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Tschuras: um 800–900

Von diesem Dichter, der ein Brahmane war, wissen wir nichts Näheres, als daß er die Tochter eines Königs geliebt und ihre Gunst errungen hat. Aus den der Geliebten gewidmeten fünfzig Liebesstrophen folgen hier einige nach Wollheims Übertragung bearbeitet. Die Geliebte hieß Widjä.

 

An die Geliebte

Ich denke dein mit deinen zarten Gliedern,
Ermüdet durch der Wollust süßes Spiel,
Wenn schlängelnd von den dunklen Augenlidern
Auf bleiche Lippen dir die Locke fiel.
Den süßen Fehl zu bergen im Erwidern,
Umschlangest du mit brünstigem Gefühl
Des Teuern Hals gleich festen Schlingpflanzranken
Mit deinem Arm, dem lieblichen und schlanken.

Ich denke dein, wenn bei den holden Spielen
Dein Antlitz röter strahlt, erhitzt vom Wein,
Wenn sich dein Blick in wonnigsten Gefühlen
Leis zuckend schließt in sanftem Widerschein,
Indes die liebesheißen Glieder kühlen
Sandel, Moschus und Kaschmirs Spezereien,
Und deine liliengleich gefärbten Wangen
In liebeskampferzeugten Perlen prangen.

Die Königstochter, sie, die hochgeborne,
Die in der Jugend reichster Blütenzier
Ihr Auge wendet, das in Lust verlorne,
Zum blauen Himmel, halb und halb zu mir –
Von der Gandharwas, Jakschas Herrn Erkorne,
Von Kinnaras, vom Götterkönig hier
Als Tochter: um die Herzen zu besiegen,
Ist sie vom Himmel erdenwärts gestiegen.

Wie stolze Pfeiler in die Lüfte steigen,
So war ihr süßer Körper säulenschlank,
Wie aus des Busens Pracht in seligem Neigen
Ich liebend oft der Wollust Nektar trank,
Indessen sie in lusterzeugtem Schweigen
Beseligend und beseligt rückwärts sank,
Und dann erwachte, liebestraumumschlossen –
Ist ohn dies Bild mir je ein Tag verflossen?

Sie, deren Glieder glühn in goldigem Schimmer,
Wie bebte damals sie, noch unbekannt
Mit Madanas, dem Liebesgott, den nimmer
Bis dahin sie als Freudenquell empfand,
Bis sie, entzückter in Berauschung immer,
In meinen Küssen hinstarb, lustentbrannt –
Ein kurzer Tod, ein sanfter Tod voll Beben,
Der uns erweckt zu immer schönerm Leben!

Ich denke noch der tollen Liebesworte,
Die, wildgestammelt, deinem Mund entflohn,
Als des Entzückens zauberische Pforte
Du mir erschlossest, daß auf reichem Thron
Ich ruhen durfte als dem schönsten Orte,
Der Wollust schenkte mir zum Liebeslohn.
Noch einmal möcht aus diesem Quell ich trinken
Und gerne dann in ewige Nacht versinken.

*


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