Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

1508-1509

I

Michelangelo fand, als er nach Florenz zurückkam, eine Reihe von Arbeiten vor, deren Fortführung notwendig war. Der Karton mußte gemalt, der Bronzedavid beendigt werden; die zwölf Apostel für den Dom waren kaum begonnen. Bei diesen hatten die Besteller einstweilen die Hoffnung aufgegeben und das dafür gebaute Haus vermietet. Michelangelo nahm es jetzt selber auf ein Jahr für zehn Goldgulden, doch wohl zu keinem anderen Zwecke, als um die Arbeit darin vorwärts zu bringen. Endlich, Soderini hatte einen großen Plan: es sollte eine kolossale Statue auf den Platz vor dem Regierungspalaste kommen und Michelangelo sie ausführen. Über den Block verhandelte man bereits mit dem Besitzer von Carrara, dem Marchese Malaspina.

Alles dies mußte jedoch zurückstehen gegen das Grabdenkmal Giulios. Michelangelo blieb nur den März 1508 in seiner Vaterstadt und ging dann wieder nach Rom. Er dachte nicht anders, als seine Kräfte ganz dem großen Werke zu widmen, das er vor zwei Jahren verlassen hatte, allein davon war keine Rede jetzt im Vatikan. Dem Papste war nicht wieder auszureden, die Aufstellung eines Grabdenkmales bei seinen Lebzeiten sei ein böses Omen. Michelangelo sollte die Wölbung der Sixtinischen Kapelle malen. Es war der alte Wunsch Giulios, auf den er wieder zurückkam.

Der Auftrag war Michelangelo durchaus nicht zu Sinne. Er erwiderte, daß er in Farbe nie etwas getan habe und um andere Arbeit bitten müsse. Sein Widerspruch jedoch machte den Papst nur um so hartnäckiger, und Giuliano di Sangallos vermittelnder Einfluß brachte es diesmal dahin, daß Michelangelo auf die Sache einging.

Die Sixtinische Kapelle, heute durch verschiedene Bauten späteren Datums so mit dem vatikanischen Palaste verbunden, daß ihre äußere Architektur in dem großen Ganzen völlig drinsteckt, ist ein viereckiger Raum, über das Doppelte so lang als breit und von bedeutender Erhebung, so daß er hoch und schmal erscheint. Die Wände sind glatt, die Fenster, je sechs an der Zahl, verhältnismäßig schmal und niedrig und dicht unter der gewölbten Decke an den beiden längeren Seiten angebracht. Nahe unter ihnen bildet ein schmaler, krönungsartig vorspringender Mauerabsatz, der heute mit einer niedrigen metallnen Balustrade geschützt ist, eine Galerie, auf der sich entlang zu drängen viele schwindlig machen würde. Die Fenster sind oben gerundet. Über ihnen setzt das glatte Gewölbe der Decke an die Seitenwände an, und zwar so, daß die Zwickel immer zwischen den Fenstern spitz in die Wand herab verlaufen.

Zuerst ging die Absicht des Papstes nur dahin, den mittleren Teil der Deckenwölbung mit Gemälden von geringer Figurenzahl ausfüllen zu lassen. Es kam ein Kontrakt zustande, nach welchem der Preis für alles in allem auf 3000 Scudi festgestellt wurde. »Heute, am 30. Mai 1508«, lautet eine auf uns gekommene Notiz, »habe ich, Michelangelo, der Bildhauer, von Seiner Heiligkeit Papst Giulio dem Zweiten fünfhundert Dukaten erhalten, welche mir Messer Carlino, der Kämmerer, und Messer Carlo Albizzi auf Rechnung der Malerei ausgezahlt haben, mit der ich heutigentages in der Kapelle des Papstes Sixtus beginne, und zwar unter den kontraktlichen Bedingungen, welche Monsignor von Pavia aufgesetzt und ich mit eigener Hand unterschrieben habe.«

Michelangelo begann darauf, seine Entwürfe zu machen. Bald überzeugte er sich, daß die Malerei in dieser Weise ausgeführt, zu einfach und erbärmlich erscheinen müsse, und der Papst stimmte ihm bei. Es wurde nun beschlossen, den ganzen Raum bis zu den Fenstern mit Gemälden zu bedecken, und Michelangelo freigestellt, die Kompositionen nach eigenem Gutdünken zu schaffen. Ein neuer Kontrakt erhöhte den Preis dafür auf das Doppelte, und die Arbeit in der Kapelle wurde in Angriff genommen.

