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Marcabrun: 1140–1185

 

Hirtengedicht

Jüngst begegn ich bei der Linde
Einem kecken muntren Kinde,
Einer Schäferin Dorinde,
Einer rechten Maid vom Lande,
Wie an Hemd und Latz und Binde,
Grobem Strumpf und Schuh ich finde,
Und am drillichnen Gewande. –
Näher tret ich ihr geschwinde:
Mädchen, sprach ich, wohl nicht linde
Wird dein Haar zerzaust vom Winde.
»Junker, « spricht die Maid vom Lande,
»Gott sei Dank, daß ich empfinde
Wenig von dem rauhen Winde;
Ich bin nicht von Zuckerlande.«

Mädchen, holde Mirabelle,
Sieh, ich komme hier zur Stelle,
Daß ich werde dein Geselle,
Du o schöne Maid vom Lande.
Nicht darfst du auf alle Fälle
Schafe weiden fern am Quelle
So allein im ledigen Stande. –

»Welchen Wert hat ein Geselle,
So wie Ihr, wird mir in Schnelle
Klar und offenbar und helle,
Junker,« spricht die Maid vom Lande
»Wer nicht bleibt an seiner Scholle,
Trägt als Narre Kapp und Schelle;
Nehmt, o Herr, mein Wort zum Pfande.«

Maid, von einem Kavaliere
Stammst du, der im Dorfreviere
Augen schuf dir von Saphire,
Du o holde Maid vom Lande.
Doch, daß dich nur nicht regiere
Falsches Sprödigkeitsgeziere,
Denn das zeugt nicht von Verstande. –
»Nie in städtischem Quartiere
Lebte mein Geschlecht; beim Stiere
Nur und Schaf im Dorfreviere,
Junker,« spricht die Maid vom Lande
»Und daß Baur und Hirt hantiere,
Statt zu gehen zum Turniere,
Dient auch ihnen nicht zur Schande.«

Eine Fee hat dir gegeben
Schönheit, die mich macht erbeben,
Mädchen, als du tratst ins Leben,
Mehr als sonstiger Maid vom Lande.
Doppelt würd ich dich erheben,
Dürft ich innig dir umweben
Meiner Arme Liebesbande. –
»Danke Euerm Lobbestreben!
Doch ich sag Euch auch daneben,
Daß es mich gelangweilt eben,
Junker,« spricht die Maid vom Lande
»Ei, so muß ich das erleben,
Daß man führt an Hirtenstäben
Stadtherrn und am Gängelbande.«

Mädchen, solch ein Herz von Steine
Trägst du, hoff ich, nur zum Schein.
Unterwegs, wie ich vermeine,
Bringt man eine Maid vom Lande
Wohl zu lieblichem Vereine.
Du wirst mein und ich der Deine!
Das heißt handeln mit Verstande. –

»Herr, ich seh, Ihr sparet keine
Huldigung, so grob als feine,
Um zu lenken an der Leine,
Junker, solche Maid vom Lande.
Eurer Reden doch nicht eine
Lockt mich, zu verkaufen meine
Reine Mädchenschaft der Schande.«

Die Geschöpfe allerwegen
Siehst du süße Liebe hegen;
Laß drum uns auch ihrer pflegen,
Mich und dich, du Maid vom Lande.
Sei nicht länger mir entgegen;
Komm, wir sind in Hains Gehegen
Sicher dort an Baches Rande. –
»Ja, doch komme sich entgegen
Gleich und gleich! Das wollt erwägen!
Herr und Dame, das bringt Segen,
Bauer auch und Maid vom Lande.
Hack und Karst paßt nicht zum Degen,
Heller Himmel nicht zum Regen,
Weizen wächst nicht auf dem Sande.«

Schöne Maid, nicht zu bewegen
Bist du denn, und mir entgegen,
Wie ichs traf in keinem Lande! –
»Herr, lebt wohl! Ihr wart verwegen.
Säumt nicht länger meinetwegen
Und Gott helf Euch zu Verstände!«

(Karl Ludwig Kannegießer)

*


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