Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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Dreizehntes Kapitel

1536-1542

I

Michelangelo begann das Jüngste Gericht um 1533; Ende 41 tat er den letzten Pinselstrich daran. Er arbeitete ohne Hilfe. Während dieser acht Jahre haben sich um ihn her Dinge von Wichtigkeit ereignet.

Kaum war Clemens der Siebente tot, als von Rom aus der Versuch gemacht wurde, die Regierung des Herzogs von Florenz umzustoßen und die Freiheit wiederherzustellen.

Alessandros Auftreten erbitterte den hohen Adel täglich mehr. Die Furcht vor der Tyrannei der mittleren und unteren Schichten war beseitigt, das Dasein der herzoglichen Gewalt wurde zum unerträglichen Druck. In Rom zog sich nach dem Tod des Papstes alles zusammen, was durch Verbannung oder Unzufriedenheit aus Florenz vertrieben oder verscheucht worden war, und arbeitete los auf den Sturz Alessandros. Man fand sich und beratschlagte, wie die Freiheit wieder herzustellen sei. Der Mittelpunkt dieser Bestrebungen war der Kardinal Ippolito dei Medici. Neben ihm standen Salviati und Ridolfi, seine nahen Verwandten; sie bildeten die Spitze der Kardinäle, welchen Leo der Zehnte und Clemens einst ihre Erhebung verdankten und die nur deshalb zur Wahl Farneses ihre Zustimmung gegeben, weil dieser sie durch die Elendigkeit, die er zu Schau trug, zu täuschen wußte. Ippolito führte einen glänzenden Haushalt. Sein Palast war der Vereinigungsort für seine Landsleute in Rom. Er beschäftigte die Florentiner Künstler, er war der Freund und Beschützer Michelangelos.

Wir wissen nicht, ob dieser für den Kardinal in bestimmter Weise tätig war; dagegen, was er jedem anderen verweigerte: er nahm ein Geschenk von ihm an. Ippolito besaß in seinem Marstalle ein prächtiges türkisches Pferd, das Michelangelos Bewunderung erregte. Eines Tages erschien es vor seiner Wohnung, gleich mit einem Reitknechte dazu und zehn Maultieren, die mit dem Getreide zum Futter beladen waren. Michelangelo ließ sich das gefallen. Ippolito dei Medici erscheint vom Beginn bis zu Ende seines jungen Lebens als eine der wenigen Gestalten, denen die nähere Betrachtung nichts von ihrem Glanze nimmt.

