Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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Derweilen wir noch ein wenig in dieser Camera obscura des Lebens, und wir sehen eine Frau hereintreten, gedrückten Wesens, vierzig Jahre alt, unauffällig, doch gut gekleidet, und sie erzählt Laudin ihre Geschichte, die zusammen mit dem, was er von dem Schauspieler gehört hat, auf seiner Stirn den Gedanken tönend macht: es ist zuviel, es kann nicht mehr ertragen werden.

Der Name der Frau ist Annette Gmelius. Sie ist seit achtzehn Jahren verheiratet mit einem Kaufmann, der um drei Jahre jünger ist als sie. Die Ehe ist kinderlos geblieben. Sie hatte dem Mann unverbrüchliche Treue gehalten, trotzdem er sich schon in den ersten Jahren andern Frauen zugewandt hatte. Er ist dabei immer auf heimlichen Wegen gegangen; sie hat es jedesmal erst gespürt, dann an vielen Zeichen erraten, dann war es nicht mehr zu verbergen, dann ist es zur Auseinandersetzung gekommen, dann hat er zerknirscht und reumütig ihre Verzeihung erbettelt, und nach Wochen, oder auch nach Monaten hat alles von vorn begonnen. Sie ist dessen allgemach müde geworden, wie sich denken läßt, hat die Hoffnung verloren und darauf verzichtet, ihn wieder zu gewinnen. Nicht, daß er sie ganz vernachlässigt hätte; zu einem ist eine Frau immer gut, das nimmt man noch mit, es kommt ja bloß auf das Vergnügen an, das er hat, nach ihrem fragt er nicht groß; daß sichs die Frau nur gerade gefallen läßt, merkt er nicht, daß sie sich gedemütigt fühlt und ihre Sympathie sich in Gleichgültigkeit, die Gleichgültigkeit sich schließlich in Widerwillen verwandelt, merkt er auch nicht. Warum soll er darauf acht haben? Eine ist für ihn wie die andre, die Hauptsache ist, daß es immer eine andre ist, und die Ehefrau ist schließlich bequem. So ist sie nach und nach verdrossen geworden; verdrossen ist das rechte Wort; nichts hat sie mehr gefreut, das Lachen hat sie verlernt. Nun, und eines Tages hat er von Scheidung gesprochen. Sie hat ihm rundweg erklärt, das tue sie nicht. Sie hat nicht weiter nach Gründen gesucht, sie hat ihm bloß zu verstehen gegeben: nein, auf keinen Fall, nie. Warum aber? Warum die Verweigerung, die so unvernünftig scheint und, wie sie wohl begreift, bloß zu ewigem Hader und Verbitterung führt? Weil sie es so billig haben, darum. Er kann ein neues Leben anfangen, das ihre ist aus. Für ihn ist nichts gewesen, er hat soundsoviel Jahre eine folgsame Wirtschafterin und Bettgenossin gehabt, jetzt, mit seinen sechs- oder siebenunddreißig Jahren, ist er noch wie mit zwanzig; sie hingegen ist müd und verbraucht, hat nichts mehr zu erwarten, hat keinen Auftrieb mehr und ist bloß noch gut, um sich hinzulegen und zu sterben. Da will man auch seine Genugtuung haben und verbeißt sich in das bißchen Machtgefühl und Trotz. Ein paarmal noch bemühte er sich sie umzustimmen, dann gab er es auf und schien sich drein zu finden. Eines Tages bringt er einen jungen Angestellten seines Geschäfts ins Haus, einen hübschen, lustigen Menschen. Sie unterhalten sich ganz gut zu dreien; der junge Mensch mißfällt ihr nicht, auch sie scheint Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Davon liefert er auch bald den Beweis; er schickt ihr Blumen, er schreibt ihr kleine zärtliche Briefe, und während Gmelius verreist ist, bringt er Theaterkarten; sie geht mit ihm ins Theater, nach dem Theater soupieren sie zusammen, am andern Tag wieder, am dritten wieder. Ihr ist, als ob die Jugend in ihr aufwachte, so schmerzlich glücklich ist ihr zu Sinn, sie hat nicht geglaubt, daß solche Gefühle noch in ihr sind, wie wenn alles Eis um einen schmilzt, sagt sie, und als der junge Mensch sie immer mehr bestürmt und immer leidenschaftlicher wird, da denkt sie: ach, einmal will ichs auch noch gut haben, es ist bloß ein Geringes gegen das, was mir der Mann angetan hat, und gibt sich hin. Da zeigt sichs, daß das Ganze ein schändliches Komplott war. Der junge Mensch, Schurke bis ins Herz hinein, hat ein verabredetes Zeichen gegeben; der Mann steht vor der Tür. Alles war verabredet, und an dem nicht genug, der junge Mensch war von Gmelius gezahlt; hat sich vom Ehegatten kaufen lassen, damit die Frau in flagranti ertappt und die Scheidung durchgeführt werden kann. Er hat sich kaufen lassen; so war es; Gmelius hat ihn gekauft; ganz einfach. Jetzt ist sie die Schuldige, man braucht ihr weder Abfindung noch Alimente zu bewilligen.

»So ist mir mitgespielt worden,« schloß die Frau ihren Bericht, »und nun will ich wissen, ob ich das erleiden muß, was mir noch aufgehalst werden soll, und ob ich nichts dagegen tun kann.«

»Beispiellos,« murmelte Laudin; »beispiellos.«

»Ja, beispiellos,« sagte die Frau bitter, »aber Sie sehen, man braucht das Beispiel nicht.«

Er entließ sie, mit der Zusicherung, sich der Sache annehmen zu wollen, und als sie draußen war, wurde das »Zuviel, zuviel, es ist kaum mehr zu ertragen« aus einem gedachten zu einem gesprochenen Wort.


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