auszahlen, soviel Ihr braucht, scheut keine Ausgabe. Und somit hofft das Beste: Gott hat uns nicht geschaffen, um uns in der Not zu verlassen. Antwortet umgehend, und schreibt deutlich, ob ich kommen soll oder nicht.«

Zwei Tage darauf ein neuer Brief an seinen Vater, fast wörtlich desselben Inhalts und nur mit der genaueren Angabe, daß ihm die 500 Dukaten sowohl für die Malereien als für das Gerüst vom Papste geschuldet wurden. Michelangelo scheint gefürchtet zu haben, daß der erste Brief verloren gegangen sei.

Am 10. Oktober meldet er Buonarroto, dessen Krankheit mithin keinen bösen Verlauf genommen hatte, daß er durch den Datario des Papstes 500 Dukaten empfangen habe. Den größten Teil des Geldes sendet er zugleich nach Hause. Wie wenig trotz dieser günstigen Wendung Michelangelo dennoch zu jener Zeit auf Rosen gebettet gewesen sei, zeigt das Ende des darauf folgenden Briefes. »Wenn du Michelangelo Tanagli siehst, so sag ihm von mir, ich hätte während der beiden letzten Monate so viel Verdruß gehabt, daß es mir unmöglich gewesen, ihm zu schreiben. Ich würde jedoch alles aufbieten, um einen Karneol oder eine gute Medaille für ihn aufzutreiben, und ließe mich für den Käse bedanken. Nächsten Posttag würde ich schreiben. Den 26. Oktober 1510.«

Der Posttag war immer der Sonnabend. Die Briefe wurden mit einer Oblate gesiegelt, zugleich aber noch ein Bindfaden umgeschlagen und dessen Enden in das Siegel mit eingedrückt.

Im Januar 1511 brachte Michelangelo endlich die Sache zum Abschluß. Er machte sich in Person auf. Bramante war als Ingenieur beim Papste damals, vielleicht daß Michelangelo gerade deshalb persönlich gehen zu müssen glaubte, um die Auszahlung der Gelder zu bewirken. Da die Belagerung von Mirandula bis zum 20. Januar dauerte, Michelangelo aber den 10. bereits wieder in Rom war, kann er den Papst nur im Lager vor Mirandula gesehen haben. Es ist seltsam, daß ihm, Condivi gegenüber, diese Reise ganz aus der Erinnerung geschwunden war.

»Vorigen Dienstag«, schreibt er am 11. Januar von Rom an seinen Bruder, »bin ich glücklich wieder angekommen, und das Geld ist mir ausgezahlt worden.« Anliegend sende er einen Wechsel über 228 Dukaten. Dem Araldo solle Buonarroto sagen, er möge ihn dem Gonfalonier empfehlen, ihm danken und mitteilen, daß er nächsten Sonnabend schreiben würde. Zum Schluß: »Halte die Kiste in gutem Verschluß und meine Kleider, damit sie mir nicht wie Gismondo gestohlen werden.« Michelangelo war, scheint es, über Florenz gegangen und hatte mit Soderini verhandelt. Die Jahreszahl 1510, welche der Brief trägt, ließ Zweifel aufsteigen, ob der Brief nicht ein Jahr früher zu setzen sei, aber der Umstand, daß dieselbe Zahl bei der Empfangsangabe des Briefes von Buonarroto außen auf das Kuvert gesetzt worden ist, zeigt, daß Michelangelo diesmal die florentinische Rechnung beibehalten hatte und daß mithin nach römischer 1511 zu verstehen sei.

Am 20. Januar also hatte Mirandula kapituliert. Mit sechzig Pfund Goldes wurde den Päpstlichen die Plünderung abgekauft. Jetzt kam Ferrara an die Reihe. Der Papst aber mußte nach Bologna zurück, weil er den Strapazen unterlag.