Er war zum Kardinal gemacht worden im Jahre 29; als sein Oheim in Orvieto saß, krank, ohne Geld, ohne Verbündete, ohne Aussicht, Florenz wiederzugewinnen, und im größten Elend. Er war ein leidenschaftlicher, schöner Jüngling. Die geistliche Fürstenwürde, die ihm zuflog, änderte nichts in seinem Auftreten. Als sich die Verhältnisse günstiger für den Papst gestalteten, stand Ippolito bald an der Spitze der römischen Gesellschaft. Er haßte Alessandro, Clemens hatte Mühe sie auseinanderzuhalten. Als Alessandro in Florenz eingesetzt werden sollte und auf dem Wege dahin war, erschien plötzlich Ippolito dort. Er liebte Caterina und wollte als ihr Gemahl die Stadt regieren. Bis zum Unglück von 1527 war er derjenige dort gewesen, der in Staatsangelegenheiten entschied, wenn auch nur dem Namen nach, und der den Titel Magnifico führte, während Alessandro mehr als Kind nebenherlief. Mit Mühe wurde er durch Schomberg bewogen, von seinen Plänen abzustehen und nach Rom zurückzukehren. »Er ist wahnsinnig«, rief der Papst aus, »er will kein Kardinal sein!« Als Befehlshaber der italienischen Hilfstruppen zog er dann gegen die Türken nach Ungarn. Auf dem Rückwege von dort empören sich seine Leute, und der Kaiser läßt ihn als Anstifter der Bewegung festnehmen. Natürlich, um ihn sogleich wieder loszulassen, aber er traute es ihm zu. Ippolitos Porträt, das Tizian damals malte, sehen wir noch in Florenz. Ein lebensgroßes Kniestück. Im glatten, enganliegenden Sammetrock steht er da, eine Reihe goldener Knöpfe quer über die Brust: dunkles Barett und weiße Feder. Ein italienisches blasses Gesicht mit schwarzem Haar; große dunkle Augen, kühne edle Züge; ein Hund neben ihm: Niemand vermutete einen Kardinal in der stolzen Jünglingsgestalt. So reichlich ihm das Geld zufloß, immer gab er mehr aus, als er zu geben hatte. Dabei, so herablassend er gegen seine Freunde war, so stolz trat er den Fürsten gegenüber auf, als er bei der Verheiratung Caterinas seinen Oheim nach Frankreich begleitete, schlug er alle Präsente Franz des Ersten aus, nur einen gezähmten Löwen ließ er sich schenken, den ihm der König anbot. Das war im Jahre 33. Damals liebte er die schöne Giulia Gonzaga, die schönste Frau Italiens, die in Fondi an der neapolitanischen Grenze Hof hielt. Er sandte, begleitet von Bewaffneten, Sebastian del Piombo dahin, damit er sie male, und dies Porträt, das innerhalb eines Monats vollendet ward, soll das wunderbarste gewesen sein, das Sebastian gemalt hat. Giulia war so schön, daß der Sultan, der von ihr gehört hatte, sie für sich aufheben wollte. Ein Schiff landet ungesehen an der Küste, und die Türken überfallen nachts den Palast, aus dem Giulia, wie sie ist sich auf ein Pferd werfend, glücklich davonjagt. Wenn man solche Abenteuer erzählt findet, wenn man Ippolito nicht allein im äußeren Genuß des Lebens begangen, sondern zugleich als Dichter, als Übersetzer eines Gesangs der Äneide in italienische Verse, als Staatsmann und Oberhaupt einer mächtigen Partei erblickt, mitten im unaufhörlichen Wechsel großer und geringer Ereignisse, so begreift man eine solche Existenz zu sehr in ihrer Berechtigung, um die Zurückgezogenheit und Strenge von ihm zu fordern, aus der allein eine Würdigung dessen hervorgehen konnte, was die Christenheit von einem Kardinal der römischen Kirche zu verlangen hatte. Er war 18 Jahre alt, als er Kardinal wurde, und 24 als er durch Gift sterben mußte.

Der Herzog von Florenz hatte nach Farneses Erhebung eine Gesandtschaft geschickt, um den neuen Papst zu beglückwünschen. Filippo Strozzi und Baccio Valori nahmen teil daran. Diese gaben in Rom jetzt der Verbindung gegen Alessandro die letzte Weihe, von dem sie zu Rebellen erklärt wurden. Beide freilich hatten eine Vergangenheit, an der sich nichts bemänteln ließ. Durch ihre Mithilfe war die Freiheit der Stadt vernichtet worden. Strozzi hatte den Bau der Zitadelle eifrig befördert und wurde als Hauptteilnehmer, ja Anstifter der Ausschweifungen Alessandros genannt. Trotzdem, als dieser ihnen beiden nicht den Anteil an der Regierung zugestehen wollte, den sie beanspruchten, sondern sie gelegentlich als Untertanen behandelte, die er die Macht bitter fühlen ließ, welche er ihnen selber zumeist verdankte, wandten sie sich gegen ihn, und die Freiheit von Florenz war von neuem ihre Devise. Durch den Zauber dieses Wortes wurden Freunde und Feinde jetzt wieder verbunden. Die alten, 1530 verbannten Demokraten kamen aus all den Orten ihrer Verbannung in Rom zusammen und machten gemeinschaftliche Sache mit ihnen. Ippolitos Persönlichkeit löste das letzte Mißtrauen. Jacopo Nardi, der Geschichtsschreiber, der als Verbannter in Venedig gelebt hatte, kam damals nach Rom und erzählt, wie Ippolito ihn überredete. Nachts führte ihn, den alten Freiheitsmann, einer von Strozzis Söhnen in den Palast Medici. Dunkle Treppen geht es hinauf, dann läßt man ihn allein. Da tritt eine Gestalt ins Zimmer von edlem kriegerischem Anstand, den zottigen Hut tief im Gesicht, einen Mantel um die Schultern. »Ich hin der Kardinal«, sagt er. Und nun zusammen sich niedersetzend, beginnt Ippolito zu reden von Florenz, so hinreißend, von der Freiheit seines armen Vaterlandes, daß sie beide in Tränen ausbrechen. Nardi bewegt jetzt seine Genossen, sich dem Kardinal anzuvertrauen, und die Vereinigung aller gegen Alessandro kommt zustande.