Ehe es jedoch hier zum Malen kam, waren eine Anzahl Schwierigkeiten zu überwinden, deren erste in der Errichtung eines brauchbaren Gerüstes bestand. Bramante hatte Löcher durch die Wölbung der Decke geschlagen, Stricke hindurchgelassen und auf diese Weise ein schwebendes Gerüst hergestellt. Michelangelo fragte, wie er es denn bei der Malerei mit den Löchern halten solle? Bramante gab den Übelstand zu, ohne jedoch zu wissen, wie ihm abzuhelfen sei. Es scheint nicht, daß es Übelwollen von seiten Bramantes war, wenn er kein besseres Gerüst bauen zu können erklärte. Das einfachste wäre gewesen, es vom Boden aus auf Balken in die Höhe zu bringen. Daraus aber, daß dies nicht geschah und daß man nicht einmal daran dachte, ergibt sich vielleicht, daß es bei seiner Errichtung zugleich darauf ankam, die Kapelle unten frei zu lassen, damit durch die Arbeit ihre Benutzung für gottesdienstliche Zwecke nicht verhindert würde.

Michelangelo erklärte dem Papste, so ginge die Sache nicht. Giulio erwiderte, er möge selber etwas Besseres erfinden, wenn er könne. Bramante stand dabei. Michelangelo ließ hierauf alles wieder fortnehmen, was dieser eingerichtet hatte, und stellte ohne Stricke und Löcher ein Gerüst her, das seinem Zwecke aufs Angemessenste entsprach und damals als eine ganz neue Erfindung galt. Aus der einen Bemerkung Condivis, daß das Gerüst, je mehr man es belastet habe, um so besser gehalten hätte, läßt sich erkennen, daß es ein sogenanntes Sprengewerk war; wahrscheinlich gab der Mauervorsprung unter den Fenstern die Stützpunkte für die Balken ab, die, je zwei schräg gegeneinander laufend und durch einen dritten keilartig zwischeneingelegten Balken auseinandergestemmt, feste Spannungen bildeten, auf denen sich vermittelst quergelegter Bretter der Boden des Gerüstes herstellen ließ. Vasari aber, der auch hier Condivi ausschreibt, von dem Seinigen jedoch dazu tut, sagt, die Balken hätten auf Stützen geruht, um die Mauer nicht berühren zu müssen. Vielleicht hatte er den Mauervorsprung nur vergessen, denn hätte dieser gefehlt, so wäre allerdings die Aufrichtung von Balken an den Wänden nötig gewesen, auf deren Köpfen die das Sprengewerk bildenden Hölzer ihre Stütze gefunden hätten.

Von dieser Gerüstkonstruktion sagt Condivi, sie habe Bramante die Augen geöffnet und ihm später beim Bau des Sankt Peter wesentliche Dienste geleistet. Michelangelo aber hätte dabei so viel Stricke erübrigt, daß ein armer Zimmermann, dessen Hilfe er sich bei der Arbeit bediente und dem er das Tauwerk zum Geschenk gemacht, seinen zwei Töchtern mit dem daraus gezogenen Gelde eine Aussteuer schaffen konnte.

