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Paul Schüler: geb. 1869

 

Das Herz

Da mein Herz in Flammen stand,
Gab mein Schatz – o Tücke! –
Einem andern ihre Hand,
Und es brach in Stücke.

Hundert warens an der Zahl,
Hundert kleine Scherben,
Ach, in meiner düstern Qual
Wollt ich damals sterben.

Aber hört nur, was geschah:
Eines Tags, o Wunder,
Waren all die Stücklein da
Neu entbrannt wie Zunder.

Und nun hausen in der Brust
Nachbarlich zusammen
Voll der reinsten Liebeslust
Hundert kleine Flammen.

 

Fleuschnupfen-Ballade

In Helgoland auf der Lästerbrücke
Stand Hans Lücke;
Schaute mondbeschienen
Mit bekümmerten Mienen nach den Dünen,
Schaute aufs Wasser und ward immer blasser.
Und er hebt das Gesicht,
Weil er niesen muß, und spricht:
Habe ich nicht trotz Wasser und Salz
Kitzeln im Hals?
Sind mir nicht die Augen verschwollen?
Ist nicht die Nase so dick wie ein Knollen?
Und er atmet tief auf: Schnupfen, lauf!
Nase, zerfließe! Niese!
Zuckt, ihr Augen, krampf dich, Leib:
Heuschnupfen ist kein Zeitvertreib.
Hatschi, Tschin! hat das nun n Sinn,
Daß die Pollen uns quälen sollen?
Daß wir dem Blühn müssen entfliehn?
Ist das nicht gemein? Muß das sein?
Ist man denn nur ein Schleimsack? Hatz!
Zerspring! Zerplatz!
Es klingt so laut,
Als wenn man auf n Kessel haut.
Zur selben Stunde wie Hans Lücke,
Steht auf der Brücke Käthe Munde.
Sie fühlt sich nicht zum Sagen zerschlagen.
Auch ihre Schleimhäute
Sind Heuschnupfens Beute.
Auch ihre Nase ist dicke
Genau wie bei Lücke.
Und jetzt – hatschi! – Niest sie.
Und ein Wasserfall
Holdrio! Juchhe! Und das Taschentuch
Hat nicht Raum genug, o weh!
Wenn sie doch nur hätte eine Serviette!
Da fühlt sie plötzlich ein leises Tupfen:
»Mein Fräulein, Sie haben auch Heuschnupfen?
Hier, bitte, nehmen Sie meines:
Ich habe noch ein reines:«
Und er bietet ihr als galanter Mann
Sein Schnupftuch an.
Sie bedankt sich und nimmts. Aber dann kimmts:
Ein Duett auf der Brücke
Von Fräulein Munde und Herrn Lücke.
Man japst und pustet, man niest und hustet.
Ein Trompetengeschmetter
Wie n Donnerwetter, von solcher Stärke,
Daß die Festungswerke und die Felsen ringsum
Erzittern – bum bum! –

Man glaubt nicht, wie das zwei Menschen verbindet,
Wenn ein Heuschnupfen sich zum anderen findet.
Hoch schlagen im Glanz des Mondenscheins
Zwei katarrhalische Flammen,
Und ihre Herzen werden eins,
Und die Schnupfen fließen zusammen.
Und während die Woge ans Ufer prallt,
Wo Baum und Strauch nicht wachsen,
Singt: »Wer hat dich, du schöner Wald«
Ein Männerchor aus Sachsen.

Das war vor etwa zwanzig Jahren.
Jetzt kommt daher gefahren
Bereits der Sohn der beiden.
Denn er hat auch ihr Leiden.
Und ist schon groß
Und wird den Heuschnupfen nicht los.
Und steht auf der Brücke
Genau wie Herr Lücke
Mit einem verschnupften Seitenstücke.
Man nennt das – Hatschi! – Vererbungstheorie.
Denn wenn zwei Schnupfen ne Ehe schließen,
Muß das Kind niesen.
Und ob der Mensch auch schließlich sterbt:
Heuschnupfen bleibt und wird vererbt.

*


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