Wir haben keine Anzeichen, daß Michelangelo dabei beteiligt gewesen. Er malte von Morgen bis abends spät am Jüngsten Gericht. Es war im Winter 34 auf 35 und im Frühjahr, daß diese Dinge betrieben wurden. Aber es ist kaum anzunehmen, daß er, der mit allen so genau befreundet war, die er nach den traurigen Zeiten in Florenz zum ersten Male wiedersah, jetzt nicht unter ihnen gewesen und von ihrem Vorhaben ergriffen worden wäre. Die ganze florentinische Gemeinde in Rom hing dem Kardinal an. Der Kardinal Ridolfi war Michelangelos Freund und Gönner. Für ihn ist die unvollendete Büste des Brutus gearbeitet worden. Den Strozzis stand er nahe, besonders einem der Söhne Filippos, namens Ruberto. Dazu sein Haß gegen Alessandro und seine Schwärmerei für die Freiheit der Stadt, für die selbst die Farneses sich zu begeistern schienen. Paul der Dritte glaubte kein besseres Mittel zu finden für die Erhöhung der Seinigen als die Erniedrigung der Medici, deren innere Zwietracht er zu nähren suchte. Von den besten Wünschen beseelt zeigte er sich, der berühmten edlen Stadt zu ihrer Freiheit wieder zu verhelfen. und trat auf die Seite der Vertriebenen und Ippolitos.

Diese konstitutierten sich nun in aller Form. Im März 35 ging eine Gesandtschaft an den Kaiser nach Spanien ab, welche über Alessandro Beschwerde führen und die Bitte um Wiederherstellung des Consiglio grande oder auch nur einer Verfassung von minder demokratischer Färbung vorbringen sollte. Gewährte der Kaiser beides nicht, dann lautete ihr Auftrag, die Regentschaft des Kardinals zu verlangen in der Weise, wie sie vor 1527 bestand. Adel und Demokratie, die in Rom trotz ihrer Vereinigung immer noch getrennt berieten, hatten sich mit dem Inhalte dieser Forderungen einverstanden erklärt.

Der Kaiser war, als die Herren ihn erreichten, im Begriff, sich nach Tunis einzuschiffen. Die Politik Spaniens hatte diese Expedition als notwendig erscheinen lassen. Es mußte der Beweis geführt werden, daß man im Mittelmeere der türkischen Macht gewachsen sei. Einer der berühmtesten Korsaren hatte mit Sultan Solimans Unterstützung Tunis an sich gerissen, machte die Küsten unsicher und drohte Sizilien und Sardinien zu nehmen. Der Moment, einen Schlag zu führen war günstig, da der Sultan durch andere Kriege ferngehalten wurde.

Der Kaiser stand auch mit Alessandro in Verbindung. Um was es sich handelte, waren die Angebote des Herzogs wie des Kardinals. Ippolito bot mehr, und das trug der Gesandtschaft die Äußerungen des Wohlwollens ein, mit denen sie empfangen wurde. Karl entließ sie darauf einstweilen. In Neapel, wohin er sich nach beendetem Kriege begeben werde, hoffe er sie wiederzusehen. Dort werde alles zum Austrage kommen.

