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Das Hohelied: um 900-800 v. Chr.

Das Hohelied rührt nicht von König Salomo, sondern entstammt der Blütezeit der hebräischen Kultur, und zwar der des israelitischen Nordreiches, wo es etwa um 900-800 v. Chr. entstanden ist.

 

Die Überraschung

(Aus Kapitel 3 und 6)

In den Nußwald war ich gegangen,
Zu schaun des Tales Prangen,
Zu schauen nach des Weines Blühn,
Ob die Granate schon sei grün?
Dort wollt ich dir mich geben hin! –

»Kehre, kehre dich um, Sulamith,
Laß uns doch dein Antlitz sehn!« –
Was wollt ihr denn von Sulamith?
Was wollt ihr mich denn sehn,
Als ob ich wäre
Eine Bajadere,
Im Tanze mich zu drehn? –

»Wie schön, o Fürstliche! strahlen
Deine Tritte in den Sandalen.
Gewölbt die Lenden,
Die prangen
Wie Spangen,
Gefertigt von Meisterhänden.
Dein Nabel, eine Schale rund,
Drin mangelts nimmer an Wein;
Dein Leib, ein Weizenhaufe – bunt
Besteckt mit Röselein.
Deiner Brüste Paar, zu sehen
Wie ein Zwillingspaar von jungen Rehen.
Dein Hals, ein Turm von Elfenbein;
Und hell und klar
Deine Äugelein,
Wie am Tor Bathrabim die Teiche von Hebron,
Dein Haupt wie Karmel über dir,
Daran die Locken voller Zier
Wie Purpurnetze hangen,
In denen du einen König gefangen!« –

»Wie schön bist du, wie anmutreich,
O Liebste, spendend Lust.
Dein Wuchs ist schlanker Palme gleich,
Der Traube deine Brust.
Ich will die Palme ersteigen
Und greifen nach den Zweigen.
Es sollen deine Brüste Trauben mir sein,
Dein Odem duftende Äpfelein. –«

Komm, laß uns, Geliebter mein,
Auf die Felder eilen,
In den Dörfern weilen,
Schauen, ob die Rebe sprieße,
Ob die Knospe sich erschließe,
Ob schon die Granate blüh.
Dort will ich mich hingeben dir,
O küsse und trinke,
Verweile hier.
Mir unterm Haupt liegt deine Linke,
Und deine Rechte liebedurchdrungen
Hält mich umschlungen. –
Feuerswut,
Göttliches Flammen ist Liebesglut
Und löscht nicht aus
Der Wasser Braus,
Ersäufet nicht der Ströme Flut.
Wenn einer Hof und Haus,
Und Gut und Gold
Um Liebe geben wollt
Man höhnte ihn aus:
Liebe würde ihm nicht gezollt!

(Nach D. Sanders)

*


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