Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX

Am 5. November 1529 traf Karl der Fünfte in Bologna ein, wo der Papst, der Etikette wegen, bereits einige Tage früher erschienen war. Von beiden ward hier zum glücklichen Willkommen die Nachricht vom Abzuge der Türken vor Wien empfangen. Das allein hatte noch auf ihnen gelastet. Alle Kräfte konnten nunmehr der Unternehmung gegen Florenz zugewandt werden. Am 15. Oktober schon war die Armee des Prinzen von Oranien vor der Stadt erschienen. An demselben Tage hatte sich dort die Nachricht von der Einnahme Wiens durch Soliman verbreitet. Das erwies sich freilich als ein Irrtum, wie fortan fast alle die Hilfe von außen versprechenden Botschaften. An Nachgeben aber dachte niemand mehr, und gut versehen mit Soldaten, Lebensmitteln und Geld erwartete man den Angriff.

Am Hügel von San Miniato war während Michelangelos Abwesenheit fortgearbeitet worden. Die Bürger hatten sich in Bataillone geteilt und übten. Die reichsten Leute in prächtiger Equipierung waren da eingetreten, die Standesunterschiede wurden vergessen. Von den Verbannten früherer Jahre waren 600 waffenfähige Männer zurückgekehrt. Was in den Vorstädten noch unzerstört geblieben war, ging jetzt vollends zugrunde. Landhäuser und Paläste in der Umgebung flammten auf, von den feindlichen Soldaten, ebensooft aber von den eigenen Besitzern angezündet. Ein Wetteifer entstand, sich mit Hab und Gut dem Vaterlande zu opfern, der die Bewunderung Italiens erregte, das wiederum, wie zu den Zeiten Savonarolas, dem einsamen Kampfe der schönen Stadt zusah mit dem bangen Gefühl wehmütiger Neugier, mit dem man einen Palast in Flammen stehen und mitten in den Gluten seine Mauern standhalten sieht.

Auf San Miniato richtete sich, was vorausgesehen worden war, der erste Angriff. Michelangelos Befestigungen jedoch ließen keinen Zweifel an der Widerstandsfähigkeit des Platzes zu. Aber die Feinde waren nicht bloß außerhalb der Mauern. Einen Franziskaner ertappt man, wie er eben dabei ist, auf San Miniato Geschütze zu vernageln. Zugleich wird er beschuldigt, feindliche Soldaten in Mönchstracht durch sein Kloster in die Stadt einschmuggeln zu wollen. Man macht wenig Umstände mit ihm. Kurz vorher erst war einem in Florenz der Kopf abgeschlagen worden, weil er sich verächtlich über die Regierung geäußert; gerade in den Tagen der Rückkehr Michelangelos folgte der Franziskaner nach. Ein Enkel des alten berühmten Marsilio Ficino, selbst ein Gelehrter, hatte geäußert, die Medici, die so lange regiert und die Stadt durch so viel Bauten verschönert hätten, schienen ihm mehr als irgendwer zur Herrschaft berechtigt; die Behauptung kostete ihm das Leben. Und so geschah anderen, denen sogar nichts weiter nachzuweisen war, als daß sie geflucht oder sonst gegen die Sittengesetze der Piagnonen verstoßen hatten.

An dem Tage, wo auf San Miniato alles in Ordnung und Mannschaft wie Geschütze auf ihrem Platze waren, erschien morgens mit Sonnenaufgang Malatesta auf den Bastionen. Umgeben von Trommlern, Pfeifern und anderen Musikanten, gibt er mit einem ungeheuren Tusch dem Feinde auf den Höhen gegenüber den ersten Gruß. Dann, als sich nichts regt im Lager draußen, sendet er einen Trompeter hinaus und läßt zum Kampfe herausfordern. Und als auch das ohne Erfolg bleibt, donnern auf einen Schlag sämtliche Kanonen des Berges los, Trommelwirbel und Trompeten tönen hinein, und als ein ungeheures Echo von allen Seiten antwortet, sagt Varchi, zitterte ganz Florenz vor Freude und Bangigkeit.

Die belagernde Armee hatte ihre Artillerie aus Siena bekommen. Es kostete Mühe, sie von der Stadt zu erlangen, und dann, sie über die Berge vor Florenz zu schaffen. Vier Kanonen, eine Feldschlange und drei kleinere Stücke kamen an. Die Kanonen: alte, den Florentinern ehemals abgenommene Beute. Der Papst lieferte drei Geschütze aus der Engelsburg, auch Lucca, das wie Siena kaiserlich gesinnt war, tat das Seinige. Am 29. Oktober in der Frühe begann das Bombardement.