Ippolito war unzufrieden. Es sollte sogleich etwas geschehen. Er dachte daran, direkt auf Florenz loszugehen und dort eine Entscheidung herbeizuführen. Dann entschloß er sich, dem Kaiser nach Afrika zu folgen, am Kriege teilzunehmen und Alessandros Einfluß lahmzulegen. Die Waffen waren immer sein Lieblingshandwerk gewesen, in Rom unterhielt er stets eine Anzahl Soldatenführer, die ihm ergeben waren, und so, begleitet von glänzendem Erfolge, brach er im Juli auf nach Neapel, um von dort zu Schiffe weiterzugehen. Aber er vollendete den Weg nicht. In Itri erkrankte er plötzlich und starb. Daß er vergiftet wurde, ist sicher, ungewiß ob der Papst oder Alessandro den Mord begehen ließ. In beider Interesse lag es, daß Ippolitos Laufbahn ein Ende gemacht wurde. Paul schenkte seine Einkünfte dem vierzehnjährigen Kardinal Farnese, seinem Enkel. Ippolito hatte wohl falsches Spiel mit den Florentinern gespielt, wenn er von Freiheit sprach. Er wollte herrschen wie Alessandro herrschte, er soll sogar mit diesem unterhandelt haben in aller Stille, um eine gütliche Teilung der Gewalt herbeizuführen; dennoch erweckt es Bedauern, eine so jugendlich blühende Kraft plötzlich auf so jämmerliche Weise vernichtet zu sehen.

Die Florentiner in Rom gaben darum ihre Sache nicht auf. Nach ruhmvoll beendeter Expedition kam der Kaiser im November nach Neapel, und hier, wo er den Winter zubrachte, suchten die Parteien seine Entscheidung. Von Rom und von Florenz machte man sich auf den Weg. Alessandro erschien mit fürstlicher Pracht. In den Straßen von Neapel ereignete es sich, daß Mitglieder derselben Familie, die einen Verbannte, die anderen Anhänger des Herzogs, sich begegneten, von Wut übermannt von den Pferden sprangen und mit dem Degen auf einander losgingen. Die Kardinäle Salviati und Ridolfi, welche an Ippolitos Stelle eingetreten waren, standen bei Karl nicht in Ungunst. Lange Berichte und Schriftstücke haben wir, in denen die Parteien ihre Ansprüche geltend machten. Guicciardini war Alessandros Ratgeber. Der Kaiser, der, nur um den Herzog zu dem zu zwingen, was ihm genehm war, die Hoffnung der Kardinäle eine Zeitlang aufrecht erhielt, schien zu schwanken. So harte Bedingungen stellte er Alessandro, daß dieser drauf und dran war, Neapel in Bösem zu verlassen. Guicciardini hielt ihn. Baccio Valori, der alte Intrigant, spielte wieder nach zwei Seiten. Das Ende war, daß der Herzog sich mit dem Kaiser einte, daß das beinahe wieder aufgegebene Projekt einer Heirat zwischen Alessandro und Margherita, der natürlichen Tochter Karls, neu aufgenommen und im Februar 1536 die Verlobung gefeiert ward. Während die Kardinäle und ihre Partei traurig nach Rom zurückkehrten, machte sich der zukünftige Schwiegersohn des Kaisers fröhlich auf den Weg nach Florenz, um dort alles für den Empfang desselben in Bereitschaft zu setzen.

Anfang April brach dann auch Karl mit 7000 Mann, dem Rest der afrikanischen Armee, deren andere Hälfte zu Schiff nach Genua ging, nach Norden auf. Seine Pläne waren Krieg mit Frankreich. Franz der Erste rüstete wieder gegen Mailand. Dies war es auch, was zur Entscheidung zugunsten Alessandros den Ausschlag gab. Der Herzog hatte sich zur Zahlung bedeutender Summen verpflichtet, wollte die Zitadelle von Florenz einer spanischen Besatzung überlassen und im Kriege selbst ein Kommando übernehmen. Hätte sich der Kaiser gegen ihn erklärt, so wäre Florenz zu Frankreich übergegangen. Schon damals, als die Verbannten mit Ippolito in Rom unterhandelten, war diese Frage wieder aufgebracht worden.