Die zweite Not bestand in der Wahl tüchtiger Gehilfen. Michelangelo ließ eine Anzahl Maler aus Florenz kommen, deren Namen deshalb von Interesse sind, weil sie uns einen Teil der buonarrotischen Partei unter den dortigen Künstlern zeigen. Zuerst sein ältester Freund Granaccio, über dessen Werke und Lebenslauf im übrigen wenig zu sagen bleibt. Er fuhr fort, wie er angefangen hatte; wo es sich um feierliche Einholungen, Aufführung von Komödien, Errichtung von Triumphbögen oder um Maskeraden handelte, zeichnete er sich aus, als Künstler hat er weniger geleistet. Sodann Bugiardini, der gleichfalls im Garten von San Marco und bei Grillandaio mit in der Lehre gewesen war und dessen Fleiß, Herzensgüte und einfaches Wesen, dem sich keine Spur von Neid oder Mißgunst beimischte, die Grundlage lebenslänglicher Freundschaft mit Michelangelo bildeten. Ein großer Genius war Bugiardini nicht. Michelangelo sagte im Scherz von ihm, er sei ein glücklicher Mensch, weil er immer so zufrieden sei mit dem, was er zustande gebracht habe, während er selbst niemals ein Werk zu völliger, eigener Befriedigung vollendet hätte.

Indaco ferner, auch dieser aus der Schule des Grillandaio her Michelangelos genauer Freund. Einen anderen Anspruch auf Berühmtheit hat er heute nicht mehr. Von Jacopo del Tedesco ist weiter nichts bekannt, als daß er möglicherweise ein Schüler Grillandaios war, und bei Agnolo di Donnino versagen Quellen und Vermutungen jede Auskunft. Der bedeutendste von denen aber, die damals nach Rom kamen, war Bastiano di Sangallo, ein Schwestersohn jener berühmten Brüder und Gönner Michelangelos, zugleich ein Künstler, der als erklärter Renegat die Schule Peruginos verlassen hatte, in dessen Atelier er 1500 arbeitete, und zu Michelangelo übergegangen war. Der Karton der badenden Soldaten hatte ihm höhere Ansichten eingeflößt. Er gehörte zu Michelangelos eifrigsten Anhängern. Keiner zeichnete mit solchem Eifer nach dem Karton. Er ist der einzige gewesen, der ihn seinem ganzen Umfange nach kopierte, während andere nur einzelne Gruppen zeichneten. Die in England befindliche kleine, grau in grau gemalte Kopie des Werkes wird für seine Arbeit ausgegeben. So gescheit und eingehend soll er über die anatomische Richtigkeit und die Verkürzungen der Figuren darauf gesprochen haben, daß man ihm in Florenz den Obernamen Aristotile gab, unter dem er gewöhnlich angeführt wird. Als Architekt und Maler spielte er in späteren Jahren eine Rolle in Rom und Florenz, und sein von Vasari beschriebenes Leben nimmt viele Seiten ein.

Mit diesem halben Dutzend versuchte es Michelangelo. Bald bemerkte er, daß die Arbeit nichts wert sei. Die Art, wie er sie nun wieder los zu werden suchte, ist charakteristisch. Er war fest und unbeugsam in seinen Überzeugungen Feinden gegenüber, aber schüchtern von Natur bei gewöhnlichen Gelegenheiten. Wo es sich darum handelte, andere zu verteidigen oder für die eigene Ehre schroff einzutreten, fehlten ihm Entschlossenheit und Stärke nicht, wo aber diese Erregung des Geistes nicht zum Ausbruch kommen konnte und das Gefühl eine gewisse mittlere Temperatur behielt, ertrug er die Dinge und war leicht in Verlegenheit zu setzen.