Ein Brief Michelangelos vom 23. Februar läßt es ungewiß, ob er jetzt den Papst zum zweitenmale aufsuchte. »Ich glaube«, schreibt er an Buonarroto, »daß ich binnen kurzem noch einmal nach Bologna werde zurück müssen, denn der Datario des Papstes, mit dem ich von dort kam, versprach mir, als er von hier zurückging, er werde dafür Sorge tragen, daß ich fortarbeiten könnte. Nun aber ist er schon einen Monat fort, und ich höre kein Wort von ihm. Ich will es diese Woche noch abwarten, dann aber, wenn nichts dazwischenkommt, gehe ich nach Bologna ab und komme bei euch durch. Teile es dem Vater mit!« Jetzt endlich erlangte Michelangelo in Bologna, was er wollte. Er fand Leute in der Umgebung des Papstes, denen er seine Lage überzeugend darstellte. Von den paar tausend Scudi, welche er durch sie erlangte, gab er dem einen hundert, dem anderen fünfzig ab und machte sich nach Rom zurück, wo er im Februar 1511 die Malerei wieder aufnahm, die er nun in 20 Monaten zu Ende führte. Wir haben viele Briefe aus diesem Zeitraume. Einigemale schreibt er ganz verzweifelt. Er nennt sich krank, er sagt von sich, daß er mehr trage, als je ein Mensch getragen habe, aber er brachte es zum erwünschten Ziele.

Man begreift allerdings, warum es Michelangelo so schwer gefallen war, den Papst in Bologna für seine römischen Malereien wieder zu erwärmen. Giulio hatte den Kopf voll andrer Dinge. Im Februar 1511 trat in Mantua der Kongreß zusammen, der den Frieden feststellen sollte, der Krieg aber nahm trotzdem seinen Fortgang und der Papst tätigen Anteil. Der Kaiser und der König von Frankreich hatten für das Frühjahr einen Feldzug gegen Venedig vor und wollten den Papst zwingen, sich ihnen anzuschließen. Wenn nicht, war man entschlossen, ein Konzil zu berufen, das heißt, Giulio abzusetzen. Dieser dagegen hoffte Venedig und den Kaiser auszusöhnen und mit dem Hinzutritt Spaniens eine allgemeine Koalition gegen die Franzosen ins Werk zu setzen.

Der Erzbischof von Gurk wurde als Abgesandter des Kaisers mit ausgezeichneten Ehren in Bologna vom Papste empfangen; kaum aber begann er von Ferrara zu reden, als Giulio ihn wütend unterbrach. Ehe er hier seine Ansprüche aufgebe, wolle er lieber das Leben und die Krone verlieren. Man vereinigte sich nicht. Trivulzio, der nach Chaumonts Tode die Truppen des Königs von Frankreich in der Lombardei befehligte, rückte wieder los auf Bologna und trieb die kampflos zurückweichende Armee des Papstes vor sich her auf die Stadt zu. Der Papst suchte sie zum Stehen zu bringen, er wollte selbst in ihre Mitte eilen, aber die Gefahr war zu dringend, denn seine spanischen Hilfstruppen erklärten plötzlich, daß sie abziehen würden. Der Erzbischof von Gurk hatte das in Bologna beim spanischen Gesandten erwirkt. Giulio, schon auf dem Wege zu seinen Leuten, mußte umkehren auf diese Nachricht. Wiederum ließ er die Behörden der Stadt zusammentreten, hielt ihnen die Lage der Dinge vor und wich dann aus Bologna nach Ravenna. Den Kardinal von Pavia ließ er in Bologna zurück. Die päpstliche Armee lag außerhalb der Stadt. Die Bürger erklärten, keinen Soldaten Einlaß in die Stadt gewähren zu wollen, sie würden sich allein verteidigen.