Den Papst erschreckte der bevorstehende Durchmarsch in solchem Grade, daß er daran dachte, nach Perugia zu entfliehen. Dann, sich eines Besseren besinnend, bewaffnete er die Römer, zog eine Leibgarde von 3000 Mann zusammen und empfing den hohen Gast aufs Prachtvollste. Es war lange her, daß zuletzt ein römischer Kaiser von einem Papste am Fuße der Treppe, die zur Peterskirche führte, empfangen worden war. Vier Tage verweilte Karl in Rom. In unscheinbarer Kleidung durchstreifte er die Stadt, um ihre Herrlichkeiten genau zu betrachten. Ich kenne keine näheren Berichte aus diesen Tagen, in denen gesagt wäre, ob er Michelangelo sich vorstellen ließ. Daß er ihm aber nicht begegnet sei, ist kaum anzunehmen. Michelangelo war der erste Künstler der Welt, eben von Paul zum obersten Architekten, Bildhauer und Maler des apostolischen Palastes ernannt und unter die Zahl der besonderen Schutzbefohlenen des Vatikans aufgenommen. Karl, der Benvenuto Cellini auf das Herablassendste ausgezeichnet, konnte an Michelangelo nicht vorübergehen. Schon um der eigenen Ehre Willen muß ihn der Papst produziert haben. Das einzige, das wir darüber wissen, beruht auf Vasaris Angabe, auch der Kaiser habe Michelangelo in seine Dienste ziehen wollen. Das kann damals nur geschehen sein.

Karl erscheint in der Geschichte nicht als ein Fürst, der für die Kunst besondere Vorliebe hegte. Gegen Franz den Ersten tritt er zurück darin. Unsere geringe Bekanntschaft mit den spanischen Bauten mag daran schuld sein, daß er in dieser Beziehung nicht so bekannt ist, als er vielleicht verdiente. Tizian war der Meister, den er bevorzugte und der glänzende Beweise seines Wohlwollens empfing. Aber was dem Eindrucke von Karls Persönlichkeit, hier wie überall, schadet, ist die pedantische Kaltblütigkeit seines Wesens und die seine Umgebung erniedrigende Etikette. Möglich, daß seine Erfahrungen ihm die Notwendigkeit des künstlichen Nimbus, mit dem er sich umgab, dargetan. Doch lag es überhaupt in den Neigungen der Familie, sich durch goldene Schranken von den übrigen Sterblichen weit geschieden zu halten. Karl hatte nichts Anziehendes, Zutrauenerweckendes; so kühl und berechnend erscheint er, daß man unwillkürlich auf die Seite seiner Gegner tritt, selbst da, wo diese offenbar im Unrechte sind. Aber es liegt in unserer Natur, daß wir für Verbrechen sogar, die der Leidenschaft entspringen, größeres Mitgefühl hegen als für Tugenden, deren Quell zurückhaltende Kälte ist.

Der Kaiser benutzte seinen Aufenthalt in Rom, um dort ein Programm zu geben für das, was die Welt in der nächsten Zeit von ihm zu erwarten hätte. In einer feierlichen Versammlung, der die Kardinäle stehend und nur der Papst sitzend beiwohnte, gab er seine Absichten gegen Frankreich zu erkennen. Er sprach spanisch, als sollte Rom gezeigt werden, in welchem Idiom von nun an die Geschicke der Welt zu verhandeln seien. Er wies auf das hin, was er für Rom getan, auf die von den Lutheranern drohende Gefahr, und, indem er zum Schluß die anwesenden französischen Gesandten anredete, verdammte er das Verhalten ihres Königs, den er jetzt mit Gewalt an seine Pflichten erinnern müsse. Die Herren wollten erwidern, aber das Wort ward ihnen abgeschnitten.