So hatte er diesmal nicht das Herz, seinen Freunden einzugestehen, daß er sie nicht brauchen könne. Gleich bei ihrer Berufung war der Fall ins Auge gefaßt worden, daß man, wie die eigenen Worte Michelangelos lauten: sich veruneinigte und die Abfindung festgesetzt, mit der sie sich zu begnügen hätten: Michelangelo aber, statt sich auszusprechen, ging ihnen plötzlich aus dem Wege und war nirgends aufzufinden. Die Kapelle, als sie zur Arbeit wie gewöhnlich kamen, fand sich verschlossen. Endlich merkten sie die Sache, und sie machten sich still wieder auf den Weg nach Florenz. Es wird nicht erzählt, ob sie es ihm später nachgetragen haben. Von Granaccio wissen wir, daß es nicht der Fall war. Er blieb der Freund der Familie. Von einem andern freilich zeigen die Londoner Briefe, daß er die Sache krumm nahm, und zwar von demselben Jacopo, der, weil er vielleicht der unbedeutendste war, sich am meisten beleidigt fühlte. Der Brief, datiert vom Januar ohne weitere Zahl, aber ohne Zweifel ins Jahr 1509 zu setzen, ist an den alten Lodovico gerichtet: »Schon ein Jahr ist es«, schreibt Michelangelo, »daß ich keinen Groschen vom Papste erhalten habe. Ich bitte nicht darum, weil es mit dem Werke nicht vorwärts will und ich mir keinen Anspruch auf Lohn zu haben scheine. Schuld daran hat die Schwierigkeit der Arbeit und daß sie nicht mein Handwerk ist. So verliere ich umsonst meine Zeit, Gott helfe mir. Wenn ihr Geld braucht, so geht zum Spitalmeister und laßt euch fünfzehn Dukaten auszahlen und schreibt mir, wie viel übrigbleibt.« Dieser Spitalmeister von Santa Maria Nuova war der Vertrauensmann, dem Michelangelo seine Gelder zur Aufbewahrung und ohne Zinsen dafür zu empfangen überlieferte, und von dem er den Seinigen, was sie bedurften, in die Hände geben ließ.

»Dieser Tage«, heißt es im Briefe weiter, »ist von hier der Maler Jacopo abgereist, den ich herzukommen veranlaßte, und der sich sehr über mich beklagt hat. Er wird sich auch wohl bei euch beschweren. Macht nichts daraus. Er ist, um es kurz zu sagen, tausendfach im Unrecht gegen mich, und ich könnte im höchsten Grade Klage über ihn führen. Tut, als sähet ihr ihn nicht.«

Das Auskunftsmittel, das er gegen Jacopos Klagen vorschlägt, entspricht ganz der Art und Weise, wie er ihn und die anderen fortgeschickt hatte. Die traurige Stimmung, in der er sich befand, und das Verzweifeln am Fortschritte der Malerei aber hatte in einem Umstande seinen Grund, der ihn damals gerade beinahe dahin gebracht hätte, das Ganze aufzugeben.

Er hatte heruntergeschlagen, was die Florentiner Künstler gemalt. Von jetzt an sollte ihm außer seinem Farbenreiber, den er nicht entbehren konnte, und außer dem Papste, der sich nicht abweisen ließ, kein Mensch auf die Gerüste kommen. Kaum aber hatte er einen Teil des ersten Gemäldes zustande gebracht, als beim Eintreten eines heftigen Nordwindes die Mauer innen auszuschlagen begann und die Farben unter dem Schimmel verschwanden. Längst war ihm die ganze Sache zur Last geworden, jetzt erschien ihm das neueste Unheil als entscheidender Grund, sich dem Auftrage dennoch zu entziehen. Er ging zum Papste und meldete, was geschehen sei. »Ich hatte es Eurer Heiligkeit gleich gesagt, daß Malerei nicht mein Handwerk sei; alles, was ich gemalt habe, ist verdorben. Wenn Ihr es nicht glauben wollt, so sendet hin und laßt nachsehen.«

Der Papst schickte Giuliano di Sangallo in die Kapelle, der die Ursache des Übels erkannte. Michelangelo hatte den Kalk zu naß aufgetragen, die Feuchtigkeit sich gesenkt und auf der äußeren Fläche Schimmel angesetzt, der weiter keinen Schaden tat. Michelangelo konnte sich nicht mehr entschuldigen und mußte wieder hinauf an seine Arbeit.

