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Spanien

 

Volkslieder

 

Die Launische

Seltsam ist Juanas Weise,
Wenn ich steh in Traurigkeit,
Wenn ich seufz und sage: heut,
»Morgen,« spricht sie leise.
Trüb ist sie, wenn ich mich freue,
Lustig singt sie, wenn ich weine,
Sag ich, daß sie hold mir scheine,
Spricht sie, daß sie stets mich scheue.
Solcher Grausamkeit Beweise
Brechen mir das Herz in Leid –
Wenn ich seufz und sage: heut,
»Morgen,« spricht sie leise.

Heb ich meine Augenlider,
Weiß sie stets den Blick zu senken,
Um ihn gleich empor zu lenken,
Schlag ich auch den meinen nieder.
Wenn ich sie als Heilige preise,
Nennt sie Dämon mich im Streit –
Wenn ich seufz und sage: heut,
»Morgen,« spricht sie leise.

Sieglos heiß ich auf der Stelle,
Rühm ich meinen Sieg bescheiden;
Hoff ich auf des Himmels Freuden,
Prophezeit sie mir die Hölle.
Ja, so ist ihr Herz von Eise,
Sah sie sterben mich vor Leid,
Hörte mich noch seufzen: heut,
»Morgen,« sprach sie leise.

(Geibel)

 

Die Zaghafte

Meine Seel in Schmerz befangen
Muß im Zwist noch untergehn,
Wenn sich so entgegenstehn
Schamerröten auf den Wangen
Und im Herzen das Verlangen.

Liebe treibt mich, daß ich sage,
Scham hält mich zurück am Kleide,
Liebe treibt mich, daß ich wage,
Scham will, daß ich schweig und leide;
So daß, wenn dies enge Bangen
Keck nicht endet im Entschluß,
Rettungslos mich töten muß
Schamerröten auf den Wangen
Und im Herzen das Verlangen.

(Geibel)

 

Die gute Tochter

 

(wie sie noch nie dagewesen)

Auf und nieder schritt der Graf,
Auf und nieder schmerzerfüllt,
Schwarze Rechnungen in Händen,
Die er laut zu lesen pflegte,
Trübe Worte dazu redend,
Worte, daß man weinen möchte:
Tochter, dich erwachsen seh ich,
Zur Vermählung alt genug,
Und mein größtes Leid ist, daß ich
Keine Mitgift hab für dich. –
»Schweiget, edler Vater, schweiget,
Traget doch darum kein Leid!
Denn wer eine gute Tochter
Hat, der nennt mit Recht sich reich.
Und wer eine böse Tochter
Hat, begrabe sie lebendig,
Sie erniedrigt sein Geschlecht,
Und das darf ihm nicht geschehen.
Ja, wenn ich mich nicht vermähle,
Kann ich in ein Kloster gehen.«

(nach Wolff)

*


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