Der Kardinal hatte ein paar hundert leichte Reiter und gegen tausend Mann Infanterie, ungenügend, einen so umfangreichen Platz zu besetzen. Mit Urbino, der draußen lagerte, stand er im schlechtesten Verhältnisse. Jeder hätte mit Freuden den Ruin des andern gesehen. Der Kardinal nahm jetzt einen Teil des bewaffneten Volkes in seine Dienste und gab einige Punkte der Stadt in die Hände dieser Leute. Eines der Tore kam so in den Besitz der Anhänger der Bentivogli, denen man sogleich ins französische Lager Botschaft sandte, der Eintritt in die Stadt stehe frei, sie sollten kommen. Der Kardinal erkannte seinen Fehler und hoffte ihn dadurch wieder gutzumachen, daß er dem neugeworbenen Volke den Befehl gab, sich auf der Stelle zum Herzog ins Lager zu begeben, dieser habe es verlangt. Man antwortete, daß man die Stadt zu behüten habe und seinen Posten nicht aufgeben werde. Nun versuchte er tausend Mann erprobter Truppen von draußen hereinzubringen, denen aber öffnete man die Tore nicht. Mit dem Gefühle, die Gewalt verloren zu haben und im Bewußtsein, durch Grausamkeit und Habsucht verhaßt zu sein, warf sich der Kardinal jetzt in das Kastell, so rasch, daß er seine Kassen und Edelsteine mitzunehmen vergaß, erinnerte sich jedoch noch beizeiten daran, ließ sie nachholen, packte zusammen und flüchtete von wenigen Reitern begleitet in südwestlicher Richtung nach Imola.

Sogleich verbreitete sich die Nachricht, daß er fort sei. Das Volk erhob sich. Die Bentivogli draußen erfuhren, wie es stände und machten sich auf. Um Mitternacht trafen sie in Bologna ein. Mit Fackeln ging der Zug durch die Straßen nach dem Palaste der Regierung. Eine Statue des Papstes, die aus vergoldetem Holze gefertigt über der Türe des Palastes aufgestellt war, wurde heruntergerissen, auf dem Platze umhergeschleift und verbrannt, während man nach dem Werke Michelangelos die Musketen abschoß.

Kaum hatte Urbino im Lager die Flucht des Kardinals vernommen, als er selber unverzüglich aufbrach. Alles ließ er im Stich; fünfzehn Stück schweres Geschütz, die Fahnen, Wagen, Gepäck und selbst die Habseligkeiten der letzten Abzügler, die von den Franzosen aufgegriffen wurden, fielen in die Hände des Feindes. Die Zitadelle von Bologna kapitulierte, nachdem sie sich noch vierzehn Tage gehalten, und wurde vom Volke niedergerissen.

In Ravenna, wo der Papst sich befand, trafen Urbino und der Kardinal von Pavia zusammen. Auf offener Straße, wo sie sich begegneten, erstach der Herzog den Kardinal mitten unter seinen Begleitern. Der Papst schrie auf zum Himmel und heulte, daß ihm sein bester Freund geraubt worden sei, der Herzog dagegen schwor heilige Eide, Pavia sei ein Verräter gewesen und trage Schuld an allem Unheil. Zu gleicher Zeit kam die Nachricht, auch der Herzog von Ferrara habe sein Herzogtum wieder in Besitz genommen, und Trivulzio stehe mit der Armee an der Grenze des Gebietes zwischen Ravenna und Bologna. Er erwarte nichts als die Anweisung seines Königs, um in die offen daliegenden päpstlichen Staaten einzurücken.

Ludwig aber war sehr darum zu tun, den Schein des gehorsamen Sohnes der Kirche zu bewahren. Statt gewaltsam vorzugehen, begann er zu unterhandeln. Auch die Bentivogli mußten dem Papst erklären, daß sie Bologna nur als gehorsame Söhne der Kirche in Besitz hielten. Der Papst machte sich auf nach Rom. In Rimini hörte er zuerst, daß in Bologna, Modena und anderweitig schon die Plakate öffentlich angeschlagen wären, auf denen er vor das Konzil nach Pisa gefordert würde, wo sich die Kardinäle zu versammeln begannen. So traf er in Rom wieder ein, ohne Heer, ohne Bologna, ohne den Kardinal von Pavia, alt, krank, angeklagt und vor Gericht gefordert, aber in der Seele die alte Hartnäckigkeit und die Begierde, an seinen Feinden Rache zu nehmen.


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