Aus dem Jahre 1508, in dem es, wie wir sahen, noch kaum zum Malen gekommen war, und aus den folgenden Jahren bieten die Londoner Manuskripte viele Briefe, welche über die Verhältnisse, unter denen Michelangelo arbeitete, Aufschluß geben.

Zuerst ein Schreiben vom 2. Juli 1508 an Buonarroti. Es soll einem jungen spanischen Künstler zur Empfehlung dienen, der von Rom nach Florenz ging, um dort seine Studien fortzusetzen. »Er hat mich gebeten«, schreibt Michelangelo, »ihm doch die Ansicht des Kartons zu verschaffen, den ich im Saal begonnen habe. Suche ihm deshalb unter allen Umständen die Schlüssel zu verschaffen, und kannst du ihm sonst guten Rat geben, so tue es mir zuliebe, denn es ist ein vortrefflicher Mann.«

»Giovansimone«, fährt er fort, »ist hier. Vergangene Woche war er krank und hat mir zu allem, was ich ohnedies schon zu tragen habe, keinen geringen Zuwachs an Sorge gemacht. Jetzt geht es besser mit ihm. Hört er auf meinen Rat, so kehrt er bald nach Florenz zurück, denn die Luft hier bekommt ihm nicht.« Zum Schlusse nennt er noch einige Namen von Freunden, denen ihn Buonarroto empfehlen solle.

Der Sommer 1508 muß besonders verderblich gewesen sein (der erste vielleicht, den Raffael in Rom zubrachte), denn ein anderer Brief handelt von einem neuen Krankheitsfalle. Sein Diener Pierbasso ist der bösen Luft unterlegen und hat sich, krank wie er war, nach Florenz aufgemacht, war aber so elend bei der Abreise, daß Michelangelo fürchtet, der Mensch möchte unterwegs liegengeblieben sein. Er verlangt einen andern Diener, und zwar rasch, da er so allein nicht mehr fortwirtschaften könne. Er gibt Anweisungen wegen der Erbschaft Francesco Buonarrotis, ältesten Bruders seines Vaters, der, kinderlos wie es scheint, in seinem 75. Jahre gestorben war. Er bittet, blaue Farbe für ihn zu kaufen, Mitte August werde er das Geld dafür schicken. Schließlich, er habe gehört, daß man dem Spanier den Eintritt in den Saal, wo der Karton stand, verweigere; es sei ihm das sehr lieb, und er bitte Buonarroti, den Herren, welche darüber zu bestimmen hätten, gelegentlich zu sagen, sie möchten es jedermann gegenüber so halten. Als Nachschrift, den einliegenden Brief möge er Granaccio zukommen lassen, er sei von Wichtigkeit.

Datiert ist der Brief vom letzten Juli. Aus dem Auftrage, Farbe zu kaufen, könnte man schließen, Michelangelo habe mit der Malerei bereits den Anfang gemacht. Allein es handelte sich wohl nur um die Vorbereitungen, und der Brief an Granaccio enthielt wahrscheinlich die Einladung, zu kommen und zu helfen. Auffallend ist, daß der Karton so streng verschlossen wurde, daß die Empfehlung des Meisters selber keinen Nachlaß bewirkte. Zu jener Zeit also können die jungen Florentiner Künstler noch nicht davor gesessen und gezeichnet haben.

Ein anderer Brief ist vom August. Wieder Geschäftsangelegenheiten. Man sieht, wie Michelangelo von seiner Familie um das Geringste befragt wird, und wie er den Florentiner Haushalt von Rom aus dirigiert. Ein Feldarbeiter hatte diesmal seine Pflicht nicht getan, Michelangelo droht, selbst zu kommen und nachzusehen. Er fragt, ob Pierbasso endlich angelangt sei. Diese Briefe gewähren immer nur plötzliche Einblicke in eine Wirtschaft, die man doch nicht verstehen lernt, ihr Wert liegt am meisten darin, daß sie die Stellung zeigen, die Michelangelo zum Vater und zu den Brüdern einnimmt, und das Gefühl, aus dem er handelt. Die Datierung und Zusammengehörigkeit dieser Briefe ergibt sich aus der Stimmung, von der sie erfüllt sind. Die tief in Michelangelos Seele liegende Trauer, die er meistens versteckte oder milderte, bricht hier einmal durch und zeigt den Mann in der Zeit, wo er am Größten arbeitete was die moderne Malerei geschaffen hat, in einem Zustande, der unser Mitleid fordert.