Von Rom ging Karl nach Florenz weiter, das durch Alessandro in aller Eile zu einem pompösen Theater umgeschaffen war. Diese Tage sind es, in denen Vasari als oberster Leiter aller Arrangements seine höchsten Triumphe feierte und die er als die paradiesische Zeit des Florentiner Künstlertums erhebt. Das ganze Heer der Architekten, Bildhauer und Maler war unter ihm in rasender Tätigkeit. Kaum daß er sich nachts Ruhe gönnte. Und welche Wonne dann, wenn der Herzog ihm auf die Schulter schlug und ein gnädiges Wort sprach. Triumphbögen, Statuen aus Gips geformt, gemalte Plafonds, Fahnen, alles in kolossalem Maßstabe und zureichend, um fast sämtliche Straßen anzufüllen, wurden in kürzester Zeit beschafft. Die Vortrefflichkeit, in der man diese Arbeiten zustande brachte, wie die Schnelligkeit, in der es geschah, zeigen den Weg, den die Florentiner Kunst eingeschlagen hatte. Raschheit war Genie, groß war großartig, bestechend war schön. Das, was in Michelangelo Einfluß auf die Kunst als das Verderbliche bezeichnet werden muß, freilich ohne jede Schuld seinerseits, tritt hier grell zu Tage. Er konnte nichts dazu, daß man die kolossalen Maße und die Stellungen seiner Figuren nachahmte. Von Natur war kaum die Rede mehr, Effekt verlangte man. Und so, mit ungemeiner Nachahmungskraft und Handfertigkeit wurde etwas geschaffen, was man Kunstwerke nannte und was heute viele ebenfalls noch so nennen würden, massenhafte Erzeugnisse, deren geistiger Gehalt gleich Null war. Und da die Gelegenheit oft wiederkehrte, waren derartige dekorative Feldzüge des gesamten Künstleraufgebotes jetzt so häufig in Florenz, daß alles Studium bald die Richtung nimmt, auf diesen Schlachtfeldern Ruhm zu erstreiten, und daß die Erfolge, die hier errungen werden, als die höchsten gelten. Die alte florentinische Kunst diente der Freiheit, die darauffolgende den Herzögen.

Der letzte Gang des Kaisers in Florenz galt der Sakristei von San Lorenzo. Heraustretend aus der Kirche, stieg er zu Pferde und verließ die Stadt. Dieser Besuch war die erste von drei Szenen, welche Michelangelos Werk jetzt in kurzer Folge erleben sollte. Die zweite war die Trauung Alessandros mit Margherita. Die Herzogin wurde ihm fast noch als ein Kind vermählt, mehr ein Unterpfand der wechselseitig eingegangenen Verpflichtungen als um jetzt schon seine Frau zu sein. Festlichkeiten wiederholten sich wie damals beim Einzuge ihres Vaters. Vasari wieder obenan. Es begreift sich, wenn er bei dem Morde des Herzogs fast in Verzweiflung gerät und seinen Herrn als einen Inbegriff von Tugenden schildert, deren Dasein nur seine Feinde hinwegleugneten. Bald genug verlor er ihn. Das war die dritte Szene, die in der Sakristei von San Lorenzo spielte. Alessandros eigener Vetter, ein finsterer, stiller Charakter, den er als seinen vertrautesten Freund stets um sich hatte, lockte ihn in einen Hinterhalt und ließ ihn niederstechen. Der Tod wurde verheimlicht, um einen Aufstand zugunsten der Freiheit zu vermeiden. Nachts trugen sie den in Teppiche eingehüllten Leichnam in die Sakristei und legten ihn in einem der Sarkophage nieder. Das hatte Michelangelo nicht geahnt, als er daran meißelte. Aber die Freiheit kam nicht wieder. Ein Enkel eines jener Medici, die unter Savonarola in die Stadt zurückgekehrt waren, ein sechzehnjähriger junger Mann, Cosimo mit Namen, wurde von denen, die nach Alessandros Ermordung sich an die Spitze der Dinge stellten, vom Lande geholt und auf eine Anzahl Versprechungen hin, die er alle willig leistete und alle brach, zum Herzoge gemacht. Guicciardini war wieder einer von denen, die am meisten dazu taten. Cosimo ist es dann gewesen, der die Dynastie der nachfolgenden Herrscher von Toskana begründet hat, und der das Wenige, was unter Alessandro noch als Nachklang der alten bürgerlichen Unabhängigkeit bestehen blieb, völlig beseitigte.

Der Sarkophag ist zum fünfhundertjährigen Jubiläum Michelangelos wieder aufgedeckt worden. Zwei Gerippe lagen darin. Vielleicht war das andere das Lorenzos, des Herzogs von Urbino, der von den meisten für Alessandros Vater gehalten wurde.


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