Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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IV

Man pflegt Cimabue den Gründer der neuen Malerei zu nennen. Seine Tätigkeit fällt in die Zeit, wo Dante geboren wurde. Seine Werke erregten Staunen und Bewunderung. Cimabue malte in der Weise der byzantinischen Meister starre umfangreiche Madonnenbilder. Man möchte heute diesen Einfluß der byzantinischen Kunst auf die frühitalienische auf das geringste Maß beschränkt wissen und einer mit der antiken Kunst in direkter Verbindung stehenden inländischen Entwickelung das Wort reden. Sei dem so für Cimabue; Giotto aber, den er der Legende nach als Hirtenjungen auf dem freien Felde antraf, wie er sein Vieh auf große flache Steine abbildete, ihn seinem Vater abforderte, mit nach Florenz nahm und unterrichtete, darf dennoch kaum als sein Schüler bezeichnet werden. Von Cimabue zu Giotto geht es steil in die Höhe. Giotto scheint seinem Meister fremd und fast zusammenhanglos gegenüberzustehen.

In den Zeiten, in denen er arbeitete, lag der geistige Schwerpunkt Europas nicht in Italien. Dante, der in Paris seine Studien gemacht, emanzipierte sich mühsam von der Herrschaft des provenzalischen Dialekts und des Lateins. Französischen Einfluß dürfen wir annehmen auch bei Giotto. Seine zarten Gestalten, die der naivsten Naturbetrachtung entsprossen scheinen, tragen dennoch zu viel der Miniaturmalerei in sich, um die Schule ganz zu verleugnen, in der ihr Meister, scheint es, zeichnen lernte.

Es ist nicht leicht, von seiner Tätigkeit eine klare Vorstellung zu haben. Sie umfaßte den ganzen Bereich der Kunst. Es muß viel Handwerksmäßiges dabei im Spiele gewesen sein. Dennoch ermangelt er nicht individueller Kraft. Dantes Porträt, jetzt wohl Giottos berühmteste Arbeit, bewahrt in dem traurigen Zustande, in dem es sich befindet, etwas großartig Persönliches im Schwunge der Linien. Der Umriß scheint der Ausfluß einer starken Hand, die in reinen Strichen nachzog, was die Augen sahen und der Geist empfunden hatte. Kein Künstler würde inhaltsreicher den nackten Umriß eines solchen Gesichts zu zeichnen vermögen, das, obgleich verdorben, restauriert und teilweise ganz erneuert, durchdrungen und verklärt von der Würde dessen ist, dem es angehörte. Die Madonnen, die man Giotto zuschreibt, tragen den Ausdruck trauriger Lieblichkeit im Antlitze. Gedrückte, kaum geöffnete, langgeschlitzte Augen, ein Nachklang des byzantinischen Madonnentypus, ein wehmütig lächelnder Mund sind ihnen eigentümlich. Seine Hauptarbeiten waren jedoch nicht seine Tafelbilder mit wenigen Figuren in oft sehr geringem Formate, sondern Freskogemälde, mit denen er ganz Italien versorgte. Vom Könige von Neapel in seine Hauptstadt berufen, malte er dort Kirchen und Paläste, in der Lombardei führte er große Werke aus, nach Rom und vielleicht Avignon verlangten ihn die Päpste. Überall, wo man ihn begehrte, war er rasch zu Diensten. Er arbeitete als Maler, Bildhauer und Architekt. Er stand mit den großen Herren auf gutem Fuße und gab ihnen derbe Antworten. Boccaccio zeichnet seine Persönlichkeit nicht allzu idealisch. Giotto war klein, unansehnlich, ja häßlich, gutmütig, aber mit scharfer Zunge begabt, wie alle Florentiner. Auch Dante konnte beißende Antworten geben. Villani, sein Zeitgenosse, erzählt, wie er Dummheit und Anmaßung hart abzufertigen wußte, während man dem Eindrucke seiner Verse und seines traurigen Schicksals nach glauben sollte, er habe sich in vornehmem Schweigen abgewandt, wenn unter ihm stehende Naturen seinen Stolz auf die Probe stellten.

Dante und Giotto blieben Freunde bis zu Ende ihres Lebens. Als Giotto auf der Rückreise von Verona durch Ferrara kam, und Dante in Ravenna hörte, daß er ihm so nahe sei, brachte er es dahin, daß er nach Ravenna berufen wurde. Die Malereien aber, die er im dortigen Dome ausgeführt hat, sind zugrunde gegangen.

Das Schicksal war seinen Werken nicht günstig. Dem Bildnisse Dantes hatte man gerade ins Auge einen Nagel eingeschlagen. Noch im vorigen Jahrhundert wurden Kirchenwände in Neapel übertüncht, die von Giotto gemalt waren. Ein Florentiner Bild, dem Vasari das höchste Lob erteilt, kam während der Zeit zwischen der ersten und zweiten Auflage seines Buches aus der Kirche abhanden, in der es befindlich war. Es stellte den Tod der Maria dar mit den Aposteln ringsumher, während Christus die auffliegende Seele in seine Arme aufnimmt. Michelangelo soll es besonders geliebt haben. Es ist nie wieder zum Vorschein gekommen.

Das berühmteste Denkmal aber, das der Meister sich selbst gesetzt hat, bleibt der Glockenturm, der neben Santa Maria del Fiore wie ein alleinstehender schlanker Pfeiler von kolossaler Größe in die Luft steigt, viereckig und von oben bis unten mit Marmor bekleidet. So wenig Arnolfo den Schluß des ungeheuren Dombaus selber erlebte, der noch anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tode zur Vollendung bedurfte, ebensowenig war es Giotto vergönnt, seinen wunderbaren Turm zu Ende zu führen. Er hinterließ wie Arnolfo ein Modell, nach welchem weitergearbeitet wurde, wenn man auch daran änderte und am Schlusse des Werkes die gotische pyramidale Spitze fortließ, weil das Ende des Baues in Zeiten fiel, wo der deutsche Stil längst wieder aufgegeben und in Verachtung gefallen war.

Wie die Kirche, neben der er steht, alles an Größe übertreffen sollte, was auf Erden jemals gebaut worden wäre, so erhielt auch Giotto den Auftrag, einen Turm aufzurichten, der alles überragte, was griechische und römische Kunst hervorgebracht hätten. Die aus schwarzen und weißen Marmortafeln zusammengesetzte Oberfläche ist mit den schönsten Ornamenten und Bildhauerwerken bedeckt, die bis zur Höhe in bewunderungswürdigem Reichtum stichhalten. Die Gliederung der verschiedenen Etagen, die Fenster, die Skulpturen, wohin man blickt und aufmerksamer die Augen suchen läßt, bilden ein unvergleichliches Ganzes. Giotto verdiente die Ehre und die Geldbelohnung, die er dafür einerntete. Das Bürgerrecht, das er erhielt, war damals eine große Sache und der jährliche Gehalt von hundert Goldgulden keine Kleinigkeit.

Er starb 1336. Bis zum Ende des Jahrhunderts blieb sein Stil die formende Gewalt in der florentinischen Kunst. Die Namen seiner Schüler und Nachahmer bieten nichts, das über ihn hinausgeht. Es waren unerquickliche Zeiten, in denen keine höhere Gewalt sich geltend macht in Italien als trüber kampfbegieriger Egoismus. Das Land ist der Schauplatz unendlicher Streitigkeiten, deren verworrenes Wesen durch keine hervorleuchtende Männergestalt edlere Bedeutung empfängt.


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