In einem dieser Briefe, der kein anderes Datum als die aufgeschriebene Bemerkung trägt, daß er am 17. Oktober in Florenz angekommen sei, wird der jüngere Bruder Gismondo erwähnt, mit dem Michelangelo von Anfang an in keinem guten Verhältnisse gestanden zu haben scheint. Er vernehme, schreibt er, daß Gismondo nach Rom kommen wolle. Buonarroto möge ihm in seinem Namen sagen, daß er sich bei dieser Reise in keiner Art auf ihn verlassen dürfe. Nicht daß er ihn nicht als seinen Bruder liebe, sondern weil er ihn in der Tat mit nichts unterstützen könne. Er sei gezwungen, jetzt einzig und allein auf seine eigene Person Rücksicht zu nehmen, kaum daß er für sich selbst seine Bedürfnisse zu schaffen imstande sei. Mit Sorgen und körperlicher Arbeit überlastet, habe er keinen Freund in Rom, brauche auch keinen, finde kaum Zeit, sein bißchen Essen zu sich zu nehmen, und deshalb solle man ihm nicht noch mehr aufbürden. Kein Lot schwerer vermöge er zu tragen, als ihm jetzt schon auf dem Rücken liege. Er muß, nur um für die Seinigen zu sparen, das erbärmlichste Leben geführt haben.

In dieselbe Zeit scheint der Brief zu gehören, worin Michelangelo auch seinem Bruder Giovansimone den Kopf zurechtsetzt. »Giovansimone«, schreibt er, »man pflegt zu sagen, ein guter Mensch werde besser, wenn man ihn gut behandle, ein schlechter aber noch viel schlechter dadurch. Wieviel Jahre nun schon habe ich in allem Gutem vergebens versucht, dich mit deinem Vater und uns andern im Guten zu halten. Für dich aber ist das nur ein Anlaß gewesen, es immer ärger zu treiben. Ich will nicht geradezu behaupten, daß du schlecht seiest, aber du lebst so, daß du mir und den andern ein fortwährender Anstoß bist. Ich will dir keine lange Rede darüber halten: es würden doch immer nur Worte sein, deren ich schon genug verschwendet habe: Folgendes aber will ich dir als die dürre Wahrheit hiermit aussprechen. Auch nicht das Geringste hast du in Händen, was dir gehörte! Alles, was du gekostet hast und daß du wieder nach Hause kommen konntest, verdankst du mir allein! Ich schenke es dir, und du hast überhaupt bis heute von dem gelebt, was ich dir geschenkt habe, um Gottes willen und weil ich dich als meinen Bruder liebte wie die andern. Jetzt aber sehe ich dich nicht mehr als meinen Bruder an. Denn wenn du wirklich mein Bruder wärest, würdest du meinem Vater nicht gedroht haben, wie du getan hast. Du bist ein Tier, – anzi sei una bestia – und als ein Tier sollst du von mir behandelt werden. Du weißt wohl, daß, wenn man die Hand gegen seinen Vater erhebt, es auf Leben und Tod geht. Damit laß dir genug sein.« (Ein Tier hat keine Seele nämlich und verfällt deshalb, italienischer Anschauung zufolge, ewiger Vernichtung.)