San Miniato stößt dicht an den südlichen Teil von Florenz an und beherrscht die umherliegenden Höhen, konnte von ihnen aus aber ebensoleicht bestrichen werden, als es sie selbst mit den Kanonen erreichte. Heute wäre der Kampf, der damals geführt wurde, eine Kinderei. Man schösse aus den Stellungen der Kaiserlichen über San Miniato hinweg in das Herz der Stadt und darüber hinaus. Damals, mit schlecht gegossenen Stücken versehen, von geringer Tragweite und unsicherer Richtung, griff man weniger nachdrücklich an. Zwei Tage beschoß Oranien San Miniato. Im ganzen 150 Schüsse, die getan wurden. Am zweiten Tage sprangen ihm zwei Kanonen. Nicht einmal das Feuer von der Höhe des Kirchturms hatte er zum Schweigen gebracht, von wo aus ein verwegener Kanonier mit zwei kleinen Geschützen, durch den Schaden, den er dem Lager zufügte, das Bombardement hervorgelockt hatte.

Der günstige Beginn der Verteidigung schien glückverheißend für die Lage der Stadt zu sein. Nässe und Mangel an Lebensmitteln wie an Fourage quälte die Armee draußen, deren Train und Reiterei in dem durch Regengüsse aufgeweichten Boden steckenblieb, während die leeren Mauern der verbrannten Landhäuser keine Unterkunft boten. Am selben Tage, an dem Oranien die Kanonen sprangen, brach die florentinische Reiterei aus den Mauern, schnitt den Kaiserlichen den Weg nach Arezzo ab und nahm große Zufuhren Lebensmittel fort. Die Hoffnung auf die Standhaftigkeit Venedigs und Ferraras hob sich wieder. Man sah den ruhmvollsten Sieg vor Augen. Gelungene Ausfälle und die Wiedereinstellung des Bombardements ließen die Hoffnung fast zur Gewißheit werden und eine Zuversicht in den Bürgern entstehen, die sich zu ungeduldiger Kampflust steigerte. In den Kirchen befestigten die Brüder von San Marco den alten Glauben an die Unbesiegbarkeit der Stadt. Widerspruch gegen diese Lehre verstummte, weil er ein Staatsverbrechen war; energische Männer von entschiedener Farbe wurden rücksichtslos in die Ämter gebracht, welche solcher Inhaber zu bedürfen schienen, und aus der Alleinherrschaft der einzigen Partei entwickelte sich ein ungestümer, nach Taten drängender Geist in den Gemütern. Als Jacopo Salviati, einer der zurückberufenen Flüchtlinge, nicht erschien und zum Hochverräter erklärt worden war, zog eine Schar von Florentinern hinaus und steckte seinen bis dahin, als einem Verwandten der Medici gehörig, verschonten Sommerpalast, der einige Miglien von der Stadt entfernt lag, in Brand. Ein prachtvolles Gebäude. Und einmal im Anzünden drin, bereiten sie der Villa der Medici in Careggi gleiches Schicksal. Hätte sich die Regierung nicht dazwischen gelegt, so wäre es um allen Besitz der Medici geschehen gewesen. Von Michelangelo soll der Vorschlag ausgegangen sein, den Hauptpalast der Familie in der Stadt dem Boden gleichzumachen und einen öffentlichen Platz an seiner Stelle zu schaffen, der den Namen »Mauleselplatz« erhielte, weil die damaligen Medici alle miteinander unehelichen Ursprungs waren. Es wurde ihm das als Hauptverbrechen in späteren Zeiten vorgeworfen, doch versichern seine Freunde, er habe niemals an dergleichen gedacht. Wäre die Idee nicht der Zerstörung des edlen Gebäudes wegen unglaublich, im übrigen ließe sie sich ihm schon zutrauen. Aber auch das spricht dagegen, daß er in dem Hause so viel Gutes empfangen und seine Laufbahn darin begonnen hatte.

Erbarmen aber kannte man nicht in jenen Zeiten. Die Gefangenen wurden auf beiden Seiten getötet. Es sind Stimmen laut geworden damals, daß man für das von den Medici erlittene Unrecht sich an der jungen Caterina rächen müsse, die als Geisel in einem Kloster festgehalten wurde, und was ihr geschehen sollte, sie war kaum zehn Jahre alt, klingt nicht weniger barbarisch als die Greuel, die von den Spaniern 1527 in Rom verübt worden waren.


 << zurück weiter >>