»Das also weißt du, daß du nicht einen Pfennig hast, der dir selber gehörte. Kommt mir noch ein Wort zu Ohren über dich, so setze ich mich auf und erscheine selbst in Florenz und will dir die Sache noch klarer machen. Ich will dich dann lehren, dein Hab und Gut verschleudern und Feuer im Hause anlegen und in den Gütern, von denen du auch nicht eine Scholle selber erworben hast. Meinst du, auf deinem Grund und Boden zu stehen? Laß mich nur kommen, du sollst mitten aus deinem Übermute heraus wie ein Kind wieder heulen lernen.«

»Zugleich aber wiederhole ich dir: wenn du mir versprechen willst, ein anderes Leben zu beginnen und deinen Vater ehrfurchtsvoll zu behandeln, so werde ich dir ferner beistehen wie den andern und werde dir sobald als möglich ein Geschäft zu gründen suchen. Willst du das aber nicht, so komme ich und bringe die Sachen selber in Ordnung, und du wirst dann merken, was du hast und was du bist, anders als du es bisher gewußt hast, und meine Sorge soll dann auch sein, für die Zukunft dir aufzupassen. Genug. Wozu so viel Worte, die Erfahrung wird dir gründlicher zeigen, was ich im Sinne habe.

Michelangelo in Rom.«
 

»Nur das noch sollst du jetzt hören. Zwölf Jahre sind es nun, daß ich im Elend durch ganz Italien von einem Orte zum andern gehe, jede Mißhandlung erduldet, jeder Entbehrung mich unterzogen habe, mit abgemarterten Gliedern und tausendmal in Lebensgefahr: und alles nur für die Meinigen. Und nun endlich, wo es mir gelingt, euch ein wenig in die Höhe zu bringen, möchtest du allein in einer Stunde wieder zunichte machen, was mich aufzurichten so viele Jahre und soviel Anstrengungen gekostet hat. Aber beim Leichnam Christi, das soll nicht sein! Es sollten zehntausend kommen, wie du bist, ich wollte mit ihnen schon fertig werden, wenn es sein müßte. Und nun sei vernünftig und rühre mich nicht an, der ich stärkere Arme und Schultern für die Lasten des Daseins habe.«

Wem das zu hart erscheinen möchte, der lese in andern Briefen, auf welche Weise Michelangelo den Seinigen in der Tat zu Hilfe kam, die all ihre Bedrängnis ihm zutrugen als demjenigen, der gleichsam verpflichtet sei, ihnen beizuspringen. Giovansimone hatte in leichtsinniger Weise gewirtschaftet, und es galt, ihn und die andern Brüder und den Vater aus ihrer traurigen Lage zu ziehen. Wir haben auch den Brief, worin Michelangelo seinen Vater über Giovansimone zu trösten sucht, wie wir denn überhaupt jetzt, wo so umfangreiche Korrespondenzen vorliegen, in all diese Verhältnisse tief hineingehen. Ich teile diesen Brief nicht mit, da er nichts enthält, was Michelangelo in neuem Lichte zeigte. Dagegen möge das Folgende hier noch Platz finden.

»Ich habe«, schreibt Michelangelo, »Giovanni Balducci 350 schwere Dukaten in Gold gegeben, damit sie euch ausgezahlt werden. Geht mit diesem meinem Briefe zu Bonifacio, und wenn ihr von ihm die Summe empfangen habt, bringt sie zum Spitalmeister und laßt sie eintragen wie mein anderes Geld. Es bleiben dabei noch einige überzählige Dukaten für euch übrig, von denen ich schrieb, ihr solltet sie nehmen, habt ihr es unterlassen, so tut es nun, und braucht ihr mehr, so nehmt was ihr nötig habt, denn was ihr braucht, das schenke ich euch, und wenn es soviel wäre, als ich überhaupt habe. Und ist es nötig, daß ich dem Spitalmeister darüber schreibe, so laßt es mich wissen.«

 

»Aus eurem letzten Briefe ersehe ich, wie die Dinge stehen. Es tut mir leid genug, aber ich kann euch in andrer Weise nicht zu Hilfe kommen. Doch verliert den Mut nicht, und es darf auch nicht eine Spur innerlicher Betrübnis deshalb in euch aufkommen, denn wenn man auch Hab und Gut verloren hat, so ist darum noch nicht das Leben verloren, und ich werde mehr für euch schaffen, als alles das wert ist, was ihr verlieren sollt. Aber verlaßt euch nicht darauf. es ist immer doch eine unbestimmte Sache. Wendet vielmehr alle mögliche Vorsicht an, und dankt Gott, daß, da einmal diese Strafe des Himmels kommen sollte, sie jetzt zu einer Zeit kommt, wo ihr euch besser herausreißen könnt, als ihr vielleicht früher imstande gewesen wäret. Sorgt für eure Gesundheit, und laßt lieber allen Besitz fahren, ehe ihr euch Entbehrungen auferlegt. Denn mir ist mehr daran gelegen, daß ihr, wenn auch als arme Leute, am Leben bleibt, als daß ihr um alles Geld in der Welt zugrunde ginget. Und wenn die Leute schwatzen und zischeln, so laßt sie reden, es sind Leute ohne Gewissen und ohne Liebe im Herzen.

Euer Michelangelo.
 

Was dies Geschwätz anlangt, so hatte es damit in Florenz etwas auf sich. Nirgends waren soviel böse Zungen in Bewegung. Es wird erzählt, wie auf den Bänken an den Häusern die alten Männer saßen, die sich von den Geschäften zurückgezogen hatten, und über die Vorkommnisse des Tages ihre scharfen Bemerkungen machten. Denn was heute durch jedem die Zeitungen still ins Haus getragen wird, das mußte man sich damals aus mündlichem Verkehr zusammensuchen, und es konnte vieles nicht verheimlicht werden, was heute, weil es ungedruckt bleibt, nicht unter die Leute kommt.

So erklärt sich auch das Postskriptum des Briefes: »Wenn ihr das Geld zum Spitalmeister tragt, so nehmt Buonarroto mit, und keiner von euch beiden sage einer Menschenseele davon, aus guten Gründen. Das will sagen, weder ihr noch Buonarroto sollt irgend jemand wissen lassen, daß ich Geld geschickt habe, weder in bezug auf das jetzt gesandte noch auf das frühere.« Mit sehr unleserlicher Schrift, von der ich das letzte so gut wie erraten mußte, ist auf dem Briefe bemerkt: »Ich soll mir soviel Geld nehmen als ich brauche, und soviel als ich nähme, schenkte er mir.« Wohl die Handschrift des Vaters.

Unter solchen Gedanken bei der Arbeit kam Michelangelo vorwärts. Dazu die quälende Ungeduld des Papstes. Als wolle er durch die Hast, mit der er seine Unternehmungen betrieb, den geringen Jahren, die er noch zu leben hatte, doppelten Inhalt geben, verlangte er, daß die Körner, die eben erst gesäet waren, vor seinen Augen aus dem Boden wüchsen. Beim Bauen verwöhnte ihn Bramante, der das Unmögliche leistete. Nachts ließ dieser die Steine des Mauerwerks derart vorbereiten, daß, wenn sie tags zusammengesetzt wurden, die Wände zusehends sich erhoben, weil Fuge in Fuge paßte. Michelangelo verschmähte alle Kunststücke. Er malte rasch, aber ohne Beihilfe. Der Papst kam zu ihm aufs Gerüst, auf Leitern hinaufsteigend, daß Michelangelo ihm die Hand reichen mußte, damit er die letzte Höhe erkletterte, und reizte ihn durch Fragen, ob er bald fertig wäre. Vom Frühling 1509 bis zum Herbste desselben Jahres war die Hälfte der ganzen Arbeit vollendet worden. Die Ungeduld Giulios kannte keine Grenzen mehr. Die Gerüste sollten herunter, um wenigstens diesen Anfang den Römern zeigen zu können. Mitten in der Verwirrung und im Staube, der die Kapelle erfüllte, stand der Papst da und bewunderte die Malerei. Ganz Rom strömte herbei, um das Wunderwerk anzustaunen.


 << zurück weiter >>